BioShock 209.02.2010, Benjamin Schmädig
BioShock 2

Im Test:

Es war die Wiederentdeckung des Art Déco. Es ging um politische Ideale, um philosophische Grundsätze - BioShock war vor allen Dingen ein interaktives Gemälde, das seinem Betrachter die Visionen und die Abgründe des menschlichen Schöpfertums vor Augen führte. Und es war natürlich auch ein Spiel. Ein Ego-Shooter mit herkömmlichen Waffen und Magie-ähnlichen Fähigkeiten. Zweieinhalb Jahre später, steht eine "2" hinter dem Namen des Meisterwerks. Aber kann ein Nachfolger überhaupt in diesen Fußstapfen wandeln?

        Melancholische Streicher tragen die Kamera zu einer schlanken, bronzefarbenen Verkleidung. In deren Mitte führt ein schwarzes Loch ins scheinbare Nichts. Ein Mädchen kriecht aus dem Dunkel auf mich zu, strahlt mich an, nennt mich "Daddy". Im Spiegel sehe ich, wie mich ihre kleine Hand in eine helle Tür zieht. Mein Gesicht erkenne ich nicht; mein schwerer Taucheranzug macht mich zu einem namenlosen metallenen Monster. Plötzlich höre ich das Mädchen schreien. Ich renne hinterher, erschlage drei ihrer Entführer, werde aber von einem hypnotischen Ball getroffen, der mir die Kontrolle über meinen Körper entzieht. Dann kommt die Mutter des Mädchens auf mich zu und befielt mir, auf die Knie zu gehen. Ich soll den Helm abnehmen und eine Waffe an meinen Kopf richten. Das Letzte, was ich von dieser Welt sehe, sind die entsetzten Augen meines Mädchens...

Vertraute Fremde

Als ein Fremder drang der Spieler vor zweieinhalb Jahren in eine Metropole ein, die wie ein Denkmal des modernen Barocks auf dem Meeresboden errichtet wurde. Weil der Großteil der dort Lebenden jedoch wie wilde Tiere in den verfallenen Straßen wütete, wurde die Geschichte dieser Stadt erst nach

VIDEO: Und so beginnt es - Die ersten zehn Minuten

und nach durch Tonband-Aufzeichnungen entschlüsselt. Für den, der genau hinhörte und hinschaute, füllten sich die Mauern so Stück für Stück mit Leben. Sie wurden zu den Exponaten einer Jahrhundert-Vernissage, wenn die gewaltige Stimme ihres Erbauers Andrew Ryan seine politische Ideologie zu einem religiösen Ideal überhöhte. Ein Traum. Ein Mysterium. Ein Kunstwerk. Rapture!

Doch die Vernissage wurde längst beendet. Heute dient sie nur noch als Bühnenbild für den zweiten Akt der BioShock-Serie. Heute sollen nicht die Kulissen leben - in BioShock 2 (ab 5,99€ bei kaufen) sind es die wilden Tiere und die wenigen normal Gebliebenen, auf denen die Scheinwerfer ausharren. Warum auch nicht? Der prunkvolle Hintergrund bedarf ja keiner weiteren Erklärung...

Traurige Fassaden

Immerhin: Erzählerisch ist das sinnvoll. Denn der neue Protagonist nennt Rapture Zuhause - obwohl auch er nicht weiß, warum er zehn Jahre nach seinem "Selbstmord", acht Jahre nach den Ereignissen des ersten Aktes, plötzlich von den Toten aufersteht. Wer hat ihn aufgeweckt? Kommuniziert seine Tochter telepathisch mit ihm oder ist sie nur ein Traum? Und wieso hetzt ihre Mutter, die Psychoanalytikerin Sofia Lamb, die Anwohner der Stadt gegen ihn auf?

