R.U.S.E. - Don't believe what you see09.09.2010, Jörg Luibl
R.U.S.E. - Don't believe what you see

Im Test:

Echtzeitstrategie? Langweilig! Der Zweite Weltkrieg? Oh nein, nicht schon wieder! Wer mit dieser verständlichen Skepsis einen Bogen um RUSE macht, wird ein ebenso cleveres wie kreatives Kriegsspiel verpassen. Ubisoft kann den platt gewalzten Schlachtfeldern tatsächlich eine neue Facette abgewinnen: Zum ersten Mal befehligt man seine Truppen mit Pokerspannung im Nacken und Brettspielflair vor Augen.

Links antäuschen, rechts einmarschieren

Ob meine List funktioniert? Ich habe mich für den "Scheinangriff" entschieden: Meine Kolonne hölzerner Panzer macht sich auf den Weg zur linken Flanke der Amerikaner. Die sehen auf der Karte allerdings nur große, schwarzweißrote Pokerchips. Und selbst wenn ihr General näher an diesen Sektor heran zoomt, so dass aus den Chips auf dem Spieltisch langsam Polygoneinheiten in einer authentischen Landschaft werden, wird er zunächst fünf mächtige Stahlkolosse erkennen, die sich ihren Weg durch Wiesen und Felder walzen. Damit das Ganze noch bedrohlicher wirkt, schiebe ich noch ein paar kleine Chips, die leichte Einheiten symbolisieren, als Kanonenfutter hinterher. Der Köder ist ausgelegt, die Spannung steigt&

Er müsste doch anbeißen! Es sei denn, mein Kontrahent besinnt sich auf eine alte Weisheit von Miyamoto Musashi, die in der Ladephase erscheint:

"Man muss auch das wahrnehmen können, was man nicht sehen kann!"

Wäre der Amerikaner misstrauischer, könnte er sich meine Einheiten genauer ansehen, indem er mit der Spionage kontert. Es kann natürlich sein, dass er gerade keine List spielen kann, weil die Abkühlzeit noch nicht um ist - umso besser! Ich habe jedenfalls Glück und mein Bluff funktioniert, denn plötzlich zieht mein Feind zwei Drittel seiner kleinen und großen Chips von der rechten Flanke ab, um meinen potenziellen Angriff über links abzuwehren - das müssen seine Stuarts und Shermans, seine Wolverines und 76mm-Panzerabwehrgeschütze sein. Also all das, was mir gefährlich werden könnte!

Ungesehen in Feindesland

Als ich erkenne, wie sich die amerikanischen Truppen in Marsch setzen, aktiviere ich meine zweite List: Ich tarne meine Bewegungen auf der rechten Seite mit "Funkstille", so dass sich mein Kampfverband aus Panthern, Tigern und Sturmgrenadieren unsichtbar dem Feind nähert. Und das kombiniere ich noch mit der List "Blitz", die meine Marschgeschwindigkeit deutlich erhöht. Jetzt komme ich hoffentlich unbemerkt in sein militärisches Zentrum, wo ich seine neuen Waffenfabriken vermute, die in den letzten Minuten mächtige Artillerie produzieren konnten. Die hat er bisher sehr gut vor mir verborgen, indem er das "Tarnnetz" als List nutzte, das vier Minuten lang alle Gebäude unsichtbar macht und so vor dem Beschuss meiner 150mm-Haubitzen bewahrte. Aber gleich wird sich das Blatt wenden&

Sind das wirklich die Gebäude oder habe ich mich zu früh gefreut? Es könnten auch Scheinfabriken sein! Das waren nur zwei der möglichen zehn Listen, die man in RUSE anwenden kann und die gerade im Multiplayer gegen einen menschlichen Kontrahenten für Pokerspannung abseits vom altbekannten Deathmatch sorgen. Am Ende gewinnt man ein Spiel im Multiplayer oder Gefecht auch auf Zeit: Wer hat nach 20 Minuten besser gekämpft und mehr Punkte auf dem Konto? Und da

Auf dem PC sieht R.U.S.E. am prächtigsten aus: Man kann von einem riesigen Spieltisch in das offene Terrain samt aller Einheiten zoomen.
geht es um den effizienten Einsatz der Truppen, die man nicht verheizen sollte - wer teure Gegner zerstört, verdient mehr. Auf dem PC geht es für bis zu acht, auf den Konsolen für bis zu vier Kontrahenten in privaten oder öffentlichen Online-Gefechten zur Sache. Der Host darf Kartentyp/größe, Szenario (1939, 1942, 1945) sowie Spielzeit bestimmen und spätestens wenn man in Ranglisten spielt, sollte man mit den Listen vertraut sein.

