Dragon Quest: Die Chronik der Erkorenen24.09.2008, Jens Bischoff
Dragon Quest: Die Chronik der Erkorenen

Im Test:

Klassische Dragon Quest- alias Dragon Warrior-Episoden haben sich trotz millionenfacher Verkaufszahlen bisher nur in Japan und Amerika blicken lassen. Mit der so genannten Zenithia-Trilogie (Remakes von Dragon Quest IV - VI) kommen auch Europäer in den Genuss dieser Rollenspiel-Meilensteine - nicht nur mit zeitgemäßer Aufmachung, sondern erstmals auch auf Deutsch. Den Anfang macht das Remake zum vierten Teil, die Chronik der Erkorenen. Spätes Glück oder ist das Verfallsdatum bereits überschritten?

Mehr als nur ein Remake

Dragon Quest IV hat mittlerweile stolze 18 Jahre auf dem Buckel. Die Chronik der Erkorenen basiert jedoch eher auf dem acht Jahre alten und nur in Japan erschienenen PSone-Remake, das bereits einige interessante Änderungen und Erweiterungen erfuhr und auch schon 3D-Schauplätze bot.

Die malerischen 3D-Kulissen und detaillierten 2D-Figuren harmonieren wunderbar miteinander.Dennoch handelt es sich bei der DS-Adaption nicht einfach um einen simplen Port mit erstmals deutschen Texten. Die audiovisuelle Präsentation wurde nochmals deutlich aufgebohrt, sinnvolle Veränderungen vorgenommen und sogar ein Mehrspielermodus integriert. Auch wenn Letzterer lediglich einen drahtlosen Siedleraustausch ermöglicht, um die bereits aus der PSone-Vorlage bekannte Pionierstadt schneller wachsen zu lassen. Insgesamt stellt die DS-Version aber definitiv die momentan ansehnlichste und umfangreichste Dragon Quest IV-Erfahrung dar.

Am Hauptinhalt hat sich allerdings bis heute nichts geändert: Nach wie vor begleitet ihr in den vier ersten Kapiteln des Spiels völlig unterschiedliche Charaktere auf ihren ganz persönlichen Abenteuern, bevor im fünften Kapitel alle Storyfäden und Figuren zusammenfinden, um das große Finale zu bestreiten. Dieser originelle Spielaufbau macht auch heute noch eine gute Figur und beschert euch teils sehr verschiedene Spielphasen. So beginnen die jeweiligen Kapitel nicht nur in unterschiedlichen Gegenden der anfangs riesig wirkenden Spielwelt, auch die individuellen Aufgaben sorgen teils für angenehme Abwechslung. Waffennarr Torneko beginnt sein Abenteuer z. B. als Angestellter in einem Waffenladen, bevor er es sich leisten kann auszuziehen und seinen Traum von einem eigenen Laden in einer anderen Stadt zu verwirklichen.

Der Zahn der Zeit

Die nacheinander zu absolvierenden Einzelabenteuer haben aber auch eine entscheidende Kehrseite, denn mit jedem neuen Protagonisten beginnt ihr wieder ganz von vorn, mit Level eins und ohne nennenswerte Portokasse und Ausrüstung - auch im fünften Kapitel. Das führt dazu, dass ihr die ersten zwanzig Spielstunden fast nur mit Aufleveln und Geld verdienen verbringt - und das immer und immer wieder. 

Die Kämpfe wirken leider hoffnungslos antiquiert und machen einen viel zu großen Spielanteil aus...Inhaltlich warten die ersten vier Episoden nämlich maximal mit je einer halben Stunde Spielzeit auf, in der ihr mit wichtigen NPCs plaudert, Schlüsselobjekte besorgt und den einen oder anderen Story-Boss platt macht. Da das aber nur mit entsprechendem Level und geeigneter Ausrüstung möglich ist, verbringt ihr nebenbei das Vielfache an Zeit nur damit, immer wieder dieselben Orte zu besuchen und Gegner zu besiegen, um Geld und Erfahrung zu scheffeln. Vor 15 Jahren mag das noch in Ordnung gewesen sein, heutzutage empfindet man dies angesichts des völlig antiquierten Kampfsystems aber als extrem lästig und eintönig.

Hinzu kommt, dass die eigentlich auch heute noch charmante, wenn auch hoffnungslos abgedroschene Story um einen auserwählten Helden und skrupellosen Welterneuerer trotz vorbildlicher Eindeutschung inklusive Reime und fremdsprachlicher Akzente so unglaublich belanglos erzählt und präsentiert wird, dass einen die Ereignisse völlig kalt lassen. Selbst die tragischen Szenen werden in einem lapidaren Satz kurz und schmerzlos abgehakt, die Charaktere bleiben die meiste Zeit stumm und austauschbar, selbst wichtige Bossgegner wirken eher wie drittklassige Komödianten als wie echte Bedrohungen. Das ist verdammt schade, da die Story eigentlich jede Menge Drama und Schicksalsschläge zu bieten hätte, diese aber einfach viel zu knapp und belanglos abgefrühstückt werden und stattdessen dröges Level-Grinding in mickrigen 08/15-Dungeons im Mittelpunkt steht.

