Metal Gear Solid (Klassiker)08.09.2015, Michael Krosta
Metal Gear Solid (Klassiker)

Special: Hideo Kojimas größter Genieschleich

Mit Metal Gear Solid 5: The Phantom Pain lieferte Hideo Kojima jüngst den wahrscheinlich letzten Teil seiner Schleich-Saga ab, die vor fast 30 Jahren auf dem MSX-System ihren Anfang nahm. Und was haben wir in der Zeit alles erlebt: aufregende Einsätze, spektakuläre Bosskämpfe und eine filmreif inszenierte Geschichte. Nach den zahlreichen Missionen in Afghanistan und Afrika kehren wir jetzt nach Shadow Moses Island zurück, um mit Solid Snake in Metal Gear Solid nicht nur einen Höhepunkt der Reihe, sondern auch ein Meisterwerk der Videospielgeschichte Revue passieren zu lassen...

Ein neues Erlebnis

Ich weiß es noch ganz genau, als die Import-Version von Metal Gear Solid im CD-Schacht meiner PlayStation landete. Und wenn ich die ersten Klänge bei der Einblendung des Konami-Logos höre, ist das der Anfang der Gänsehaut-Momente, die mich heute wie damals durch das Spiel begleiten. Dabei war meine erste Begegnung mit Solid Snake eigentlich zunächst von Frust geprägt: In einer Zeit, in der man sich vornehmlich mit Waffengewalt durchballerte, wurde ich nach dem filmreif inszenierten Intro mit seinen großartigen Sprechern plötzlich mit der Aufgabe konfrontiert, mich unbewaffnet an genetisch modifizierten Super-Soldaten vorbeizuschleichen, um am Ende der gut bewachten Halle den Aufzug zu erreichen.

Ich brauchte gefühlt unzählige Versuche. Wer konnte auch damals damit rechnen, dass eine KI mit so guten Sinnesfähigkeiten ausgestattet sein könnte? Mein ungestümes Trampeln durch Pfützen landete umgehend in den Ohrmuscheln der Bewacher und schon der kleinste Sichtkontakt löste Alarm aus. Alleine und unbewaffnet gegen dieser Übermacht? Keine Chance! Und so lernte ich die Kunst des Schleichens eben auf die harte Tour: Ich studierte die Patrouillenwege meiner Gegner, kroch vorsichtig von einem Versteck zum nächsten oder lockte sie gezielt mit Klopfgeräuschen auf die falsche Fährte. Irgendwann wurde ich sogar so mutig und schlich mich mit steigendem Puls von hinten an sie heran, um sie erst in den Schwitzkasten zu nehmen und anschließend mit einem dramatischen Knopfgehämmer ohnmächtig zu würgen. Was war das für ein großartiges Erfolgserlebnis, als ich zum ersten Mal

Metal...Gear?
diesen verdammten Aufzug erreichte, ohne einen Alarm auszulösen! Und das war erst der Anfang dieser grandiosen Infiltration, die für mich spielerisch völlig neue Akzente setzte und so viele denkwürdige Momente bot, wie kaum ein anderes Spiel zuvor oder danach.

So viele Möglichkeiten

Wir loben derzeit The Phantom Pain für die enorme spielerische Freiheit, welche die offen gestalteten Areale in Kombination mit der riesigen Auswahl an Gadgets und Waffen bietet. Doch diese Ansätze erkannte man bereits in dem PlayStation-Klassiker aus dem Jahr 1998: So gab es z.B. mehrere Möglichkeiten und Wege, von dem verschneiten Hubschrauberlandeplatz ins Innere der Basis zu gelangen. Oder man denke an die Laser-Barrieren, die entweder durch ein Nachtsichtgerät oder aber Snakes Zigarettenrauch sichtbar wurden. Oft gab es mehr als nur eine Lösung für ein Problem und vor allem das Equipment regte immer wieder zum Experimentieren an. Man denke z.B. an das kreative Entkommen aus der Gefängniszelle, diverse Ablenkungsmanöver oder den kultigen Pappkarton, mit dem man auf der Ladefläche von Trucks auch schnell zu anderen Bereichen der Basis reisen konnte – wenn man auf die Idee kam. Und wie immer lag es allein in der Hand des Spielers, ob er mit Betäubungspistole und Verstecken lieber den unauffälligen Weg wählte oder nach Rambo-Manier das Waffenarsenal sprechen ließ, auch wenn letztere Methode damals deutlich weniger Aussicht auf Erfolg hatte, als es bei den aktuelleren Teilen der Fall ist.             

