Der kritische Herbst24.11.2006, 4P|Team
Der kritische Herbst

Special:

Im Rahmen unseres Themas "Der kritische Herbst" wollen wir uns auch den vielbesuchten Foren der Spielewelt widmen. Inwiefern können sie ein Werkzeug für Publisher zur externen Beeinflussung von Magazinen sein? Werden sie gezielt infiltriert, um Stimmung zu machen? Wir haben mit einem aktiven Dienstleister auf dem Gebiet gesprochen, der Foren gezielt im Auftrag beeinflusst und anonym bleiben wollte.

4Players: Was ist eigentlich virales Marketing? Und gehört die Unterwanderung von Foren dazu?

Dienstleister: Virales Marketing (VM) umfasst eine Vielzahl von Maßnahmen, um ein Produkt oder ein Unternehmen publik zu machen. Virales Marketing ist nicht neu: Schon in den 90er Jahren wurde VM erfolgreich eingesetzt, zum Beispiel bei dem Film Blair Witch Project. Im viralen Marketing werden existierende soziale Netzwerke genutzt, um die "Werbebotschaft" zu übermitteln. Wobei es oftmals nicht nur um konkrete Produkte geht, sondern auch Imagewerbung betrieben wird. Die Unterwanderung von Foren gehört definitiv zum Katalog der VM-Agenturen.

4Players: Welche Dienste bieten Sie genau an?

Dienstleister: In erster Linie geht es um Foren, soziale Netzwerke und andere geeignete Ansatzpunkte. Überall dort, wo man vorhandene Strukturen nutzen kann, wird VM eingesetzt. Aber ein Schwerpunkt ist sicherlich die Infiltration von Forencommunities. Als Dienstleistung werden angeboten: Analyse Zielgruppen, Konzepterstellung, Forenaktionen, weitere gewünschte Aktionen.

4Players: Was kostet ein Auftrag in dieser Richtung?

Dienstleister: Das ist abhängig vom Umfang der Maßnahmen. Es geht mit wenigen hundert Euro los und ist nach oben hin offen. Je größer eine Aktion geplant wird, desto größer wird der Personaleinsatz und damit liegt auch der Preis entsprechend höher.

Spielkulturthema: Der kritische Herbst

Kolumne: Spielbranche am Apparat. Bei Anruf Award?

Anonymes Interview: Ex-Publisher packt aus.

Kolumne: Die Kultur der Kritik.

Special: Interne Beeinflussung.

Special: Externe Beeinflussung.

To be continued...4Players: Was verspricht sich ein Auftraggeber von der Forenaktion? Wo liegen die primären Ziele?

Dienstleister: Kommerzielle Werbung in Magazinen usw. ist sehr teuer. Oftmals gehen Anzeigen im Werbedschungel unter. Und das alte Prinzip der Mundpropaganda erreicht oftmals bessere Resultate als herkömmliche Werbung. Dies gilt insbesondere auch für die Spielebranche. Hier treffen sich Spieler in Communities, reden über Spiele, über ihre Erfahrungen. Dies ist das ideale Einsatzgebiet für VM-Agenturen, da sie das Informationsbedürfnis der Communities befriedigen bzw. ansprechen. Primäre Ziele des VM sind: Steigerung des Bekanntheitsgrades eines Produktes oder eines Unternehmens, Herabsetzung von Konkurrenzprodukten, Trafficgenerierung auf offiziellen Websites oder in Foren (z.B. durch geeignete Verlinkung in Postings oder Signaturen). Letztlich ist das Ziel immer eine Steigerung der Verkaufszahlen des Spiels.

4Players: Wie kann man Stimmung in Foren beeinflussen? Gibt es da unterschiedliche Strategien?

Dienstleister: Je nach Stimmungslage in einem Forum kann man unterschiedlich ansetzen. Ist die Stimmung gut, schreibt man positive Vergleiche. "Also Spiel x ist super. Aber ich habe auch mal Spiel y angetestet. Und im Vergleich schneidet das besser ab." Ist die Stimmung schlecht, schreibt man auch negativer. "Das Spiel hier ist Müll. Aber Spiel y ist super." Wie genau geschrieben wird, liegt im Fingerspitzengefühl des Mitarbeiters. Jede Strategie aber hat zum Grundsatz, dass die Postings glaubwürdig sein müssen.

4Players: Wie wichtig ist die Stimmung in einem Forum für den Betreiber?

Dienstleister: Es gibt in jedem Forum so genannte "Forentrolle". Leute, die immer etwas zu meckern haben, denen man nichts recht machen kann. Leute, die ein gesteigertes Mitteilungsbedürfnis haben oder schlichtweg zu viel Zeit, um sich den Kopf zu zerbrechen. Doch hinter manchem Forentroll steckt auch ein Konkurrenzunternehmen, das auf diese Weise versucht, schlechte Stimmung zu machen. Werden die Foren nicht ordentlich betreut, gelingt das auch sehr oft. Daher nutzen VM-Agenturen Stimmungslagen in Foren oft für ihre Zwecke aus.

4Players: Wie misst man als Auftraggeber den Erfolg einer Forenunterwanderung? Anhand der Zustimmung anderer User?

