Cruise For a Corpse04.02.2016, Michael Krosta
Cruise For a Corpse

Special: Spurensuche auf der Killer-Yacht

In den Achtzigern und Neunzigern prägten vor allem Titel von LucasArts und Sierra On-Line die Abenteuerlandschaften auf Heimcomputern. Doch manchmal traten auch kleine Perlen anderer Hersteller aus dem großen Schatten der beiden Dominatoren hervor - wie etwa Cruise For a Corpse von Delphine Software („Another World“). Wir werfen einen Blick zurück auf den spannenden Krimi auf hoher See, der auch aus der Feder von Agatha Christie hätte stammen können...

Eine Seefahrt, die ist lustig...oder tödlich?

Es deutete alles auf einen herrlich entspannten Urlaub hin, als Inspektor Raoul Dusentier im Jahr 1927 vom wohlhabenden Geschäftsmann Niklos Karaboudjan die Einladung bekam, eine Woche mit ihm und seinen anderen Gästen an Bord einer luxuriösen Yacht zu verbringen. Dummerweise liegt der schwerreiche Gastgeber schon am zweiten Tag tot in seiner Kabine. Ermordet, was auch sonst? Ebenso klar: Jetzt lag es am Spürsinn des gewitzten Schnüfflers und damit in der Hand des Spielers, den Mörder unter den illustren Gästen ausfindig zu machen und zu überführen.

Ha! Wieder etwas bei genauem Hinsehen entdeckt...
Verdächtige gab es mehr als genug, denn wie in den Krimi-Romanen von Agatha Christie schien jeder der Mitreisenden mindestens ein Motiv zu haben, den Gastgeber unter die Erde bringen zu wollen. Entsprechend hielt sich die Trauer an Bord über den „tragischen Verlust“ in Grenzen. Dem Mörder kam man mit der klassischen Detektiv-Methode Schritt für Schritt auf die Spur: Kabinen und andere Orte auf der weitläufigen Yacht wurden akribisch nach Hinweisen durchsucht, während man in zahlreichen Gesprächen immer mehr über die Charaktere, ihre Laster und Verbindungen  erfuhr.

Tick...tack...

Dabei war es wichtig, zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein. Nach bestimmten Szenen oder dem Fund von Hinweisen wurde die Uhr im Spiel weiter nach vorne gestellt, um den Fortschritt zu markieren. Gleichzeitig bedeutete dies, dass sich mit dem Voranschreiten der Minuten möglicherweise auch die Situation an Bord verändert hatte. Passagiere konnten sich mittlerweile an anderen Orten aufhalten und so z.B. weitere Nachforschungen erlauben. Neu gewonnene Erkenntnisse führten außerdem zu weiteren Dialogoptionen in den Gesprächen.

Die verfügbaren Dialogoptionen und Themen richteten sich nach den bisher gewonnenen Erkenntnissen.
Damit man nicht ständig die gleichen Korridore an Bord abklappern musste, ließen sich die Entwickler eine komfortable Schnellreisefunktion einfallen: Ein Klick auf die Karte genügte, um an die gewünschte Stelle des Schiffs „gebeamt“ zu werden. Überhaupt war man darum bemüht, die Spielmechanik möglichst narrensicher und einsteigerfreundlich zu halten. Statt der üblichen Verben, die LucasArts z.B. weiterhin durch das SCUMM-Syszem bei The Secret of Monkey Island oder Indiana Jones 4 verwendete, entschied man sich bei Delphine Software, das Interface des hauseigenen Cinematique-Engine kontextsensitiv zu gestalten. Klickte man einen interessanten Gegenstand an, bekam man anschließend automatisch eine Auswahl an passenden Aktionen serviert, die je nach Objekt variierten - kontextsensitiv eben. Das gestaltete die Bedienung zwar herrlich simpel, doch musste sich das Adventure bereits damals Kritik gefallen lassen, dass durch dieses System nicht nur die Experimentierfreude der Spieler, sondern auch die Komplexität der Rätsel eingeschränkt wurde.

Polygone statt Pixel

Neben den hübsch gestalteten Kabinen und Außenbereichen des Dreimasters überzeugte das Spiel technisch vor allem bei der Darstellung von Figuren. Statt auf die üblichen Pixel und Sprites setzten die Franzosen auf animierte Vektoren und Polygone! Als Folge dessen wurde die Größe der Figuren nicht nur geschmeidig skaliert, sondern auch die butterweichen Animationen waren erste Sahne. Nur in Nahansichten ließen Dusentier & Co schon damals Details vermissen und wirkten recht grob. Als ärgerlich erwiesen sich neben der umständlichen Codewheel-Abfrage vor allem am Amiga die häufigen und langen Ladezeiten. Nannte man keine Festplatte sein Eigen – und das konnten nur wenige Amiga-Besitzer von sich behaupten – musste man außerdem häufig als Diskjockey tätig werden. Mit den fünf Disketten rund um den Segeltörn fiel die Wechsel-Orgie im Vergleich zu einem Indy 4 mit seinen elf Floppy-Disks zwar längst nicht so krass aus, aber nervig war es trotzdem. Aus aktuellem Anlass möchte ich außerdem noch auf eine kleine historische Ungenauigkeit hinweisen, die im Rahmen von Dusentiers Ermittlungen auftrat: Im Spiel wurde ein

Die üblichen Verdächtigen...und jeder hätte mindestens ein Motiv, um der Mörder zu sein.
Charakter als „so reich wie Donald Trump“ bezeichnet, doch der heutige Milliardär und mögliche Präsidentschaftskandidat der Republikaner in den USA war 1927 noch knapp 20 Jahre davon entfernt, überhaupt das Licht der Welt zu erblicken.

Toller Krimi

Trotzdem lieferte Delphine Software mit Cruise For a Corpse damals einen fesselnden Krimi ab, der sich als lohnende Alternative oder Ergänzung zu den Adventure-Hits der großen Abenteuerschmieden präsentierte. Die PC-Version kann übrigens mit dem Emulator ScummVM verwendet werden, während man sich im Internet-Archive auch kostenlos im Browser auf die mörderische Schiffstour begeben darf. Abgesehen von den filmischen Vorbildern wie „Tod auf dem Nil“ war ich damals froh, mit dem Spiel am Amiga eine moderne Variante des C-64-Klassikers Murder on the Mississippi bekommen zu haben, das ich ebenfalls geliebt habe. Aber die Erinnerungen an diesen herrlichen Detektiv-Einsatz an Bord eines Dampfers spare ich mir vielleicht für einen anderen Tag (und einen weiteren Rückblick) auf...

 
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