Es gibt vier Arten: Verbergen, Enthüllen, Imitieren und Verstärken. Man kann eigene Befehle, Gebäude oder Einheiten tarnen, man kann jene des Feindes aufdecken, man kann Scheineinheiten aufmarschieren, Scheingebäude bauen oder schwere als leichte Einheiten erscheinen lassen und schließlich kann man seine Truppen ganz praktisch schneller, widerstandsfähiger oder Furcht erregender machen. Wer z.B. den "Fanatismus" in einem Kampf aktiviert, verhindert die automatische Flucht seiner Truppen. Außerdem kann man bis zu zwei Listen pro Sektor kombinieren, um sich z.B. sowohl die genauen Einheiten als auch deren Routen anzeigen zu lassen oder um seine Verbände sowohl aggressiver als auch schneller zu machen. Aber auch mit den Täuschungen hat es schnell ein Ende, wenn man nicht aufpasst: Sobald der Feind das eigene Hauptquartier erobert, ist zwar nicht der Krieg verloren, aber die Listen.              

Militärisches Fundament

Gelungene Zwischensequenzen verdeutlichen Geschehnisse auf dem Schlachtfeld.
Aber damit wird RUSE nicht zum Kartenspiel, in dem man den Gegner einfach mal aussticht, weil man die bessere Hand hat. Die Listen sind keine Spiel entscheidenden Joker, denn man kann sie nur für eine bestimmte Zeit in einem Sektor der weitläufigen Karte einsetzen. Außerdem werden sie in Multiplayer-Gefechten erst minütlich freigeschaltet, so dass man nicht sofort auf alle zugreifen kann. Und erst wenn man sie clever kombiniert, unterstützen sie die eigene Taktik effizient. Man muss sich also trotz Täuschung und Tricks weiterhin um militärische Grundregeln auf den weiträumigen Karten kümmern.

Erstmal üben, bevor man sich an Solo- und Team-Ranglisten wagt? Kein Problem: Für Training und Anspruch sorgt die in drei Stufen einstellbare und ihrem Namen überaus gerecht werdende KI, die schon auf dem normalen Schwierigkeitsgrad in den freien Gefechten sowie den sechs groß angelegten Operationen (von Anzio über die Maginot-Linie bis hin zu Kämpfen gegen drei Parteien in Italien) sehr gut kontert und effizient baut. In der Kampagne wirkt sie noch zu durchschaubar und etwas passiv: Trotz der Tatsache, dass auf der riesigen Karte viele Verbündete zu erkennen sind, werden diese einfach nicht effizient eingesetzt, weil die Skripte die Aktionen des Spielers nicht allzu sehr behindern wollen - manchmal gewinnt man quasi mit eine qualmenden Einheit zwischen Feinden.

Daher empfehlen sich für Veteranen eher die einzelnen Schlachten. Wer die Spielmechanik nicht verinnerlicht hat, wird in diesen Gefechten schon auf mittlerer Stufe vom cleveren Computer überwältigt. Interessant sind hier auch die zwei kooperativen Schlachten "Tobruk 1945" und "Mai 1940 Nordeuropa": Man kann online mit einem Freund zusammen

Schach im offenen Gelände: Wohin bewege ich meine Truppen?
versuchen, diese Operationen zu meistern - Erstere lässt das Team nur zwei Korps von Rommel gegen die Alliierten anführen, wobei man nicht alle Truppentypen bauen darf. Man kann das Spiel nicht in stupider Tankrushmanier gewinnen, auch nicht als der schnellere Klicker, aber trotzdem sind auch konventionelle Siege ohne große Nutzung der Listen möglich. Denn unter dieser kreativen Pokeroberfläche schlummert immer noch ein Echtzeitstrategiespiel, das den Grundgesetzen des Genres treu bleibt: Schere, Stein, Papier und Ressourcen optimal nutzen.