Weil man erneut im Dunkeln tappt und weil man einen Großteil der Handlung erneut aus gesprochenen Tagebüchern erfährt, erkennt man natürlich die erzählerischen Wurzeln. Wo die Entwickler den Erstling allerdings wie einen Mystery-Thriller aufgezogen haben, nutzen sie ähnliche Elemente diesmal nur als Aufhänger. Es wird keine Augen öffnende Wendung geben, kein überraschendes Ende. Es gibt eine einfach gestrickte Geschichte, bei der die Charaktere im Vordergrund stehen - ihre Gefühle und Beziehungen zueinander. Eine gute Entscheidung! Denn in einem vertrackten Verwirrspiel würden Emotionen untergehen. 2K Marin gelingt es auf diese Art ausgesprochen überzeugend, kleine und große Emotionen auszulösen. So sehr sie Rapture erzählerisch vernachlässigen, so gut nutzen sie die traurige Fassade ihrer von Hoffnung verlassenen Kulissen. Mehr noch: Indem sie die Verbindung zwischen dem Spieler und seiner Tochter beleuchten, gewähren sie sogar einen tiefen Einblick in die spielerisch so zentrale Beziehung zwischen den Little Sisters und ihren Beschützern, den Big Daddys. Nur am Ende erinnert ihre Geschichte erneut zu sehr an ihren Vorgänger .                         

Familienbande

Big Daddys. Mehr noch als die überbordende Architektur sind sie die Ikonen Raptures. Das eine ist ohne das andere nicht denkbar. Kein Wunder also, dass die brummenden Kolosse diesmal im Vordergrund stehen - dass einer von ihnen gar die Hauptrolle spielt. Es sind in massiven Taucheranzügen stampfende Dinosaurier, die mit martialischer Wucht jeden Angreifer zurückschlagen, der den Little Sisters zu nahe kommt. Ihr Markenzeichen ist ein gewaltiger Bohrer, der ursprünglich für den Aufbau Raptures vorgesehen war; jetzt nutzen sie ihn als Furcht einflößende Nahkampfwaffe. Doch wie bringt man einen Mann dazu, sich so bedingungslos für die Mädchen einzusetzen, im schlimmsten Fall gar zu opfern? Das ist eine der Fragen, der BioShock 2 auf den Grund geht.

Der Vorgänger offenbarte lediglich, warum die Little Sisters überhaupt beschützt werden müssen: Schuld ist die Sucht zahlreicher Menschen nach Adam - eine Substanz, die nur von den Mädchen produziert wird. Der Parasit, der diesen Vorgang in ihnen auslöst, bringt die Little Sisters allerdings auch dazu, das Blut frisch Verstorbener zu trinken. Und so sind sie immer dann in Lebensgefahr, wenn sie in den Straßen von Rapture ihrer morbiden Nahrungssuche nachkommen.

Die unbändige Sucht

Nun könnte sich der Spieler an diesem Schauspiel erfreuen, er könnte den Kampf zwischen den Splicer genannten Süchtigen und dem Big Daddy aus sicherer Distanz beobachten - würde Adam nicht auch als Währung für Plasmide dienen. Solche Plasmide sind genetische Modifikationen, mit denen ein Mensch Energieblitze oder Feuerstöße verschießt, Bienenschwärme auf seine Feinde loslässt, Gegner vereist oder Hologramme als Ablenkungsmanöver platziert. Plasmide, indirekt also das Adam der Little Sisters, sichern dem Spieler das Überleben in Rapture - ein Überleben, das die Beschützer des Mädchens mit dem Tod bezahlen müssen.

Nicht zuletzt dient Adam als Zahlungsmittel für Tonika, die unzählige passive Fähigkeiten verleihen. Sie erleichtern das Hacken

Wie ist es, ein Big Daddy zu sein? Das ist eine der Fragen, der BioShock 2 nachgeht.
von Geschütztürmen oder Safes, senken die Preise beim Kauf von Munition, machen Alkohol zu einem Heilmittel, lassen den Protagonisten schneller laufen oder unsichtbar werden und senden Stromstöße, wenn er im Nahkampf getroffen wird. Es gibt etliche solcher Erweiterungen - 18 darf er maximal ausrüsten. Adam dient somit als Ersatz für die Erfahrungspunkte, während die Plasmide das Pendant zu den Fähigkeiten eines Rollenspiel-Charakters sind.

Vom Besucher zum Vater?

