Shaun White Snowboarding20.11.2008, Mathias Oertel
Shaun White Snowboarding

Im Test:

Wieso gibt es außer dem mittlerweile drei Jahre alten Amped 3 eigentlich keine Snowboard-Titel auf den aktuellen Konsolen? Diese Frage stellte man sich auch bei Ubisoft. Und da man vermutlich keine befriedigende Antwort erhielt, machte sich das bewährte Team von Ubi Montreal unterstützt von Gallions-Figur Shaun White an die Entwicklung einer Abfahrtssause mit enormer Freiheit. Aber das führt zu weiteren Fragen: Gibt es vielleicht einen offensichtlichen Grund für das brach liegende Snowboard-Genre? Und schafft es Ubi möglicherweise, neue Impulse zu setzen?

Totgeglaubte leben länger?

Quizfrage: Welche Spiele fallen euch zum Thema Snowboarding ein? Die Nintendo-Fans unter euch dürften sehr schnell bei 1080 landen. Die Xboxler hingegen schwören auf die Amped-Serie. Und systemübergreifend hat EA mit den SSX-Titeln ein schneestöberndes Gegengewicht zur Tony Hawk-Serie geschaffen. Doch während der fliegende Skater nach wie vor in aller Spielermunde ist, glänzen Tiefschnee-Exkursionen durch Abwesenheit. Kein SSX ist in HD-Sicht. Nicht mal das Gerücht einer Ankündigung hat sich in den letzten Jahren gezeigt - nur eine Wii-Variante, die nicht alle in sie gesetzten Erwartungen erfüllen konnte.

Das kann doch nicht sein, dass in einer Konsolen-Generation, in der alle nur erdenklichen Konzepte recycelt werden, ausgerechnet das Snowboarding mittlerweile ein Mauerblümchen-Dasein fristet? Doch kann es: Amped 3 als letzter legitimer Vertreter seiner Zunft liegt als Titel im Launch-Fenster der 360 fast drei Jahre zurück.

Die Assassins's Creed-Engine zaubert in SWS teilweise Atem beraubende Landschaften auf den Bildschirm.
Mittlerweile ist viel passiert: Neue Engines haben auf PS3 und 360 Einzug gehalten, Physik hat sich weiterentwickelt und Spiele wie Skate haben bewiesen, dass man mit neuen Steuerungs-Mechaniken und einem Simulationsansatz Erfolg haben kann.

Das Altair-Syndrom

Quizfrage: Mit welchen Spielen konnten die Teams von Ubi Montreal in den letzten zwölf Monaten begeistern? Richtig: Naruto - Rise of a Ninja zum Beispiel. Klar: Far Cry 2. Aber: Es gab noch eines, das in direktem Zusammenhang mit Shaun White Snowboarding (ab 4,83€ bei kaufen) (SWS) steht. Hmm? Irgendjemand? Wem jetzt ganz kurz Assassin's Creed (AC) durch den Kopf schwirrte, dies aber als "kann nicht sein" abtat, kann sich auf die Schulter klopfen. Denn es ist Altairs Abenteuer, das großen Einfluss auf die Snowboard-Ausflüge hat.

Denn als treibenden Grafikmotor hat sich Ubisoft für die Engine eben jenes Open World-Abenteuers entschieden und diese mit ein paar kleinen Feinheiten aus der Dunia-Engine ergänzt. Und das Ergebnis kann sich sehen lassen. Die vier Berge in aller Welt, die von Anfang an ohne größere Restriktionen verfügbar sind (nur ein paar Wettbewerbe müssen freigeschaltet werden), bietet eine teils enorme Weitsicht. Und das alles vorbehaltlich der Möglichkeit, ohne Unterbrechung vom Gipfel ins Tal zu sausen, was unter Umständen (und wenn ihr euch ein bisschen Zeit lasst), gut und gerne 15 bis 20 Minuten dauern kann, was selbst den bisherigen Primus SSX On Tour wie eine dröge Alsterrundfahrt erscheinen lässt.

Zusammen mit der Weitsicht hat sich SWS allerdings auch einige Mankos der AC-Engine an Bord geholt. Dazu gehören sporadische Pop-Ups von Bäumen, gelegentliches Texturnachladen, Probleme beim Zeichnen von Schatten und Fade-Ins von Umgebungsdetails. Das hört sich alles allerdings schlimmer an, als es letztendlich ist. Denn in etwa 98 Prozent der Fälle sieht man diese Schwächen in gefühlt-geschätzen 100 bis 150 Meter Entfernung - also in einem Bereich der nicht Spiel beeinflussend oder gar das Erlebnis beeinträchtigend ist. Etwas problematischer ist hinsichtlich der Kulisse der hin und wieder auftretende Schluckauf, der sich aber nur auf einem System zeigt. Nein, nicht auf der PS3. Die 360 neigt zu Einbrüchen in der Bildrate - wiederum in den seltensten Fällen Spiel beeinflussend, aber deutlich zu spüren. Dass im Gegenzug das Bild auf der Sony-Konsole insgesamt etwas milchiger bzw. verwaschener wirkt, nehme ich zur Kenntnis, erfreue mich aber hier eher an der flüssigen Darstellung der detaillierten Landschaften. Bei den Animationen hingegen zeigt sich, vor allem bei Stürzen und nicht perfekten Tricks oder Sprüngen der eine oder andere unsaubere Übergang - auf beiden Systemen.       