Schere, Stein, Papier

Wer einfach viel baut und alles auf den Feind hetzt, wird in RUSE keine Chance haben: Infanterie macht Panzerabwehr platt, Jäger vernichten Bomber, Panzer walzen Infanterie nieder, Artillerie räumt mit Gebäuden auf etc. Es gibt für jeden Truppentyp mindestens einen Konter und natürlich sorgen ideal zusammen gesetzte gemischte Verbände für schwer zu knackende Feuerkraft: Man nehme z.B. zwei schwere Panzer, ein Panzerabwehrgeschütz, dahinter mittlere Artillerie, die von der Infanterie geschützt wird und dazu einen Aufklärer - eine tödliche Kombination. Vielleicht Bomber? Auch Flieger spielen eine Rolle, denn sie können weite Entfernungen am schnellstens überwinden und vor allem Artillerienester in Bergen ausräuchern.

Jede der sechs Nationen verfügt über teilweise authentisch, teilweise fiktiv angepasste Truppen von Soldaten und Fallschirmjägern bis hin zu schweren Geschützen, die in Kasernen, Artillerie-, Panzer-, Panzerabwehr- und Prototypen-Basen sowie auf Flugfeldern rekrutiert werden. Dabei gibt man sich zwar historisch inklusive kurzer Beschreibungen über den deutschen "Panther" oder die britische "Matilda", aber lässt sich auch Freiheiten bei der Namengebung bis hin zum Einsatz von fiktiven Fahrzeugen.

Der französische Panzer "ARL 44" hat zwar im Spiel dieselben imposanten Werte wie der Königstiger, aber wurde erst nach dem Krieg gebaut. Trotzdem ist die "Rusopedia" mit der Auflistung aller Einheiten samt ihrer Stärken und Schwächen eine hilfreiche Ergänzung, zumal man hier gut erkennen kann, welche Truppen man 1939, 1942 oder erst bei der Aktivierung eines Spiels mit Einheiten von 1945 einsetzen kann.             

Bauen solange die Beute reicht

Leider täuscht die grandiose Panoramaperspektive über die Schwächen im Texturdetail hinweg.
Alle Fraktionen verfügen zwar auf den ersten Blick über identische Truppentypen, aber innerhalb der Waffengattungen gibt es doch kleine Unterschiede, was die Anzahl der Bunker oder die Schlagkraft einzelner Fahrzeuge angeht - wer die Italiener einsetzt, hat kaum defensive Stellungen und wird selbst mit seinem schwersten Panzer keine Chance gegen die Kolosse der Deutschen haben. Die Amerikaner und Briten haben etwas mehr Kraft in der Luft als die Franzosen und nur die Russen dürfen den Mehrfachraketenwerfer "Katyusha" einsetzen, falls sie ihn erforschen. Obwohl gerade die Italiener sehr schwach wirken, kann man mit jeder Nation jede andere schlagen, denn es geht nicht zuallererst um die totale Vernichtung oder offene Schlachten im XXL-Maßstab, sondern um den geschickten Einsatz kleinerer Verbände.

Und hier reichen manchmal die Nadelstiche gegen die vermeintlich Großen. Das Schöne ist nämlich, dass RUSE die Effizienz mit Punkten belohnt: Wer einen stärkeren, also hinsichtlich der Kosten teuren Feind besiegt, kassiert auch deutlich mehr Punkte - wer also mit den günstigen Fußtruppen ständig Panzer plättet, macht ordentlich Nettogewinn. Wer es mit der Kanonenfuttermentalität zu weit treibt, wird keine Punkte gewinnen. Dazu zählt auch das Ausbeuten von Rohstoffpunkten, denn ohne Dollars ist auch in RUSE nix los. Ein Königstiger verschlingt satte 50.

