Deus Ex: Human Revolution15.10.2010, Benjamin Schmädig
Deus Ex: Human Revolution

Special:

Wenn Adam Jensen Anfang nächsten Jahres in der Zukunft schleicht, hackt, kämpft und vor allem quasselt, dürften manche auf der Strecke bleiben, die nicht mit den Nuancen des Englischen per Du sind - gäbe es nicht eine komplett deutsche Version des Spiels. Denn Square Enix hat eine aufwändige Lokalisierung in Auftrag gegeben. Aber kann die deutsche Fassung dem Original überhaupt ebenbürtig sein? Wir haben einen Tag im Tonstudio verbracht und waren dabei, als aus englischer Sprache deutsche Dialoge wurden.

Gute Synchro, schlechte Synchro

Seit elf Jahren gibt es das Hamburger Studio toneworx - eine lange Zeit, in der man vor allem Erfahrungen in der Synchronisation von Computer- und Videospielen sammeln konnte. Ubisoft, Electronic Arts und Codemasters vertrauen u.a. auf toneworx, Eidos gehört ebenfalls dazu. Aber nicht erst seit Deus Ex 3; auch Tomb Raider wurde jahrelang an der Elbe eingedeutscht. Wir wollten wissen: Was muss eigentlich passieren, bevor ein Schauspieler deutsche Texte einspricht? Mathias Geißler, Projekt- und Aufnahmeleiter bei toneworx, hat uns durch das Studio geführt.

Über Zahlen spricht er natürlich nicht - Geschäftsehrensache. Mit einem vierstelligen Betrag wird eine dialogschwere Lokalisierung wie Deus Ex: Human Revolution (ab 6,61€ bei kaufen) oder das ebenfalls bei toneworx eingedeutschte Dragon Age:

Nicht immer sind die deutschen Helden so cool wie die englischsprachigen Originale. Erinnert sich jemand an »Holt einen, der ihn hochkriegt!«
Origins allerdings im Traum nicht machbar sein. Rechnet man weitere Synchronisierungen für andere Länder hinzu, wird schnell klar, warum noch immer nicht alle Spiele in Landessprache tönen und weshalb manche Übersetzung unter dem knappen Geldhahn des Publishers leiden. Im Studio ist auch Schauspieler Konstantin Graudus, der nicht nur in Serien wie Tatort oder SOKO auftrat, sondern dank Dune oder Sopranos sowie Dragon Age und Mass Effect 2 bereits Erfahrungen als Synchronsprecher besitzt. Und als es um die Qualität von Sprachaufnahmen geht, redet sich Graudus beinahe in Rage: Von Studios, die für wenig Geld mäßige Qualität abliefern, hält er jedenfalls wenig. Ohne Regisseur werde da gearbeitet. Ob Stimme, Stimmlage oder Betonung zum Charakter und zur Situation passen, interessiert dort nicht; ein Tontechniker nickt die technische Passform des gesprochenen Textes ab und fertig. Hört man den Schauspieler so reden, ahnt man jedenfalls, warum manche Eindeutschung bei Spieler oder Zuschauer nur Kopfschütteln verursacht.

Das Geschäft mit der Sprache

Toneworx und ähnlich ambitionierte Studios arbeiten anders. Projektleiter Geißler weiß zwar, wie stark der Konkurrenzkampf ist. Trotzdem wolle man hochwertige Arbeit abliefern - nicht nur für Videospiele, sondern auch für Filme, Hörspiele oder beim Aufnehmen von Musik. Vier Studios wurden dafür eingerichtet, nachdem man vor vier Jahren umgezogen ist. Aber wer legt eigentlich fest, wie viel eine Lokalisierung kosten soll? Gibt der Kunde einen Betrag vor oder macht das Studio ein Angebot? Letzteres ist der  Fall - der Publisher muss dem Angebot »nur« noch zustimmen oder hart verhandeln. Immerhin: Man »kann ziemlich gut von Videospielen leben«, sagt Geißler.

Und dann? Dann ist zunächst einmal ein von toneworx unabhängiger Übersetzer gefragt. Bei vielen Projekten können sich die Tonstudios deshalb auch nicht an den auswärtigen Übersetzer wenden, falls während der Aufnahmen Begriffe oder erzählerische Zusammenhänge geklärt werden müssen.