Die grenzenlose Freiheit: Freut euch auf eine offene Welt, in der allerdings der rote Faden weitestgehend fehlt...
Doch ungeachtet aller Probleme, die sich auf der visuellen Seite ansammeln, schafft es SWS eine glaubwürdige Welt zu schaffen, in der man nicht nur viel entdecken kann, sondern die selbst mich als erklärten Winterhasser mit ihrer Größe sowie Detailverliebheit in ihren Bann schlägt. 

Die große Freiheit

Zumal SWS nicht nur mit einer schönen Kulisse, sondern auch einer immensen Freiheit protzt. Das geht damit los, dass ihr von Anfang an auf alle vier Berge zugreifen könnt und dass es euch nun freigestellt ist, was ihr wo macht. Ihr wollt die Abfahrten erkunden und die besten Rails, Rampen und Halfpipes finden und euch vielleicht so die beste Kombolinie aneignen? Nur zu! Ihr wollt euch an die in vier Schwierigkeitsstufen unterteilten Herausforderungen wagen, um Geld und Ansehen zu verdienen, so dass ihr mit ersterem neue, bessere Ausrüstung erstehen könnt, während über zweites die wenigen verschlossenen Aufgaben freigegeben werden? Dann nichts wie los. Sucht euch einen Skilift oder einen Helikopter und lasst euch an einen der zahlreichen Startpunkte bringen und ab diesem Moment steht euch die SWS-Welt offen.

Als Besonderheit dürft ihr sogar tatsächlich im Skilift Platz nehmen und die Landschaft sondieren, während ihr in besinnlicher Stille den Blick schweifen lässt - das ist neu, gut umgesetzt und bei den ersten Malen sehr beeindruckend. Und selbstverständlich könnt ihr auch jederzeit vor dem eigentlichen Zielort abspringen und euch wieder auf dem Brett, das die Welt bedeutet, durch den Schnee wühlen. Doch dieser Effekt nutzt sich erstaunlicherweise schnell ab und ich habe nach wenigen Stunden immer den "Direkttransport" genutzt, der euch nach einer kurzen Ladezeit an eurem Ziel absetzt.

    

Zusätzlich hat man bei Ubi Montreal die Zeichen der modernen Tony Hawk'schen Zeiten erkannt und eine Mechanik aus dem Asphalt-Grinder übernommen. Denn das erste Mal in der Geschichte der Snowboard-Spiele dürft ihr das Board bei Stillstand abschnallen und euch zu Fuß weiter bewegen. Das kommt insofern gelegen, wenn man eine der seltenen, aber für die Story-Fortsetzung wichtigen Riesenmünzen findet, aber an ihr vorbei gerast ist. Stoppen, Board abschnallen und ein paar Meter den Berg wieder hochlaufen und versuchen, sich den immer schwerer zu erreichenden Münzen zu stellen - alles kein Problem. Allerdings verwundert eine Sache: Wieso kann jemand, der genügend Beinmuskulatur hat, um sowohl Stürze aus zig Metern abzufedern als auch sich von Rampen etc. enorm hoch abzustoßen, im Schnee per pedes partout nicht springen? Selbst die Hawk-Skater können klettern und hüpfen, mein Snowboarder hingegen ist an den Boden gebunden wie ein

Ihr könnt auch das Board abschnallen, einen Berg erklettern und dann die Aussicht genießen.
Strauß. Das wird besonders dann ärgerlich, wenn man auf die andere Seite eines im Wege liegenden Baumstammes möchte, aber anstatt drüber zu hüpfen, einen größeren Umweg gehen muss. Natürlich kann man sich daran gewöhnen, doch hier zeigt die inhaltliche Fassade erste Risse.

Die Bürde der offenen Welt

Aus den Rissen werden im Laufe der Zeit allerdings sogar massive statische Probleme. Denn so löblich das Prinzip der Offenheit in SWS auch ist, so sehr schienen die Entwickler auf dieses Feature fixiert zu sein und haben sich dementsprechend zu wenig oder zu spät darum gekümmert, diese Welt auch mit spielerischer Seele zu füllen.

