Cry Havoc07.02.2018, Jörg Luibl
Cry Havoc

Special: Kampf um Kristalle

Zwar wurde Cry Havoc schon 2016 veröffentlicht, aber erst letztes Jahr erschien die deutsche Version, die mittlerweile auch bei Pegasus erhältlich ist. Und Portal Games kann seinen guten Ruf mit diesem futuristischen Eroberungsspiel weiter festigen. Warum uns der für zwei bis vier Spieler ausgelegte Kampf um Gebiete und Kristalle eine Empfehlung wert ist, klären wir im Test.

Eine klarer Sieger...

Eigentlich scheint der Gewinner in der Kalas Schlucht fest zu stehen: Fünf gelbe Einheiten der Menschen überfallen zwei dort stationierte blaue Wanderer. Und weil in diesem Moment ein Gefechtsmarker platziert wird, der das Gebiet quasi abriegelt, kann Blau über normale Aktionen wie Bewegung auch keine Verstärkung mehr hinzu rufen - und das, obwohl er in drei angrenzenden Regionen durchaus Truppen stationiert hat. Es steht also fünf zu zwei! Aber in Cry Havoc gibt es nicht nur ein ebenso einfaches wie flexibles Kampfsystem mit wählbaren Schwerpunkten, sondern angesichts ausspielbarer Karten auch böse Überraschungen. Man sollte sich nie zu sicher sein.

Cry Havoc ist für zwei bis vier Spieler ausgelegt und komplett auf Deutsch bei Portal Games erschienen. Es kostet etwa 50 Euro.
Wie funktioniert der Kampf? Der gelbe Angreifer darf zuerst seine fünf Figuren frei auf die drei Zielbereiche des Gefechtstableaus platzieren - auf Gebietskontrolle, Gefangennahme und Zermürbung. Hat er am Ende Überzahl in Ersterem, erobert er die Kalas Schlucht und gewinnt zwei Siegpunkte, während er in den anderen entweder eine Figur als Geisel nehmen oder so viele vernichten kann wie er eigene Figuren platziert. Alles hat seine Vorteile. Schön ist übrigens, dass die Geisel später auch Siegpunkte bringen kann! Der gelbe Spieler platziert also vier Truppen auf Gebietskontrolle, eine auf Gefangennahme und lächelt zufrieden.

...erlebt eine böse Überraschung!

Je nach Spielerzahl wird eine andere Seite der hübsch illustrierten Karte benutzt - hier der Aufbau für zwei Spieler.
Jetzt darf der Verteidiger reagieren: Er setzt seine beiden Figuren auch auf Gebietskontrolle. Gelb schaut irritiert, denn das ist ja theoretisch Verschwendung - wenn Blau schon verliert, könnte er doch immer noch Gefangene nehmen oder Feinde vernichten, indem er andere Felder des Tableaus besetzt! Warum tut er das? Er muss etwas auf der Hand haben!

Denn noch fehlt die wichtige zweite und letzte Phase des Kampfes, in der jeder eine Karte oder vielleicht Fähigkeiten seiner Fraktion spielen kann. Gelb hat zwar Karten, aber die passen nicht zum Gelände, so dass sie in der Kalas Schlucht nichts bringen; auch die Fähigkeiten der Menschen bringen ihm hier nichts.

Und dann kommt es zur bösen Überraschung, denn die Wanderer zeigen ein effizientes Doppelmanöver: Zum einen aktivieren sie "Energie abzapfen", eine exklusive Fähigkeit ihres Volkes speziell für laufende Gefechte, so dass sie einen blauen Marker auf ein beliebiges Feld des Gefechtstableaus legen dürfen, der zwei Einheiten wert ist. Blau wählt die Gebietskontrolle und dort steht es jetzt vier zu vier! Das Remis würde für die erfolgreiche Verteidigung reichen, aber er darf ja noch eine Karte aus der Hand spielen und legt "Neu formieren" auf den Tisch - jetzt darf er aus eigenen angrenzenden Regionen je eine Einheit auf ein beliebiges Feld legen: Blau gewinnt nicht nur die Schlacht mit fünf zu vier, indem er eine weitere Figur auf Gebietskontrolle platziert, er gewinnt auch einen gelben Gefangenen, indem er die beiden anderen dort setzt. Gelb bleibt nur der Rückzug seiner vier übrigen Truppen in ein angrenzendes Gebiet...

Die Macht der Kristalle

Warum wollte Gelb überhaupt die Kalas Schlucht erobern? Weil die Wanderer dort neun Kristalle bewachten, die ebenso wie beherrschtes Gelände lukrative Siegpunkte einbringen. Cry Havoc wird nur über fünf Runden gespielt und läuft angenehm flott, so dass man zügig seine Stärken ausspielen und clever erobern muss. Zwar gibt es auch einen Aufbau über drei Gebäude, aber da geht es nicht um langfristige Infrastruktur, sondern eher um kurzfristige Unterstützung für den Krieg. In einer Runde darf man abwechselnd nur drei von fünf Aktionen ausführen: Truppen bewegen, Truppen rekrutieren, Gebäude bauen und/oder aktivieren, Geländekarten ziehen oder eine Wertung aktivieren. Das Nutzen von Rohstoffen über abgeworfene Karten und deren Symbole erinnert angenehm an Alien Artifacts oder 51st State.