Weil die Little Sisters aber nicht ihr gesamtes Adam einfach herausgeben, muss man eine Entscheidung treffen: Entreißt man ihren Parasit mit tödlicher Gewalt, um auf der Stelle eine große Menge Adam zu erhalten? Oder entfernt man ihn mit Gefühl, um aus der Little Sister wieder ein normales Mädchen zu machen, aber weniger Adam zu erhalten? Unterschiedliche Entscheidungen führen zu feinen Unterschieden in den finalen Minuten.

Dieselbe Entscheidung mussten Rapture-Besucher bereits vor zwei Jahren fällen, und schon damals begann der erzählerische Lack um moralische Prinzipien zu bröckeln, sobald man sich an die stets gleichen Szenen der Erlösung oder Ermordung gewöhnt hatte. Umso bedauerlicher, dass diese  Momente nicht nur nahezu identisch mit denen des Vorgängers sind, sondern wieder stets gleich inszeniert werden. Neu ist somit lediglich die Wahl, ob man die Little Sister zunächst auf ihrer Suche nach dem Blut von Verstorbenen beschützen will, um mehr Adam von ihr zu erhalten. Zweimal muss man dann einem Ansturm zahlreicher Splicer standhalten, bevor man über ihr Leben oder ihren Tod entscheiden kann. Wird man durch diese Zweckgemeinschaft stärker an die zentralen Figuren gebunden? Vielleicht. Auf jeden Fall vertieft sie das Verständnis für das ungewöhnliche Paar.        

        Ein korpulenter Splicer poltert direkt auf mich zu! Mein Helm verrutscht, ich taumele rückwärts, überstehe die Attacke aber. Daraufhin schnappt er sich einen dicken Stein und wirft ihn mir entgegen. Schnell wähle ich das Telekinese-Plasmid und greife mir den Brocken, während er mir entgegen fliegt. Eine Sekunde später "schluckt" der Brute seine eigene Medizin. Dann heult mein Bohrer auf - mit einem riesigen Satz ramme ich den Gegner zu Boden. Aber noch ist der Kampf nicht gewonnen. Zwei gewöhnliche Splicer gehen auf mich und meine Little Sister los. Einige Sekunden lang konnte sie mein Sicherheits-Bot, eine Art fliegendes MG in Schach halten, doch der löst sich gerade in den Flammen eines Molotow-Cocktails auf. Glück gehabt: Einer der Splicer tappt in eine Falle und wird meterweit in die Luft geworfen. Der Aufprall macht ihm den Garaus. Der andere fällt auf einen einfachen Trick herein und greift meinen Täuschkörper, ein mir ähnliches Hologramm, an. So habe ich genug Zeit, ihn mit der Armbrust aufs Korn zu nehmen - und mit einem gezielten Speer an die Wand zu nageln.

Freiheit

Wie sein Vorgänger ist BioShock 2 nicht nur interaktive Leinwand, sondern auch Ego-Shooter. Kein gewöhnlicher, wohl gemerkt, sondern ein Hybrid aus Action und Rollenspiel. Dass es seine umfangreiche Charakterentwicklung dabei beinahe beiläufig abhandelt, ist keine Nachlässigkeit der Entwickler. Das selbstverständliche Ausrüsten und Einsetzen unterschiedlichster Plasmide und Waffen sowie der jederzeit mögliche Wechsel aller gewählten Fähigkeiten spricht vielmehr für die nahtlose Zusammenführung aller spielerischen Aspekte. Waffen können

Komponist Garry Schyman baute für BioShock 2 nicht nur die sanft getragenen Themen des Vorgängers aus, seine Musik zeichnet auch einen noch deutlicheren Kontrast zwischen verstörenden Momenten und dem traurigen Verfall der Atem beraubenden Schönheit. Der Soundtrack kann sogar dem grandiosen Alien 3 das Wasser reichen - unbedingt hörenswert!
dabei jederzeit eingesetzt werden, Plasmide müssen an den großzügig verteilten Automaten auf die vorhandenen Slots verteilt werden. Warum die anscheinend unfaire Aufteilung? Weil voll entwickelte Plasmide entweder wie mächtige Waffen wirken oder starke Spezialfähigkeiten verleihen.

