Im Test:
Spiel oder stirb!
Mein Name ist Neku, ich bin Teenager, ich bin Einzelgänger und will nichts mit meiner Umwelt zu tun haben - es sei denn, es geht um Graffiti oder coole Musik. Meine kleine Welt bestand bisher aus Farbe, Beats und Scratchen. Aber an diesem einen Tag öffnen sich plötzlich die Tore in eine Parallelwelt, in der irgendwelche Psychos ein morbides Spiel mit mir treiben. Mein Kopf droht zu platzen, Monster schleichen durch Shibuyas Gassen und eine Gruppe namens "Reaper" setzt mir per Handynachricht die Pistole auf die Brust:
Erfülle die Mission oder du wirst ausgelöscht!
Was soll der Scheiß? Bin ich ein Spielball in einer morbiden Schnitzeljagd, oder was? Ich hab keine Lust auf den Kram. Aber es geht um mein Leben. Und das Blöde ist: Ich kann scheinbar nur überleben, wenn ich mit anderen zusammen arbeite - auch das noch! Zwei Sachen kotzen mich richtig an: Da ist einmal diese seltsame Göre Shiki mit ihrem bescheuerten Stofftier Mr. Mew, die wie eine Klette um mich herum scharwenzelt und mir Tipps gibt. Ich traue ihr nicht, ich fetze mich mit ihr, aber ich bin auf sie angewiesen, steige sogar parallel mit ihr auf. Und dann sind da diese Reaper-Typen in ihren roten Kapuzenpullis, die mir Aufträge geben. Erst wenn ich die erfülle, fallen die unsichtbaren Mauern, die mich in den kleinen Bezirken gefangen halten.
Die Macht der Buttons
Ich habe keine Waffe, kann kein Karate - was soll ich bloß tun? In diesem Shibuya herrschen andere Gesetze, hier steckt die Macht in kleinen Ansteckern: Da ist einmal der schwarze Schädel. Wenn ich diesen Button per Fingertipper aktiviere, kann ich meine Umgebung scannen und die Gedanken der Passanten lesen: Da fühlt sich jemand beobachtet, ein anderer denkt an seinen Großvater oder sucht etwas Bestimmtes. Warum machen sich so viele Menschen Sorgen oder sind deprimiert? Irgendwann legt sich die Story, die in vielen Dialogen und wunderbar gezeichneten Zwischensequenzen erzählt wird, wie ein apokalyptischer Schleier um meine Verwirrung.
Irgendwann begreife ich als kleiner Lifestyle-Egoist mit Monsterkopfhörern, dass es hier gar nicht nur um mich geht: Da sind auch andere Jugendliche wie Shiki und ich unterwegs, um im Auftrag der Reaper zu kämpfen. Will da jemand etwa ganz Tokio auslöschen? Egal, worauf dieses Abenteuer hinaus läuft: Ich habe sieben Tage Zeit, um ihre Aufträge zu erfüllen. Jeden Tag werden sie kniffliger. Jeden Tag kommen neben Monstern auch mehr Rätsel hinzu, die mich manchmal wie einen Pfadfinder durch ganz Shibuya führen, um z.B. eine alte Statue zu finden. Vor dem Bahnhof befindet sich z.B. der "treue Hund" Hachik? - erst, wenn ich ihn mit dem Finger sauber reibe und alte Zeichen freilege, komme ich weiter. Ohne Shiki wäre ich allerdings nie darauf gekommen...
Gedanken scannen, Rätsel lösen
Mit diesem Scan kann ich nicht nur Gedanken lesen, sondern auch die umher schwirrenden Monster sehen - kleine Masken, die normale Leute scheinbar nicht wahrnehmen. Wird etwa ganz Tokio von diesen Viechern bedroht? Klicke ich eine dieser Masken an, kommt es zum Kampf. Klicke ich mehrere an, kommt es zu Kampfketten. Eine Arena baut sich auf beiden DS-Bildschirmen auf: Shiki oben, ich unten, wir teilen uns eine Lebenspunkteleiste - Teamwork ist also Pflicht.
Und jetzt kommen die Kampfbuttons zum Einsatz: Die Reaper haben mich mit drei kleinen Ansteckern versorgt, von denen es hunderte geben soll, die verschiedene Kräfte symbolisieren. Der rote lässt mich mit dem Finger Feuer in meine Feinde malen, der blaue verwandelt ihn in ein Schwert und der Telekinese-Anstecker lässt mich Mülltonnen, Fahrräder oder garAutos durch die Luft wirbeln - jeder Button verlangt eine andere Finger-Bewegung. Benutzt man
Gefangen in Shibuya
Das ist cool. Vor allem die Wurfgeschosse sorgen für jede Menge Schaden bei all diesen bizarren Kreaturen, die direkt aus dem shintoistischen Dämonenreich zu kommen scheinen - da gibt es Käfer, Wölfe, Spinnen, Drachen oder übergroße Bestien. Und sie alle repräsentieren die mysteriösen Wesen der "Noise", die in der Parallelwelt wabern. Das Figurendesign kann sich genau so sehen lassen wie die windschiefen Straßen mit ihrer Mischung aus grauem Beton, bunten Graffitis und bizarren Shops. Die Entwickler haben neben der erwähnten Hundestatue viele andere architektonisch authentische Elemente eingebaut, die man genau so in Shibuya findet - ich hätte nicht gedacht, dass man mit diesem Comic-Stil eine so stylische Großstadtkulisse aufbauen kann.
