Fight Night Round 401.07.2009, Michael Krosta
Fight Night Round 4

Im Test:

Über drei Jahre ist es schon her, seit wir auf der Xbox 360 mit Fight Night Round 3 in den Boxring der nächsten Generation gestiegen sind. Jetzt eröffnet EA endlich die vierte Runde: Faszinieren die Kämpfe immer noch mit großartiger Dynamik, schweißtreibender Spannung und Knockout-Dramatik oder schlägt sich das neue Entwickler-Team selbst KO?

Sieg oder Niederlage

Gleich hab ich ihn! Ich stehe mit Lennox Lewis in der MGM Grand-Arena in der zehnten Runde Jörgs angeschlagenem Muhammad Ali gegenüber, der von einem bösen Cut unter seinem linken Auge schwer gezeichnet ist. Auch bei der Gesundheit und Ausdauer kann ich leichte Vorteile auf meiner Seite verbuchen. Wenn ich Glück habe und die Wunde weiter mit harten Hacken traktiere, bricht der Ringrichter den Kampf vielleicht ab. Wie dem auch sei: Entweder muss ich auf dessen Eingreifen hoffen oder Jörg endgültig auf die Bretter schicken, denn nach Punkten müsste Ali dank seiner schnellen Jabs vorne liegen. Also lautet Angriff die Devise! Ich presche nach vorne und dresche wie ein Wahnsinniger auf ihn ein - immer darauf

Video: Fight Night Round 4 (ab 5,48€ bei kaufen) ist momentan das beste Boxspiel dieser Generation.bedacht, im Idealfall den Cut zu treffen. Aber das weiß auch Jörg - und so blockt er meinen Angriff mit einem perfekten Timing ab und bringt mich anschließend mit einem gezielten Kinnhaken-Konterschlag ins Wanken. Ich bin genau so schockiert wie benommen und trete so gut ich kann den Rückzug an. Aber Jörg hat eine Chance gewittert. Er legt nach! Ein Haken in die Rippen und damit auf die Ausdauer-Anzeige. Lennox ohne Luft. Dann noch eine kräftige Watsche rechts und links. Ich gehe zu Boden - autsch! Der Bildschirm verschwimmt und ich muss versuchen, in einem Reaktionsspielchen wieder auf die Beine zu kommen. Zunächst gilt es, den Cursor mit Recht-Links-Bewegungen des rechten Analogsticks in die Mitte zu bekommen und anschließend mit dem linken Stick aufzustehen. Was beim ersten Mal noch relativ gut funktioniert, ist nach dem zweiten Niederschlag schon kaum noch möglich. Im Vorgänger war es sehr viel einfacher, sich wieder berappeln als hier und gerade in manchen Kämpfen gegen die KI fragt man sich, wie diese es schafft, teilweise auch nach dem fünften Knockout wieder aufzustehen. Doch jetzt geht es gegen Jörg und seinen angeschlagenen Ali, den ICH eigentlich umhauen wollte. Ich winde mich, während der Ringrichter unbarmherzig weiter zählt. Neun...zehn...das war's! Jörg aka Muhammad Ali hat gewonnen und auch die anschließende Statistik, die sich sogar auf einzelne Runden aufschlüsseln lässt, zeigt, dass dieser Sieg nicht unverdient war. Wir reichen uns also die verschwitzen Hände und wissen: Das war nicht der letzte Kampf mit Fight Night Round 4 und beim nächsten Mal werden die Karten wieder neu gemischt - sei es in Las Vegas, im Staples Center, im Argon Ballroom, in Mexico City oder einem der anderen atmosphärischen Schauplätze wie dem Royal Theatre in London, an denen wir unsere ganz persönliche Box-Geschichte schreiben.

Volle Kontrolle - oder doch nicht?

Ja, im Mehrspielermodus - sei es lokal an einer Konsole oder überwiegend lagfrei und mit leicht gedrosseltem Tempo über die Internet-Leitung - ist dieses Fight Night ein echtes Spielspaß-Schwergewicht voller Taktik, Dynamik und auch enorm spannenden Kämpfen. Dabei ist die New Punch Control über die Analogsticks allerdings Fluch und Segen zugleich: Einerseits ist die Steuerung sehr intuitiv und reagiert sehr schnell auf die Eingaben, sobald man sich in dem gut gemachten Tutorial damit vertraut gemacht hat, wie Jabs, Geraden, Haymaker und Haken zu Kopf und Köper ausgeführt werden und wie Deckung sowie Konterschläge funktionieren. Gerade Letztere sind oft der Schlüssel zum Sieg und eine Gelegenheit, die man immer nutzen sollte. Doch auch die Knöpfe sind mit Funktionen belegt und ermöglichen z.B. das Ausführen eines individuellen Signature Moves mit Antäuschen, das rettende Klammern sowie unfaire Aktionen wie Kopfnuss-Attacken. Leider sind die Reaktionen auf Letztere etwas zu lasch - sowohl vom Publikum als auch vom Ringrichter, der den Übeltäter erst nach mehrmaligen "Tiefschlägen" ermahnt und ihm Punkte abzieht. Auf einer der Schultertasten findet sich

