Deus Ex: Human Revolution26.04.2011, Benjamin Schmädig
Deus Ex: Human Revolution

Special:

Deus Ex: Human Revolution (ab 6,61€ bei kaufen) gehört zu den vielversprechendsten Titeln des Jahres. Schon vor wenigen Wochen konnten wir einen kurzen Abschnitt spielen und waren begeistert: Handlungsfreiheit, Artdesign und die einzigartige Science-Fiction-Kulisse dürften ihresgleichen suchen. Wir haben uns deshalb mit Jean-Francois Dugas unterhalten: Der Game Director spricht über den Entwicklungsprozess, über intelligente Geschichten, über die Zukunft und die PC-Version.

4Players: Deus Ex war in der Vergangenheit vor allem auf dem PC stark. Wie kommt es dann, dass die PC-Version außer Haus entwickelt wird?

Jean-Francois Dugas: Ursprünglich wollten wir alle drei Fassungen in einem Studio entwickeln und bis vor einem Jahr haben wir das auch getan. Die PC-Version wurde von denselben Leuten entwickelt, die sich auch um die Konsolenfassungen kümmern.

Jean-Francois Dugas arbeitete in der Vergangenheit u.a. an der Far Cry-Reihe. Deus Ex: Human Revolution ist sein bisher größtes Projekt.

Als die Entwicklung fortschritt, sprachen wir aber auch über Besonderheiten der PC-Fassung. Und weil wir auf dem PC von Beginn an mit Nixxes zusammengearbeitet hatten, war es ein logischer Schritt, die Partnerschaft auszubauen. Wir haben keine 2000 Entwickler - ich glaube, wir hatten zu diesem Zeitpunkt etwa 137. Deshalb wurden die Ressourcen des Teams irgendwann zu knapp, um alle drei Fassungen zu entwickeln. Und damit die Qualität der PC-Version nicht darunter leidet, haben wir diese vollständig in die vertrauten Hände gelegt.

Uns liegt viel daran, dass alle Versionen gleichwertig sind. Ich wurde vor einigen Wochen gefragt, ob die PC-Version außerhalb entwickelt wird und habe mit "nein" geantwortet. Viele haben aber meine Erklärung aber nicht gelesen, sondern meinten nur, uns wäre die PC-Fassung nicht wichtig. Das stimmt einfach nicht!

In den kommenden Wochen werden wir die Besonderheiten der PC-Version näher beschreiben. Wir haben viel dafür getan, dass Human Revolution ein hervorragendes PC-Spiel wird. Und wie gesagt: Die Unterschiede zwischen PC und Konsolen wurden ursprünglich ohnehin von den Leuten entwickelt, die sich jetzt um PS3 und Xbox 360 kümmern.

4Players: Zum Spiel: Als Adam Jensen zur Arbeit zurückkehrt, nachdem einige seiner Körperteile durch mechanische Prothesen ersetzt wurden, muss er sich sofort um eine Geiselnahme kümmern. Ignoriert er das eilige Drängen seines Arbeitsgebers und sieht sich vorher in Ruhe um, sterben die Geiseln. Plötzlich fühlt man sich nicht mehr als der allmächtiger Lenker, dem das Spiel gehorcht, sondern wird Teil einer glaubwürdigen Welt...

Dugas: Dabei kam dieses Element erst kurz vor Weihnachten 2010 hinzu! Denn wenn man ein Spiel designt, in dem es mehrere Lösungswege gibt, legt man natürlich von Beginn an fest, welche Handlungen welche Konsequenzen nach sich ziehen. Aber erst, wenn man es spielen kann, erkennt man, wie verschiedene Spieler eine Situation angehen und kann den Aufbau entsprechend anpassen.

4Players: Gibt es denn weitere, ähnlich unvorhersehbare Situationen?

Dugas: Nun, es gibt Situationen, in denen das Ergebnis einer Aktion nicht erkennbar ist. Je nachdem, wie man mit einem Charakter spricht, könnte er Adam z.B. später seine Hilfe anbieten. Dieses Ergebnis kann man aber nicht aus den zur Verfügung stehenden Antwortmöglichkeiten ablesen können.

4Players: So habe ich mich zu Beginn gefühlt, als Jensen um das Leben einer Geisel verhandelt. Normalerweise denke ich darüber nach, welche Antwort welche Reaktion hervorruft, aber dort war dieser Mechanismus einfach nicht erkennbar. 