Nehmen wir z.B. die Story. Äh, Moment mal. Die paar mit gut lokalisierten Textfragmenten versehenen Zwischensequenzen in denen die Gallionsfigur mit euch interagiert, kann man nicht wirklich als zusammen hängende Geschichte bezeichnen. Hier hätte sich Ubi Montreal durchaus an Amped 3 orientieren dürfen, dessen Story zwar auch nicht bahnbrechend ist, aber mit seinen unterschiedlichen Stilmitteln und einer absoluten Überzeichnung eine Grundmotivation gelegt hat, die neugierig auf die nächsten Zwischensequenzen gemacht hat.

Und wo wir schon beim Vergleich mit dem bisher einzigen HD-Snowboarder sind: Auch hinsichtlich Aufbau und Belohnung für gelöste Herausforderungen fährt SWS auf den unerklärlichen Weg der Beliebigkeit und bleibt hinter Amped 3 zurück. Versteht mich dabei nicht falsch: Hier wie da wird das Rad nicht neu erfunden und zumeist geht es bei beiden nur darum, so viele Trick-Punkte wie möglich in einem bestimmten Zeitraum zu scheffeln. Dass man dabei teils durch Vorgaben wie Beschränkung auf Sprünge, Rails etc. eingeschränkt wird, haben ebenfalls beide gemeinsam.

Und auch Sammelaufgaben unter Zeit- oder Streckendruck ist bei beiden zu finden. Sprich: Beide verlassen sich im Wesentlichen über die gesamte Spieldauer auf Elemente, die in veränderter Form immer wieder auftauchen. Aber: Amped 3 bietet innerhalb der Aufgabenstellung deutlich mehr Varianten und ist in sich konsistenter. Was ich damit sagen will? Nehmen wir das Beispiel der Offline-Rennen gegen die harten und clever agierenden CPU-Gegner: Beim ersten Versuch habe ich einen glorreichen achten Platz von acht Teilnehmern erreicht. Gnadenlos letzter. Dass ich aber mit meiner erreichten Zeit als Letztplatzierter immer noch gut genug war, um eine Auszeichnung zu bekommen und die Herausforderung abzuhaken, war dann doch etwas überraschend - und inkonsistent.

Unterm Radar

Eine Mechanik, die im Gegenzug zum beliebig wirkenden, aber immerhin soliden Missionsdesign nur noch einen enormen Nervfaktor entwickelt, ist das Radar. An sich eine gute Idee, um mir zumindest eine ungefähre Richtungsidee für die verschiedenen Herausforderungen zu vermitteln, ist die Ausführung vollkommen in die Hose gegangen. Wieso man sich hier nicht an der allgemein üblichen Technik orientiert, einen Zielpunkt festzulegen und dann per GPS-System einen Richtungspfeil (von mir aus sogar nur optional) anzugeben, entzieht sich meiner Vorstellungskraft. Die im Übrigen auch den Radar-Designern gefehlt hat, da das System vorne und hinten nicht funktioniert, man sich aber fast immer auf dieses Hilfsmittel zurückfallen lassen muss, wenn man etwas Bestimmtes sucht.

Wo das Problem liegt? Ganz einfach: Auf dem Radar wird komplett alles angezeigt, was auch in der Übersichtskarte zu finden ist - jede Herausforderung, jede Münze, jeder nur erdenkliche Kleinkram. Ungeachtet von der relativen Entfernung oder sonstigem eventuell wichtigen Auswahlkriterium. Da aber der relevante Anzeigebereich des Radars um euch als Figur relativ klein ist und alle nicht in mittelbarer Umgebung liegenden wesentlichen Orte am Radar-Rand quasi nur darauf warten, in eben diesen Einzugsbereich zu kommen, herrscht eine enorme Unübersichtlichkeit. Da man zusätzlich nicht priorisieren und damit bestimmte Sachen ausblenden oder sich eine Entfernung anzeigen lassen kann (von einem Pfeil, ob das Ziel über oder unter euch liegt will ich gar nicht erst anfangen zu träumen), verwirrt der Radar meist mehr, als dass er hilfreich unter die Arme greift.

Die Berge sind vollgestopft mit natürlich und unnatürlichen Hindernissen.
Und wo ich gerade am Meckern bin: Wieso wird eine von mir selbst setzbare Marker-Möglichkeit eingebaut, zu der ich mich jederzeit zurückwarpen kann, aber keine Möglichkeit, eine Herausforderung spontan neu zu starten, wenn ich mit dem bisherigen Verlauf nicht zufrieden bin? Hier bleibt mir nur die Möglichkeit, bis zum Ende durchzuhalten und jetzt einen Neustart zu wählen. Oder aber ich breche die Herausforderung ab, fahre (oder laufe) wieder nach oben und starte dann neu - in jeder Hinsicht unkomfortabel.