Die aufwändig modellierten Boxer sehen fantastisch aus - selbst die Muskelanspannung lässt sich deutlich erkennen.
zudem auch der Haymaker-Modifikator, mit dessen Hilfe man zu den kräftigen, aber langsamen Schlägen ausholen kann. Neu ist die Möglichkeit, seinen Kontrahenten auch von sich wegzuschubsen, was gerade in den Infights angebracht ist, die aufgrund des neuen Physiksystems sehr viel intensiver ablaufen als zuvor. Fehler bei der Kollisionsabfrage, bei denen z.B. Arme im Körper des Gegners verschwinden, findet man hier übrigens nicht. Eine wichtigere Rolle spielt auch die Größe und Reichweite: Während es im Vorgänger nur auf dem Papier Unterschiede zwischen den Boxern gab, wirkt sich die Schlagdistanz hier sehr viel deutlicher aus und es liegen Welten zwischen einem Lennox Lewis mit seiner wahnwitzigen Reichweite von 213cm und einem Mike Tyson mit gerade mal 180cm. Während man mit Lewis also am besten seinen Gegner auf Distanz bearbeiten sollte, ist man mit Tyson praktisch gezwungen, in den Infight zu gehen. Dabei ist es schön zu sehen, wie sehr sich die Ausdauer-Anzeige auf die Schläge auswirkt, denn wenn man keine Puste mehr hat, fehlt den Angriffen einfach der nötige Wumms und die Geschwindigkeit. Gleichzeitig ist man anfälliger für Lucky Punches, bei denen unter diesen Umständen bereits ein guter Treffer für einen Knockout reicht. Hier fällt allerdings auf, dass die Physikengine nicht ganz so nachvollziehbar arbeitet wie etwa bei UFC, wo es auch eine Rolle spielt, ob sich der Gegner während eines Schlages gerade in diesen hinein bewegt. Bei Fight Night haben die desaströsen Schläge noch zu oft den Beigeschmack, Glückstreffer zu sein. Auch die Beinarbeit kommt hier etwas zu kurz und gibt nur wenige Variationsmöglichkeiten. So schön die New Punch Control über den Analogstick auch funktioniert, ist sie dennoch anfällig für Fehler: Da man die Bewegungen sehr präzise ausführen muss, werden oft andere oder sogar mehr Schläge ausgeführt als man eigentlich will. Auch beim Blocken gegen Kopfschläge, für das man eine Schultertaste gedrückt halten und den Analogstick gleichzeitig nach oben bewegen muss, wird bei gleichzeitigem Drücken oft noch geschlagen anstatt geblockt, was im schlimmsten Fall fatale Folgen nach sich ziehen kann. Trotzdem fühlt sich das Boxen mit dem Analogstick insgesamt sehr viel besser an und erlaubt schnellere, schönere Kombinationen als ein stupides Rumhämmern auf Knöpfen.       

Punkte gegen Gesundheit

Zudem wird ein intelligentes Boxen durch ein neues Punktesystem gefördert, mit dem man zwischen den Runden seinen Boxer wieder auf Vordermann bringen und sich entweder manuell um die Bereiche Gesundheit, Ausdauer und Schaden kümmern, oder die Verarztungen automatisch regeln lassen kann. Nicht nur für jede überstandene Runde winken Punkte, sondern auch

Der hat gesessen! Auch dank des gelungenen Kontersystems wirken die Kämpfe herrlich dynamisch.
für den prozentualen Anteil der Schläge, die im Ziel und nicht etwa auf der Deckung gelandet sind. Wer seinen Gegner in einer Runde benommen schlägt oder sogar auf die Bretter schickt, darf sich über zusätzliche Punkte freuen, die in der Pause sinnvoll investiert werden sollten. Vor allem, wenn sich der Schaden - sprich: Verletzungen - schon am äußersten Limit bewegen, sollte man alles daran setzen, aktiv zu werden, bevor der Ringrichter den Kampf abbricht. Zwar weicht mit diesem System das amüsante Minispiel des Vorgängers, doch hat man hier mehr taktische Möglichkeiten, wie man seinen Boxer am besten versorgen will.

