Dead to Rights: Retribution29.04.2010, Mathias Oertel
Dead to Rights: Retribution

Im Test:

Seit 2002 jagt der Polizist Jack Slate mit seinem vierbeinigen Freund Shadow in der fiktiven Stadt Grant City Gangster - vorzugsweise im Ausland, da die USK dem Duo eine Freigabe verweigert. Mit dem jüngsten Teil arbeitet bereits das vierte Team an der Serie. Kann Retribution den Grundstein für eine zukünftige Kontinuität legen? Was hat der Titel auf dem Kasten?

Moderner B-Film

Man kann über die späten achtziger und frühen neunziger Jahre herziehen, man kann sich über die Musik dieser Ära lustig machen oder die Klamotten als albern abtun, aber in einer Hinsicht sind diese Jahre Weg weisend gewesen: Der klassische B-Film, der mit Cops, Buddies und Klischees gefüllt war, erlebte hier seine Blütephase. Ins Licht der Popularität gerückt von Triple A-Produktionen wie Stirb Langsam, Lethal Weapon oder Produktionen wie K-9 (Mein Partner mit der kalten Schnauze) erschienen zahllose Filme von Steven Seagal, Dolph Lundgren, Michael Dudikoff oder Jean-Claude Van Damme. Das

Projektile, fliegende Fäuste, ein meist düsteres Ambiente und mittendrin zwei Helden auf Rachemission: Der Cop Jack sowie sein Hund Shadow. 
Geheimnis des Erfolges: Einsilbige Charaktere mit nur minimalem Tiefgang, eine klar umrissene Geschichte, die sich meist um das Motiv Rache dreht, größtenteils sinnlose Brutalität, ein schier unendlicher Strom an Projektilen sowie Explosionen - große, gleißende Explosionen.

All das gibt es auch in Dead to Rights Retribution (DTRR). Dementsprechend braucht man hier nicht lange nach einer oscarreifen Geschichte mit filigraner Charakterzeichnung suchen. Jack Slate, ein mit allen Wassern gewaschener Cop in der fiktiven Stadt Grant City (die allerdings deutlich Züge New York Citys trägt), kommt einer Verschwörung auf die Spur, die schließlich seinen Vater das Leben kostet und ihn von diesem Moment an zum Herrchen über den Husky-Mischling Shadow macht. Beide mischen in feiner Kooperation die Unterwelt nach allen Regeln der Kunst auf und nehmen schließlich Rache - ohne sensible Gefühlsduseleien, ohne Kompromisse. Dass diese Story vielem widerspricht, was in den Vorgängern als erzählerische Basis gesetzt wurde, muss nicht stören. Man sollte es vielmehr als Neuanfang verstehen. Die Frage ist nur, ist es ein guter?

Ein Mann, ein Hund, ein Ziel

Ähnlich unprätentiös wie die Geschichte zeigt sich auch die Mechanik: Ist man mit Jack unterwegs, muss man sich der Gegner entweder mit maximal zwei Knarren (duales Ballern ist allerdings nicht möglich) entledigen oder mit Hilfe der ausgefeilten Kampfkünste zur "Aufgabe" zwingen. Dabei darf man sich nicht nur eines einfachen Deckungssystems bedienen, aus dem man auch effektiv blind feuern kann. Obendrauf gibt es in den meisten der zehn Abschnitte (plus spielbarem Prolog) den Luxus von zumindest teilweise zerstörbarer Umgebung, so dass man die ständig zwischen gut und

Vorher: "Shadow! Kill!" Nachher: "Good Boy!"
grottig agierende KI auch aus ihrer Reserve locken kann. Dabei erreicht man zwar diesbezüglich nie das Potenzial oder Qualität eines Stranglehold, doch als kleines taktisches Element sind die zerstörbaren Bereiche willkommen.

Mit den bereits angesprochenen Nahkampfattacken, die im nahtlosen Wechsel mit der ballistischen Action stattfinden und die im Bestfall in einem der brachialen Finisher enden, an denen man sich aber bis auf wenige Ausnahmen irgendwann satt gesehen hat, wird Jacks Repertoire abgerundet. Dabei kann er Gegner nicht nur entwaffnen und deren Knarren umgehend gegen sie verwenden, sondern im Zweifelsfall auch in einen Clinch gehen, sie überwältigen und sie dann entweder als menschlichen Schild verwenden oder effektiv über eine Brüstung befördern.

