Spielkultur19.11.2018, Mathias Oertel

Special: Micky Maus wird 90 - ein Spiele-Rückblick

Der bekannteste Nager der Welt feiert 90. Geburtstag. Micky Maus, Aushängeschild und Synonym für das Schaffen von Walt Disney, tauchte als Hauptdarsteller eines Cartoons erstmals am 18. November 1928 auf. Damals konnte kaum jemand ahnen, dass "Steamboat Willie" nur der Anfang einer unvergleichlichen Karriere sein würde, die sich auch auf die Welt der Videospiele erstreckt. Wir blicken zurück auf die wichtigsten Software-Auftritte von Micky.

Vom Zauberlehrling zum Jump & Run Helden

Mickys Videospielhistorie ist beinahe so alt wie das Medium selbst und umfasst mehr als 60 Spiele. Nach seinen bescheidenen Anfängen auf Nintendos Game&Watch-Geräten im Jahr 1981 hatte er zwei Jahre später in Sorcerer’s Apprentice auf dem Atari 2600 erstmals einen Auftritt auf dem Wohnzimmer-Fernseher. Mechanisch eher bieder und an eine sehr simple Variante von Missile Command erinnernd, ist es keine Überraschung, dass sich kaum jemand daran erinnert. Auch die folgenden Titel, die wie z.B. Mickeys Space Adventure (1984) unter der Leitung von Roberta Williams (King’s Quest, Phantasmagoria) entstanden oder  das mechanisch zwischen Ghostbusters und Super Mario liegende Action-Adventure Mickey Mouse von Gremlin Graphics für frühe Heimcomputer, haben keine bleibenden Eindrücke hinterlassen.

Castle of Illusion (hier das Remake aus dem Jahr 2013) war der Spieledurchbruch für Micky.

Ganz anders das von Sega 1990 veröffentlichte Castle of Illusion für Mega Drive und Saturn. Micky zeigt sich hier als knallharter Jump&Run-Held. Mittlerweile als ein moderner Klassiker betrachtet, konnte die Jagd auf die sieben Regebogen-Kristalle seinerzeit mit einer punktgenauen Steuerung und sehr schicker Kulisse punkten. Zwei Jahre später wurden mit Land of Illusion für das Master System und Game Gear sowie World of Illusion für das Mega Drive, bei dem Micky von Cartoon-Kollege Donald Duck unterstützt wurde, weitere Ableger der Illusion-Serie veröffentlicht, die allerdings nicht die Popularität des Erstlings erreichen konnten. Der wurde übrigens 2013 in einer stark überarbeiteten Version u.a. auf PS3 und 360 einem neuen Publikum vorgestellt und hat bewiesen, dass Castle of Illusion seinen Reiz auch 23 Jahre nach dem Original nicht verloren hat.

Die Multiplattform-Maus macht eine Pause

Micky feierte allerdings nicht nur auf Sega-Systemen frühe Erfolge. Doch obwohl auf Game Boy sowie NES zahlreiche Titel mit der Maus erschienen, die von Jump & Run wie Mickey’s Dangerous Chase (Capcom, 1991) bis zu Puzzlern wie Mickey Mouse: Magic Wands reichen (Kemco, 1993), sorgte vor allem Disney’s Magical Quest (SNES, 1992) für Furore auf Nintendo-Systemen. Doch irgendwie schien Capcom dem Braten nicht zu trauen. Die Fortsetzung zwei Jahre später erschien nicht nur auf dem Super Nintendo, sondern auch Segas 16-Bitter Mega Drive, während die wiederum ein Jahr später veröffentlichte dritte magische Mission erneut nur auf dem SNES erschien – allerdings exklusiv in Japan. Ebenfalls erwähnenswert ist Mickey Mania, das 1994 für Super Nintendo und Mega Drive bzw. Mega CD erschien. Allerdings nur sekundär wegen der Spielmechanik, die sich weiterhin an Plattformelementen entlang hangelte, in die Micky als Protagonist auf Zeitreise eingebunden wurde und

Vor einer langen kreativen Pause war Mickey Mania das letzte größere Spiel mit der Kultmaus.

sogar seinem Alter Ego aus Steamboat Willie einen Besuch abstattet. Sondern vielmehr, weil Entwickler damals Traveller’s Tales war, das mittlerweile für Warner Bros. Games an den Lego-Spielen bastelt.