Dass die rundenbasierten Auseinandersetzungen auf altmodischen Zufallsbegegnungen basieren, ist dabei noch das geringste Übel. Auch dass ihr die Lebensenergie eurer Widersacher nicht abschätzen könnt und manche Party-Mitglieder anfangs völlig eigenständig agieren, ist zu verkraftet. Dass ihr jedoch bestimmte Gegner nicht gezielt angreifen, sondern nur Gruppen als Ziel markieren könnt und dann darauf hoffen müsst, dass sich eure Helden halbwegs effektiv abstimmen und starke Angriffe nicht auf ohnehin schon halbtote Gegner verschwenden, ist jedoch ein Unding, das heute einfach nicht mehr geht. Auch das primitive und nur mäßig funktionierende Formationssystem ist für heutige Verhältnisse ein Witz. Und was bitte ist der Sinn einer Verteidigungshaltung zur Schadensreduktion, wenn diese oft erst am Ende einer Runde, nachdem bereits sämtliche Widersacher auf einen eingeschlagen haben, eingenommen wird? All die kleinen, feinen Anpassungen wie z. B. das Taktikmenü im fünften Kapitel in Ehren, aber hier hätte man einfach grundlegende Änderungen vornehmen müssen, um Rollenspieler auch 2008 noch bei Laune zu halten.        

Unnötig umständlich

Ähnliches gilt auch für das Speichersystem. Dass man in Dungeons nicht speichern kann, ist angesichts der durchwegs mickrigen Gemäuer kein Drama. Auch wenn man sich zumindest vor einem eventuell aussichtslosen Bosskampf durchaus einen Speicherpunkt wünschen würde. Dass man aber nach einem Sichern des Spielstands auf der Weltkarte gezwungen wird, das Spiel erst zu beenden und den DS auszuschalten, dann wieder einzuschalten und zu laden, bevor man weiterspielen kann, ist völlig daneben.

Gelegentlich könnt ihr auch Monster oder Söldner in eure maximal vierköpfige Truppe aufnehmen.Wer darauf keine Lust hat, muss serientypisch in der nächsten Stadt die örtliche Kirche aufsuchen und dort speichern, was angesichts der breiten Verfügbarkeit keinen Beinbruch, aber doch ein völlig unnötiges Hemmnis darstellt. Auch wer einen gefallenen Verbündeten wiederbeleben will oder einfach nur sehen will, wie weit man vom nächsten Levelaufstieg entfernt ist, muss extra eines der Gotteshäuser aufsuchen, wo ihr euch nebenbei auch noch von lästigen Zustandsveränderungen rein waschen könnt.

Die Menüführung hätte ebenfalls wesentlich besser gelöst werden können. Viele zentrale Punkte sind völlig unnötig, da man sie auch mit einem einfachen Tastendruck direkt im Spiel auslösen kann, während andere wichtige Optionen in Untermenüs versteckt wurden. Auch das komplette Ignorieren des Touchsrceens fällt eher negativ auf, da manche Funktionen dadurch wesentlich flotter und komfortabler zu bewältigen gewesen wären. Dafür weiß die Verwendung des Dualscreens zu gefallen. In Dungeons und Städten wird die Spielwelt auf beiden Bildschirmen dargestellt und lässt sich meistens sogar frei rotieren, was nicht nur ungemein praktisch und übersichtlich ist, sondern von seltenen, aber teils herben Slowdowns abgesehen auch noch richtig gut aussieht. Auf der Oberwelt und in Städten dient der zweite Bildschirm hingegen als hilfreiche Gesamtkarte, die sich auf Knopfdruck sogar vergrößern lässt. Bei Kämpfen wird der zweite Bildschirm als Status- und Aktionsübersicht genutzt und auch beim Aufrufen von Menüs werden die Inhalte meist übersichtlich gesplittet - eine angenehm durchdachte Sache.

Liebevolle Aufmachung

Der größte Trumpf der DS-Umsetzung ist aber wohl die charmante Präsentation. Sowohl die 3D-Kulissen als auch die 2D-Figuren wirken sehr detailliert und ansehnlich. Auch die Animationen und Effekte können sich sehen lassen.

Die Dungeons sind meist winzig und sehr simpel gestrickt - Rätsel wie diese Rollbänder sind selten.Dagegen hat nicht nur das altehrwürdige NES-Original, sondern auch das PSone-Remake klar das Nachsehen. Akustisch wurde der Titel ebenfalls deutlich aufgebohrt. Vor allem der orchestrale Soundtrack verhilft den vertrauten Melodien zu völlig neuem Glanz. Schade nur, dass dieser durch die zahlreichen Zufallskämpfe immer wieder unterbrochen und nach Kampfende zurückgespult wird, so dass ihr quasi immer nur die Anfangstakte der jeweiligen Stücke zu hören bekommt und das immer und immer wieder, wodurch natürlich eine gewisse Abnutzung entsteht. Wer die ganze Pracht genießen will, muss sich leider die Zeit nehmen und regungslos verharren - das hätte man sicher besser lösen können...