Die PC-Version: Noch gibt Square-Enix keine Details zu der bei Nixxon Software ausgelagerten Fassung bekannt - Einzelheiten sollen aber in Kürze veröffentlicht werden.

Wir werden spätestens in einer Vorschau auf die Besonderheiten der PC-Version eingehen.

Man musste wirklich überlegen: "Wie könnte sich Adam vernünftig mit dem Geiselnehmer unterhalten, um die Geisel gehen zu lassen?"

Dugas: Ja, man denkt genauer darüber nach, was man seinem Gegenüber sagen will - und nicht darüber, welche Antwort wohl die richtige und welche die falsche ist. Wir wollten eine glaubhafte Welt erschaffen und weg von dieser deutlichen Trennung zwischen Gut und Böse. Für mich verhindert eine solche Trennung viel eher das Versinken in der Spielwelt als farblich hervorgehobene Objekte und Ziele. [lacht]

Interessanterweise wurde die farbliche Markierung übrigens nur von Spielern angemerkt, die das Spiel noch nicht gespielt haben. Der einzige Artikel, der sie überhaupt erwähnt, hat sich positiv darüber geäußert.

4Players: Es ist wohl die Befürchtung, dass man an einer Leine durchs Spiel geführt wird, die den Spielern Angst macht.

Dugas: Deshalb haben wir nach den Reaktionen auch die Möglichkeit hinzugefügt, die Markierungen abzuschalten. In den ersten zwei Schwierigkeitsgraden sind sie aktiviert und auf dem schwersten Level deaktiviert - man kann die Markierungen aber jederzeit an- und abwählen.

4Players: Habt ihr denn noch weitere Details am Spiel geändert, nachdem die Spieler die ersten Spielszenen kommentiert haben?

Fanservice

Dass Objekte, die Adam Jensen benutzen kann, durch einen gelben Rand hervorgehoben und Missionsziele ebenfalls markiert werden, fiel einigen Fans in den ersten Spielszenen sofort unangenehm auf.

Erst vor wenigen Tagen kündigten Dugas und Produzent David Anfossi deshalb in einem Video an, dass die Entwickler kurzerhand die Option zum An- und Abschalten der Hilfen eingebunden haben.

Dugas: Nope! [lacht] Die Selbstheilung und das Deckungssystem wurden ja auch sehr lange diskutiert. Viele Fans hatten Bedenken deswegen. Und auch wir sagen nicht, die modernen Mechanismen wären der Weisheit letzter Schluss. Wir glauben aber an sie und halten deshalb daran fest.

4Players: Passt die im Kern weniger taktische Selbstheilung überhaupt zu einem taktischen Spiel wie Deus Ex?

Dugas: Der alles entscheidende Punkt ist die Dauer zwischen einer Verwundung und dem Einsetzen der Heilung. Wenn man Call of Duty oder Crysis spielt, muss man sich z.B. etwa zwei Sekunden verstecken, bevor man mit voller Stärke zurückkommt. In unserem Spiel stirbt man dagegen schneller, wenn man unter Beschuss steht und es dauert ein paar Sekunden länger, bis die Heilung einsetzt. Wir wollten ein System entwickeln, mit dem sich der Spieler voll auf eine Situation konzentrieren kann - er soll die Gegner und seine körperliche Stärke gegeneinander abwägen. Das sorgt für ein intensiveres Spielerlebnis, als würde man mitten im Kampf feststellen, dass man sich nicht mehr verarzten kann und deshalb in einen anderen Raum zurückgeht, um ein übersehenes Erste-Hilfe-Paket aufzulesen. Ich habe nichts gegen dieses System! Es ist aber nicht das, was wir vor Augen hatten.

4Players: Von der Deus Ex-Serie abgesehen: Welche Spiele habt ihr euch mit Hinblick auf Human Revolution genauer angeschaut?

Dugas: Das erste Deus Ex haben wir uns wirklich sehr genau angesehen. Abgesehen davon gab es aber Spiele wie Fallout 3, BioShock oder Mass Effect - obwohl sie erst erschienen sind, nachdem wir mit der Arbeit an Human Revolution begonnen hatten. Wir wollten herausfinden, mit welchen Mitteln diese Spiele ihre komplexen Mechanismen dem Spieler zugänglich machen. Selbst Professor Layton war interessant.

4Players: Professor Layton?