Zudem war die 1996 erschienene PlayStation-Umsetzung Mickey’s Wild Adventure einer der wenigen Titel, mit denen die Maus bis Ende der ersten 2000er-Dekade  positiv auffallen konnte. Und das In einer Zeit, als mit der PlayStation, dem N64 sowie den technisch einen Riesenschritt machenden Nachfolgesystemen PlayStation 2 oder GameCube, nicht zu vergessen der ersten Microsoft-Konsole Xbox einer der spannendsten Zeiträume modernerer Videospielgeschichte verzeichnet werden konnte. Doch Micky machte hier eine offenbar dringend benötigte kreative Pause. Die britische Kultschmiede Rare konnte 2000 mit Mickey’s Racing Adventure auf dem N64 ebensowenig für Furore sorgen wie ein paar Titel, mit denen Capcom bis 2003 auf dem GameCube versuchte, an die Erfolge anzuknüpfen, die die Maus zu Mega-Drive- oder SNES-Zeiten feiern konnte. Die Zeiten mit Micky als treibender Kraft in einem Videospiel schienen vorbei.

Grandiose Gastauftritte

Doch was, wenn man den Disney-Star nicht zum Zugpferd, sondern nur zu einer von vielen Figuren einer riesigen Truppe machen würde? Diese Frage beantwortete Square im Jahr 2002 mit dem PlayStation-2-Spiel Kingdom Hearts. Eine ganze Armee von Disney-Helden unterstützte in dem Hybrid aus Action-Rollenspiel und Action-Adventure den kindlichen Helden Sora bei seinem Kampf gegen die düsteren Herzlosen. Angetrieben von einer recht erwachsenen Geschichte reiste man mit Sora im Auftrag von König Micky durch diverse Disney-Universen und kämpfte dort schließlich gegen die allseits bekannten Protagonisten, die sich in den Dienst der Herzlosen stellten.

Allerdings konnte man Micky erst in der Fortsetzung aktiv steuern – und dort auch nur in den Fällen, in denen Sora in Bosskämpfen ausgeschaltet wurde und man die Zeit „überbrücken“ muss, bis man eine Wiederbelebung starten kann. Auch im Mission-Mode des DS-Titels Kingdom Hearts 358/2 Days steht er zur Verfügung. Dass er im ersten Aufeinandertreffen von Disney- und Square-Helden quasi nur auf der Ersatzbank bzw. als erzählerischer Fixpunkt zu finden war, lag nach Aussage von Designer Tetsuya Nomura daran, dass Disney erst später davon überzeugt werden konnte, Micky für Kampfaktionen „freizugeben“.  

Epische neue Chance

Mit Micky Epic auf Wii schuf Warren Spector ein interessantes Action-Adventure, das die Maus von ihrer etwas düsteren Seite zeigt.

Erst mit Design-Legende Warren Spector (Deus Ex, Ultima Underworld) und seiner Idee, auf Nintendos sich überraschend allen Strömungen widersetzender Konsole Wii mit ihrer Bewegungssteuerung ein neues, reifes Abenteuer mit Micky als alleinigem Helden zu erzählen, kehrte Disney Vorzeige-Maus 2010 wieder ins Spieler-Bewusstsein zurück. Doch die Entscheidung für Wii als Plattform war nicht die einzige Überraschung. Das Action-Adventure Epic Mickey bot dem Spieler nicht nur viel kreative Freiheit, die Level-Anforderungen zu bewältigen, sondern verfügte auch über ein Moral-System, das basierend auf den Entscheidungen unterschiedliche Allianzen, Nebenaufgaben und vieles mehr beeinflusste. Zudem wirkte die Erzählung ungewöhnlich düster, während die Mechanik immer wieder zwischen dreidimensionalen Abschnitten und eher klassischen 2D-Plattform-Sequenzen wechselte, bei denen man u.a. auch Fantasia oder abermals Steamboat Willie als Referenzen für die Kulisse nutzte.

Die Fortsetzung Micky Epic: Die Macht der Zwei schaffte es nicht, an diese Qualität anzuknüpfen.

Eine kleine Anekdote am Rande: Epic Mickey oder auch Micky Epic, wie es in Deutschland hieß, war das erste Mal, dass Micky und die Figur Oswald the Lucky Rabbit aufeinandertreffen, nachdem Micky Ende der 1920er Oswald quasi als „Hauptfigur“ in Disney-Cartoons ablöste. Mehr zu Micky Epic findet ihr in unserem Test. Zwei Jahre später erschien die Fortsetzung Micky Epic: Die Macht der Zwei, der es leider nicht mehr gelingen konnte, auf den Stärken des Vorgängers aufzubauen. Zwar konnte man jetzt auch mit einem Kumpel gemeinsam die Aufgaben lösen, während mit Versionen für PS3 und 360 eine ganz neue Spielergruppe das Abenteuer erleben durfte. Doch unter dem Strich überwogen die Probleme, die sich in unserem Test in einer nur noch befriedigenden Wertung zeigten. Und so schien es, als ob die Maus abermals in der Spiele-Versenkung verschwinden würde – auch wenn das bereits erwähnte Remake von Castle of Illusion sich ebenfalls bemühte, den Nager in das richtige Licht zu rücken.

