Anki Overdrive07.10.2015, Michael Krosta
Anki Overdrive

Special: Carrera-Bahn der Zukunft?

Anki Overdrive will Hightech-Spielzeug mit Robotik und dem Flair von Videospielen wie Mario Kart verknüpfen. Statt mit den üblichen Reglern werden die Flitzer von Smartphones und Tablets im WLAN sowie per Bluetooth gesteuert. Dabei liefern kleine Akku-Zellen unter ihren Hauben die nötige Energie, während die Positionsduelle mit Waffensystemen sowie cleveren KI-Gegnern aufgewertet werden sollen. Hat die klassische Carrera-Bahn ausgedient?

Fortschritt durch Technik

Viel verändert hat sich nicht, wenn man sich das Spielzeug der letzten 30 Jahre anschaut. Ein Matchbox-Auto ist immer noch ein Matchbox-Auto, die Barbie-Puppe sieht heute fast genauso aus wie ihr Gegenüber von damals und die Carrera-Bahn hat sich ebenfalls nicht mehr sonderlich weiterentwickelt. Aber muss sie das denn? Ja! Das meinen zumindest die Gründer des US-Unternehmens Anki, das sich auf Robotik spezialisiert hat und mit dieser fortschrittlichen Technologie für frischen Wind auf dem leicht angestaubten klassischen Spielzeugmarkt sorgen will. Schon mit Anki Drive unternahm man erste erfolgreiche Gehversuche, doch schaffte es die futuristische Rennbahn nicht nach Europa. Mit dem Nachfolger Anki Overdrive will man jetzt nicht nur global die Technik-Revolution einläuten, sondern das Spielerlebnis mit weiteren Innovationen aufwerten, um Videospiel und Spielzeug noch näher zusammenzubringen.

Zwar bildet die typische Carrera-Bahn das Grundgerüst, doch findet man unter der Haube viel mehr Anleihen bei Videospielen wie Mario Kart oder Blur, die man vor ein paar Jahren sicher nicht für möglich gehalten hätte. Wenn man sich hier auf der Piste gegenseitig mit diversen Waffensystemen beharkt, die kleinen Flitzer mit Upgrades aufwertet oder das Erlebnis von einer Kampagne mit Storyansätzen, Sprachausgabe sowie herausfordernden KI-Duellen begleitet wird, dürfte schnell klar sein: Das geht weit über das hinaus, was man mit einer klassischen Spielzeug-Rennbahn verbindet!

Auto mit Köpfchen

Vor jedem Rennen wird die Strecke im Formationsflug gescannt.
Im Zentrum stehen dabei die Hightech-Boliden, an deren Design maßgeblich der deutsche Automobil- und Produktdesigner Harald Belker mitgewirkt hat, der u.a. schon für das Batmobil im Kinofilm Batman & Robin oder die coolen Lichtbikes in Tron Legacy verantwortlich zeichnete. Dabei unterscheiden sich die Flitzer nicht nur hinsichtlich der Optik, sondern auch in ihren inneren Werten voneinander, denn jeder von ihnen besitzt eigene Werte für Geschwindigkeit, Verteidigung, Durchschlagskraft sowie Spezialaktionen und greift auf ein individuelles Waffenarsenal zurück. Man dreht nicht nur einsam oder gegen bis zu drei Mitspieler seine Runden, sondern darf auch gegen computergesteuerte Konkurrenzen antreten. Dank eines integrierten 50 MHz Computers und eingebauter Kamera scannen die kleinen Flitzer ihre Umgebung etwa 500 Mal pro Sekunde und erkennen daher nicht nur den Streckenverlauf der neuerdings modular zusammengesteckten Pisten. Nein, sie analysieren auch konstant das Umfeld und wissen daher, wann sie sich hinter, vor oder neben einem anderen Fahrzeug befinden. Es ist beeindruckend zu sehen, wie die Modelle selbstständig ihre Runden drehen und aufeinander reagieren. Zudem entwickeln sich die KI-Piloten mit zunehmender Spielzeit weiter, um auch fortgeschrittenen Spielern genug Paroli zu bieten. Etwas ärgerlich ist in diesem Zusammenhang nur, dass vor jedem Rennen die Strecke erneut gescannt werden muss – auch dann, wenn man eigentlich keine Umbauten vorgenommen hat. Startet man über die App die Turnier-Karriere, wird man in der Qualifikation außerdem dazu gezwungen, ausschließlich Streckenteile zu nutzen, die im Starterset enthalten sind - warum auch immer. Wer sich also bereits mit Erweiterungen wie weiteren Geraden, Kurven, einer Sprungschanze oder Kreuzung eingedeckt und sich einen XXL-Kurs zusammengestellt hat, muss notgedrungen wieder auf die kleinere Variante umbauen.