Dugas: Ja, mir gefällt die Art und Weise, wie es die Geschichte erzählt und wie die Handlung zusammengefasst wird, wenn man eine Weile nicht gespielt hat. Deshalb gibt es etwas Ähnliches auch in Deus Ex:

Wie Adam Jensen sein Ziel erreicht, muss er einzig und allein mit seinem Gewissen vereinbaren.

Wer einen Spielstand lädt, sieht ein Bild und einen kurzen Text, der die jüngsten Ereignisse umreißt.

4Players: Selbst wenn man ein Spiel entwickelt, in dem der Spieler verschiedene Handlungsmöglichkeiten hat, muss man alle möglichen Aktionen vorher definieren. Gelingt es den Spielern trotzdem, euch zu überraschen, weil sie mit ihren Möglichkeiten ganz neue Lösungswege kreieren?

Dugas: Was witzig ist: Die meisten halten Human Revolution zuerst für eine Art Call of Duty. Sie nehmen ihre Waffe, stürmen los, schießen - und beißen ziemlich schnell ins Gras. [lacht] Zuerst denken sie, sie haben etwas verpasst und versuchen es noch mal... Beim dritten Mai fangen sie dann aber an, auf die Details zu achten, die Beschreibungen zu lesen und denken sich neue Lösungswege aus.

Ich habe z.B. einen Spieler gesehen, der direkt vor eine Gruppe feindlicher Wachen gesprungen ist, indem er das Ikarus-System [bremst den Fall aus großer Höhe, Anm. d. Red.], die optische Tarnung und das lautlose Laufen eingeschaltet hatte. Anschließend hatte er noch genug Energie übrig, dass er um die Wachen herum laufen und ihnen in den Rücken fallen konnte.

Ein anderer schaffte es nicht, sich durch ein Minenfeld zu schleichen, indem er sich langsam den Minen näherte, um sie zu entschärfen. Stattdessen hatte er sich ein paar Kisten geschnappt und sie einfach auf die Sprengkörper geschmissen. Die sind natürlich explodiert und er konnte keine entschärften Minen einstecken - aber er ist durchgekommen.

4Players: Würdest du Human Revolution denn als altmodisches Spiel beschreiben?

Dugas: [überlegt] Es verbreitet eine altmodische Schwingung, ja. Ich glaube aber, dass es gleichzeitig ein Spiel seiner Zeit ist. Auf der einen Seite ist es heutzutage sicherlich ein Wagnis, ein Spiel herauszubringen, in dem man ohne nachdenken nicht voran kommt - viele Publisher haben Angst davor. Das ist die risikofreudige Spielfreude früherer Tage, wenn man so will. Auf der anderen Seite ist der Produktionsaufwand und die Art und Weise, mit der wir diese Spielfreude umsetzen, allerdings sehr modern.

Viele unserer Tester kannten Deus Ex vorher gar nicht und waren zuerst davon überrascht. Nachdem sie die spielerischen Möglichkeiten kennengelernt hatten, waren es aber genau diese Aspekte, die sie am meisten begeistert haben. Viele, die das Spiel im Rahmen der Testzeit nicht durchspielen konnten, haben sogar gefragt, ob sie wiederkommen könnten, um es zu beenden.

Augmentations?

Wörtlich übersetzt sind es nichts weiter als "Steigerungen" oder "Vergrößerungen". Deus Ex meint damit ganz spezifische Erweiterungen - nämlich solche, die die Fähigkeiten des Körpers verstärken oder ihm gar neue verleihen.

In Human Revolution sind es mechanische Prothesen, mit denen Adam Jensen z.B. schwere Gegenstände heben oder lautlos laufen kann. Seine künstlichen Augen sehen außerdem mehr als menschliche Pupillen - praktisch! Aber sind diese Vorteile den Verlust natürlicher Körperteile wert?

Normalerweise ist es nämlich umgekehrt: Die Tester wollen meistens eher gehen. Man muss also kein Deus Ex-Fan sein, um Human Revolution anzunehmen.

4Players: Habt ihr deshalb ein Prequel entwickelt?

Dugas: In gewisser Weise. Vor allem wollten wir aber einen Neustart wagen. Uns lag viel daran, das Universum, die Figuren und die Geschichte frisch zu entwickeln. Und das wäre uns bedeutend schwieriger gefallen, wenn wir auf den bisherigen Spielen mit ihren starken Abschlüssen hätten aufbauen müssen.