Dafür wurde der dynamische Tageszeitenwechsel hübsch und fließend inszeniert. Dieser ist aber nicht nur ein optisches Gimmick, sondern wirkt sich auch auf die Spielwelt aus. So schleichen nachts gefährlichere Monster durch die Gegend, Läden schließen, NPCs gehen schlafen oder in die Kneipe und manche Ereignisse oder Figuren können nur zu einer bestimmten Tageszeit abgepasst werden. Zudem bewegt ihr euch nicht als abstraktes Figurensymbol über die Oberwelt, sondern bereist diese mit allen derzeit aktiven Partymitgliedern im Schlepptau des aktuellen Führers - gestorbene Helden werden sogar als Särge hinterher geschleift. Später verfügt ihr auch über eine Kutsche, in der sich der Rest euer Truppe tummelt, der jederzeit eingewechselt werden kann und auch passiv Erfahrungspunkte sammelt, so lange ihr keine Dungeons besucht, vor der eure Kutsche halt machen muss und ihr euch für vier fixe Erkundungslustige entscheiden müsst.

Später könnt ihr die Spielwelt dann auch per Schiff oder Fesselballon erkunden, mit pionierfreudigen NPCs oder lokalem Datentausch eine eigene Stadt aufbauen oder diversen Nebenbeschäftigungen nachgehen. So könnt ihr z. B. über die gesamte Spielwelt verstreute Medaillen sammeln, um diese gegen seltene Ausrüstungsgegenstände einzutauschen oder euer Glück im Kasino auf die Probe stellen, wo neben einarmigen Banditen auch Pokerpartien oder Monsterkampfwetten auf euch warten, bei denen ihr ebenfalls seltene Preise ergattern könnt. Zudem könnt ihr ein sechstes Kapitel inklusive Bonus-Dungeon freischalten, ein paar kleinere Sidequests bestreiten oder mit erbeuteten Schlüsseln auf Schatzsuche gehen. Jedenfalls gibt es auch über das etwa vierzigstündige Story-Abenteuer hinaus noch einiges zu entdecken und zu meistern. Der Wiederspielwert ist mangels zusätzlicher Schwierigkeitsgrade o. ä. allerdings vergleichsweise gering.      

Fazit

Die Chronik der Erkorenen ist eine Zeitreise mit viel Licht, aber auch viel Schatten. Zunächst kann man natürlich froh sein, dass dieser Rollenspielklassiker nach 18 Jahren endlich auch hierzulande erscheint und das gleich mit erweitertem Inhalt, aufgemotzter Präsentation und sogar auf Deutsch. Spielerisch und erzählerisch wurde jedoch fast alles beim Alten belassen, so dass Dragon Quest IV ausgerechnet in den wichtigsten Punkten einfach hoffnungslos antiquiert wirkt. Die primitiven Zufallskämpfe sind museumsreif, Story und Charaktere bleiben trotz nach wie vor interessanter Konzeption völlig nebensächlich, fast belanglos, die mickrigen Dungeons sind ein Witz und das exzessive Level-Grinding eine unumgängliche Tour de Force. Vier Stunden Handlung und vierzig Stunden monotones Geld- und Erfahrungsscheffeln sind heute einfach kein ausgewogenes Angebot mehr, so charmant und liebevoll das Ganze auch präsentiert wird. Doch was nützt die hübscheste Fassade, wenn das Fundament mittlerweile einfach völlig morsch ist? Gut, Dragon Quest IV ist auch auf dem DS keine Enttäuschung, hat aber einfach nicht mehr annähernd den Stellenwert oder die Anziehungskraft, die es vor knapp zwanzig Jahren noch unbestritten ausübte. Das Genre ist nicht stehen geblieben, die Chronik der Erkorenen schon. Aus nostalgischer Warte bekommt man zwar nach wie vor noch immer ein knapp gutes Spielerlebnis geboten, das sich kein Genrefan entgehen lassen sollte, aber trotzdem bekommt man nicht mehr als ein äußerlich aufgehübschtes Vollpreis-Remake eines zeitlos geglaubten Klassikers, an dem die Zeit doch nicht so spurlos vorüber gegangen ist wie z. B. an einem Final Fantasy IV , das auch heute noch Award-Qualitäten besitzt.

Pro

charmante Präsentation
originelles Kapitelkonzept
unverwüstliches Spielprinzip

Kontra

mickrige Dungeons
antiquiertes Kampfsystem
unabdingbares Dauerleveln
wenig packende Story-Einbindung

Wertung

NDS

Charmant präsentierter, aber belanglos inszenierter und spielerisch antiquierter RPG-Klassiker.

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