Box-Manager?

Im Gegensatz zu den Kämpfen mit hervorragend modellierten Boxern, bei denen man sogar die Muskelanspannung beim Schlagen erkennen kann, präsentiert sich der Karrieremodus äußerst trocken und erinnert mit seinen vielen Tabellen und Statistiken mehr an EAs Fußballmanager. Tatsächlich schlüpft man hier nicht nur in die Rolle des Trainers und macht das Muskelpaket in insgesamt sechs Minispielen vom Boxen gegen den Sandsack über Ausweich-Reaktionstest bis hin zu Sparring-Kämpfen zunehmend fitter, sondern bucht Kämpfe, zieht Vergleiche zu potenziellen Gegnern und behält auf dem Weg zum Titel die Rangliste sowie Aufstiegsziele im Blick. Zunächst fängt man jedoch im zarten Alter von 19 Jahren ganz klein an und erkämpft sich im ersten Turnier zunächst den Sprung in die Welt des professionellen Boxens. Auch hier fängt man als Underdog ganz unten an und es ist ein weiter Weg, sich den Titel "Greates of All Time" zu sichern, denn erst wenn man bestimmte Ziele erfüllt, steigt man auf. Dazu zählt nicht nur die Anzahl der Kämpfe, sondern auch die Beliebtheit beim Publikum sowie der Gewinn spezieller Events wie einer ESPN Fight Night oder Pay per View-Events.

Schon die Einmärsche sorgen für eine stimmige Box-Atmosphäre, die im Ring aber noch deutlich getoppt wird.
Dabei plant man anhand eines Kalenders seine nächsten Schritte und steigt entweder selbst in den Ring oder lässt die Kämpfe - wahlweise auch mit einem Live-Ticker - simulieren. Zwischendurch gibt es immer wieder Textnachrichten vom Trainer oder Manager, der einen über einen möglichen Rivalen oder den aktuellen Status auf dem Laufenden hält. Besonders viel Spaß macht es nicht, sich durch Tabellen und Nachrichten zu wühlen. Auch die Trainings-Minispiele verlieren schnell an Reiz und sind teilweise etwas undurchsichtig geraten. Was neben der bescheidenen Präsentation fehlt, ist die persönliche Ansprache, das Motivationstraining oder auch der Trash-Talk beim Wiegen. Warum nicht ein kleines Minispiel, wer zuerst blinzelt, wenn sich die beiden Kontrahenten gegenüberstehen und in die Augen schauen? So bleibt nur die Vorfreude darauf, bald wieder im Boxring zu stehen, in dem man die dröge Aufmachung des Karrieremodus zumindest für maximal zwölf Runden vergessen kann. Schön ist, dass die KI vor allem ab der Top 20 schon in der Profi-Stufe eine schöne Herausforderung darstellt - wer es gerne noch schwieriger oder gar einfacher haben möchte, ändert den Schwierigkeitsgrad einfach in den zahlreichen Optionen, in denen sich auch Spielgeschwindigkeit, Knockout-Anfälligkeit usw. nach eigenen Wünschen regeln lässt.   

Mein Boxer, meine Shorts, meine Handschuhe

Sehr viel aufregender ist da schon der Editor, mit dem man seinen eigenen Kämpfer und sogar sich selbst mit Hilfe von zig Schiebereglern, Frisuren und Ausrüstungen ins Spiel integrieren kann - die EyeToy- bzw. Live Vision-Kamera macht es möglich! Fehlt dieses Equipment zu Hause, kann man auch alternativ Fotos über das Internet hochladen und sich mit diesen einen eigenen Boxer kreieren, der nicht nur auf der heimischen Konsole zum Einsatz kommt, sondern neben Highlight-Videos ebenfalls zum Download und der Bewertung durch andere User freigegeben werden kann. Kein Wunder, dass die Galerie an herunterladbaren Boxern schon jetzt riesig ist und neben Pseudo-Boxern wie Borat, Barack Obama oder Nicholas Cage

