Als Schießen allein endlich zu wenig war
Und Zeitlupe machte Schule. Natürlich war Red Dead Revolver nicht das erste Spiel, das das in Hollywood beliebte Stilmittel als interaktives Element einsetzte. Gerade in den großen Western-Shooter tauchte es aber mit bemerkenswerter Regelmäßigkeit auf, u.a. im 2005 erschienenen
Gun. Das von Activision veröffentlichte Spiel öffnete die Tür in eine offene Welt, die mit Ron Perlman, Lance Henriksen sowie Kris Kristofferson prominent besetzt war. Für die Geschichte zeichnete nicht zuletzt Hollywood-Autor Randall Jahnson verantwortlich. Man konnte Pokern, Vieh hüten, das Kopfgeld gesuchter Gangster jagen und mehr – Gun war das erste große Open-World-Spiel seiner Art.
Eine Zeitlupe nutzt man außerdem in
Call of Juarez (2006), das zu den stimmungsvollsten virtuellen Western überhaupt gehört. Ähnlich wie in Red Dead Revolver bewegt man sich zwar durch geradlinige Level, lässt aber nicht nur die Waffen sprechen, sondern schleicht an Banditen auch vorbei, jagt Hasen oder klettert auf einen hohen Berg. Viele der interessanten Aktivitäten führte man als Billy aus, der von einem beinharten Revolverhelden kaum weiter entfernt sein könnte. Er war die zweite, etwas unscheinbare Hauptfigur. Einen bleibenden Eindruck hinterließt vor allem der bibelzitierende Priester Ray McCall.
Das erste Call of Juarez bildete noch verschiedene Aspekte des Wilden Westens ab.
Zwei geschickte PR-Manöver?
Kein Wunder also, dass
Call of Juarez: Bound in Blood die Vorgeschichte dieses McCalls erzählt und einer seiner Nachfahren sogar im dritten Teil auftritt, obwohl der längst in unserer Gegenwart spielt. Die Qualität der Serie nahm dabei rapide ab. Bezeichnend war schon, als ein PR-Verantwortlicher des Teams im Vorfeld der Veröffentlichung unsere Frage nach spielerischer Abwechslung und dem ruhigen Entdecken des Wilden Westens in etwa so beantwortete: „Diesen Fehler werden wir nie wieder machen!“ Jahre späterer hängte sich die Serie mit dem grottenschlechten
Call of Juarez: The Cartel dann quasi selbst an den Galgen.
Das blieb jedenfalls zu befürchten. Doch tatsächlich krempelte Entwickler Techland das Konzept einfach stark um, kehrte in den Wilden Westen zurück und erschuf vor fünf Jahren mit
Call of Juarez: Gunslinger schließlich einen stilsicheren Arcade-Shooter, der auf etwas andere Art als seine frühen Vorgänger packende Action entfesselte. Besser noch: Erst vor wenigen Tagen veröffentlichte das Studio ein kurzes Video, in dem der Protagonist einen Gruß in Richtung Arthur Morgen schickt und gleich noch
seine eigene Rückkehr andeutet.
Alltags-Flüchtlinge willkommen!
Arthur Morgan? Das ist die Hauptfigur aus Red Dead Redemption 2, ein Gesetzloser und Mitglied der Gang um Anführer Dutch van der Linde. Und dass seine Geschichte so heiß erwartet wird, liegt hauptsächlich an der Art und Weise, mit der Rockstar im
Vorgänger das Grenzland inszenierte. Denn natürlich stand auch dort der Austausch heißen Bleis im Vordergrund – gleichzeitig genoss man aber zahllose ruhige Augenblicke, während man im Sonnenuntergang über die Grenze nach Mexiko ritt oder auf der Suche nach versteckten Schätzen grobe Skizzen zu entziffern versuchte.
Kann Rockstar den Erfolg von Red Dead Redemption wiederholen?
Man musste Pferde erst fangen, sie zähmen und sogar einreiten, um so eine Art Beziehung zu ihnen zu entwickeln. Die Spielwelt war nicht mit Symbolen und Aktivitäten überladen, sondern übertrug die von der Leinwand bekannten Panoramen weitläufiger Prärie wie kein anderes Abenteuer auf das Spielgefühl. Und natürlich zielte man auch als John Marston in Zeitlupe, pokerte im Kartenspiel, in dessen Anschluss man den Gewinner sogar im Duell herausfordern konnte, warf Hufeisen, überfiel Züge oder beschützte sie und besuchte Salons sowie Apotheken und andere Händler.
Rockstar erschuf eine Spielwelt, die lebendig, aber nicht gehetzt wirkte. Das Studio war nicht nur um Action bemüht, sondern hatte verstanden, dass der verklärte Wilde Westen ein beliebtes Reiseziel für Alltags-Flüchtlinge ist. Diese virtuelle Reise ist das Versprechen, mit dem Read Dead Redemption 2 an den Start geht. Wenn man einmal mehr in Zeitlupe Halunken anvisiert, um zu erfahren, was sich einige Jahre vor den Ereignissen des Vorgängers zugetragen hat.