Hörprobe gefällig?

Exklusiv und zum ersten Mal auf Deutsch: So klingt Deus Ex: Human Revolution, wenn es Anfang nächsten Jahres komplett lokalisiert erscheint.

Hörprobe zur deutschen VersionMit Human Revolution hat toneworx aber Glück, denn der Übersetzer beantwortet aufkommende Fragen umgehend. Zu seinen Aufgaben gehört übrigens nicht nur das Übertragen der Texte - er oder sie muss auch festlegen, wie fiktive Fachbegriffe und Namen im Deutschen ausgesprochen werden.

Bleibt die Frage, mit welchen Stimmen die Figuren reden sollen. Hier sind die Erfahrung der Tonmeister, die Zustimmung des Auftraggebers und natürlich eine Datenbank mit möglichen Sprechern gefragt. Mehr als 2000 Schauspieler zählt die toneworx-Liste. Manchmal wünscht ein Kunde ganz bestimmte Sprecher, um ein Spiel oder ein Hörspiel über bekannte Namen zu vermarkten. Man denke an aktuelle Adventures oder Titel wie Outcast. Eidos verfolgte lange eine ähnliche Linie  legt das Hauptaugenmerk inzwischen aber auf die Qualität der Sprecher. Michael Lott (Der Alte, Werner: Eiskalt!) wird vielen Spielern z.B. kein Begriff sein; die Stimme des Deus Ex-Protagonisten Adam Jensen ist allerdings renommierter Theatermime und Synchronsprecher. Ähnlich Konstantin Graudus, der mit Pritchard die Rolle von Jensens Auftraggeber spricht.            

Sprich mit ihr

Wir sind dabei, als Graudus den Text für Pritchard aufnimmt. Vor uns sitzt ein Tontechniker an einem breiten Pult, links von ihm Regisseurin Stephanie Kirchberger. Ein kleines Fenster erlaubt einen Blick in die schalldichte Kammer, in der es sich Graudus vorm Mikrofon gemütlich macht. Mehr oder weniger, jedenfalls, denn wie er uns in einer Pause erklärt, ist die toneworx-Technik im besten Sinne sehr empfindlich. Der Sprecher kann deshalb nicht vor dem Mikrofon schauspielern, sondern muss darum bemüht sein, einen präzisen Abstand zu halten. Schon kleine Veränderungen verändern die Akustik so stark, dass man sie im finalen Cut hören könnte. An der Entfernung zwischen Aufnahmegerät und Stimme hört man schließlich, ob sich ihr Charakter in einer engen oder einer weitläufigen Umgebung befindet und der darf sich nicht ständig ändern.

Zeile für Zeile, Absatz für Absatz werden Aufnahmen gemacht. Nach jedem Fetzen fragt Regisseurin Kirchberger ihren Techniker, ob die Aufnahme »sauber« ist. Hat sich ein z.B. Schmatzer eingeschlichen, wird sie wiederholt. Auch die Dauer der gesprochenen Worte ist immer dann von Bedeutung, wenn die Lippensynchronität eine Rolle spielt. Das ist vor allem in Filmszenen der Fall, wenn man den Charakter sprechen sieht. So lange man im Spiel jedoch nur Pritchards Stimme hört oder der Auftraggeber lediglich in einem kleinen Fenster eingeblendet wird, darf die Länge der gesprochenen Texte vom Original abweichen. Hier muss der Übersetzer übrigens voraus denken, denn würde er das Englische originalgetreu ins Deutsche übertragen,

Gerade in Dialogen verlieren schlechte Synchronisationen oft wichtige Nuancen. Kann Human Revolution mit den zahlreichen optionalen Unterhaltungen hier ein Zeichen setzen?
wären seine Formulierungen im Durchschnitt um ein ganzes Drittel länger als das Ausgangsmaterial. Trotzdem dürfen natürlich weder Inhalte noch Nuancen wegfallen - Einfallsreichtum im Umgang mit der Muttersprache ist also gefragt.

