4Sceners19.06.2017, Bobic
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Special: Digital Art Natives - Praktiken, Artefakte und Strukturen der Computer-Demoszene (Buchbesprechung)

Analytisch, kritisch, hinterfragend, umfassend, akribisch, objektiv, informativ. Es gibt genügend Adjektive welche Doreen Hartmanns Buch Digital Art Natives - Praktiken, Artefakte und Strukturen der Computer-Demoszene umschreiben. Wir haben uns das über 300 Seiten starke Schwergewicht zu Gemüte geführt und sagen euch, weshalb es so einzigartig ist, einen Gewinn für die Szene der Echtzeitkünstler darstellt und dafür sorgt, dass Szenedemos als Kunstform ernst genommen und nicht in Vergessenheit geraten werden.

Die Demoszene ist Anlaufpunkt für kreative Computerkünstler, die mit dem Dreigestirn aus Code, Grafik und Musik audiovisuelle, stylisch präsentierte Unterhaltung bieten möchte. Abseits des Mainstreams, wo es keine Restriktionen gibt. Wo der Kreativität keine Grenzen gesetzt sind und das Korsett von Vorgaben, Anweisungen und Marktbefriedigung belanglos ist. Das war und ist schon immer so gewesen. Ihren Stellenwert aus den Anfangstagen, ab Mitte der 1980er Jahre bis hin zur Jahrtausendwende, hat diese Gruppierung jedoch eingebüßt. Mittlerweile gibt es vielfältige Beschäftigungs- und Publikationsmöglichkeiten für Hobbyschöpfer, sei es beim Designen von MODs, über Machinima-Filme, die zahlreichen Künstlerportale wie ArtStation, BandCamp, DeviantArt, Vimeo oder - mit Abstrichen - beispielsweise sogar YouTube. Doch warum gibt es die Demoszene? Warum tun die Menschen darin das, was sie tun? Wie sind die Strukturen und wie haben sich diese heute gegenüber damals verändert? Genau solche Fragen hat sich Doreen Hartmann gestellt, die sich für ihre Dissertation an der Uni Paderborn mit der Demoszene beschäftigt hat. Aufgrund der Faszination der dort veröffentlichten Produktionen und den üblichen Praktiken wurde aus dem ursprünglichen Streitgespräch die komplexe, 350 Seiten starke Lektüre Digital Art Natives - Praktiken, Artefakte und Strukturen der Computer-Demoszene , erschienen im Kulturverlag Kadmos Berlin zum Preis von 34,80 Euro.

Digital Art Natives - Praktiken, Artefakte und Strukturen der Computer-Demoszene ist im Kulturverlag Kadmos Berlin zum Preis von 34,80 Euro erschienen (ISBN: 978-3865993434).

Buchverlosung:

Wer eine signierte Ausgabe des Buchs gewinnen möchte, schreibt eine Nachricht über das Kontaktformular an 4Sceners.de und nimmt automatisch am Gewinnspiel teil. Teilnahmeschluss ist der 30.06.2017. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Mitarbeiter von 4Players / 4Sceners sind nicht zur Teilnahme am Gewinnspiel berechtigt.

Im Dienst der Wissenschaft

Wissenschaftliche Untersuchungen des Kreativphänomens Demoszene sind im deutschsprachigen Raum äußert rar. Der Kunstpädagoge Dr. Daniel Botz hat mit seinem, im Jahr 2011 erschienenen Buch Kunst, Code und Maschine - Die Ästhetik der Computer-Demoszene einen ersten, umfangreichen Grundstein gelegt. Daneben gab es kleinere Arbeiten, wie etwa Anja Hartmanns Analyse der Typografie in Demos . Publikationen in englischer Sprache (FreaX , Demoscene - The Art of Realtime oder die kürzlich erschienene Doktorarbeit von Markku "Marq" Reunanen), sowie Blog-Einträge oder Artikel auf diversen Webseiten beschäftigen sich zwar intensiv mit der Geschichte der Szene, alten und neuen Werken, kratzen jedoch überwiegend nur an der Oberfläche eines Themas, das in Sachen Komplexität deutlich größer ausfällt als es den Anschein hat. Einzig das Buch von Dr. Daniel Botz bietet deshalb Vergleichsmöglichkeiten. Allerdings unterscheiden sich die Herangehensweisen der Autoren Botz und Hartmann deutlich voneinander.

Während Botz versucht, die gesamte Geschichte der Demoszene mit all ihren Plattformen in einen wissenschaftlichen Kontext zu rücken, fokussiert sich Doreen Hartmann auf die PC-Szene der 2000er Jahre. Das klingt erstmal nach weniger, wird jedoch mit einer solchen Hingabe, Detailverliebtheit und immensem Forscherdrang angegangen, dass Digital Art Natives wie die Brockhaus-Enzyklopädie für die Demoszene wirkt, obwohl schon das Botz'sche Werk kein Unterhaltungsroman war. Es wird deutlich tiefer gegraben, ausführlicher und genauer analysiert. Des Weiteren gibt es in diesem Werk keine Bilder. Eine begleitende Webseite dient dazu, dem gedruckten Wissen gelegentlich Farbe und Formen zu verleihen. Die Folge dieser Herangehensweise mündet in einem schwerer lesbaren, analytischem Schreibstil, der mit ein wenig Interesse an der Demoszene aber keineswegs zu trocken ist. Vielmehr ergeben diese Schritte Sinn, weil dadurch bereits nach dem ersten Kapitel deutlich wird, wie akribisch die Autorin vorgegangen ist. Nur mit dieser Distanz ist ein exaktes Forschungsergebnis möglich, wie Hartmann selbst schreibt.