Dienstleister: Zum einen misst man das erhaltene Feedback, die direkten Reaktionen der User. Es wird dabei rasch offensichtlich, ob es gelungen ist, die Leute neugierig zu machen oder gar abzuwerben. Zum anderen misst man natürlich den entstehenden Traffic auf die in den Postings verwendeten Links. Moderne Statistiktools können sehr genau auswerten, woher die Besucher einer Website kommen und welche Seiten auf der Zielwebsite sie sich wie lange anschauen. So lässt sich zurückverfolgen, ob die Postings "angekommen" sind.

4Players: Kennen Sie konkrete Beispiele aus der Spielewelt, was die Unterwanderung von Foren angeht?

Dienstleister: Ja sicher [Beispiele liegen der Redaktion vor]. Wenn man sich umschaut, erkennt man oftmals in mehreren ganz unterschiedlichen Foren die gleichen Beiträge, oft per Copy&Paste eingetragen. Manchmal unterscheiden sich nicht einmal die Nutzernamen. Das ist schon sehr peinlich, wenn es auffällt. Dies sind dann oft Publisher, die versuchen in Eigenleistung VM zu betreiben, ohne das entsprechende Know-how oder geeignete Mitarbeiter zu haben. Ob VM im Einsatz ist, erkennt man oftmals daran, dass nahezu zeitgleich in führenden Foren gleichartige Beiträge von Usern auftauchen, die frisch angemeldet sind oder nur sehr wenige Beiträge geschrieben haben. Davon gibt es dutzende Beispiele - jeder Webmaster kann davon ein Lied singen.

4Players: Wie kann man sich als Forenbetreiber davor schützen? Hat man rechtliche Möglichkeiten?

Dienstleister: Prinzipiell ja. Ein Forum ist generell ein privater Raum. Der Besitzer des Raumes hat natürlich die Möglichkeit, User zu sperren oder Postings zu löschen. Will man den Rechtsweg beschreiten, wird es allerdings schwieriger. Generell handelt es sich um unlauteren Wettbewerb, gegen den man vorgehen kann. Allerdings ist man in der Beweispflicht. Ich kenne ein Beispiel: Ein Mitarbeiter eines großen deutschen Publishers versuchte sich im VM. Er postete in unterschiedlichen Foren, immer mit dem gleichen Namen und gleichem Text. Dummerweise saß er in einer Firma, die eine statische IP-Adresse hat. Diese IP-Adresse wurde von den Forenbesitzern ausgelesen und zurückverfolgt. Hier war die Rechtslage dann eindeutig. Gehen die VM-Akteure clever vor, welchseln sie Namen, Texte, IP-Adressen. Dann ist es mit dem Nachweis schwierig.

4Players: Welche Rolle spielt der Community-Manager in einem Forum?

Dienstleister: Eine professionelle VM-Agentur schaut sich die Zielforen sehr genau an. Insbesondere wird ermittelt, wie viel Betrieb dort herrscht, wie die Stimmungslage ist, aber auch, wie strikt gegen Spamming, Werbung etc. vorgegangen wird. Insofern kommt dem Community-Manager schon eine große Bedeutung zu, da er der Feind Nr.1 jeder VM-Agentur ist.

4Players: Wenn der Community-Manager so wichtig ist: Kann auch er Ziel des VM sein?

Dienstleister: Theoretisch schon. Ich wüsste allerdings von keinem Fall direkter Bestechung. Da der Community-Manager aber so etwas wie ein natürlicher Feind ist, versucht man, virtuell ein gutes Verhältnis zu ihm aufzubauen. Zum Beispiel, indem man ihn in anderen Postings lobt und unterstützt. Das sorgt für Akzeptanz und bewirkt, dass die VM-Postings weniger kritisch betrachtet werden.

4Players: Nach diesem Interview könnte man meinen, dass man es in jedem Forum mit VM-Agenten zu tun hat. Wie schätzen Sie die Häufigkeit dieser Aktionen ein?

Dienstleister: Viele Publisher haben erkannt, dass solche Werbemethoden sinnvoll und erfolgreich sein können und zudem auch noch weniger kosten als breit angelegte Medienkampagnen. Daher springen schon einige auf den Zug auf. Manche machen es mehr oder weniger erfolgreich selbst, andere engagieren Agenturen. Insgesamt ist die Tendenz stark steigend. Aus eigener Beobachtung erkenne ich, dass derzeit mindestens vier bis fünf größere Kampagnen dieser Art laufen. Dies sind aber nur die Kampagnen, die man rasch aufdeckt. Wirklich clever geführte Kampagnen findet man nicht so schnell, daher dürfte die "Dunkelziffer" weit höher liegen. Was insgesamt auch unterschätzt wird ist, dass VM ja nicht nur das eigene Produkt pushen soll, sondern auch Aktionen gefahren werden können, um ein Konkurrenzprodukt zu diffamieren. Wenn man sich also diverse Forenpostings von "kritischen Spielern" anschaut, kann man nie sicher sein, ob dahinter nicht ein Publisher oder eine Agentur steckt.

4Players: Vielen Dank für das Gespräch.

       

 
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