Die Fantasia-Kontroverse und die Unendlichkeit

So kehrte Micky schließlich wieder zu den Gastrollen und als Inspiration zurück. Letzteres wird nirgendwo so deutlich wie in Fantasia: Music Evolved, das von den Musikspiel-Experten Harmonix für Disney Interactive entwickelt wurde und 2014 erschien. Als Pate für das Spielkonzept des nur mit Xbox Kinect spielbaren Titels diente die Sequenz des Zauberlehrlings aus dem Film Fantasia, mit der ja auch Mickys Spielelaufbahn begann. Man dirigiert wie seinerzeit die Maus am Schicksalsberg im Auftrag von Yen Sid. Nur, dass man hier nicht Besen und Eimer befehligt, sondern versucht, mit Hilfe von Musik und dem kreativen Einfluss, den man ausüben kann, die Düsternis aus der Welt zu vertreiben. Dass das Spiel überhaupt entstehen durfte, ist für sich betrachtet eigentlich ein Wunder. Denn eigentlich hatte Roy E. Disney seinem 1966 verstorbenden Onkel Walt versprochen, dass Fantasia, seinerzeit  eines der Herzensprojekte von Walt Disney und nach heutigem Maßstab ein kreativer Meilenstein des Animationsfilmes, nicht als Grundlage für Adaptionen jeglicher Art verwendet würde. Doch das Konzept von Music Evolved scheint die damaligen Verantwortlichen (Roy Disney verstarb 2009) überzeugt zu haben. Ganz im Gegensatz zum 1991 erschienenen Mega-Drive-Spiel Fantasia, bei dem Roy kurz nach Erscheinen mitteilte, dass bei der Lizenzvergabe ein Fehler unterlaufen sei. Die Folge war, dass der Verkauf des Spiels eingestellt, die nicht verkauften Module zerstört und jegliche Werbung eingestellt wurde. Da der Plattformer allerdings krachend scheiterte, das Spielgefühl von Castle of Illusion zu replizieren und im Gegensatz zum Vorbild häufig in den Listen der schlechtesten Mega-Drive-Spiele geführt wurde, hält sich die Trauer in Grenzen.

Nächstes Jahr wird Micky eine tragende Rolle in Kingdom Hearts 3 übernehmen.

Fans von Toys-to-Life, also Spielen, bei denen man reale Spielzeugfiguren über technische Hilfsmittel in ein Spiel importiert und dort kontrollieren kann, weinen dem eingestellten Universum von Disney Infinity sicherlich die eine oder andere Träne nach. Nicht nur, weil die Figuren, zu denen in Infinity 3.0 auch ein „klassischer“ Micky gehörte, der den Zauberlehrling aus der ersten Ausgabe ergänzte, hochwertig produziert wurden und einen entsprechend guten Eindruck hinterließen. Sondern auch, weil die Spielwelt sowohl mit ihren vorgefertigten Modulen (u.a. zu Star Wars, Marvel, Toy Story usw.) als auch mit ihrem viel kreative Freiheit bietenden Editor ein abwechslungsreiches Spektrum an Genre anbot – vom Rennspiel zum Shooter oder Plattformer. Dass das Infinity-Konzept trotz Marktführerschaft (man konnte sich schnell an Skylanders vorbeischieben und auch Lego Dimensions hinter sich lassen) und zumindest nomineller Profitabilität zusammen mit Disneys gesamter „Interactive“-Spielesparte recht kurzfristig eingestampft wurde, ist für viele, den Autoren dieser Zeilen eingeschlossen, nicht nachvollziehbar. Und der größte Fehler, den die dominierende Firma der weltweiten Unterhaltungsindustrie seit dem Engangement von Britney Spears für die amerikanische Ausgabe des Mickey Mouse Club gemacht hat. Man kann gespannt sein, wie die Zukunft von Micky nach seinem erneuten Gastauftritt in Kingdom Hearts 3 Anfang nächsten Jahres aussehen wird. In jedem Fall wünschen wir dem Cartoon Star alles Gute zum Geburstag.

 
0
Kommentare

Du musst mit einem 4Players-Account angemeldet sein, um an der Diskussion teilzunehmen.

Es gibt noch keine Beiträge. Erstelle den ersten Beitrag und hole Dir einen 4Players Erfolg.