Special: Panik von Paris bis Tokyo
Kooperativer Wettlauf um Heilmittel
Nein, das darf doch nicht wahr sein! Wir waren soooooo knapp davor, das letzte Heilmittel zu finden. Und jetzt das: Ende Gelände, Spiel verloren. Warum? Weil es in Seoul zu einem Ausbruch kam, der sich auf die benachbarten Städte ausgeweitet und dort wiederum für Chaos gesorgt hat – diese verdammte Kettenreaktion hat unsere bis dato gut koordinierten Pläne zunichte gemacht. Schaut man sich die Weltkarte an, erkennt man bereits eine Spur der Zerstörung anhand der Sticker, die neben verseuchten Städten kleben. Trotzdem werden wir es nochmal versuchen, denn ein Spiel steht hier nur für einen Monat – wir haben also eine Schlacht, aber noch nicht den Krieg gegen die Pandemie verloren.
Narben und Sonderfähigkeiten
So gewinnen die fünf wählbaren Spezialisten noch mehr Konturen und Persönlichkeit. Zwar versucht man als Team zu gewinnen, aber jeder schlüpft in die Rolle eines Experten von der Forscherin bis zum Generalisten, die ein bis zwei exklusive Aktionen hinsichtlich der Bewegung oder dem Kartenzug ausführen können. Nur der Sanitäter darf z.B. ohne Heilmittel alle Virensteine in einer Stadt entfernen – die anderen nur einen. Ziel des Spiels ist es, Gegenmittel zu allen Epidemien zu erforschen, hinzu kommen Aufgaben und Ereignisse, die man nicht zufällig, sondern von einem klar strukturierten Stapel zieht, der also einer gewissen Regie folgt. Es gibt aber nicht nur einen erzählerischen Rahmen, sondern auch einige tolle Überraschungen und dramaturgische Wendepunkte.
Zerreißen, rubbeln, sterben
Cool ist nämlich auch, dass man ständig etwas Neues aus der Box öffnet: Da ist dieser knallrote Top-Secret-Umschlag mit seinen nummerierten Dossiers, die wie bei einem Adventskalender weitere Informationen hinter Türchen verbergen. Was da wohl alles auf die Welt zukommt? Da sind die versiegelten schwarzen Boxen, die vielleicht weiteres Spielmaterial enthalten. All das hält natürlich die Neugier aufrecht, zumal man nicht nur die Weltkarte und seine Charakterbögen beklebt, sondern auch Karten freirubbelt oder tatsächlich zerreißt. Richtig gehört: Man bekommt vielleicht die Anweisung, eine Aufgabenkarte zu zerreißen…
Taktische Gegenmaßnahmen
Immer wenn es gelingt, einen Virus komplett auszurotten, indem man erst ein Heilmittel erforscht und dann bis zum Spielende alle Steine der Farbe beseitigt, darf man auf den Virus einen Sticker wie „Bekannte Struktur“ kleben, die ihn in Zukunft leichter heilbar macht – dann muss man für eine Behandlung vielleicht nicht mehr in einem Forschungszentrum sein. Hinzu kommt, dass man auch die Stadtkarten aufrüsten kann, indem man sie mit freien Ereignissen wie „Experimentelles Programm“ beklebt, um z.B. irgendwo und jederzeit einen Stein zu entfernen – das kann sehr nützlich sein, weil man genau so eine Kettenreaktion verhindern kann.
Die schleichende Eskalation
Wie im Vorgänger Pandemie liegen zu Beginn lediglich in neun Metropolen drei, zwei oder ein Stein. Aber jedesmal, wenn man Karten vom Infektionsstapel zieht, werden weitere ausgelegt und die Angst am Tisch wächst. Was zunächst harmlos aussieht (och, da ein bisschen gelbe Seuche in Kairo, da etwas schwarze Pest in Sydney - das kriegen wir schon hin!),
Vor allem die Infektionsrate sorgt für zusätzliche Panik. Sie bestimmt, wie viele Stadtkarten man vom Infektionsstapel ziehen muss - und sie kann bis auf vier steigen! Zu Beginn steht sie bei zwei, aber mit jeder Epidemie steigt sie an. Die Welt ist verloren und das Spiel vorbei, wenn es keine Seuchensteine einer Farbe mehr gibt, wenn es zum achten Ausbruch kommt oder keine Spielerkarten mehr zur Verfügung stehen. Kann man den Schwierigkeitsgrad gar nicht anpassen? Doch: Verliert man in einem Monat, spielt man ihn erneut und darf zwei zusätzliche Ereignisse mit positiven Sofortwirkungen in den Kartenstapel mischen – so kann man z.B. ohne Aktion mal eben eine Infektion verhindern.
Was gefällt nicht so gut?
Natürlich besitzt Pandemic Legacy keine klassische „Wiederspielbarkeit“, wenn man Sitzung für Sitzung die Weltkarte beklebt, Karten zerreißt oder aufrubbelt – all das lässt sich ja nicht rückgängig machen. Aber dafür spielt man dieses Pandemic Legacy auch über zwölf simulierte Monate, und muss den einen oder anderen sicher wiederholen, weil man es nicht auf Anhieb schafft. Hinzu kommt, dass es sich um „Season 1“ handelt - man schafft sich also (hoffentlich) eine Grundlage für den Nachfolger Season 2. Wer will, der kann natürlich nur das Grundspiel
Fazit
Pandemic Legacy hätte Blood Rage bei der Wahl zum Spiel des Jahres 2015 knapp geschlagen, wenn ich den Test denn bis dahin geschafft hätte. Der kooperative Kampf gegen die Epidemien sorgt für ungeheure Spannung und ein einzigartiges Kampagnengefühl am Tisch mit wunderbaren Eskalationen. Es könnte auch Virus Souls heißen, denn der Schwierigkeitsgrad ist knackig. Aber nicht etwa, weil das Regelwerk komplex wäre – im Gegenteil: Es ist mit seinem Karten-Management leicht verständlich und man kommt sehr schnell in einen Spielfluss, der mit seiner effizienten Routenplanung en wenig an Scotland Yard erinnert. Der Anspruch entsteht dadurch, dass das System der Kettenreaktionen so gnadenlos und die eigenen Entscheidungen so folgenreich für künftige Partien sind. Aber man kann als Team auch gegenwirken, sich für die Zukunft mit Fähigkeiten und Forschungen wappnen. Ich mag dieses Prinzip der dauerhaften Veränderung über Aufkleber, Rubbelei sowie das Zerreißen von Karten sehr gerne, denn es sorgt für spürbare Konsequenzen, so dass man jede Partie konzentriert spielt. Schnell kann man die Welt hier nicht retten, aber dafür hochspannend mit viel Kommunikation und Teamwork über ein simuliertes Jahr. Ein klasse Brettspiel, das es in unsere Top 20 geschafft hat!
Für alle, die eine Wertung vermissen: Wir werden hier nur unsere Highlights vorstellen. Natürlich gibt es auch in der Brettspielwelt einen bunten Mainstream und billigen Murks, aber wir wollen euch alle zwei Wochen kreative Geheimtipps und ungewöhnliche Spieleperlen empfehlen, die man vielleicht nicht in jedem Kaufhaus findet.
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