Die Konfrontation gegen Psycho Mantis zählt ohne Zweifel zu den denkwürdigsten, kreativsten Bosskämäpfe aller Zeiten!
Außerdem bot Metal Gear Solid einen enorm abwechslungsreichen Spielablauf sowie einige Überraschungen, die ich bei The Phantom Pain trotz all seiner Freiheiten etwas vermisse: Wie cool war es damals, die Wände nach brüchigen Stellen abzuklopfen, um dort das C4 zu platzieren? Oder die Folterszene mit Ocelot, in der man mit panischem Knopfdrücken um sein Leben (und das von Meryl) kämpfen musste? Nicht zu vergessen die rasante Fluchtsequenz im Jeep oder der Moment, in dem man mit getarnten Attentätern in einem Aufzug eingesperrt war oder die uniformierte Meryl anhand ihrer Bewegungen identifizieren musste. Dann das Soliton Radar System, das in manchen Bereichen oder beim Alarm nicht funktionierte. Metal Gear Solid ist und war einfach ein Sammelbecken voller grandioser Ideen!  

„Ich kann deinen Controller mit meiner Willenskraft bewegen“

Die Bosskämpfe sorgten außerdem für weitere Höhepunkte innerhalb dieser famosen Tactical Espionage Action – allen voran die kultige Begegnung mit Psycho Mantis und dessen „Machtdemonstrationen“, mit denen Kojima auf unterhaltsame Weise die vierte Wand durchbrach – genau wie mit der Frage nach Meryls Funkfrequenz als Mini-Kopierschutz, da sich diese auf der Rückseite der Originalverpackung befand. Für mich zählt die Auseinandersetzung mit Psycho Mantis zu den besten und kreativsten  Bosskämpfen aller Zeiten. Doch auch die Konfrontationen mit den restlichen abtrünnigen Mitgliedern der Fox Unit hatten es in sich, seien es die packenden Scharfschützelduelle gegen Sniper Wolf, die Kämpfe gegen Vulcan Raven sowie Revolver Ocelot oder das Auftauchen des ominösen Ninja-Cyborgs. Und selbstverständlich Liquid Snake, der mir damals nicht nur an Bord des schwer bewaffneten Hind D, sondern auch im finalen Zusammentreffen mit Metal Gear viele Schweißperlen auf der Stirn beschert hat. Hier zeugten die Bosskämpfe noch von Klasse, kreativen Impulsen, Abwechslung und Anspruch –

Die Codec-Gespräche waren informativ, witzig, nützlich und unterhaltsam.
eine Qualität, die schon in Metal Gear Solid 4 nachließ und die man bei The Phantom Pain noch stärker vermisst.

Viele Fragen, starke Twists, interessante Charaktere

Und all das wurde eingebettet in eine großartig inszenierte Geschichte, die zwar auf den ersten Blick inhaltlich mit atomarer Bedrohung durch Terroristen an einen durchschnittlichen Actionfilm erinnerte, aber mit überraschenden Wendungen, interessanten Charakteren und Ereignissen durchaus Emotionen weckte und mit gesellschaftskritischen Untertönen zum Nachdenken anregte. Für mich war Metal Gear Solid eines der ersten Videospiele, das ich trotz der Gewalt und des militärisch geprägten Szenarios als Anti-Kriegsspiel wahrnahm – man denke z.B. an die rührende Szene mit der sterbenden Scharfschützin Sniper Wolf und Hal Emmerich. Gleichzeitig sorgte das Drehbuch mit Ereignissen wie den tödlichen Anfällen wichtiger Figuren und mysteriösen Charakteren wie dem Cyborg immer wieder für tolle Spannungsmomente und fantastische Aha-Effekte.   

