Spielkultur04.12.2018, Jörg Luibl
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Special: Spiele im Ersten Weltkrieg

Vor allem in Deutschland ist der Erste Weltkrieg nicht so stark im historischen Bewusstsein verankert wie etwa in Frankreich. Auch im digitalen Bereich spielt der Konflikt eher eine Nebenrolle: Während es zum Zweiten Weltkrieg über 500 Spiele gibt, wurden nur etwa 100 zum Konflikt zwischen 1914 und 1918 veröffentlicht. Der wurde nicht nur als "Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts", sondern auch als der "unbekannte" Krieg bezeichnet. Wir stellen euch die interessantesten Veröffentlichungen von den 70er Jahren bis heute vor.

Aller Anfang ist am Himmel

Viele Spiele, die sich mit dem Ersten Weltkrieg beschäftigen, behandeln vor allem die spektakulären Luftkämpfe zwischen Doppeldeckern & Co. Schon zu ihren Lebzeiten haben Jagdflieger wie Manfred von Richthofen (1892 - 1918), der auch der "Rote Baron" genannt wurde, die Fantasie beflügelt. Daher ist es kein Wunder, dass eines der ältesten Spiele zu diesem Konflikt Red Baron aus dem Jahr 1971 war. Allerdings handelte es sich dabei um einen Automaten von Milwaukee Coin Industries mit Projektionsfläche, bei dem man den feindlichen Doppeldecker samt Steuerknüppel in Egosicht verfolgte und ins Visier nahm.

Der virtuelle Erste Weltkrieg begann an einem Automaten in der 70ern namens "Red Baron".

Varianten wie Ace und Wings folgten in den 70ern, bis Atari 1980 einen gleichnamigen Automaten in schwarzweißer Vektorgrafik entwickelte und Dawn Patrol 1982 von TSR, den D&D-Machern, für den Heimcomputer Apple 2 erschien. Die beste avionische Simulation dieser Gefechte servierte vermutlich WWI Ace, das als Dogfighting-Spielmodus im Flight Simulator II von 1987 enthalten war, das vor allem auf dem Amiga brillierte. Der Begriff "Dogfight" wurde schon im Ersten Weltrkieg gebräuchlich, weil die beiden Kontrahenten wie zwei Hunde an das ungeschützte Heck des Gegners kommen wollten, während sie sich umkurvten.

Stellvertretend für alle kommenden Luftkampf-Spiele seien die Klassiker Wings von Cinemaware sowie Knights in the Sky von Microprose genannt, die 1990 auf dem Amiga bzw. unter DOS für stimmungsvolle Action sorgten. Und schließlich sei noch das 2013 veröffentlichte Sid Meier's Ace Patrol für mobile Systeme erwähnt, das allerdings als Rundentaktik konzipiert wurde und nur befriedigend in unserem Test abschneiden konnte. Trotzdem ist das eine willkommene Überleitung vom Himmel auf den Boden, denn dort dominieren Strategiespiele den Ersten Weltkrieg.

Zug um Zug zum Sieg

Schon 1983 konnte man in Battle 1917 auf dem ZX Spectrum rundenweise mit fünf Einheitentypen auf einer 21 mal 32 Felder großen Karte gegeneinander antreten, was aus heutiger Sicht wie Käsekästchen anmutet. Das sah drei Jahre später in The Great War  1914 auf dem C64 noch nicht viel besser aus, aber war dank mehrerer Phasen taktisch komplexer. 1986 wurden

Truppen, Truppen, überall Truppen: In To End All Wars von 2017 ging es rundentaktisch zur Sache.

in World War 1 auch erstmals Echtzeit-Gefechte in 2D zwischen Mittelmächten und Entente auf dem Spectrum ausgetragen. Dass der Erste Weltkrieg auch Seeschlachten zu bieten hatte, demonstrierte dann die maritime Simulation Dreadnoughts im Jahr 1992 für Amiga, Atari und DOS. Übersetzt bedeutet das übrigens "Fürchtenichts" und wurde  ab 1906 von der britischen Royal Navy für eine neue Art von Kriegsschiffen gebraucht, die man in diesem Spiel in der Rolle eines Admirals rundenweise manövrierte - was aber recht sperrig und abstrakt war.

Komfortabler und unterhaltsamer ging es an Land weiter: 1992 sorgte Blue Byte mit History Line: 1914 - 1918 für rundentaktischen Spaß in der Draufsicht auf Amiga und DOS - dabei orientierten sie sich an der erfolgreichen Spielmechanik von Battle Isle. Die deutschen Entwickler präsentierten ebenso ansehnliche wie anspruchsvolle Strategiegefechte auf 48 Hexfeldkarten zwischen Franzosen und Deutschen, die Michael in seinem Rückblick ausführlicher bespricht.

Das beste 2-Personen-Strategiespiel zum Ersten Weltkrieg gibt es nicht digital, sondern am Tisch: Paths of Glory ist eines der besten Wargames.

Es folgte eine Fülle an Titeln, die das Spektrum immer weiter vergrößerten: In Victoria von Paradox aus dem Jahr 2003 konnte man sogar die komplette Epoche der "Viktorianischen Zeit" von 1835 bis 1920 im Stile globaler Strategie erleben - falls man sich nicht im Mikromanagement der nationalen Verwaltung  verirrte. Die Schweden konnten diesen Ansatz in Victoria 2 zumindest verfeinern, aber ansonsten gab es in diesem Genre aus militärischer Sicht eher mehr Masse als Klasse, bis man zig Einheiten auf riesigen Karten wie in To End All Wars von 2017 befehligte, das Eike in seinem Test als "Komplexitätsmonster" bezeichnte.