Das interessante Kampfsystem: Man hat auf dem gefechtstableau drei Bereiche mit anderen Zielen zur Verfügung.
Sowohl Regelwerk als auch Spielplan und Fraktionsbereiche sind inhaltlich und visuell klar strukturiert, so dass auch weniger erfahrene Spieler schnell in einen Fluss aus Aktion und Reaktion kommen. Im Gegensatz zu reinen Eroberungsklassikern wie Risiko sorgen die offenen Fähigkeiten, die bei Gebrauch wie in einem Sammelkartenspiel getappt werden, sowie die verdeckten Karten auf der Hand für Abwechslung und Überraschungen. Da man seinen Nachziehstapel im Verlauf über Terrainkarten erweitert, die man allerdings nur im speziellen Gelände aktivieren kann, bekommt man immer mehr Möglichkeiten je weiter das Spiel fortschreitet. Für kleine Boni sowie Tempo sorgen die zu Beginn einer Runde ausgespielten Ereignisse, wobei das fünfte auch die finale Wertung einläutet.

Vier markante Fraktionen

Neben der Armee der Wanderer und jener der Menschen kann man auch die der Maschinen wählen. Zwar unterscheiden sich die Truppen selbst überhaupt nicht hinsichtlich Waffen, aber sowohl beim Bau der drei Gebäude als auch den acht Taktik-

Cry Havoc ist ein ansehnliches und sowohl hinsichtlich der Regeln als auch visuellen Hilfen angenehm klar strukturiertes Brettspiel.
Karten sowie Fähigkeiten gibt es markante Differenzen, weil sie alle exklusiv abgestimmt sind. Während die Menschen z.B. sehr schnell Siegpunkte nebenbei abstauben und leere Gebiete über Flughäfen besetzen können, nutzen nur die Wanderer auch Kristalle für Spezialaktionen und die Maschinen verfügen u.a. über tödliche Distanzangriffe. Es macht jedenfalls Spaß, mit den unterschiedlichen Stärken zu experimentieren, weil sie etwas andere Schwerpunkte in der Taktik verlangen und auch für Langzeitunterhaltung sorgen.

Zu den interessanten Aspekten gehören auch die Trogg als einheimische Aliens, die man lediglich im Spiel zu viert als Fraktion wählen kann. Weil nur sie Tunnel bauen und sehr flexibel mit den allgemeinen Taktikkarten umgehen können, entsteht zu viert nochmal ein ganz anderes, angenehm unberechenbares Spielgefühl auf der großen Karte; im Spiel zu zweit nutzt man übrigens die Rückseite der Karte mit der etwas kleineren Welt. Kämpft man nur zu zweit oder zu dritt um die Vorherrschaft, werden die Trogg lediglich als neutrale Macht aktiv, indem man ihre Nester auslegt und ihre Figuren im Kampf einsetzt; cool ist aber, dass auch sie Gefangene nehmen können - gesteuert werden sie dann vom jeweiligen anderen Spieler. Zwar gibt es keine Solovariante, aber es ist schön, dass man auch zu zweit sehr spannende Partien erlebt, die schon nach einer Dreiviertelstunde ins Finale gehen.

Was gefällt nicht so gut?

Die Basis der Menschen mit den drei Gebäuden und exklusiven Fähigkeiten.
Im Vergleich zu anderen Spielen mit Miniaturen wie etwa Blood Rage, Star Wars: Imperial Assault & Co kann Cry Havoc hinsichtlich Design und Vielfalt nicht mithalten, obwohl die Produktionsqualität von Karte, Markern & Co eine sehr gute ist - die Figuren sehen ordentlich aus, aber nicht mehr; außerdem verfügt jede Fraktion nur über einen Typ. Außerdem scheint es zu Beginn vor allem im Spiel zu zweit so, dass die Menschen mit ihrer Fähigkeit, auch mitten in einer Runde sofort Siegpunkte einzuheimsen, etwas im Vorteil sind. Man hätte das etwas abdämpfen können, indem sie auch etwas dafür bezahlen müssen, ähnlich wie die Wanderer meist einen Kristall für eine Exklusivaktion abgeben. Aber spätestens im Spiel zu dritt oder viert wird das wieder etwas entschärft und unser obiges Kampfbeispiel hat gezeigt, dass auch andere Fraktionen durchaus exklusive Stärken besitzen.

Fazit

Cry Havoc inszeniert einen angenehm flotten Mix aus etwas Aufbau, viel Kampf und überraschender Kartentaktik. Es erreicht zwar weder die Tiefe noch die Miniaturenqualität eines Blood Rage oder Cthulhu Wars, aber es gehört definitiv zu den unterhaltsameren Eroberungskonzepten, die man auch zu zweit sehr gut spielen kann. Das Regelwerk ist klar, die Produktionsqualität sehr gut und es entsteht ein spannender Wettlauf um Gebiete und Kristalle, der vor allem von den markanten Unterschieden der vier Völker sowie dem interessanten Kampfsystem mit seinen drei Zielvorgaben lebt. Obwohl es so scheint, gewinnt man nicht immer durch einfache Überzahl, denn exklusive Fähigkeiten und Kartentaktik können die Machtverhältnisse aushebeln. Ihr könnt auf langwierige Erkundung, Rohstoffabbau und Diplomatie verzichten? Hier geht es gleich zur Sache! Wer ein auch auf lange Sicht flexibles kompetitives Brettspiel für Eroberer sucht, sollte zuschlagen.

Für alle, die eine Wertung vermissen: Wir werden hier nur unsere Highlights vorstellen. Natürlich gibt es auch in der Brettspielwelt einen bunten Mainstream und billigen Murks, aber wir wollen euch alle zwei Wochen kreative Geheimtipps, Klassiker oder ungewöhnliche Spieleperlen empfehlen, die man vielleicht nicht in jedem Kaufhaus findet. Mehr Brettspiel-Tests und eine Top 20 findet ihr hier.

 
0
Kommentare

Du musst mit einem 4Players-Account angemeldet sein, um an der Diskussion teilzunehmen.

Es gibt noch keine Beiträge. Erstelle den ersten Beitrag und hole Dir einen 4Players Erfolg.