Unkomplizierter Auf-, Ab- und Umbau

Dank Magneten und leicht flexiblen Streckenteilen sind Aufbau und Umgestaltung herrlich unkompliziert.
Zum Glück ist das hier kein so großer Akt, wie es damals bei vielen Rennbahnen der Fall war. Musste man dort erst mühsam und fummelig die einzelnen Streckenteile zusammenstecken sowie mit Klammern sichern, hält man die leicht flexiblen Oberflächen hier einfach in einem V-Winkel aneinander und die Magneten an den Enden erledigen den Rest – klasse! So ist das Set nicht nur im Handumdrehen aufgebaut, sondern auch Variationen lassen sich innerhalb weniger Minuten umsetzen. Schon das Starterkit erlaubt mit seinen vier Geraden- und sechs Kurven-Elementen bis zu acht Layouts. Zusammen mit dem optionalen Zubehör sind der Kreativität dann kaum noch Grenzen gesetzt, denn neben den Standardteilen werden auch Kreuzungen, Brückenpfeiler und sogar Sprungschanzen angeboten. Letztere stellten allerdings keine große Bereicherung dar, weil die akrobatischen Einlagen in unseren Test-Aufbauten nur selten gelangen und die Fahrzeuge stattdessen die Orientierung und Kontrolle verloren haben oder einfach nicht genug beschleunigten. Sinnvoller erscheint die Investition in die so genannten Rails-Kits, mit denen man die Kurven mit einer Streckenbegrenzung sichert, um den mitunter nervigen Abflügen der futuristisch designten Boliden entgegen zu wirken. Diese leiden manchmal übrigens unter kleinen KI-Aussetzern und bleiben z.B. schon beim Einscannen einfach mal stehen – hier hilft dann nur ein Neustart der App.    

Handy als Controller

Gesteuert werden die Flitzer nicht mehr mit einem dazugehörigen (Kabel-)Reglern, sondern mit Handy oder Tablet. Funktionierte der Vorgänger ausschließlich mit iOS-Geräten und der dort verwendeten, speziellen Bluetooth-Technologie, fungieren jetzt auch Android-Geräte als Steuerungseinheit, die alternativ auch via WLAN miteinander kommunizieren. Selbst die gleichzeitige Verwendung von Androiden und Äpfeln ist möglich, wenn sich alle Geräte im gleichen Netzwerk befinden. Ob man irgendwann auch Winphones unterstützen kann, wird derzeit noch untersucht, aber aktuell verweigert Anki Overdrive jedgliche Zusammenarbeit. Doch auch an der Android-Front sieht es mit der übersichtlichen Anzahl an unterstützen Modellen eher düster aus: In unserer Redaktion hatte kaum jemand ein so aktuelles Gerät, das die Anforderungen zum Download der App erfüllte. Deutlich besser sieht es bei der Liste an unterstützten iOS-Geräten aus. Insgesamt fällt die eingeschränkte Inkompatibilität jedoch ernüchternd aus und wird vermutlich auch bei manchen Käufern für eine üble Überraschung sorgen. Auf der Verpackung findet sich lediglich ein Hinweis, Kompatibilitätsliste auf der offiziellen Webseite zu checken.

Die Liste an kompatiblen Android-Geräten ist noch sehr übersichtlich. Nur bei halbwegs aktuellen Modellen darf der Download der App gestartet werden.
Hat man ein entsprechendes Exemplar, bestimmt man mit einem berührungsempfindlichen Schieberegler über das Display das Tempo. Gelenkt wird mit Hilfe der Bewegungssensoren, indem man das Gerät in die entsprechende Richtung neigt. Aber keine Sorge: Man muss bei dem mitunter wahnwitzigen Tempo die Karossen nicht in jeder Kurve manuell lenken. Die Funktion dient in erster Linie einer Mechanik, die sich am besten mit dem „Spurwechsel“ herkömmlicher Bahnen vergleichen lässt – mit dem Unterschied, dass es hier stufenlos funktioniert und man nicht nur Überholmanöver einleitet bzw. abblockt, sondern auch dem gegnerischen Beschuss ausweicht. Trotzdem fahren die Autos auch ohne Lenkbewegungen immer geradeaus und folgen dem Streckenverlauf, können bei zu hohem (Boost-)Tempo oder nach Rangeleien aber dennoch abfliegen.

