Baphomets Fluch: Der schlafende Drache19.11.2003, Jörg Luibl
Baphomets Fluch: Der schlafende Drache

Im Test:

Für viele klassische Adventure-Freunde gehört die Baphomets Fluch-Reihe zu den Glanzlichtern des Genres. 1996 und 1997 entzückte das Team von Revolution Software mit den mysteriösen Point&Click-Abenteuern des Amerikaners George Stobbart. Nach sechs Jahren Wartezeit heben sich endlich die Vorhänge zum dritten und letzten Teil!

Doppelmord & Weltuntergang

Zwei Helden, zwei Morde: Der Anwalt George Stobbart erlebt eine Bruchlandung im Kongo und muss mit ansehen, wie sein Mandant erschossen wird – er arbeitete an einer mysteriösen Maschine. Die Journalistin Nico will einen Informanten in Paris treffen und findet nur noch seine Leiche – der Hacker sprach von einem uralten Manuskript und dem Weltuntergang.

Das war knapp! Der Einstieg in Baphomets Fluch 3 hat es in sich...(PC)

Dynamisches Duo

Wie der Zufall es will, kennen sich George und Nico von früheren Abenteuern und bemerken im Laufe des Spiels, dass sie sich nicht nur vermisst haben, sondern auch am selben Fall arbeiten. Und da die beiden komplett unterschiedliche Persönlichkeiten verkörpern, gibt es schnell eine prickelnde Konstellation für süffisante Gespräche und Eifersüchteleien. Die deutschen Sprecher wecken dabei schnell und gekonnt die akustischen Lebensgeister.

Während Nico eher derb auftritt, und zwischendurch mal ein deftiges "Schlampe" zischt, zeigt sich George ganz unamerikanisch zurückhaltend. Selbst Zähne fletschende Gangster kurz vorm Tobsuchtsanfall entwaffnet er mit viel Charme und schon fast britischem Humor: "Sie müssten eventuell noch an ihren Manieren feilen!"

__NEWCOL__

Seichte Mystery-Opera

Baphomets Fluch bleibt seinem Charakter als amüsantes Mystery-Adventure treu. Es lebt eher von den witzigen Dialogen als der packenden Erzählung. Dass Nico z.B. mit der deutschen Stimme von Akte-X-Agentin Scully besetzt wurde, war ein einziger Glücksgriff: Leicht rauchig, durch und durch abgebrüht und trotzdem mit der nötigen Prise Sexappeal verdreht die taffe Journalistin dem naiven Schönling langsam den Kopf.

Insgesamt ist die Geschichte für einen Thriller allerdings zu harmlos, es werden einfach zu viele Klischees bedient und so manche Wendung wirkt aufgesetzt und hanebüchen. Trotzdem gibt es genug Stoff für eine interessante Verschwörungstheorie, die so manchen erzählerischen Faden der beiden Vorgänger wieder aufnimmt - freut euch also auf viel Neues, aber auch alte Bekannte und Schauplätze.

Die Story wird immerhin so frisch präsentiert, dass auch jeder Einsteiger ohne Vorkenntnisse starten kann. Ein Tagebuch hält euch mit Notizen auf dem Laufenden und zur Not helfen kleine Artikel mit Erläuterungen im virtuellen Anhang, die noch mal alles Geschehene beleuchten.

Schau mir in die Augen, Kleines! Nico hat Probleme, die sie gleich mit einer Bratpfanne lösen kann...(PC)

Speichern könnt ihr übrigens überall ohne Bedenken; Sackgassen haben wir bisher keine gefunden.

Adventure der Zukunft?

Point & Click war gestern, Move & Click ist heute - jedenfalls für Revolution Software. Bisher gehörte die Maus bekanntlich zur Standardausrüstung  jedes Adventure-Fans, egal ob Monkey Island, Syberia oder Runaway .

George beim investigativen Jogging durch Paris...(PS2)

Das britische Team bricht mit dieser Tradition und "geht" im wahrsten des Sinne des Wortes neue Wege: Ihr bewegt George oder Nico entweder per Tastatur oder Gamepad durch dreidimensionale Abschnitte – sie können gehen, rennen oder schleichen. Immer, wenn ihr in die Nähe eines interessanten Gegenstandes oder Ortes kommt, leuchtet dort kurz ein Stern auf und ihr könnt eine Aktion ausführen. So wurde das Absuchen mit der Maus durch das direkte Erkunden des Charakters ersetzt.