Diese Mechaniken wurden sehr rund und kompetent umgesetzt, haben aber das Problem, dass jedes Element in irgendeinem anderen Spiel besser inszeniert wird. Deckungsgeballer gibt es in  Uncharted 2 oder Gears of War ungleich intensiver, die Umgebung wird bei Stranglehold um ein Vielfaches imposanter zerstört und die mit Oni populär gewordenen Nahkämpfe im Wechsel mit Ballereien wurden bereits auf der PS2 mit Rise to Honor erfolgreicher zelebriert, bevor sie in der gegenwärtigen Generation mit dem Bourne Komplott zu erneuter Hochform aufliefen. Überall zieht DTRR den Kürzeren.

Unterhalten kann die gut acht bis zehn Stunden dauernde Rachemär dennoch, was nicht nur an der gelungenen Dynamik der Gefechte liegt. Denn genau an den richtigen Stellen kommt es zu einer kleinen Überraschung bzw. Belohnung in Form von neuen, bislang noch nicht bekannten Waffen oder Gegnertypen, für die man sich erst einmal eine Taktik zurechtlegen muss. Auch die Abweichung der Formel "Rein-Alles-Plattmachen-Raus" durch ein Zeitlimit ist 

Mit Shadow darf man auch weitestgehend geräuschlos zuschlagen - quasi Sam Fisher light auf vier Pfoten!
ein probates Mittel, um den Spieler frisch zu motivieren. Und wenn alle Stricke reißen, hat man ja auch immer noch den besten Freund des Menschen, um die Kohlen aus dem Feuer zu holen.

Der Name ist Programm

Denn ist man mit dem für mein Empfinden überdimensional groß geratenen Husky-Mischling Shadow unterwegs, wechselt nicht nur die Farbgebung, um das Sehspektrum des Vierbeiners zu kennzeichnen. Auch die Spielmechanik geht einen etwas anderen Weg: Wo Jack in erster Linie auf schlagfertige oder bleihaltige Argumente setzt, macht Shadow meist den Fisher (also den Sam von damals, den, der noch nicht versuchte, Jack Bauer oder John McClane zu sein). Natürlich kann man auch mit dem blauäugigen Rachehund wie eine vierpfotige Furie durch die Abschnitte rauschen und den Gegnern an die Gurgel oder sonstige Körperteile gehen, bei denen Mann schon beim bloßen Gedanken schmerzverzerrt das Gesicht verzieht. Da Shadow aber bei weitem nicht so resistent gegen Schläge oder Kugeln ist wie Jack und vor allem gegen die schwer gepanzerten Feinde der zweiten Spielhälfte bei direkter Konfrontation kaum eine Chance hat, sollte man auf die Frontalattacke nur als letztes Mittel zurückgreifen.

       

Stattdessen lohnt es sich, die Umgebung und die eigenen Sinne zu nutzen. Denn im Schleichmodus werden nicht nur die von Shadow erschnüffelten Gegner wie in einem Röntgenbild angezeigt oder ihr vierstufiger Alarmzustand kenntlich gemacht - es werden auch Abkürzungen, Schleichwege und versteckte Gebiete markiert. Die kann man nutzen, um ungesehen an den gut postierten und meist sehr sensibel auf Geräusche reagierenden Wachen vorbei zu kommen. Oder aber, um sich an sie ran zu schleichen und sie nahezu geräuschlos zu erledigen.

Seltsames Wachverhalten

Leider zeigt die "Geräusch-KI" ausgerechnet hier Schwächen: Schaltet man von zwei in etwa vier Meter Entfernung voneinander stehenden "arbeitenden" Gegnern einen geräuschlos aus, so dass er gurgelnd und röchelnd zu Boden geht,

B-Film zum Mitspielen: Statt auf Charaktere wurde bei DTRR Wert auf Explosionen und solide Action gelegt!
macht der andere so weiter, als sei nichts geschehen. Des Weiteren wird das Gegnerverhalten auch von den üblichen Skript-Problemen geplagt. Sprich: Beobachtet man die Routen und schaltet eine Wache aus und zerrt sie danach weg, wundert sich der Kollege nicht, wieso die Wachposition jetzt unbekleidet ist. Kein Suchen. Kein Fragen. Keine Reaktion. Lässt man die Leiche jedoch liegen, nimmt die alarmierte Wache nicht nur die Suche auf, sondern ruft ggf. sogar Kameraden zur Unterstützung. Und wehe, sie entdecken einen - dann ist der Pelz schneller voll Blei, als man "Wau" sagen kann.