Balance-Probleme

Die Wagen werden mit zunehmender Spielpraxis und weiteren Upgrades immer besser. Denn hier werden nicht nur einfach Rennen gefahren: Die Flitzer sind bis an die Zähne bewaffnet und ballern sich gegenseitig mit Waffen wie Laserkanonen, EMP-Stößen oder anderen Gemeinheiten über den Haufen, setzten Schilde zur Verteidigung ein oder ziehen mit Boosts den Verfolgern kurzzeitig davon. Das alles wird selbstverständlich nur von der Software gesteuert, doch sieht man das Feedback auch an den Modellen, wenn z.B. die einschlagenden Kugelsalven mit blinkenden Lichteffekten visualisiert werden.

Neben dem eigentlichen Fahren sind deshalb auch zwei Bereiche für die Angriffs- und Verteidigungsoptionen auf dem Handy- oder Tablet-Bildschirm reserviert. Dabei wechselt man bequem mit einem leichten Fingerwischen zwischen dem verfügbaren Arsenal, zu dem u.a. auch ein Magnet zum Einbremsen des Vorausfahrenden oder ein schneller U-Turn gehört, mit dem man umgehend die Position mit seinem Verfolger tauscht, um ihn anschließend von hinten zu attackieren.

Daneben wird das komplette Wagen- und Upgradesystem über die App gemanaged. Nach den Rennen und dem Erfüllen bestimmter Ziele wird man mit zusätzlichem Equipment oder anderen Verbesserungen der Wageneigenschaften belohnt. Die Daten werden gespeichert und auf den jeweiligen Flitzer übertragen, sodass man auch auf den Bahnen von Freunden mit seinem individuell ausgerüsteten Modell antreten kann. Damit keiner der Spieler einen unfairen Vorteil daraus ziehen kann, wurde eine Option in Aussicht gestellt, welche die teilnehmenden Wagen auf ein nahezu identisches Niveau hievt. Während diese beim Vorgänger offenbar umgesetzt wurde, konnten wir sie in der Overdrive-App leider nirgends entdecken, so dass es hier durchaus zu spürbaren Ungleichgewichten sowie entsprechenden Balance-Problemen zwischen Spielern und ihren Wagen kommen kann.

Vollkontakt

Die Ladestation bietet Platz und Energie für vier Boliden.
Während bei der klassischen Carrea-Bahn durch die zugewiesenen Slots auf der Strecke Kollisionen meist vermieden wurden, ist der Kontakt zwischen den Fahrzeugen durch die actionorientierte Ausrichtung mit Crash-Kreuzungen und nicht zuletzt der größeren Bewegungsfreiheit ausdrücklich erwünscht. Entsprechend robust sind die Roboter-Autos gefertigt, damit sie nicht so schnell beschädigt werden. Die Fahrzeit pro Session liegt bei etwa 20 bis 25 Minuten. Danach müssen die Rennwagen zur mitgelieferten Energie-Tankstelle, an der ihre Akkus innerhalb von acht Minuten wieder komplett aufgeladen werden. Spieler werden über die App darüber informiert, wenn die letzten Energiereserven ihres Vehikels zur Neige gehen – manchmal leider etwas zu spät, denn je nach Spielweise ist der Tank bei manchen Teilnehmern früher leer. Das kann sogar dazu führen, dass ein laufendes Rennen durch eine Fehlermeldung ohne konkrete Beschreibung abgebrochen wird – ärgerlich.  Und so schön es auch sein mag, dass man für den Rennbetrieb keine Steckdosen braucht: An der Carrera-Bahn kann ich so lange am Stück fahren wie ich möchte, während sich hier  „Boxenstopps“ und Zwangspausen nicht vermeiden lassen. Auch kam es vor oder nach Rennen hin und wieder vor, dass wir auf einem Bildschirm fest hingen und die App neu starten mussten. Schön: Wer bereits Zubehör für Anki Drive zu Hause hat, wird sich darüber freuen, dass man es auch für Overdrive verwenden kann. Ein Software-Update reicht, um die Kompatibilität der Autos zu gewährleisten. In Foren ist allerdings zu lesen, dass die alten Modelle aufgrund einer spürbar geringeren Leistung nicht mit der Geschwindigkeit der neuen Autos mithalten können.

Technik vor Spielspaß?