So kann man mit dem entsprechenden Plasmid den Körper des Big Daddys verlassen, um die Umgebung zu erkunden. In dieser "Geisterform" darf man weiterhin Elektrostöße verteilen, Fallen legen, Sicherheits-Bots auf Feinde hetzen, Elektrostöße austeilen oder gar Geschütztürme hacken - alles, ohne von Splicern oder Überwachungskamers entdeckt zu werden! Es gibt sogar eine Fähigkeit, die den Einsatz von Plasmiden erleichtert (das Wirken jedes Plasmids verbraucht einen biologischen "Treibstoff"), im Gegenzug aber beinahe sämtliche Waffen deaktiviert. Wo BioShock mit den Plasmiden noch viele der Waffen duplizierte, schafft die Fortsetzung also nicht nur ein Mehr an Abwechslung. Sie rückt die Rapture eigene "Magie" auch deutlicher in den Vordergrund.

Wer bist du?

In Sachen Steuerung macht es ohnehin keinen Unterschied, ob man die Waffen mit der einen Schulter- oder Maustaste und die Plasmiden mit der anderen aktiviert. Spielerisch wird durch die Beschränkung auf maximal acht abrufbare Plasmide dafür die Entscheidung für eine der vielen möglichen Spielweisen gefördert: Bereitet man sich für das Feuergefecht über die Entfernung vor und rüstet offensive Plasmide für den Nahkampf aus? Oder zieht man sich lieber zurück, ruft zwei Sicherheits-Bots herbei und hypnotisiert einen Splicer, damit er einige Minuten lang für den Big Daddy kämpft? Auch Trickser kommen auf ihre Kosten, wenn sie die wie Sprungfedern funktionierenden Fallen mit Elementareffekten aufladen, ballistische Fallen platzieren, elektrisch geladene "Stolperdrähte" von einer Wand zur nächsten spannen oder kleine Geschütztürme aufstellen.

Neu sind aber nicht nur viele der Waffen und Plasmide; hinzu gekommen sind auch zahlreiche der Munitionstypen sowie gegen Adam erhältliche Upgrades und Tonika. So wirkt der voll aufgewertete elektrische Blitz nicht nur als dauerhafter Energiestrahl, sondern überträgt zusätzlich die Lebensenergie des Gegners auf den Protagonisten. Unterm Strich ist BioShock 2 deshalb spürbar abwechslungsreicher und explosiver als sein Vorgänger. Erwähnt sei allerdings, dass PC-Besitzer ohne Gamepad auskommen und mit einer etwas überladenen Tastatur-Steuerung Vorlieb nehmen müssen.        

Das Ende der Röhre

Es liegt nicht nur an der Action - 2K Marin hat auch viel getan, um die Unterbrechungen des Spielflusses im ersten Teil zu beseitigen. Größter Schwachpunkt war das Hacken von Verkaufsautomaten, Überwachungskameras und Sicherheits-Bots: Damals wurde nicht nur das Spiel unterbrochen, weil das Hacken auf einem separaten Bildschirm stattfand; das repetitive Verlegen eines Röhrensystems verkam mit der Zeit auch vom kniffligen Rätsel zur ungeliebten Routine. Jetzt wandert auf Knopfdruck eine Nadel über eine Art analogen Tachometer und muss mehrmals im richtigen Moment gestoppt werden. Gelingt der Hack, schlägt die übernommene Kamera ab sofort beim Erkennen von Gegnern Alarm, Verkaufsautomaten verlangen kleinere Preise für Munition und Sicherheits-Bots bewachen den Big Daddy so lange, bis sie den Geist aufgeben. Bringt man die Nadel auf einem blauen Feld zum Stehen, gibt es zudem Belohnungen wie zusätzliches Geld beim Öffnen von Tresoren oder einen längeren Alarm zugunsten des Spielers.

Neu ist aber nicht nur der Vorgang, der zum einen schneller und zum anderen in Echtzeit abläuft; neu

sind auch Hacking-Pfeile, die man aus der Entfernung auf Bots, Kameras oder Gesundheits-Stationen schießen kann. Je nach gewähltem Munitionstyp wird das Ziel dann automatisch oder aus einem sicheren Winkel heraus gehackt - nichts ahnende Splicer, die sich im Blickwinkel ihrer Überwachungskamera sicher fühlen, könnten eine böse Überraschung erleben...