Sorgfalt bleibt trotzdem allererste Adventure-Tugend, denn manche kaum sichtbaren Dinge leuchten gemeiner Weise erst dann auf, wenn man sich ihnen zuwendet. Offene Türen werdet ihr mit dieser Methode trotzdem nicht einrennen: In manchen Vierteln gibt es zwar derer viele, aber die meisten sind geschlossen. Hier hätten sich die Entwickler das geheimnisvolle Blinken gleich sparen können, denn spätestens nach viermaligem Scheitern an der Klinke weicht die Neugier dem Frust. Die Weitläufigkeit mancher Areale ist eben nur Schein, die Abschnitte sind stark begrenzt und streng linear. Dafür wird euch spielerisch ein 7-Gänge-Menü serviert, das es in sich hat:

1. Gang: Rätsel für Einsteiger

Als Aperitif wecken zunächst Klassiker wie einfaches Erkunden und simple Kombinationen die Vorfreude. Ein Flugzeug droht über einen Abgrund zu kippen, also verlagert man das Gewicht nach hinten und steigt dann aus – einfach, logisch, gut. Der Einstieg ist wirklich mehr als angenehm, fast schon zu leicht und macht ein Tutorial überflüssig.

2. Gang: Kraxeln wie Lara

Der zweite Gang überrascht schon mit Neuem: Klettern à la Tomb Raider . Wer jetzt Hüpf- und Springangst verspürt, kann sich gleich wieder beruhigen.__NEWCOL__

Das Kraxeln geht aufgrund der indirekten Steuerung kinderleicht von der Hand, denn ihr könnt weder irgendwo runterfallen noch müsst ihr Timing beim Springen beweisen – vor jedem Sims habt ihr die ruhige Button-Wahl zwischen dem Hochklettern, dem Runterlassen, dem Balancieren oder Hinüberspringen. Insgesamt ist das Klettern eine angenehme Abwechslung, die zudem so manchen Panoramablick bietet.

3. Gang: Schnell wie Ryu

Wesentlich actionreicher geht es auf den ersten Blick im kurzen, aber knackigen dritten Gang zu: Reaktionstests à la Shenmue . Ihr werdet von einem Gangster mit einer Waffe bedroht, plötzlich schwenkt die Kamera auf eine eiserne Pfanne und für wenige Sekunden blinkt ein Button auf, den ihr schnell drücken müsst. Schafft ihr es, schickt ihr den Bösewicht mit einem dumpfen Krachen schlafen. Schafft ihr es nicht, gibt`s auch keinen Grund sich zu ärgern, denn die Situation wird sofort wiederholt – angenehmer und leichter geht`s kaum.

4. Gang: Kopfnüsse & Teamwork

Aber erst der vierte Hauptgang wird Adventure-Gourmets freuen, denn sie werden im weiteren Spielverlauf mit einigen delikaten Kombinations- und Logikrätseln verwöhnt: Verknüpfe A mit B, dann das Ganze mit C und wende es auf Problem D an. Sehr gelungen ist auch das gemeinsame Überwinden von Hindernissen, wenn man George und Nico zusammen steuert – nur, wenn man Teamwork richtig einsetzt, wird man weiter kommen.

Verdammt, wo bleibt das Taxi? Ich hab vor einer Stunde  die Zentrale von Brazzaville angerufen! (PS2)

Schade ist, dass es zu wenig Rätsel der Sorte knackige Kopfnuss gibt. Die meisten Aufgaben sind offensichtlich und recht einfach zu lösen.   Sackgassen und Tüfteleien à la Runaway gibt es zwar auch, aber viel seltener.