Hatte ich bei meinen ersten Proberunden mit Anki Overdrive noch sehr viel Spaß, stießen mir beim längeren Test zunehmend Dinge auf, die stören: Warum muss z.B. vor jedem Rennen der Strecken-Scan erneut durchgeführt werden? Wieso muss ein neuer Spieler für den Einstieg in die Karriere zwingend auf eine Strecke des Startersets zurückkehren? Weshalb enden die meisten Mehrspieler-Rennen in einem hoffnungslosen Chaos voller Abflüge oder leiden an den schlecht ausbalancierten Fähigkeiten der einzelnen Boliden? Was mir aber besonders sauer aufstößt: Das eigentliche Fahren rückt hier etwas zu stark in den Hintergrund! Meist reicht es einfach aus, den Schubregler auf Vollgas zu stellen, denn die Flitzer fahren ja weitgehend automatisch und fliegen höchstens durch Fremdeinwirkung oder Aussetzer ab. Es mag sein, dass der fahrerische Anspruch mit weiteren Upgrades steigt, doch bisher muss ich sagen: Das Meistern einer Carrerabahn wirkte im Vergleich anspruchsvoller! Dort schien mir die Kontrolle über das Fahrzeug stärker im Fokus zu stehen, wenn man auf den Geraden Vollgas gab und sich in den Kurven mit einer feinen Dosierung des „Pedals“ durch die analogen und mechanischen Eingaben am Limit bewegte, um sich spannende Duelle mit Freunden zu liefern. Hier werden die fahrerischen Fähigkeiten lediglich beim Zeitfahren richtig gefordert, wo man seine Boosts clever einsetzen und die Kurven optimal erwischen muss, wenn man nacheinander auf die Piste geht.  Durch die eingeschränkte Haptik des Handy-Displays fällt es mir allerdings schwer, wirklich ein Gefühl für die kleinen Flitzer zu entwickeln, die aufgrund der Automatismen auch in Kurven meist wie ein Brett auf der Straße liegen.

Der Preis ist heiß

Über die App werden die Wagen gesteuert, getunt und ausgerüstet.
Neben den zehn Streckenteilen besteht das Starterset aus den beiden Boliden Skull und Ground Shock sowie einer Ladestation für vier Fahrzeuge, zwei Brückenpfeilern und einem Reinigungsset für die Reifen. Mit knapp 180 Euro ist der Einstieg in die Welt der futuristischen Rennbahn allerdings kein Schnäppchen. Weitere Fahrzeuge schlagen mit etwa 60 Euro zu Buche, Standard-Streckenergänzungen kosten 24,99 Euro, Kreuzungen oder die Sprungschanze nochmal einen Zehner mehr. Leitplanken und Brückenpfeiler bekommt man dagegen für 12,99 Euro, doch kann man gerade bei Erhöhungen der Piste auch auf Alltagsgegenstände wie Bücher oder die Küchenrolle zurückgreifen. Ja: Vor allem in den Autos steckt jede Menge coole Technik. Trotzdem ist Anki Overdrive ein ganz schön teures Vergnügen. Und auch die vorausgesetzten „Controller“ sind im höheren Preissegment angesiedelt, da nur relativ aktuelle Handys und Tablets vom Spiel unterstützt werden.

Fazit:

Für die Anki-Entwickler mag der Kampf-Aspekt mit virtuellen Waffen und die Action im Mittelpunkt stehen. Das wird schon dadurch deutlich, dass es abseits des Zeitrennens keinen klassischen Rennmodus gibt, in dem die Gadgets deaktiviert sind und tatsächlich nur das fahrerische Können entscheidet. Im Gegenteil: Sowohl in den Turnieren als auch den Modi Rennen, Battle und King of the Hill dominieren die Wummen das Spielgeschehen. Ich empfinde diese meist chaotischen Scharmützel dagegen nur als netten Zusatz, der für mich die klassischen Überhol-Duelle nicht ersetzen kann. Trotzdem haben mir die visuellen Effekte an den Wagen in Kombination mit entsprechenden Soundeffekten aus dem Handy-Lautsprecher im Rahmen dieser „Action-Rennen“ gut gefallen. Die KI-Technologie und der unkomplizierte Aufbau sind darüber hinaus schlichtweg beeindruckend. Ist die Ära der altbewährten Carrea-Bahn damit vorbei? Nein, für mich nicht. Am liebsten wäre mir wohl die Kombination aus beiden Welten: Fahrzeuge mit den technischen Möglichkeiten der Robotik, aber ein größerer Fokus auf klassische Rennen und mehr Kontrolle beim Fahren. Die KI-Wagen empfinde ich zudem als große Bereicherung, wenn man keinen oder nicht genügend Mitspieler hat. Allerdings würde ich den klassischen „Renn-Controller“ aufgrund der besseren Haptik dem Touchscreen immer noch vorziehen, obwohl das Zusammenspiel zwischen Handy und Spielzeug-Auto erstaunlich gut und unkompliziert funktioniert, sofern man eines der wenigen kompatiblen Geräte besitzt und nicht vor den happigen Kosten für das Starterset sowie Zubehör zurückschreckt.

 
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