Das Kino des Forschers

Ähnlich geschickt verbessern die Entwickler das Erforschen der Feinde, um mehr Schaden anzurichten oder allgemeine Fähigkeiten wie die Laufgeschwindigkeit zu verbessern. Denn war es in BioShock noch nötig, immer und immer wieder Fotos des gewünschten Motivs zu schießen, reicht es jetzt, die Kamera einmal anzuwerfen. Nimmt man dabei einen noch nicht vollständig erforschten Splicer oder Big Daddy ins Visier, schaltet das Spiel auf die zuvor gewählte Waffe zurück und der Kampf kann beginnen - der Film läuft automatisch weiter. Beharkt man den Feind eine Zeit lang auf möglichst abwechslungsreiche Art und Weise oder segnet er das Zeitliche, schreitet die Forschung umgehend entsprechend des Ergebnisses voran.

Die neuen Splicer stellen sich leider auch nicht wesentlich geschickter an als ihre Ahnen - in Sachen Intelligenz hat sich nur wenig getan.
Es sind natürlich nur Änderungen im Detail. Aber es sind durchdachte Änderungen, die dem Spielfluss zugute kommen.

Doch während man sich auch darüber freut, dass der neue Protagonist Plasmide und Waffen gleichzeitig abfeuern kann, stellt man auch fest, dass sich die Splicer nicht nur äußerlich wenig verändert haben. Acht Jahre sind seit dem Tod von Andrew Ryan vergangen, aber die nach Adam lechzenden Irren haben kaum dazu gelernt. Sie gehen zu selten in Deckung und organisieren sich nicht einmal für den Angriff eines mächtigen Big Daddys in Teams. Es zerstört nicht die Stimmung - ein moderner Ego-Shooter sollte aber mehr bieten.

Wer Rapture zudem sorgfältig durchforstet, in jeder Ecke nach Geld, Munition und versteckten Tonika sucht, ist nicht nur in der richtigen Stimmung, um die architektonische Pracht in aller Ruhe aufzusaugen. Er ist seinen Feinden spätestens zur Hälfte des Besuchs leider auch spürbar überlegen. Selbst wenn in den letzten Stunden viele starke Widersacher auftauchen, geraten umsichtige Spieler kaum unter Druck. Auch Big Sisters, agile Nachfahren der Big Daddys, die blitzschnell und in allen Himmelsrichtungen durch den Raum springen, um mit Plasmiden zu attackieren, stellen nur in den ersten Stunden eine Gefahr dar. Ob breiter Brute Splicer, gefährlichere Versionen feindlicher Big Daddys oder Big Sister: So aufregend und abwechslungsreich die Kämpfe auch sind - spannend sind sie später nur auf dem höchsten Schwierigkeitslevel. Gut, dass man den jederzeit wechseln darf. Wie im Vorgänger lassen sich Vita-Kammern, in denen gefallene Helden umgehend wiederbelebt werden, zudem bei Bedarf abschalten.     

Gedrungene Fassaden

Nein, auch die Gegenwehr hat sich kaum verändert - meist sind es allzu bekannte Gesichter, die durch Rapture wüten. Tatsächlich legt BioShock 2 nie diesen Schleier ab, der wie eine sanfte Staubschicht auf seinen Kulissen schimmert. Versetzt man sich in die Köpfe der Entwickler, ist es natürlich verständlich, aber wieso sieht sich der neue Protagonist in einer für Rapture neuen Ära eigentlich mit derselben Welt, denselben Feinden und denselben Verbündeten konfrontiert wie sein Vorgänger Jack? Hätte man den Seitenwechsel nicht auch entsprechend inszenieren müssen? Stattdessen wirken die ersten drei, vier Stunden sowohl spielerisch als auch erzählerisch wie ein faules Plagiat, das sklavisch seinem Vorgänger folgt. Erst nach dem unglücklichen Einstieg zeigt der Nachfolger, dass er auch eigene Abdrücke hinterlassen wird.

