Special: Carrera-Bahn der Zukunft?
Fortschritt durch Technik
Viel verändert hat sich nicht, wenn man sich das Spielzeug der letzten 30 Jahre anschaut. Ein Matchbox-Auto ist immer noch ein Matchbox-Auto, die Barbie-Puppe sieht heute fast genauso aus wie ihr Gegenüber von damals und die Carrera-Bahn hat sich ebenfalls nicht mehr sonderlich weiterentwickelt. Aber muss sie das denn? Ja! Das meinen zumindest die Gründer des US-Unternehmens Anki, das sich auf Robotik spezialisiert hat und mit dieser fortschrittlichen Technologie für frischen Wind auf dem leicht angestaubten klassischen Spielzeugmarkt sorgen will. Schon mit Anki Drive unternahm man erste erfolgreiche Gehversuche, doch schaffte es die futuristische Rennbahn nicht nach Europa. Mit dem Nachfolger Anki Overdrive will man jetzt nicht nur global die Technik-Revolution einläuten, sondern das Spielerlebnis mit weiteren Innovationen aufwerten, um Videospiel und Spielzeug noch näher zusammenzubringen.
Zwar bildet die typische Carrera-Bahn das Grundgerüst, doch findet man unter der Haube viel mehr Anleihen bei Videospielen wie Mario Kart oder Blur, die man vor ein paar Jahren sicher nicht für möglich gehalten hätte. Wenn man sich hier auf der Piste gegenseitig mit diversen Waffensystemen beharkt, die kleinen Flitzer mit Upgrades aufwertet oder das Erlebnis von einer Kampagne mit Storyansätzen, Sprachausgabe sowie herausfordernden KI-Duellen begleitet wird, dürfte schnell klar sein: Das geht weit über das hinaus, was man mit einer klassischen Spielzeug-Rennbahn verbindet!
Auto mit Köpfchen
Unkomplizierter Auf-, Ab- und Umbau
Handy als Controller
Gesteuert werden die Flitzer nicht mehr mit einem dazugehörigen (Kabel-)Reglern, sondern mit Handy oder Tablet. Funktionierte der Vorgänger ausschließlich mit iOS-Geräten und der dort verwendeten, speziellen Bluetooth-Technologie, fungieren jetzt auch Android-Geräte als Steuerungseinheit, die alternativ auch via WLAN miteinander kommunizieren. Selbst die gleichzeitige Verwendung von Androiden und Äpfeln ist möglich, wenn sich alle Geräte im gleichen Netzwerk befinden. Ob man irgendwann auch Winphones unterstützen kann, wird derzeit noch untersucht, aber aktuell verweigert Anki Overdrive jedgliche Zusammenarbeit. Doch auch an der Android-Front sieht es mit der übersichtlichen Anzahl an unterstützen Modellen eher düster aus: In unserer Redaktion hatte kaum jemand ein so aktuelles Gerät, das die Anforderungen zum Download der App erfüllte. Deutlich besser sieht es bei der Liste an unterstützten iOS-Geräten aus. Insgesamt fällt die eingeschränkte Inkompatibilität jedoch ernüchternd aus und wird vermutlich auch bei manchen Käufern für eine üble Überraschung sorgen. Auf der Verpackung findet sich lediglich ein Hinweis, Kompatibilitätsliste auf der offiziellen Webseite zu checken.
Balance-Probleme
Die Wagen werden mit zunehmender Spielpraxis und weiteren Upgrades immer besser. Denn hier werden nicht nur einfach Rennen gefahren: Die Flitzer sind bis an die Zähne bewaffnet und ballern sich gegenseitig mit Waffen wie Laserkanonen, EMP-Stößen oder anderen Gemeinheiten über den Haufen, setzten Schilde zur Verteidigung ein oder ziehen mit Boosts den Verfolgern kurzzeitig davon. Das alles wird selbstverständlich nur von der Software gesteuert, doch sieht man das Feedback auch an den Modellen, wenn z.B. die einschlagenden Kugelsalven mit blinkenden Lichteffekten visualisiert werden.
Neben dem eigentlichen Fahren sind deshalb auch zwei Bereiche für die Angriffs- und Verteidigungsoptionen auf dem Handy- oder Tablet-Bildschirm reserviert. Dabei wechselt man bequem mit einem leichten Fingerwischen zwischen dem verfügbaren Arsenal, zu dem u.a. auch ein Magnet zum Einbremsen des Vorausfahrenden oder ein schneller U-Turn gehört, mit dem man umgehend die Position mit seinem Verfolger tauscht, um ihn anschließend von hinten zu attackieren.