Das Burnout-Syndrom

Es ist sehr schade, dass das Team von Ubi Montreal es nicht geschafft hat, beim Design wesentlicher Spielinhalte so geradlinig vorzugehen wie bei der Kulisse, der Steuerung sowie der Online-Anbindung.

Ähnlich wie in Criterions Burnout Paradise habt ihr die Möglichkeit, über Knopfdruck den Berg als Host für die große weite Spielerwelt zu öffnen und nun gemeinsam und damit mit deutlich mehr Spaß als solo die Herausforderungen anzugehen. Allerdings erreicht man auch in diesem Bereich nicht vollends die Qualität des vermeintlichen Vorbilds. Es gibt zwar bestimmte Aufgaben, die nur online erfüllt werden können, doch eigenständige Koop-Aufgaben im großen Stil wie z.B. akkumulierte Trickscores an einer bestimmten Rampe oder "Reitet zusammen X Sekunden oder Minuten auf Rails" sucht man vergebens.

Dabei gibt sich die eingängige und in den Tutorials gut aber unspektakulär erklärte Steuerung kaum eine Blöße: Mit dem Einsatz des rechten Sticks als Trickauslöser orientiert man sich deutlich an Titeln wie skate oder Amped 2 auf der Xbox, die sich beide bewährt haben und als Referenz in diesem Bereich gelten. Auf Rails und beim Wechseln von einem Grabtrick zum nächsten etc. gibt es zwar von Zeit zu Zeit Probleme, die Balance zu halten oder saubere Übergänge zu schaffen, doch das ist eher der Physik zuzuschreiben, die sich nie wirklich entscheiden kann, ob sie einen simulativen oder arcadigen Ansatz verfolgt. 

Und da sind wir wieder beim Hauptproblem von Shaun White Snowboarding: Haufenweise gute Ideen und bekannte Ansätze, die aber nur selten bis in die letzte Konsequenz durchdacht wurden.   

Fazit

Shaun White Snowboarding ist in vielerlei Hinsicht gelungen: Das Prinzip der offenen Welt, die euch mit ihren vier von Anfang an zugänglichen Bergen viel Raum zum Erforschen und ungezwungenen Boarden gibt, geht im Wesentlichen auf. Die auf der Assassins Creed-Engine basierende Kulisse bietet eine teils imposante Weitsicht, deren Wirkung auch nicht durch die sporadischen Pop-Ups, Fade-Ins, den seltenen Einbrüchen der Bildrate in der 360-Version oder den gelegentlich unsauberen Animationen nachlässt. Und die sich an Extreme Sport-Referenzen wie skate orientierende Stick-Trick-Steuerung zeigt nur im Zusammenspiel mit der unentschlossen zwischen Arcade und Simulation hin und her wankenden Physik leichte Probleme. Doch sobald man etwas tiefer ins Spiel eintauchen und die guten bis sehr guten technischen Voraussetzungen ausschöpfen und auf sich wirken lassen möchte, stößt man schnell an die kreativen Grenzen: Die Missionsvielfalt kann sich wahrlich nicht mit Ruhm bekleckern und das als Idee gut gemeinte Radar ist ein mehr verwirrender als helfender Graus. Was anfangs wie ein schneestöberndes Gegenstück zu EAs skate und eine willkommene Ablösung für das mittlerweile drei Jahre alte Amped 3 wirkte, ist auf lange Sicht nicht mehr, aber wahrlich auch nicht weniger als passable Snowboard-Unterhaltung in einem größtenteils eindrucksvollen Ambiente.

Pro

enorme Freiheit...
größtenteils beeindruckende Weitsicht
eingängige Steuerung
Physik zwischen Arcade und Simulation
auch Erforschung zu Fuß möglich...
eigene Rücksetzpunkte möglich
ad hoc-Onlinespiel möglich
aktive Skilift-Benutzung

Kontra

- ... die aber kaum ausgenutzt wird
vollkommen unnützer Radar
Kulissen-Probleme (Pop-Ups, Fade-Ins)
mitunter unsaubere Animationen- ... aber kein aktives Springen ohne Board
kein "spontaner" Schnell-Neustart der Challenges
mitunter Bildraten-Einbrüche (360)

Wertung

360

Das Open-World-Snowboarding zeigt sich technisch größtenteils beeindruckend, aber schwächer als die PS3-Variante. Spielerisch hingegen bleibt auch die 360 auf dem identischen inkonsequenten Niveau.

PlayStation3

Ambitioniertes Open-World-Snowboarding mit teils eindrucksvoller Kulisse, dessen Spaßfaktor allerdings dank einiger Inkonsequenzen schnell abtaut...

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