Dabei setzte Kojima hier noch nicht so stark auf Zwischensequenzen, sondern überzeugte durch eine gelungene Balance aus Film und Spiel. Die Codec-Gespräche waren dabei ein wesentlicher Bestandteil, den man schon von den MSX-Einsätzen kannte. Wie schön es doch war, von Mei Ling mit Sprichwörtern bombardiert zu werden, von Naomi Hunter nach der Folter-Tortur eine Nanomaschinen-Massage mit dem DualShock-Controller zu bekommen oder den nützlichen Hinweisen des Colonels, Master Miller oder Nastasha Romanenko zu lauschen. Es hat einfach Spaß gemacht, zwischendurch mit den Leuten zu plaudern, zu denen später auch noch Meryl Silverbourgh, Hal Emmerich und der geheimnisvolle Informant „Deepthroat“ hinzu stießen.

Die Schlange spricht Deutsch

Guter Klon, böser Klon.
Metal Gear Solid ist der einzige Teil innerhalb der Reihe, der nicht nur mit Untertiteln versehen, sondern auch mit deutschen Sprechern lokalisiert wurde – ein Aufwand, den sich Konami rückblickend betrachtet besser gespart hätte. Spätestens wenn ich erneut die schrille Stimme der im Original so süßen Analystin Mei Ling höre, läuft es mir in der deutschen Fassung eiskalt den Rücken runter und ich sehne mich umgehend nach den Originalsprechern rund um David „Snake“ Hayter, der in The Phantom Pain leider durch Kiefer Sutherland ersetzt wurde, obwohl der 24-Darsteller ebenfalls einen guten Job macht.

Bei Remake The Twin Snakes, das in Zusammenarbeit mit Silicon Knights („Eternal Darkness“) entwickelt wurde und exklusiv für Nintendos GameCube erschien, hatte man bei Konami ein Einsehen und verzichtete lieber auf eine komplette Lokalisierung, wie man es zuvor schon beim Nachfolger Metal Gear Solid 2: Sons of Liberty getan hatte, der 2001 zuerst auf der PlayStation 2 erschien. Dabei nutzte die Neuauflage für die Würfel-Konsole nicht nur die verbesserte Technik der Fortsetzung, sondern implementierte auch einige Mechaniken wie die Ego-Perspektive und wurde durch weitere Zwischensequenzen ergänzt, die unter der Mithilfe des japanischen Regisseurs und Drehbuchautors Ryuhei Kitamura entstanden.

Ein Meilenstein

Das Gamecube-Remake nutzte Technik und Mechaniken des zweiten Teils.
Doch egal ob PlayStation-Original oder Gamecube-Remake: Für mich markiert Metal Gear Solid eine der beeindruckendsten und intensivsten Erfahrungen, die ich jemals mit Videospielen machen durfte und legte den Grundstein für eine Faszination, die bis heute anhält. Zwar verlor Kojima wahrscheinlich selbst irgendwann den kompletten Durchblick bei all den komplexen Handlungssträngen mit ihren Organisationen, Charakteren und Ereignissen, doch es gibt für mich kaum eine andere Spiele-Reihe, die mich ähnlich gepackt hat, wie diese hier. Bleibt nur zu sagen: Danke, Hideo Kojima! Danke für Metal Gear Solid und dieses beeindruckende, kreative Stück Videospielgeschichte, das die Symbiose aus Film und Spiel sowie das gesamte Stealth-Genre entscheidend prägte.

 
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