Denn zunächst hat sich auch Rapture kaum verändert. Es ist noch immer überwältigend, wenn sich ganze Wohnhäuser unter gigantische Glaskuppeln drängen. Und es wirkt unheimlich ungemütlich, wenn sich der Ozean durch tausend Ritte einen Weg in prunkvolle Säle und kunstvoll verzierte Wohnzimmer sucht. Wie schon im ersten Teil ist die überbordende Extravaganz von Ryans Utopia längst zur warnenden Dystopie geworden: Schöner sah mahnende Science Fiction schon damals nie aus! Diesmal protzen die Architekten sogar mit noch mehr Details als im Vorgänger und führen den Spieler sogar für wenige Minuten vor die Tore ihrer Stadt. Das bezahlen sie aber mit vielen überraschend matschigen Oberflächen. Nicht zuletzt kann es passieren, dass Gewehre hochkant im Boden stecken, dass der sichtbare Teil des Helms nicht angezeigt wird, dass ein Soundeffekt partout nicht enden will oder dass sich tote Splicer in Luft auflösen, um kurz darauf wieder aufzutauchen. Das Gesamtbild ist grandios - technisch ist Rapture jedoch nur mit Mühe auf der Höhe der Zeit.

        Endlich stehe ich vor ihr: Grace Holloway. Ihre Stimme scheint müde von der endlosen Jagd. Jahrelang hat sie sich an den Big Daddys dafür gerächt, dass einer ihre Tochter entführte. Ich bin es, den sie dafür verantwortlich macht. Und jetzt steht sie vor mir. Sie hat mich ihren Hass spüren lassen, hat ihre Splicer auf mich gehetzt - und dann öffnet sich die Tür. Es könnte der Zeitpunkt meiner Rache sein...

Remember Mark Meltzer!

War es zunächst Rapture, das im Mittelpunkt stand, dreht sich jetzt alles um seine Bewohner. Und obwohl manche Figuren äußerlich starren Mannequins gleichen, obwohl einige zum Sprechen nur unrhythmisch den Mund auf und zu klappen und obwohl der filmische Aufwand mancher Szenen einen Schuss mehr Half-Life vertragen könnte: Es gelingt den Autoren, die gewaltigen Hallen mit Leben zu füllen. Es sind nicht nur die hervorragenden deutschen und englischen Sprecher; es sind besonders jene Augenblicke, die von Liebe, Hass oder Verzweiflung erzählen. Der allzu offensichtliche Moment, in dem der Protagonist auf Grace Holloway trifft, ist nur der Anfang - die nüchterne Vorstellung eines Konflikts, der den Spieler noch viel direkter ansprechen wird. Wer sich in diesen Szenen auf Rapture einlässt, wird ins Grübeln kommen.

Es sind aber nicht nur die Augenblicke der Entscheidung, es gibt auch Szenen, in denen man wie nebenbei Zeuge ganz alltäglicher Ereignisse wird - Beobachtungen wie die eines Paares, das auf zerstörtem Parkett Arm in Arm tanzt. Es ist kein Zufall, dass der Big Daddy erst kurz zuvor ein Plasmid erhielt, mit dem er Splicer gegeneinander aufhetzen kann... Leider vergessen die verliebten Tänzer zwar ihr Eigenleben, sobald sie den Big Daddy entdecken. Wer genau hinschaut, kann die Traurigkeit, die in den Mauern von Rapture lauert, aber manchmal beinahe fühlen - schade, dass den Entwicklern das entscheidende Quäntchen kreativen Muts fehlte, sie mit ihrer ganzen Stärke zu zeigen!        

Schutzlose Kunst

        Volltreffer! Elektroschock, Feuerball, Schrotflinte: Mit allen Mitteln rattern wir uns die Birne weg. Das knallt, das rockt, das ist Rapture pur! Jeder Kill zehn Punkte, jede Beteiligung fünf Punkte. Außerdem Erfahrungspunkte für das Hacken von Geschütztürmen, das Aufsammeln von Adam-Flaschen, das Erreichen von Missionszielen, mehrere Kills in einer Reihe und, und, und - alles für den Levelaufstieg. Dann gibt's neue Waffen, neue Plasmide, neue Tonika. Und dann der nächste Level, alleine oder im Team - Hauptsache die volle BioShock-Action!

Was wäre die Freiheitsstatue ohne Wasserrutsche? Was wären die Carmina Burana ohne hämmernden Bass Drum? Was wäre der Osterspaziergang ohne Fäkalsprache? Nun, sie wären Kunstwerke, die man als solche erkannt und geschützt hätte.