Für diese grafischen Feinheiten hat man zu Beginn kaum Zeit, denn man wird von einem einprägsamen Soundtrack, der je nach Viertel und Situation Hiphop, Dance oder Japan-Rock anbietet, in spannende Duelle getrieben. Irgendwann werden diese markanten Beats zu einem Ohrwurm, der selbst nach Tagen noch den DJ im Unterbewusstsein spielt. Am Anfang ist der Kampf noch sehr hektisch: Man muss die Attacken korrekt mit vertikalen oder horizontalen Hieben, mit schnellem Tippen oder Linien ausführen und bewegt sich dabei, indem man den Finger auf dem Touchscreen in die entsprechende Richtung zieht - da kann man sich schon mal vertun.
Allerdings wird unter iOS nicht wie noch auf dem DS parallel oben und unten, sondern auf einem Bildschirm gekämpft, was die Sache etwas leichter macht. Man muss seinen Partner zwar nicht bewegen, aber man kann dessen Attacken auslösen, indem man ein Monster antippt. Und obwohl man sich die Kombos nicht mehr über beide Flächen wie auf dem DS zuspielen kann, entsteht auch hier über den geschickten Wechsel der Attacken sowie Spezialmanöver ein rasanter Kampffluss.
Rasantes Kampftheater
Wie kann ich mich schützen? Die Rüstung der Neuzeit ist die aktuelle Mode: Es gibt Hüte, Shirts, Schuhe und Jacken, die meine Statistiken erhöhen oder mir besondere Boni verleihen. Das Besondere ist, dass der regionale Trend die Effektivität der Kleidung bestimmt: Es geht also darum, im richtigen Stadtviertel die richtige Marke zu tragen - erst dann entfaltet ein T-Shirt seine ganze Kraft. Was gerade hip ist, kann man sich vor dem Betreten anzeigen lassen und so gezielt shoppen. Und wenn man rebellisch gegen den Strom schwimmen will? Ist auch möglich: Wer mit unbeliebten Marken kämpft und gewinnt, kann in diesem Viertel die Popularität der Marke steigern. Macht man das öfter, bestimmt man selbst den Trend!
T-Shirt statt Kettenpanzer
Wie in einem Rollenspiel gibt es zig Werte, die ich steigern kann - von Lebenspunkten über Angriffs- und Verteidigungskraft bis hin zum Mut oder der Synchronität mit meinem Partner. Besonders exotische Shirts oder Hüte kann ich z.B. erst dann tragen, wenn ich genug Mut gesammelt habe. Eingekauft wird in diversen Shops, die je nach Besuchs- und Kauffrequenz Rabatte oder Zusatzinformationen geben. Jedes Item hat eine verborgene Fähigkeit, die sich positiv oder negativ auswirken kann, und ihr könnt sie über Wi-Fi mit Freunden tauschen.
Aus taktischer Sicht heißt das: Man schaut sich zuerst die möglichen positiven Auswirkungen an, bevor man zubeißt, um z.B. gezielt den Mut zu erhöhen, den man wiederum für diesen Hut braucht - die meisten Kleidungsstücke haben Mindestwerte, die zum Tragen erreicht werden müssen. Und so kommt man unwiderruflich in diesen magischen Rhythmus aus Kampf, Rätseln, Dialogen, Sammeln und Ausrüsterei. Man entdeckt in den Menüs all die Slots, Unterbereiche und Statistiken, die man noch gar nicht wahrgenommen hatte. Man bindet sich an seine Charaktere und baut sie auf. Man taucht immer tiefer in dieses urbane Rollenspielwelt mit all ihren bizarren Geheimnissen. Man findet immer mehr Antworten auf all die Fragen rund um die Reaper. Und man verwandelt sich irgendwann vom Egoisten zum Weltenretter.
Fazit
Square Enix hat dieses Rollenspiel-Highlight sehr gut für iPhone und iPad umgesetzt. Es ist zwar schade, dass die Kulisse für das Retina-Display nicht noch weiter verfeinert wurde, aber die bunte 2D-Welt kann sich sehen lassen. Noch wichtiger ist, dass man das Kampfsystem optimal für Fingertipper angepasst hat - im Gegensatz zum DS finden die Gefechte hier auf einem Bildschirm statt, trotzdem gibt es einen rasanten Komboflow. Das macht das Spiel vielleicht etwas leichter, aber ansonsten entfaltet sich dieselbe Faszination wie 2008: Was zur Hölle hat es mit diesen Monstern in der Parallelwelt auf sich? Warum werde ich zum Spielball in einer morbiden Schnitzeljagd? All das spielt sich nicht in verwunschenen Wäldern oder auf fernen Planeten, sondern im modernen Tokio ab, mitten in Shibuya: Die Stadt ist das Dungeon, die Mode ist die Rüstung, magische Anstecker sind Waffen und jeder will verdammt cool aussehen. Abgerundet wird das Abenteuer von Rätseln sowie einem sehr komplexen Charakter- und Item-Management. Für den erhöhten Preis bekommt man eine enorme Spieltiefe, die vielen normalen Titeln im AppStore abgeht. Dieser bizarre Trip bereicherte das Genre vor vier Jahren um überdrehte, fiktionale Gegenwartskultur. Und auch unter iOS bekommt man ein ausgezeichnetes Rollenspiel!
Pro
Kontra
Wertung
iPad
Auch wenn es grafisch nicht für iPad optimiert wurde: Ein ausgezeichnetes Rollenspiel mit enormer Spieltiefe!
iPhone
Eines der besten Rollenspiele des DS entert das iPhone - mit vollem Erfolg!
Du musst mit einem 4Players-Account angemeldet sein, um an der Diskussion teilzunehmen.