Ein weiteres Problem, das die Schleichabschnitte plagt, ist das lineare Design: Zwar kann man mit Bellen versuchen, die Gegner von ihrer jeweiligen Position wegzulocken, doch Erfolg verspricht dies nur selten. Stattdessen ist man damit beschäftigt, den besten Weg zu finden, um die Gegner still und leise beiseite zu räumen oder komplett aus ihrem Sichtfeld zu bleiben. Das ist zwar immer wieder spannend, birgt aber auch viel unausgeschöpftes Potenzial.

Keine Qual der Wahl

Eventuell hätte das Team von Volatile auch darüber nachdenken können, dem Spieler die Entscheidung zu überlassen, ob er mit Jack oder Shadow die jeweilige Aufgabe in Angriff nehmen möchte - in entsprechenden Abschnitten sogar mit fliegendem Wechsel per Knopfdruck. Zum einen hätte man die zwar sinnvolle, aber starre Mechanik etwas aufbrechen können, in denen man in den "Jack-Passagen" rudimentäre kontextsensitive Befehle an Shadow geben kann (Fass, Such, Apportieren, Sitz, Komm her), die er auch meist aufs Wort befolgt. Zum anderen hätte man die ansonsten sehr vorhersehbare Action dadurch mit einem zusätzlichen Schuss Taktik aufgewertet.

Der beste Freund des Menschen bringt Abwechslung ins Action-Einerlei, sein Potenzial wird aber nur angekratzt.
Ein Problem, das vor allem die mitunter umfangreichen Jack-Abschnitte kennzeichnet, ist das uneinheitliche Speichersystem: Es gibt zwar in jeder Mission viele automatisch gesetzte Kontrollpunkte, an die man beim Ableben zurückgesetzt wird. Doch bricht man die Mission ab und lädt den Spielstand später wieder ein, sollte man sich nicht wundern, wenn man im schlimmsten Fall wieder an den Anfang zurück gesetzt wird.

Alles drin, alles dran

Hinsichtlich der Inszenierung und Dramaturgie orientiert man sich zwar am B-Film, beim Design der Figuren kommt jedoch noch eine andere Quelle hinzu, an der sich allerdings auch (in erster Linie schlechte) Zelluloidwerke immer wieder orientieren: Der Comic. Dadurch lässt sich nicht nur das überdimensional wirkende Wachstum von Shadow erklären, anders kann man auch nicht die enormen Oberarme von Jack rechtfertigen, gegen die Chris Redfields Muskelarsenal in Resident Evil 5 wie das eines Streichholz-Männchens wirkt. Die krassen Gegensätze beim kantigen Gesichtsdesign der männlichen Darsteller und deren leicht überproportionaler Hände auf der einen sowie der weichen Mimik bei den sparsam vorkommenden weiblichen Rollen auf der anderen Seite fallen ebenfalls in diesen Bereich.

Auch die Animationen erinnern an Comics: Nicht ganz realistische und leicht überzogene Bewegungen sieht man bei den meisten Figuren. Hervorgehoben wird dies u.a. bei den Headshots, die automatisch in eine kurze Zeitlupe schalten, damit man weiß, dass man den Gegner mit dem finalen Rettungsschuss versehen hat. Noch deutlicher wird das bei den Nahkampf-Finishern, die ebenfalls weit von Realismus entfernt sind und den perfekten Kompromiss zwischen B-Film und gezeichneter Action darstellen.

Comic und Gewalt

Es werden in Zeitlupe Knochen gebrochen, Köpfe bis zum Genickbruch umgedreht und nutzt man zusätzlich eine Waffe, erreicht die Darstellung eine neue Dimension. Beispielhaft sei hier die Granate erwähnt, die Jack seinem Gegenüber in die Klamotten schiebt, bevor er ihn dann wie einen Kartoffelsack anhebt und wegwirft, bevor das Ganze explodiert, so dass der

Jack Slate ist nicht zimperlich: Vor allem bei den Finishern geht es zur Sache - allerdings wiederholen sie sich zu schnell...
Gegner pulverisiert wird und nur ein paar zinnoberfarbene Flecken auf der Innenseite des Bildschirms zurückbleiben. Und natürlich die zwei Schüsse in die Kniescheibe, gefolgt von einem Schlag mit dem Waffenknauf, der den Gegner in die Luft katapultiert, wo er dann mit ein paar weiteren Geschossen bedacht wird, die Jack mit Wut verzerrtem Gesicht abfeuert. Auch bei Shadows Nahkampf- und Schleich-Angreifen spielt vollkommen überzeichnete Gewalt eine erhebliche Rolle.