BioShock muss leider

Rasant, hektisch, überflüssig: In BioShock 2 gibt es erstmals Mehrspieler-Gefechte.
auf einen solchen Schutz verzichten. Natürlich kann man davon absehen, den vom Einzelspiel getrennten Mehrspielermodus zu starten. Aber er ist eben da. Und er ist weder besonders gut noch will er zu dem passen, was die Serie ausmacht.

Dabei geben sich Digital Extremes, die Entwickler der Mehrspieler-Komponente und langjährige Gefährten der Unreal Tournament-Macher, alle Mühe, den Geist der Unterwasser-Metropole einzufangen: Zwar kann man umgehend ein Spiel suchen oder starten - man darf sich aber auch in einem edlen Apartment mit einem Atem beraubenden Ausblick auf die "Skyline" Raptures umsehen, das dem Mehrspieler-Charakter als Zuhause dient. Neun Jahre vor den Ereignissen aus BioShock 2 spielen sich die Gefechte ab - initiiert, um in Entwicklung befindliche Plasmide und Tonika zu testen. Und so wählt man eine von sechs Figuren, die an dem Programm teilnehmen. Verschiedene Masken sowie Nahkampfwaffen stehen ebenfalls zur Wahl, dann wartet schon der erste Kampf. Liebevolles Zuhause hin oder her: Digital Extremes sucht die schnelle Action.

Die zehn Arenen, in denen die "Testreihen" - Gefechte nach bekannten Deathmatch-, Capture the Flag- oder King of the Hill-Regeln - stattfinden, sind dabei aus dem Vorgänger bekannte Gebiete, die so angepasst wurden, dass sich mindestens vier und höchstens zehn Versuchspersonen darin austoben können. Das vornehmliche Ziel jedes Teilnehmers

Die Mehrspieler-Varianten im Überblick

Überleben des Stärkeren: Jeder kämpft gegen jeden.

Bürgerkrieg: Zwei Teams treten gegeneinander an.

Erobere die Sister: Ein Team verteidigt die Little Sister, das andere muss sich fangen und zum Ziel tragen.

Revierkampf: Die beiden Teams müssen Gebiete erobern und halten.

Erober das Adam: Jeder gegen jeden - wer die Little Sister zuerst drei Minuten lang festhalten kann, gewinnt die Runde.

Team Adam-Jagd: Zwei Teams versuchen jeweils, die Little Sister fünf Minuten lang festzuhalten.

Der letzte Splicer: Es gibt keinen Respawn. Welches Team hat nach vier Runden die meisten Überlebenden? ist das gemeinsame Erledigen der Team-Aufgabe oder das Abschießen möglichst vieler Gegner. Hinzu kommen sekundäre Aufgaben wie das Hacken von Geschütztürmen, für die es zusätzliche Erfahrungspunkte gibt. Wichtig sind diese, weil auch BioShock 2 mit der Mode geht. Will heißen, man erhält durch Stufenaufstiege neue Waffen, Plasmide sowie Tonika. Während man zunächst nur mit Pistole und Feuerball kämpft, nutzt man also bald auch den Raketenwerfer oder macht sich unsichtbar.

Mini-Taktik

So steht auch in den Online-Gefechten das taktische Vorgehen auf der Tagesordnung, obwohl die Anzahl der verfügbaren Waffen und Plasmide zugunsten der Spielbarkeit auf zwei reduziert wird. Hinzu kommt das Hacken von Geschütztürme, wofür hier das Halten einer Taste ausreicht sowie bis zu drei passive Tonika, welche die Wirkung von Kopfschüssen verstärken oder die Erforschung von Leichen beschleunigen. Denn auch das hat sich Digital Extremes von 2K Marine abgeschaut und an die Bedingungen der schnellen Mehrspieler-Partien angepasst: Knipst man die Leichen getöteter Charaktere, erhält man einen Schadensbonus gegen den fotografierter Spieler.