Hinzu kamen auch digitale Umsetzungen von analogen Wargames wie Commands & Colors: The Great War, die den Konflikt bis dato nur auf dem Tisch simulierten. Apropos: Eines der besten Brettspiele zu diesem Thema ist Paths of Glory von Ted Raicer aus dem Jahr 1999, der die ganze militärtaktische Komplexität dieses Krieges für zwei Spieler auf einer riesigen Europakarte simulierte.

Für das preisgekrönte "Wargame", das Karten-Management sowie Züge von zig Truppentypen etc. kombiniert und auch Nachschubwege berücksichtigt, muss man sich allerdings sechs bis vierzehn Stunden Zeit nehmen. Damit verlassen wir die Strategie und wenden uns anderen Genre zu.

Adventure, Anti-Kriegsspiele und Shooter

Im Adventure The Last Express aus dem Jahr 1997 ging es zwar nicht in erster Linie um den Krieg, aber man ermittelte im Jahr 1914 an Bord des berühmten Orient-Express, der von Paris nach Konstantinopel unterwegs war. Jordan Mechner (u.a. Prince of Persia) und sein Team von Bröderbund Software sorgten mit ihrer Art-Noveau-Kulisse für stilvolle Knobelunterhaltung in Egosicht, bei der man den Zug frei erkunden konnte. In eine ganz andere Richtung tendierte der Shooter The Darkness von Starbreeze aus dem Jahr 2007 für PS3 und 360: Zwar handelte er nicht vom Ersten Weltkrieg, aber eine Variante der Hölle zeigte auch das Grauen in den Giftgas verseuchten Schützengräben - hier wurden erstmals

In The Darkness war die Hölle eine alptraumhafte Version des Ersten Weltkriegs.

eindrucksvoll die Schrecken dieses Krieges visualisiert. Die konnte man vier Jahre später am PC auch im kleinen dänischen Survival-Horror-Trip von 1916: Der unbekannte Krieg erleben, in dem man in Egosicht als deutscher Soldat dem labyrinthischen Schrecken entkommen muss.

In den letzten Jahren erschienen dann die ersten Anti-Kriegsspiele. Eines davon war Valiant Hearts: The Great War, das 2014 als Comic-Adventure bei Ubisoft Montpellier konzipiert wurde und eine tragische Familiengeschichte erzählte. Auf PC und Konsolen wurde man zwischen Rätseln und Minispielen zwar solide unterhalten, aber nicht wirklich ergriffen. In eine ähnliche Richtung tendierte das 2018 veröffentlichte Adventure 11-11: Memories Retold mit seinem markanten

Valiant Hearts setzte auf einen markanten Comic-Stil.

impressionistischen Stil. Es konnte zwar spielmechanisch nicht begeistern, allerdings erstmals die Perspektive zweier Feinde auf interessante Art über Briefe und Entscheidungen verbinden - der Soldat wurde als Mensch, der Feind als potenzieller Freund greifbar. Selbst ein Rollenspiel japanischer Art thematisierte kürzlich den großen Krieg: In 1914: Prelude to Chaos von 2017 begibt man sich als britischer Abenteurer auf die Suche nach einem Artefakt, kann eine Gruppe von vier Gefährten um sich scharen und gegen 30 Bosse im RPG-Maker-Stil antreten.

Trotz dieser vielfältigen Ansätze floriert aber auch die Action: In Toy Soldiers von 2010 schlüpfte man in die Rolle eines Spielzeugsoldaten, um an Tower-Defense-Schlachten in Egosicht auf deutscher oder britischer Seite teilzunehmen. Während das Ganze auch aufgrund des Diorama-Stils noch relativ harmlos arcadig anmutete, ging es woanders realistischer zur Sache. Im Multiplayer-Shooter Verdun von Black Mill Games konnte man 2015 an der

11-11: Memories Retold machte vor allem mit seinem impressionistischen Ansatz neugierig.

gleichnamigen Schlacht teilnehmen, zwischen Schlamm, Stacheldraht und Gräben mit authentischen Waffen kämpfen, wobei die Entwickler laut unserem Tester Jan "einen gelungenen Kompromiss aus Realismus und spielerischem Unterbau" gefunden hatten; aktuell arbeitet derselbe Entwickler übrigens an Tannenberg, das als First-Person-Shooter im Februar 2019 den Early Access verlassen soll. Auf etwas mehr Spektakel, Explosionsgewitter und fiktive Freiheiten setzte Electronic Arts 2016 in Battlefield 1, das hinsichtlich der filmisch inszenierten Kampagne in Episoden überzeugte und auf den Schlachtfeldern im Multiplayer so begeisterte, das Micha und Jan im Test unsere höchste Wertung zückten.

Falls ihr euch für die Ursachen des Ersten Weltkriegs interessiert, haben wir eine historische Einführung im Angebot. Jörg geht in einem historischen Special auf den Status quo vor dem Ausbruch sowie die vielen Faktoren ein, die letztlich als Auslöser dienten. Dabei orientiert er sich vor allem an den Erkenntnissen des britischen Historikers Christopher Clark in "Die Schlafwandler".

 
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vor 2 Jahren