Special: Die prozedurale Permatodwurzel
Schwarzes Loch in der Pionierzeit
Es ist schon seltsam: Als wir in den 80er-Jahren wie verrückt nach Spielen für C-64 und Amiga waren, wuchsen ganze Berge an Disketten auf Schreibtischen. Egal ob nach der Schule oder am Wochenende – wir haben für das Zocken gelebt, alles Digitale von den Bitmap Brothers bis Microprose inhaliert und die Joysticks qualmen lassen. Das Beste haben wir in Rückblicken vermutlich schon vorgestellt. In unserer Rubrik „Klassiker“ findet ihr mittlerweile über hundert Spiele von The Last Ninja bis Defender of the Crown…
…aber was fehlt? Rogue! Und warum? Es ist eine kaum zu erklärende Lücke. Tja, es gab wohl zu viele gute Spiele in der Pionierzeit. Aber wir müssen ehrlich sein: Niemand von uns hätte dieses seit 1980 an der Universität von Santa Cruz auf Unix-Systemen entwickelte und von AI Design Systems (Glen Wichmann, Michael Toy, Ken Arnold) 1984 auf IBM-PC sowie Mac veröffentlichte Rollenspiel in seine Top-20-Bestenliste gepackt. Erst 1988 erschien Rogue übrigens "kommerziell" für C-64, Atari, Amiga, ZX & Co.
Heutzutage taucht es überall als Pate auf,
Artdesign im ASCII-Stil
Worum ging es also in diesem Spiel? Das sehr simple, u.a. vom Pen&Paper-Rollenspiel Dungeons&Dragons inspirierte, Fantasy-Abenteuer ließ einen in die Rolle eines Schurken (engl. „Rogue“) schlüpfen. In der Draufsicht erkundete man das „Dungeon of Doom“ in rundenbasierten Schritten, indem man übrigens nicht WASD, sondern HJUK für seine Bewegungen in vier Richtungen nutzte. Ziel war es, das „Amulett von Yendor“ auf der untersten Ebene zu bergen. Das Dungeon sah alles anderes als mystisch aus, sondern versprühte mit seinem spröden ASCII-Stil den Charme einer elektronischen Bauskizze, in der sich Buchstaben bewegen – dagegen wirkt Dwarf Fortress wie ein romantisches Gemälde. Der Vorteil der künstlerischen Beschränkung: Das sparte Rechenleistung. Der Nachteil: Ein Zombie war ein "Z", ein Drache ein "D" - man brauchte also viel Fantasie.
Immer tiefer in den Keller
Ähnlich wie in Legend of Grimrock oder Etrian Odyssey musste man sich dabei immer tiefer in das Gewölbe wagen. In den 26 Etagen lauerten auch immer gefährlichere alphanumerische Monster mit unterschiedlichen Angriffstypen. Ganz wichtig: Man musste nicht nur das Amulett bergen, sondern auch wieder lebendig hoch! Zwar konnte der Held klassisch an Gold, Waffen, Zaubern sowie Erfahrung gewinnen, aber falls er irgendwo weit unten im Verlies das Zeitliche segnete, musste man das komplette Spiel samt neuer Struktur starten. Eine Karte zeichnen? Unmöglich! Damit ist Rogue defintiv die prozedurale Permatodwurzel.
Aufgrund dieser - selbst für damalige Verhältnisse - mörderischen Schwierigkeiten verwundert es nicht, dass schlaue Programmierer sogar daran werkelten, das Spiel mathematisch zu besiegen: Schon 1984 stellten vier kanadische Wissenschaftler ihr „Rog-O-Matic “ vor: Dahinter verbarg sich u.a. eine Algorithmen-Sammlung, um die gefährliche Erkundung des Dungeons möglichst
„The result is a system capable of performing exploration tasks while also fulfilling the goal of self-preservation. The system can function well in the face of uncertain dangers, make well considered fight or flight decisions, and retreat successfully when it faces overwhelming opposition.“
Auf dem Amiga 500 sah das Ganze (natürlich!) schon wesentlich farbenfroher aus als noch im reinen ASCII-Stil. Trotzdem lag in dieser Schlichtheit ja auch ein gewisser visueller Reiz. Die zunächst rein textuelle Benutzeroberfläche von Rogue wurde ständig erweitert, so dass letztlich auch grafische Elemente hinzu kamen. Außerdem inspirierte es recht früh weitere Varianten, nicht nur nahezu stilecht in Hack (1982) oder NetHack (1987), sondern auch im weitesten Sinne wie in Diablo (1996).
Sowohl der Grafikstil als auch das Genre feiern übrigens aktuell ihre x-te Auferstehung in Brut@l, das gerade für PlayStation 4 erschienen ist – wenn man so will ist das ein Rogue in 3D. Auch Spiele wie Necropolis, Darkest Dungeon & Co sind entfernte Verwandte.
Falls ihr mal in eine der vielen Varianten reinschnuppern wollt, empfehlen wir das relative werktreue ClassicRogue 2.5 für Windows oder Linux, das 2006 von Donnie Russel veröffentlich wurde. Ihr könnt Rogue allerdings auch in klassischer Variante von 1983 im Browser spielen. Und wenn man diesen unberechenbaren Urahn der tausend Tode heute startet, dann macht es plötzlich wieder Spaß...zumindest in der obersten Etage.
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