Vancouver 201015.01.2010, Paul Kautz
Vancouver 2010

Im Test:

Ja, mia san mim Snowboard doa: Zum 21ten Male nähern sich die Olympischen Winterspiele, von denen wir gegenwärtig auf den zugefrorenen Straßen einen ziemlich guten, wenn auch verfrühten Eindruck bekommen. Können Super-G und Co. mit Extreme-auf-dem-Fußweg-Ausrutsching mithalten? Oder wenigstens mit dem verhaltenen Spielspaß des Vorgängers Beijing 2008?

Du sollst nicht pfeiltasten!

Video: Vancouver 2010 (ab 5,29€ bei kaufen) bietet 14 Disziplinen aus zehn Kategorien - das klingt abwechslungsreicher als es leider tatsächlich ist.Beijing 2008 war ein Problemkind: 38 Disziplinen klingt erstmal nach viel, uiiiiii, aber wenn die Hälfte davon Mist ist, kann man sich auch gleich auf das Notwendigste beschränken und das richtig auf die Reihe bekommen. Gesagt, für den Nachfolger getan: Vancouver 2010 bietet bescheidene 14 Sportarten von Abfahrt über Super-G, Slalom und Skispringen bis Snowboardcross und Eisschnelllauf. Aus irgendwelchen Gründen alles schön nach Männlein und Weiblein getrennt; so sind auf Snowboards nur Männer, beim Freestyle-Skiing nur Damen unterwegs. Dem Verlust der Herzinfarkte verursachenden Aufregung des Curling wird wohl kaum einer eine Träne hinterher weinen, aber das Fehlen von so essenziellen Disziplinen wie Eiskunstlauf, Biathlon oder Eishockey provoziert schon fragende Blicke.

Genau wie die Tatsache, dass es in Vancouver keinerlei Personalisierungsmöglichkeiten gibt: Der Sportler bzw. die Sportlerin wird vom Programm vorgegeben, man darf nicht mal seinen Namen ändern - es wird automatisch der Gamertag bzw. der PSN-Nickname verwendet. Selbst auf dem PC gibt es keine Namens-Eingabe, denn ob man will oder nicht, unter Windows wird in jedem Fall das Games for Windows LIVE-System genutzt, über das Spielstände gesichert und Achievement-Punkte verteilt werden. Folgerichtig lässt sich Vancouver 2010 auch nur dann richtig spielen, wenn ihr ein Gamepad am Rechner baumeln habt - idealerweise das 360-Pad, denn sowohl Handbuch als auch Menüführung im Spiel sind zu 100% darauf ausgerichtet. Und damit meine ich 100%, denn die Tastatur wird nicht mal in einem Nebensatz erwähnt - so sträflich wird sie vernachlässigt, dass einem nicht mal gesagt wird, mit welcher Taste man eigentlich die einleitende »Willst du dich mit deinem Spielerprofil anmelden?«-Frage beantworten soll. Für Trivia-Freunde: Es ist nicht Enter, sondern »J«. Hat man sich endlich zum Hauptmenü

Bitte kein Weibsvolk: Die Disziplinen sind aus irgendeinem Grund streng nach Geschlechtern getrennt.
gehangelt und will sich dort in das Schneetreiben stürzen, sollte man besser in einem bekannteren Land wohnen, wenn man seine Farben zur Schau stellen möchte: Gerade mal 24 Staaten stehen beflaggt zur Auswahl - als ich das letzte Mal nachgezählt habe, gab es auf Mutter Erde weitaus mehr Länder, von denen auch mehr als 80 in Vancouver antreten werden.

Ich fühle mich herausgefordert

Im Hauptmenü schneit es unscharf, das auf Hochglanz polierte Menü offeriert »Training«, »Olympische Spiele« und »Herausforderungen«. Niemand braucht Training, also stürze ich mich auf die Spiele höchstselbst. Und drei Minuten später mit langem Gesicht wieder raus - das war nix. Das war gar nix! Man kann lediglich eine der 14 Disziplinen wählen, sie runterrattern und sich danach wieder im Hauptmenü wiederfinden. Es gibt keinerlei verbindendes Element, keinerlei »Karriere«, keinerlei »Olympische Spiele« - bäh! Wer will, kann sich dieses Minusvergnügen auch zu viert (hintereinander) an einem PC, im LAN oder via Games for Windows LIVE gönnen; vorausgesetzt dass er in den Weiten des Internetzes überhaupt einen Gegner findet. Falls dies nicht der Fall sein sollte, ist man auf Gedeih und Verderb der KI ausgeliefert, die wie schon im Vorgänger eine adamantiumharte Nuss ist: Ob sie jetzt schummelt oder nicht, kann ich nicht einschätzen - aber was ich einschätzen kann ist, dass es wieder ein Mischding zwischen harter Arbeit und dreckiger Tortur ist, mal auf einen höheren Podiumsplatz zu klettern. Mist, hat der Trainingsmodus also doch seine Daseinsberechtigung...         

Man ist nicht nur auf Brettern unterwegs - auch diverse Bob-Arten stehen zur Verfügung.
Die interessanteste Spielvariante ist also folgerichtig die »Herausforderung«: Hier warten drei nacheinander freizuschaltende Berge mit je zehn Aufgaben auf den Wintersportler. So muss man u.a. mit dem Snowboard möglichst schnell und dabei gleichzeitig präzise an Hindernissen vorbeifahren, einen Berg so schnell wie möglich hinab rasen, keine Kollisionen im Bob kassieren oder mal so richtig weit skispringen. Wie alle anderen Spielvarianten auch ist die Herausforderung in ein Ranglistensystem eingebunden, so dass man seine Highscores entweder mit der Welt oder seiner Freundesliste vergleichen kann. Schade nur, dass es lediglich 30 Herausforderungen gibt - sie sind zwar später knackig schwer, aber trotzdem eben nur 30.