Detailverliebt

Wenn man so ausführlich über die Demoszene schreibt, kommt man dennoch nicht umhin, ihren geschichtlichen Werdegang zu beleuchten. Also wie die Szene aus dem Hackertum auf dem Commodore 64 entstanden ist. Das sind Grundlagen, um den sozialen Aspekt, den Wunsch nach Wettkampf sowie Wandel und Strukturen der Demoszene zu erforschen. Auch andere geschichtsträchtige Ereignisse wie etwa die Fast-Absage der Breakpoint 2009, einer der wichtigsten Veranstaltungen der Szene, werden beleuchtet. Aufgrund der Weltwirtschaftskrise und dem daraus resultierenden Absprung einiger Sponsoren konnte die Party durch eine private Sammelaktion der Demoszener (Stichwort: Brokepoint) doch stattfinden. Auch stößt man immer wieder auf liebevolle Details, etwa den Hinweis, dass die Invitation-Demo YouShould zwar unter dem Haujobb-Label veröffentlicht wurde, aber eigentlich eine Produktion der Gruppe STILL ist. Für ausführliche Demo-Reviews ist in diesem Buch kein Platz, mit Ausnahme von 1995 von MFX & Kewlers, das in der Einleitung aufgegriffen wird und sozusagen der Dosenöffner für die analytische Reise in die Kreativwelt der Demoszene ist. Ansonsten werden zwar viele Demos genannt, meist aber nur zu Erklärungszwecken für Stil, Art oder Größe.

In der Tat geht Doreen Hartmann enorm in die Tiefe, beleuchtet nahezu alle wichtigen Dinge. Sie scheut sich nicht, kritische Aspekte anzusprechen. Darunter fällt beispielsweise die Infizierung der Demoszene durch YouTube und der damit verbundene Verlust des Echtzeit- und Größenaspekts in ihren Werken - zumindest für die breite Öffentlichkeit.

Analyse aller Aspekte

Kernelemente dieses Werks sind jedoch die Eröterung, was Demos eigentlich sind, mit ihren diversen Stilen wie Newskool, Oldskool, Coder- oder Design-Demos, dem Vergleich einzelner Größenkategorien, sowie die Auseinandersetzung mit dem kreativen Schaffen und Miteinander der Szene. Hierzu zieht Hartmann immer wieder Vergleiche, holt Aussagen, Zitate und Ergebnisse aus anderen Publikationen heran und belegt alles ausführlich mit Quellenangaben. Sie vermeidet es, oftmals absichtlich polarisierende Aussagen, wie etwa in den Foren der Szenedatenbank Pouet.net, zu ernst zu nehmen. Was für sie zählt, sind Fakten.

So beschäftigt sich etwa ein komplettes Kapitel nur mit dem sozialen Gefüge in der Szene. Welche Regeln gibt es, warum schließt man sich in Gruppen zusammen, welche Motivation steckt hinter dem Erstellen von Effekten? All diese Fragen werden in Digital Art Natives ausführlich behandelt und analysiert. Ebenso rückt der Kunstaspekt in Demos in den Fokus und wird mit anderen Formen der Computerkunst verglichen, darunter auch das Genre der New Media Art. Lesenswert und interessant auch aufgrund der Tatsache, dass mit den, in den letzten Jahren neu entstandenen Forschungsbereichen, die Demoszene doch immer wieder einmal in den Fokus von Kulturwissenschaften rückt.

Fazit

In Digital Art Natives - Praktiken, Artefakte und Strukturen der Computer-Demoszene gibt es Nichts, was nicht angesprochen wird. Somit ist es zweifellos das wohl umfassendste und tiefgreifendste Schrifstück über die Demoszene, das bislang veröffentlicht wurde. Nie zuvor wurden so viele Fakten über das Miteinander in der Szene und die Erschaffung von Demos gegenübergestellt, mit ähnlich gelagerten Themen verglichen und hinterfragt. Einfach zu lesen ist dieses Schwergewicht nicht. Jedoch wird der Leser mit einer Fülle an Informationen belohnt, die er - auch als Mitglied der Demoszene - nirgendwo anders erhält oder bisweilen gar nicht kannte. Schade ist nur, dass diese Forschungsarbeit ausschließlich deutschsprachigen Szeneinteressierten vorbehalten bleibt, da eine Übersetzung ins Englische vermutlich ausgeschlossen ist.

 
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