Mit Bibel und Drehbuch

Aber wie zuvor beschrieben: Technische Perfektion ist bei weitem nicht alles. Und so muss Graudus manche Zeile nicht nur schneller oder langsamer aufsagen - hin und wieder korrigiert Kirchberger auch seine Aussprache oder weist ihn auf den erzählerischen Zusammenhang des aktuellen Dialogs hin. Einmal spricht der Schauspieler zu korrekt, dann verpasst er die richtige Betonung. In kurzen Pausen übt er die nächste Zeile, manchmal fragt er nach dem erzählerischen Zusammenhang einer Szene. Nein, es ist nicht so, dass die Synchronsprecher mit dem Inhalt des Spiels so vertraut sind wie Entwickler oder Spieler. Genau den liefert ihnen aber eine Regisseurin oder ein Regisseur. Wer ist dieser Pritchard eigentlich? Worum geht es in den Dialogen? Kirchberger hält nicht nur das Drehbuch mit sämtlichen Dialogen vor sich. Sie besitzt auch eine Charakterbibel, in der die Eigenheiten aller Personen beschrieben sind. Und sie besitzt jene Liste, auf der die Aussprache aller Namen und fiktiven Fachbegriffe vermerkt ist. Trotzdem gibt es Situationen, in denen eine Aussage Fragen aufwirft - bevor man den Übersetzer anruft, überlegt man dann: Soll Pritchard seinen Agenten anweisen, das Gebäude durch den »Wareneingang« zu betreten oder ist es nicht eher die »Warenannahme«. So kommen Regisseurin, Tontechniker und Schauspieler schon mal für einige Minuten ins Grübeln.

Meist gibt die Regisseurin vor jeder Aufnahme kurze Hinweise an »ihren« Sprecher. Daraufhin laufen die Aufnahmen der englischen Sprecher oder der vorangehende Text des Dialogpartners, im Ideal der des deutschen »Gegenüber« ab. Mit diesen Informationen muss Graudus dann sowohl die Situation als auch die Gemütslage und das Anliegen seines Charakters erfassen und wiedergeben. Oft gelingt ihm das schon im ersten Anlauf, manchmal sind ein, zwei Wiederholungen fällig, selten mehr. Kirchberger hört dabei genau hin - wenn auch nicht nur, damit eine Passage im perfekten Hochdeutsch aufgesagt und kein Wort vergessen wird. Vielmehr begrüßt sie es, wenn ihre Figuren auch mal einen Laut verschlucken. Für sie steht Menschlichkeit an erster Stelle, denn trotz der sauberen Qualität des schnellen Aufnahmeprozesses müssen die virtuellen Figuren glaubwürdig sein. Sitzt die Aufnahme, ist der jeweilige Abschnitt dann aber auch schon für immer erledigt.       

Zu zweit getrennt

Nein, Synchronisationen - sei es für Film, Fernsehen oder Spiele - stellen keine Dialogszenen so nach wie sie später zu hören und zu sehen sind. Auch das ist ein Aspekt, auf den Kirchberger achten muss: Greifen die Aufnahmen so ineinander, dass sie als Teil einer flüssigen Unterhaltung funktionieren? Die Regisseurin, selbst ausgebildete Schauspielerin, freut sich aber, dass der Trend wieder dahin geht, zumindest die zwei Hauptrollen für gemeinsame Dialoge ins Studio einzuladen. Kurios, aber wahr: Oftmals begegnen sich Dialogpartner nicht einmal im Studio! Der Grund dafür waren finanzielle Überlegungen - weil es effektiver und damit billiger sei, die Sprecher einzeln aufzunehmen. Inzwischen merkt man wohl, dass das Anhören der bereits aufgenommenen Dialogzeilen des Partners ebenfalls Zeit kostet - Zeit, die man im Doppel spart. Nicht umsonst merkte Konstantin Graudus schon vorher an: In diesem Geschäft werden, wenn es irgendwie geht, selbst Cent-Beträge zu Ungunsten der Qualität gespart.