Schön ist, dass die Rätsel meist relativ logisch zu entschlüsseln sind. Relativ deshalb, weil der gesunde Menschenverstand in manchen Situationen trotzdem versagt: Wieso kann ich das nicht benutzen? Das müsste doch auch gehen! Nein, die Entwickler haben sich strikt an bestimmte Schlüsselgegenstände gehalten, auch wenn andere genau so gut funktionieren müssten. Wann gibt`s endlich ein Adventure mit multiplen Lösungsmöglichkeiten?

5. Gang: Kistenfrust

Der fünfte Gang enttäuscht mit Fast Food zum Runterwürgen: Kisten schieben à la Tomb Raider.

Ob ich die Lupe noch brauche? Und die Postkarte? Egal, beides mitnehmen! (Xbox)

Wenn man mal ein paar Kisten bewegen muss, um einen Geheimgang oder eine Plattform zu erreichen, ist das okay. Aber für meinen Geschmack hat es das Team von Revolution Software etwas übertrieben. Manche Schiebe- und Ziehorgien wirken wie künstliche Streckungen des Gameplays – unnötig, nervig, billig. Da hätte ich mir lieber mehr anspruchsvolle Rätsel gewünscht!

6. Gang: Gespräche für Arme

Kurz vor dem Dessert sorgen die Entwickler noch mal mit sehr einfachen Gerichten für Ernüchterung: Gespräche und Recherche für Arme. Ja, die Dialoge sind witzig. Ja, Georges Bemerkungen sind süffisant. Aber man muss sich keinen Hinweis dank kluger Gesprächsführung erarbeiten, man muss keinen neuen Schauplatz dank geschickter Indizienverknüpfung (wie z.B. in Gabriel Knight 3) aufdecken. Jedes neue Thema wird als Icon dargestellt und muss einfach angesprochen werden. Werden fünf Icons angezeigt, kann man alle in beliebiger Reihenfolge in die Runde werfen, irgendwann wird der Hinweis schon auftauchen – das ist eher massentauglich als kreativ.

7: Gang: Schleichen wie Sam

Dafür gibt`s zum Abschluss einen exotischen Nachtisch: Schleichen à la Splinter Cell ! Die Entwickler versprühen in Prag tatsächlich Stealth-Action-Atmosphäre und haben es sich nicht nehmen lassen, in Anspielung auf Sam Fishers Abenteuer fast die gleichen Soundsamples abzuspielen.

Im düsteren Prag muss George schleichend vorwärts kommen - Splinter Cell lässt grüßen. (Xbox)

George muss hier geschickt im Schatten schleichen, Mauern erklettern sowie Lichtkegeln ausweichen, während schwer bewaffnete Wachmänner die Kalashnikov durchladen: Ein Fehltritt und Projektilgeratter beendet den Ausflug. Und auch wenn Adventure-Puristen diesen Echtzeiteinsatz verfluchen werden: Er dauert nicht lang,  ist sehr gut inszeniert und macht einen Heidenspaß!__NEWCOL__

Kamerafahrten

Ein Problem der dritten Dimension ist häufig die Kamera, und auch Baphomets Fluch hat hier seine Tücken. Die Perspektive wechselt automatisch, d.h. es gibt keine manuellen Drehungen oder Zooms, so dass man auf genaue Erkundungen oder Nahaufnahmen ganz verzichten muss – schade, denn so entfällt auch spielerisch das Entdecken von Details. Außerdem verfolgt euch die Kamera nicht immer, so dass ihr oft aus dem Bildschirm heraus laufen oder euch nach plötzlichen Wechseln neu ausrichten müsst. So kann man gerade in verwinkelten Gebäuden schon mal die Orientierung verlieren. Eine Karte ist leider Fehlanzeige.

Trotzdem hat diese festgelegte Perspektive einen entscheidenden Vorteil: Die Entwickler können ihre Regiekünste glänzen lassen. Und sie zeigen teilweise meisterhafte Kamerafahrten von der Dialogszene in die Totale.

Wie war das noch gleich? Erst den Hebel, dann das Dynamit, dann...oder doch umgekehrt?(Xbox)

Vom Geschehen auf einer Brücke wird z.B. langsam in die Vogelperspektive geschwenkt, die dann einen klaffenden Abgrund samt leuchtendem Steinkreis offenbart. In diesen Situationen weht cineastischer Wind durch das Szenario. Leider viel zu selten begleitet von einem orchestralen Soundtrack, den man gerne öfter gehört hätte.