Die Entwickler haben sich Gedanken gemacht, im Apartment abrufbare Tonbänder erzählen kleine Episoden und im Grunde ist es lobenswert, wie treffsicher die Mehrspieler-Gefechte den Geist der BioShock-Mechanik treffen. Findet man den Anzug eines Big Daddys, stampft man gar als schwer besiegbarer Gegnermagnet durch Rapture. Doch die schnelle Action, die hektische Mini-Taktik im Eifer des Gefechts, der überflüssige Einbau der Little Sisters - nichts davon will so recht zur Stimmung des Abenteuers passen. Selten war eine Floskel salziger als in dieser Wunde: Manchmal ist weniger einfach mehr.        

Fazit

Der Kropf namens Mehrspieler-Modus ist wahrscheinlich der anschaulichste Beleg dafür, was die Entscheidungsträger von BioShock 2 halten: "Hauptsache, mehr Kunden! Hauptsache, mehr Ego-Shooter!" Daher ist es kein Wunder, dass BioShock 2 recht ungeniert im Fahrwasser seines Ahnen schwimmt: So beeindruckend Rapture trotz technischer Schwächen aussieht, so vertraut wirken die neuen Straßen schon auf den ersten Blick und so bekannt fühlt sich jeder spielerische Schritt an. Beim taktischen Verhalten der aggressiven Splicer wirkt die Action sogar altmodisch. Der Vorteil war wohl berechenbar: Die spürbar erweiterte Charakterentwicklung lässt viele unterschiedliche Spielweisen zu - BioShock macht damit erneut vor, wie nahtlos Rollenspiel und Ego-Shooter ineinander greifen können. Doch was wurde aus der kreativen Vision, auf deren Fundament einst ein Kunstwerk stand? Es gibt sie noch. War Andrew Ryans wahr gewordenes Utopia allerdings einst der Hauptdarsteller, dient es jetzt nur als Kulisse eines mit herkömmlichen Mitteln inszenierten Schauspiels. Und immerhin: Das Bühnenstück gelingt den Autoren ganz hervorragend. Zwar fehlen den Dramaturgen die technischen Mittel, um ihr Werk glaubwürdig zum Leben zu erwecken. Wenn man sich darauf einlässt, was die Akteure tun und was sie sagen, erfährt man aber viele kleine Geschichten in einem reifen emotionalen Abenteuer.

        Ich musste meine Hoffnungen auf ein runderneuertes Spiel begraben, ich musste mittelprächtige Mehrspieler-Gefechte ertragen, ich musste einen trägen Einstieg verkraften. Aber als der Abspann über den Bildschirm flimmerte, fühlte ich mich endlich dort wohl, wo ich mich einst hin geträumt hatte: unter den Menschen von Rapture.

Pro

etliche Plasmide und Waffen, in drei Stufen aufwertbar
offene Charakterentwicklung erlaubt unterschiedliche Spielweisen
effektives...
emotional intensive moralische Entscheidungen
visuell beeindruckende Kulissen...
stimmungsvoll erzählte Geschichte mit glaubhaften Charakteren
einfallsreiche Übertragung der BioShock-Mechanik ins Onlinespiel...
interessante Geschichten abseits der Handlung
hervorragende englische und deutsche Sprachausgabe
ebenso unheimliche wie melancholische Musik
viele neue Erkenntnisse zu Big Daddys und Sisters
deutlich verbessertes Hacken und Forschen

Kontra

schwacher Einstieg
wenig echte Neuerungen
... aber oberflächliches Verhalten von Gegnern
in Filmszenen wirken Figuren steif und künstlich
 ... mit vielen matschigen Oberflächen
kleine akustische und visuelle Macken
... im Wesentlichen aber herkömmliche Mehrspieler-Gefechte

Wertung

360

BioShock 2 fühlt sich im Fahrwasser des Vorgängers zwar etwas zu bequem - kann aber mit beeindruckenden Kulissen und einer emotionalen Geschichte begeistern.

PC

BioShock 2 fühlt sich im Fahrwasser des Vorgängers zwar etwas zu bequem - kann aber mit beeindruckenden Kulissen und einer emotionalen Geschichte begeistern.

PlayStation3

BioShock 2 fühlt sich im Fahrwasser des Vorgängers zwar etwas zu bequem - kann aber mit beeindruckenden Kulissen und einer emotionalen Geschichte begeistern.

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