Ansichten eines Athleten

Die tadellose Präsentation war bereits in Beijing der größte Vorteil des Spiels, was in Vancouver nicht anders ist: Den Berg oder Eiskanal hinab geht es beeindruckend rasant und ansehnlich; dass das Publikum lediglich eine Bande von kruden Papp-Aufstellern ist, nimmt man bestenfalls am Rande zur Kenntnis. Neu und im Grunde super ist die Ego-Perspektive, die nicht nur dramatisch aussieht, sondern auch dramatisch klingt: Kurz nach dem Start beginnt der Sportler unter der Maske heftig zu schnaufen. Irritierenderweise verliert das Spiel allerdings an Rasanz, sobald man es aus den Augen der Asse genießt - es wirkt deutlich flotter, wenn man sich auf die Schulterperspektive beschränkt. Sehr schön auch die Animationen, die man nach dem eigentlichen Lauf zu sehen bekommt: 

Aus der Ego-Perspektive gewinnt das Spiel an Dramatik, verliert aber irritierenderweise an Rasanz - das Geschwindigkeitsgefühl ist aus der Schulteransicht wesentlich wirkungsvoller.
Je nach Ergebnis rauscht da ein Strahlemann oder ein gebeutelter Hund ins Ziel, der seine Arme wild in die Luft wirft oder die Schultern auf Knöchelhöhe hängen lässt - auch auf dem Siegertreppchen ist die animierte Freude groß. Sehr viel mehr gibt es allerdings nicht zu sehen, noch nicht einmal ein Eröffnungsfeuerwerk wird dem Spieler gegönnt. Und über die laschen Replays, die automatisch nach dem Lauf abgespielt werden und weder beeinfluss- noch speicherbar sind, wollen wir mal nicht zu viele Worte verlieren.

 Das gilt auch für die Soundkulisse, denn irgendein Schlaumeier bei Eurocom hatte einen wahnwitzigen Einfall: »Hey, lasst uns auf Mainstream gebügelte Gitarrenmusik zu den Rennen abspielen, das finden die Leute mit Sicherheit super!« Das Ergebnis ist ein in jeder Hinsicht belangloses Jungspund-Geschrammel, das nur diejenigen mögen können, für die ein »Nu-« im Genretitel eine tolle Sache ist - bloß gut, dass man diese Band Hero -kompatible Schlaffheit komplett abschalten kann. Ansonsten erwartet das geneigte Spielerohr sehr viel realistisch gesampelter Fahrtwind, in der Ego-Perspektive begleitet vom gleichsam glaubwürdig klingenden Sportler-Gestöhne sowie kurzen Ansagen zu Beginn und Abschluss des Laufs. Kommentatoren gibt es sonst keine, was angesichts der furchtbaren Leistungen ihrer Kollegen in Beijing 2008 wohl eine gute Nachricht ist.   

Fazit

Es ist immer schön, bei einem Nachfolge-Spiel mit guten Nachrichten begrüßt zu werden: Entwickler Eurocom hat dazugelernt und auf die Buttonmasher-Orgien von Beijing 2008 im Großen und Ganzen verzichtet. Wuppdidu. Was sie allerdings bis heute nicht verstehen ist, dass ein Sportspiel, noch dazu eines, das die heiligen olympischen Spiele abbildet, in erster Linie Spaß und nicht Arbeit machen sollte! Dass die Herausforderungen ihrem Namen entsprechend ziemlich herausfordernd sind, ist eine gute Sache - schließlich ist dieser Spielmodus interessanterweise das Fleisch der Vancouver-Hülle. Aber dass Otto Normal-Skischwinger im erschreckend blutleeren Olympia-Modus einmal mehr der hohnlachende »Hahahaaa, das nennst du einen Versuch, du Flasche?«-Stinkefinger in Form von schier unerreichbaren Rekorden und adamantiumharten KI-Gegnern präsentiert bekommt, ist in einem Spiel, das die Familie vor dem Bildschirm einen soll, mal wieder eine Frechheit. Da in diesem Fall noch dazu kommt, dass komplett auf Personalisierung verzichtet wurde und innerhalb der Disziplinen sehr wenig Abwechslung herrscht, rast Vancouver 2010 mit Spitzengeschwindigkeit selbst am verhältnismäßig niedrigen Standard des Vorgängers vorbei auf ein noch tieferes Treppchen - schade um die rasante Grafik und die dramatische Ego-Perspektive. Haltet euch an RTL Winter Sports 2010, das hat dieses Mal den Telemark meilenweit vorn!

Pro

anspruchsvoller Herausforderungs-Modus
gelungene Präsentation
gute Animationen
einfache Steuerung

Kontra

wenige, abwechslungsarme Disziplinen
öder Olympia-Modus
PC-Fassung ohne Gamepad kaum spielbar
teilweise garstiger Schwierigkeitsgrad

Wertung

360

Die schöne Präsentation kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Vancouver 2010 an Abwechslungsarmut sowie einem garstigen Schwierigkeitsgrad leidet.

PlayStation3

Die schöne Präsentation kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Vancouver 2010 an Abwechslungsarmut sowie einem garstigen Schwierigkeitsgrad leidet.

PC

Die PC-Fassung funktioniert nur mit einem 360-Pad richtig, und teilt sich sonst alle Vor- und Nachteile mit ihren Konsolenbrüdern.

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