Abgesehen davon hatten wir ein großes Interesse an mechanischen Augmentations. Immerhin ist Transhumanismus eins unserer zentralen Themen, während im ersten Deus Ex die Nanotechnologie im Vordergrund steht. "Unsere" Erweiterungen der menschlichen Fähigkeiten sollten unbequemer sein, damit sich das Konzept des Transhumanismus' tiefer ins Bewusstsein gräbt. Man sieht diese Charaktere - und irgendetwas stimmt nicht mit ihnen. Das empfanden wir erzählerisch stärker. Und auch spielerisch ergaben sich dadurch interessante Möglichkeiten wie die Klingen, die aus Adams Armen hervorkommen.

4Players: Ich weiß natürlich, was du damit sagen willst. Aber wenn ich Adam Jensen ansehe und ihn in Aktion erlebe, dann ist das einfach cool. Es fühlt sich nicht unbequem an.

Dugas: Stimmt, wenn er in seine "Trickkiste" greift, dann geht es nicht um den mahnenden Finger, dann muss es einfach Spaß machen. Denn Jensen musste ein Charakter sein, in den man sich hineinversetzen kann. Aber es geht nicht nur um ihn. Man sieht auch Leute auf der Straße mit einem künstlichen Bein oder anderen Prothesen, die nichts Cooles damit anstellen.

Es geht aber auch nicht darum, dass wir Transhumanismus als etwas Negatives darstellen wollen. Wir sehen in den Augmentations ebenso viele Vorteile wie Nachteile. Einige Dinge machen uns Angst, andere geben uns Hoffnung. So sind wir an die gesamte Welt herangetreten. Wir versuchen, alle Aspekte des Themas einzufangen.

Ist die finstere Zukunftsvision nur Mittel zum Zweck oder regt sie zum Nachdenken an?

Wenn man z.B. einen Bettler ohne Beine sieht, während eine Person mit künstlichen Beinen an ihm vorbei läuft, hat das einen bitteren Beigeschmack.

4Players: Mit welchen Mitteln habt ihr diese Zukunft aufgebaut?

Dugas: Zum einen haben wir über mögliche Vor- und Nachteile gesprochen und zum anderen haben wir Bücher zum Thema gelesen. Es gibt ganz unterschiedliche Szenarien zum Thema Transhumanismus: Einige glauben, dass die Menschen gut sind und deshalb die Technologie stets für einen guten Zweck nutzen werden. Andere warnen vor der Gefahr, dass Technologie - egal, aus welchem Grund sie zunächst erforscht wird - früher oder später für einen heimtückischen Zweck eingesetzt wird. Man denke an Kernwaffen. Und dann gibt es noch die Meinung, dass neue Technologien zwar Gefahren bergen - dass die Menschen diese Gefahren aber überwinden werden. Und all diese Überlegungen geben wir auch im Spiel wieder. Mitunter sind das nebensächliche Einzelheiten - aber sie sind ein Teil unserer Welt.

4Players: Videospiele versuchen heutzutage vor allem eins: cool zu sein. Glaubst du denn, dass Videospiele auch ernste Themen ansprechen können? Könnte statt der Spielmechanik der Inhalt irgendwann Mittelpunkt eines Spiels sein?

Dugas: Absolut! Ich hoffe sogar, dass unser Spiel einen Schritt in diese Richtung macht. Denn wenn wir uns im Team über Science-Fiction unterhalten, dann sehen wir sie als Analogie eines aktuellen Themas. Wir versuchen nicht nur, uns eine coole Zukunft vorzustellen. Für uns ist sie eine Betrachtung dessen, wer wir sind und wie wir uns verhalten. Science-Fiction ist eine gute Projektionsfläche für solche Überlegungen!

Ich habe auch schon Kommentare zu unseren Trailern gelesen, die darüber reflektieren, wie eine solche Zukunft aussehen könnte. Es regt die Fantasie an, die künstlichen Arme oder Augen zu sehen: Die einen finden es cool, die anderen erkennen bereits Parallelen zur Gegenwart. Die heutigen Prothesen sind natürlich noch nicht so weit entwickelt wie die in Human Revolution. Sie entwickeln sich aber rasant in diese Richtung. Human Revolution ist nah genug dran, damit es nachdenklich stimmt.

4Players: Vielen Dank für das Gespräch!

 
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