Malerische Kulisse

Baphomets Fluch ist mit Sicherheit das derzeit ansehnlichste Adventure: Egal ob im Kongo, in England, in Paris, in Prag oder in Ägypten – das Zusammenspiel aus klasse Architektur, warmen Farben und hervorragenden Licht- und Schattenwürfen sorgt für eine malerische Kulisse. Allerdings fehlt es insgesamt etwas an Leben, denn manche Straßen sind menschenleer, Tiere sucht man im Dschungel oder Höhlen vergeblich und selbst auf Wettereinflüsse wie Regen oder Nebel hat man verzichtet. Hier haben die Leveldesigner wertvolle Atmosphärepunkte verschenkt und die Möglichkeiten der dritten Dimension nicht voll ausgeschöpft.

Trotzdem durchstreift man die liebevoll arrangierten Areale einfach gerne. Das liegt zum einen daran, dass das Spiel trotz neuer Technik und weniger Details irgendwie den alten Adventure-Charme aus 2D-Zeiten versprüht. Und zum anderen an den hervorragend animierten Charakteren George und Nico: Mit ihren lebensechten Bewegungen, der klasse Gesichtsmimik sowie feinen Details wie dem situationsabhängigen Drehen des Kopfes überzeugen sie auf ganzer Linie - so mancher Resident Evil- und Gothic-Charakter wirkt dagegen wie ein geflohener Bandscheibenpatient.

Fazit

Viel Witz, gute Rätsel, jede Menge Abwechslung: Baphomets Fluch 3 ist die ideale Unterhaltung für lange Winterabende! Im Kern bleibt man trotz neuer 3D-Kulisse der klassischen Adventure-Seele und dem Charme der Vorgänger treu. Die Story trieft zwar vor Klischees und bietet nicht mehr als eine seichte Mystery-Opera, aber dafür entschädigen die amüsanten Dialoge, die lebendigen Protagonisten und die interessanten Aufgaben. Außerdem geht das Team von Revolution Software mit der Abkehr von der traditionellen Point&Click-Steuerung und der Einbindung von leichten Actionelementen endlich neue Wege: Mal klettert man wie Lara Croft, mal schleicht man wie Sam Fisher – alles im Rahmen, höchst komfortabel und ohne Panik, denn gespeichert wird überall. Höhere Wertungsregionen bleiben dem Abschluss der altehrwürdigen Reihe dennoch verwehrt, da der delikate Mix einige Schwächen hat: Das zu oft geforderte Kisten ziehen nervt, die Gesprächsführung ist nicht mehr als ein ödes Abspulen und die feste Kamera hemmt den Entdeckerdrang ebenso wie die malerische, aber insgesamt wenig lebendige Kulisse. Außerdem wird man an der engen Leine der Linearität durch das Abenteuer geführt und bekommt einfach zu wenige knackige Rätsel. Trotzdem Kompliment an Revolution Software: Baphomets Fluch ist ein erfrischend anderes Adventure, sehr angenehm zu spielen und weist mit seinem cineastischen Ansatz in die richtige Richtung!

Pro

guter Rätselmix
schneller Einstieg
amüsante Dialoge
immer speicherbar
klasse Animationen
sehr gute Sprecher
sehr gute Steuerung
logische Kombinationen
inkl. Klettern & Schleichen
zwei Charaktere steuerbar
sehr gute Gesichtsmimik
stimmungsvolle Lichteffekte
orchestrale Musikuntermalung
Flair der Vorgänger beibehalten
abwechslungsreiche Schauplätze
Rückblick auf Vorgänger integriert

Kontra

streng linear
lange Ladezeiten
Dialoge durcharbeiten
nerviges Kisten ziehen
keine echte Recherche
Soundtrack selten eingesetzt
zu wenig Leben in den Levels
insg. zu wenig knackige Rätsel
ab und zu Orientierungsverlust
Story bemüht zu viele Klischees

Wertung

PlayStation2

XBox

PC

Auch wenn Teil 3 nicht an die Vorgänger herankommt, macht es irgendwie wieder Spaß.

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