Und dann musste ich Graudus eine Frage stellen, die mir ganz persönlich unter den Nägeln brannte: Woran liegt es eigentlich, dass eine Synchronstimme selten die zahlreichen Feinheiten wiedergibt, durch die sich ein Schauspieler oft auszeichnet? Dabei ist die Antwort so einfach wie offensichtlich. Während der Akteur nämlich tatsächlich schauspielert, also Mimik und Gestik einsetzt, sich dabei bewegt und spontane Ideen in seine Darbietung einfließen lässt, ist der Synchronsprecher ans Mikrofon gebunden.

Schleicht sich Jensen durch den Wareneingang oder durch die Warenannahme? Manchmal hadern selbst Übersetzungsexperten mit der Sprache
Je nach Arbeitsweise anderer Studios kann er oder sie sich zwar durchaus bewegen, ist aber vor allem darauf konzentriert, das Original überzeugend zu übertragen. Die Stimme steht einfach so stark im Vordergrund, dass die ursprüngliche schauspielerische Arbeit - und mit ihr die erwähnten Nuancen - notgedrungen unter den Tisch fallen.

Enthusiastisch gurgeln

Apropos: Selbst Schauspieler Graudus zeigt sich an anderer Stelle überrascht, wie gut die Mimik und Gestik virtueller Charaktere inzwischen sein kann. Und er kann nach dem etwa vierstündigen Aufzeichnen von Pritchards Stimme nicht etwa nach Hause gehen, sondern muss noch eine weitere Figur synchronisieren - einen Nebencharakter mit slavischem Ursprung. Geißler erklärt: Acht Stunden kann ein Sprecher nicht arbeiten, weil seine innere Spannung und damit auch die Intensität seiner Stimme irgendwann nachlässt. Eine fünfte Stunde schafft Graudus aber noch - und wie!

Plötzlich ist da keine Spur mehr von Pritchards süffisantem Befehlston; jetzt quasselt ein unterhaltsamer Slave mit absichtlich überzogenem Akzent. Besonders amüsant sind die Todesszenen. Denn auch unverständliches Gurgeln, das beim Spielen meist untergeht, muss erst einmal nachgeahmt werden. Wie gibt man etwa einen »kurzen, enthusiastischen Todeskampf« wieder, den das englische Original noch dazu etliche Sekunden dauern lässt? Wir haben ebenso so viel Spaß dabei wie Regisseurin, Tontechniker und Sprecher! Manche Schauspieler beherrschen zahlreiche Dialekte, manche so gut wie keine, erklärt die Regisseurin. Graudus' Repertoire ist zum Glück sehr umfangreich. Wo genau sein Charakter herkommt, weiß man jedoch nicht - manchmal müssen sie eben mit dem auskommen, was sie haben.

Und was geschieht schließlich, wenn der Schauspieler gesprochen, der Tontechniker abgenickt und die Regisseurin abgesegnet hat? Das kommt auf die Anforderungen des Auftraggebers an: Einige wollen das aufgenommene Material selbst weiterverarbeiten, für andere erledigt toneworx auch Mastering und Zurechtschneiden der Aufnahmen. Und was, wenn ein Entwickler im Nachhinein Szenen zum Spiel hinzufügt? Ganz einfach: Dann werden die Schauspieler erneut ins Studio zitiert. In der Spieleentwicklung ist das laut Geißler alles andere als die Ausnahme.

Ob die Hamburger Tonkünstler auch im Fall von Deus Ex: Human Revolution gute Arbeit leisten? Schwer abzusehen. Wir können und wollen uns kein Urteil erlauben, nachdem wir gerade mal zwei Figuren ohne Zusammenhang gehört haben. Wir wissen allerdings, dass toneworx viel daran liegt, glaubwürdige Charaktere ins Deutsche zu übertragen und dass Adams Auftraggeber sehr überzeugend anweisen kann. Hier wird nicht nur nachgesprochen; hier sind wie bei vielen Spielen erfahrene Künstler und Techniker am Werk. Und hoffentlich finden alle, die trotz der guten Synchronisation lieber dem Original zuhören, ja auch diese Version im Spiel.  

 
0
Kommentare

Du musst mit einem 4Players-Account angemeldet sein, um an der Diskussion teilzunehmen.

Es gibt noch keine Beiträge. Erstelle den ersten Beitrag und hole Dir einen 4Players Erfolg.