Daneben wird das komplette Wagen- und Upgradesystem über die App gemanaged. Nach den Rennen und dem Erfüllen bestimmter Ziele wird man mit zusätzlichem Equipment oder anderen Verbesserungen der Wageneigenschaften belohnt. Die Daten werden gespeichert und auf den jeweiligen Flitzer übertragen, sodass man auch auf den Bahnen von Freunden mit seinem individuell ausgerüsteten Modell antreten kann. Damit keiner der Spieler einen unfairen Vorteil daraus ziehen kann, wurde eine Option in Aussicht gestellt, welche die teilnehmenden Wagen auf ein nahezu identisches Niveau hievt. Während diese beim Vorgänger offenbar umgesetzt wurde, konnten wir sie in der Overdrive-App leider nirgends entdecken, so dass es hier durchaus zu spürbaren Ungleichgewichten sowie entsprechenden Balance-Problemen zwischen Spielern und ihren Wagen kommen kann.
Vollkontakt
Technik vor Spielspaß?
Hatte ich bei meinen ersten Proberunden mit Anki Overdrive noch sehr viel Spaß, stießen mir beim längeren Test zunehmend Dinge auf, die stören: Warum muss z.B. vor jedem Rennen der Strecken-Scan erneut durchgeführt werden? Wieso muss ein neuer Spieler für den Einstieg in die Karriere zwingend auf eine Strecke des Startersets zurückkehren? Weshalb enden die meisten Mehrspieler-Rennen in einem hoffnungslosen Chaos voller Abflüge oder leiden an den schlecht ausbalancierten Fähigkeiten der einzelnen Boliden? Was mir aber besonders sauer aufstößt: Das eigentliche Fahren rückt hier etwas zu stark in den Hintergrund! Meist reicht es einfach aus, den Schubregler auf Vollgas zu stellen, denn die Flitzer fahren ja weitgehend automatisch und fliegen höchstens durch Fremdeinwirkung oder Aussetzer ab. Es mag sein, dass der fahrerische Anspruch mit weiteren Upgrades steigt, doch bisher muss ich sagen: Das Meistern einer Carrerabahn wirkte im Vergleich anspruchsvoller! Dort schien mir die Kontrolle über das Fahrzeug stärker im Fokus zu stehen, wenn man auf den Geraden Vollgas gab und sich in den Kurven mit einer feinen Dosierung des „Pedals“ durch die analogen und mechanischen Eingaben am Limit bewegte, um sich spannende Duelle mit Freunden zu liefern. Hier werden die fahrerischen Fähigkeiten lediglich beim Zeitfahren richtig gefordert, wo man seine Boosts clever einsetzen und die Kurven optimal erwischen muss, wenn man nacheinander auf die Piste geht. Durch die eingeschränkte Haptik des Handy-Displays fällt es mir allerdings schwer, wirklich ein Gefühl für die kleinen Flitzer zu entwickeln, die aufgrund der Automatismen auch in Kurven meist wie ein Brett auf der Straße liegen.
Der Preis ist heiß
Fazit:
Für die Anki-Entwickler mag der Kampf-Aspekt mit virtuellen Waffen und die Action im Mittelpunkt stehen. Das wird schon dadurch deutlich, dass es abseits des Zeitrennens keinen klassischen Rennmodus gibt, in dem die Gadgets deaktiviert sind und tatsächlich nur das fahrerische Können entscheidet. Im Gegenteil: Sowohl in den Turnieren als auch den Modi Rennen, Battle und King of the Hill dominieren die Wummen das Spielgeschehen. Ich empfinde diese meist chaotischen Scharmützel dagegen nur als netten Zusatz, der für mich die klassischen Überhol-Duelle nicht ersetzen kann. Trotzdem haben mir die visuellen Effekte an den Wagen in Kombination mit entsprechenden Soundeffekten aus dem Handy-Lautsprecher im Rahmen dieser „Action-Rennen“ gut gefallen. Die KI-Technologie und der unkomplizierte Aufbau sind darüber hinaus schlichtweg beeindruckend. Ist die Ära der altbewährten Carrea-Bahn damit vorbei? Nein, für mich nicht. Am liebsten wäre mir wohl die Kombination aus beiden Welten: Fahrzeuge mit den technischen Möglichkeiten der Robotik, aber ein größerer Fokus auf klassische Rennen und mehr Kontrolle beim Fahren. Die KI-Wagen empfinde ich zudem als große Bereicherung, wenn man keinen oder nicht genügend Mitspieler hat. Allerdings würde ich den klassischen „Renn-Controller“ aufgrund der besseren Haptik dem Touchscreen immer noch vorziehen, obwohl das Zusammenspiel zwischen Handy und Spielzeug-Auto erstaunlich gut und unkompliziert funktioniert, sofern man eines der wenigen kompatiblen Geräte besitzt und nicht vor den happigen Kosten für das Starterset sowie Zubehör zurückschreckt.
Du musst mit einem 4Players-Account angemeldet sein, um an der Diskussion teilzunehmen.