Ein gezielter Kinnhaken kann besonders als Konterschlag zu einem vorzeitigen KO führen.
auch Stars wie die Klitschko-Brüder oder Evander Holyfield bietet, die leider nicht von EA ins Spiel integriert wurden. Um nicht den Überblick zu verlieren, kann man die Auswahl wunderbar sortieren und lässt sich z.B. nur die am besten bewerteten Downloads anzeigen, die bereits eine gewisse Qualität vermuten lassen. Doch auch Nachschub von EA ist bereits so sicher wie das Amen in der Kirche, denn im Hauptmenü findet man bereit eine Anbindung zum Fight Night Store, der sicherlich schon bald mit (kostenpflichtigen) Inhalten gefüllt werden wird. Ein cleverer Schachzug ist außerdem, dass EA im Editor bereits eine breite Palette an vorgefertigten Nachnamen zur Verfügung stellt, zu denen u.a. auch Klitschko und The Real Deal zählen. So ist es für das englische Kommentatoren-Duo kein Problem, die selbst modellierten Boxer beim Namen zu nennen, sofern dieser im Editor eingetragen wurde. Leider ist dies einer der wenigen Pro-Punkte der beiden Quasselstrippen, die leider viel zu schnell mit ihren immer gleichen Sprüchen langweilen. Auch das Publikum hat mit einigen Aussetzern zu kämpfen und feuert z.B. lauthals Ali an, obwohl dieser gar nicht im Ring steht. Insgesamt sorgen die Zuschauer aber für eine gute Kampfatmosphäre, obwohl audiotechnisch die Schlaggeräusche der Handschuhe sowie Anweisungen des Trainers in den Vordergrund gerückt werden. In den Menüs herrscht dagegen Rap-Musik vor, was bekanntlich Geschmackssache ist. Ich für meinen Teil hätte mir etwas mehr Abwechslung bei der Auswahl der EA-Trax gewünscht. Sehr viel wertvoller ist da schon das optional zuschaltbare ESPN-Webradio, das regelmäßig über Neuigkeiten aus der Welt des Sports informiert.

    

Fazit

Wenn Redakteure nass geschwitzt und müffelnd aus dem Spielezimmer kriechen und man schon vorher schmerzvolle Schreie und freudigen Jubel durch die Wände hindurch gehört hat, muss schon etwas ganz Besonderes für diese emotionalen Ausbrüche verantwortlich sein. Ja, Fight Night Round 4 ist etwas ganz Besonderes: Mit seinem dynamischen Kampf- und Kontersystem, den lebensecht modellierten und hervorragend animierten Akteuren sowie der packenden Atmosphäre holt man sich die ganz großen Boxarenen und die Faszination dieses Sports ins heimische Wohnzimmer! Da können auch kleine Macken in der Steuerung und Physik sowie der extrem öde präsentierte Karrieremodus nicht verhindern, dass EAs vierte Runde die bisher beste Boxsimulation bietet, die man momentan finden kann. Vor allem der Schlagabtausch mit einem Gegner aus Fleisch und Blut ist an Spannung und Dramatik kaum zu überbieten, wenn sich beide Kämpfer kaum noch auf den Beinen halten können und den risikoreichen Weg zum finalen Knockout oder dem Lucky Punch suchen. Vor allem die starken Infights und das bessere, weil fordernde Kontersystem sowie die Einbeziehung der individuellen Größe und Reichweite stellen für mich einen gewaltigen Fortschritt gegenüber dem schon starken Vorgänger dar. Nicht zu vergessen der hervorragende Editor mit Kamera-Unterstützung und der insgesamt gut funktionierende Online-Modus, der sogar das Auskämpfen einer Weltmeisterschaft ermöglicht. Um es auf den Punkt zu bringen: Fight Night Round 4 ist momentan der King im Ring!

Zum Video-Fazit

Pro

detaillierte Boxer-Modelle
intuitive New Punch Control
abwechslungsreiche (Original-)Schauplätze
starker Editor
hervorragende Animationen
individuelle Reichweite der Boxer
tolle Community-Features (Boxer tauschen etc.)
acht Gewichtsklassen & lizenzierte Boxer
Online-Modus inkl. Weltmeisterschaft
Lucky Punches möglich
gelungenes Kontersystem
dynamischer Spielablauf
fordernde KI-Gegner
gutes Punktesystem (zur Verwendung in Pausen)
umfangreiche Karriere mit „Levelzielen“
Verletzungen deutlich sichtbar
spürbare Weiterentwicklung durch Training
gutes Tutorial
riesiger Mehrspieler-Spaß (lokal & online)
verbesserte Nahkampf-Mechanik

Kontra

Kommentare wiederholen sich sehr schnell
Präzision bei Steuerung nicht immer gewährleistet
trocken präsentierter Karrieremodus
kaum Reaktionen auf unfaire Schläge
wenig Abwechslung bei Trainings-Minispielen
Physik teilweise noch etwas zu oberflächlich

Wertung

360

Dynamisch, intuitiv und grandios präsentiert: Fight Night Round 4 ist der neue Champion im virtuellen Boxring!

PlayStation3

Dynamisch, intuitiv und grandios präsentiert: Fight Night Round 4 ist der neue Champion im virtuellen Boxring!

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