Dabei gibt es allerdings zwei Probleme. Erstens: Die Gewalt nutzt sich schnell ab. Denn zweitens gibt es zu wenige unterschiedliche Sequenzen, um die Spannung aufrecht zu erhalten.

Beim Rest der Kulisse gibt die Blitzengine aus eigenem Hause einen soliden, aber nicht außergewöhnlichen Eindruck ab und liegt auf ähnlichem Niveau wie die von Digital Extremes in Dark Sector verwendete Evolution Engine. Vor allem Shadows Fell sowie die Spielereien mit Licht und Schatten machen dabei einiges her, können aber nicht verschleiern, dass die Abschnitte mit meist ebenso durchschnittlichen Texturen tapeziert wurden wie die Figuren. Hinsichtlich der Akustik gibt es ebensowenig Herausragendes zu vermelden: Der an Michael Madsens Stimme erinnernde Hauptdarsteller ist gut besetzt, die dynamischen Kompositionen fangen die plakative Stimmung ordentlich ein, aber letztlich gibt es auch keine musikalischen Höhepunkte.   

Fazit

Wenn ich Dead to Rights Retribution mit einem Wort beschreiben müsste: Solide! Beim mittlerweile vierten Teil liefert das vierte damit beschäftigte Team einen unspektakulären HD-Neuanfang ohne nennenswerte Höhepunkte ab: Man gibt sich hinsichtlich der spielmechanischen Elemente keine Blöße, hebt sich allerdings auch nicht positiv von den jeweiligen Referenzen ab. Die Shooter-Passagen sind dank umfangreicher Waffenauswahl, ansprechender Gegnervielfalt sowie passabler Deckungsmechanik ebenso unterhaltsam wie der nahtlos eingebundene Nahkampf mit den brachialen Finishern. Das Schleichen mit Shadow ist eine angenehme Überraschung, erinnert an klassische Splinter Cell-Abenteuer, erreicht aber auch nicht deren Tiefgang und krankt sowohl an zu starren KI-Routinen als auch einem linearen Korsett - und ist damit? Richtig: Solide! Die technische Seite reiht sich nahtlos ein: Akustik und Kulisse sind in keiner Form bemerkenswert, aber auch weit davon entfernt, hässlich zu sein - durchschnittlich eben. Inhaltlich serviert Retribution Popcorn-Kino, das sich hinsichtlich Charakterzeichnung, Story und Dialogen am B-Film der späten 80er/frühen 90er Jahre orientiert. Jack und sein vierbeiniger Freund liefern acht bis zehn Stunden blei- und zinnoberpixelhaltige Unterhaltung ab - nicht mehr, nicht weniger.

Anmerkung: Dead to Rights Retribution hat keine USK-Freigabe bekommen und ist daher nur über einschlägige Import-Kanäle zu bekommen.

Zum Video-Fazit

Pro

passabel umgesetzte B-Film-Story mit Rache-Motiv
solide Kulisse
rudimentäres Deckungs-System
einfache Steuerung
zwei spielbare Figuren: Jack und Shadow
gute englische Sprachausgabe
Schleichen light mit Shadow

Kontra

zu wenig Finisher-Variation
Stealth-Potenzial mit Shadow nur angekratzt
mitunter Kameraprobleme
Kampffokussierung mit Macken
sämtliche Spielelemente bleiben maximal durchschnittlich
KI mit Problemen (vor allem in Shadow-Sequenzen)

Wertung

360

Durch und durch solide Action mit B-Film-Story, B-Film-Figuren und B-Film-Explosionen.

PlayStation3

Die brachiale Rachemär mit Jack und Shadow zeigt viele solide Ansätze, bleibt aber überall im Durchschnitt hängen.

0
Kommentare

Du musst mit einem 4Players-Account angemeldet sein, um an der Diskussion teilzunehmen.

Es gibt noch keine Beiträge. Erstelle den ersten Beitrag und hole Dir einen 4Players Erfolg.