Um Gebäude oder Fahrzeuge überhaupt bauen zu können, braucht man Geld, das man wiederum von den fest auf der Karte installierten Nachschublagern bekommt, die zu Beginn neutral sind und erobert bzw. bebaut werden können. Das sorgt umgehend für eine geostrategische Gewichtung, denn diese wertvollen Orte sollte man zügig sichern und schnell ausbeuten, bevor sie erschöpft sind. So beginnt vor allem im Multiplayer schon früh ein Wettlauf um die besten Plätze - auf dem PC für bis zu acht, auf den Konsolen für bis zu vier Kontrahenten. Man kann einen Feind finanziell in die Knie zwingen, indem man dessen Lager einfach erobert oder seine verwundbaren Laster auf den Versorgungsstraßen attackiert, bevor sie ihre Dollars ins Hauptquartier schaffen. Oder man stärkt seine eigenen Finanzen über die Errichtung eines Verwaltungsgebäudes, denn das bringt automatisch alle vier Sekunden einen Dollar.

Sichtweite und Feuerradius

Welcher Panzer darf es sein? Man kann Prototypen erforschen und bestehende Modelle aufrüsten.
Die Infanterie spielt eine entscheidende Rolle in RUSE, denn nur sie kann nicht nur Gebäude erobern. Außerdem ist sie, ähnlich wie in World in Conflict , sehr schlagkräftig aus Wäldern heraus: Wenn man sie zwischen den Bäumen beiderseits einer Straße versteckt oder in einer Stadt mit ihnen einen Hinterhalt legt, kann sie verheerenden Schaden mit ihren Panzerfäusten anrichten und ganze Kolonnen an Panzern oder auch feindlicher Schützen vernichten. Man kann gerade enge Passagen sehr lange halten, obwohl man in der Unterzahl ist. Das zwingt wiederum dazu, dass man vor einem Angriff die Aufklärung nutzt, um sie zu enttarnen - entweder über Listen oder eigene Erkundungsfahrzeuge. Stellt man diese neben die eigenen Geschütze, profitieren sie direkt und feuern weiter.

Nicht nur die Wälder und Städte bilden wichtige Elemente innerhalb der Aufklärung des Vorfeldes. Auch die Berücksichtigung der möglichen Schussreichweite und der Winkel spielt eine große Rolle: Wenn ich einen Panzer in die Stadt fahre, kann er den Wald dahinter nicht unter Beschuss nehmen, wohl aber den Teil der Straße bis zur nächsten Kurve - all das wird kontextsensitiv über markierte Radien angezeigt; sehr schön! Und wenn ich meiner Artillerie kein Ziel über die Aufklärung feindlicher Gebäude geben kann, wird sie nicht loslegen können. Je nach Gelände ändert sich zudem der Feuerradius und damit die Effizienz der Einheiten - Berge, Städte und Wälder bilden Hindernisse, die man beachten sollte, um optimale Schusskegel zu finden.      

Immer auf dem Asphalt

Nur wer das große Ganze im Auge behält und clever kontert, wird am Ende gewinnen.
Dazu gehören auch die Straßen, denn bei einem Bewegungsbefehl werden sich normale Fahrzeuge immer an ihnen orientieren: Sie fahren nicht wüst durch das Gelände wie Panzer, sondern suchen sich den besten Weg zur nächsten Straße - das kann man natürlich für Überfälle ausnutzen, indem man die Wälder in der Nähe besetzt. Sehr schön ist, dass auch die Geschwindigkeit eine taktische Rolle spielt: Fünf kleine Schützenpanzer sind als Gruppe deutlich schneller am Zielort als fünf Einheiten gemischten Typs von der Infanterie bis zum Panzer. Denn in RUSE verlangsamt eine solche Gruppe ihre Marschgeschwindigkeit und bleibt dicht als Kolonne beisammen, da die Jeeps nicht einfach nach vorne preschen. Sie hält zwar in Bewegung keine Formation, aber das ist trotzdem optimal, denn so kann man sie besser schützen oder im Ernstfall schnell stoppen, weil sie sich dann umgehend gen Feind ausrichtet - man braucht also nicht viel Mikromanagement, obwohl die Steuerung auf den Konsolen ihre Tücken hat.

Die geostrategische Übersicht in RUSE bietet allen Komfort - man hat Zugriff auf ein authentisches topographisches Panorama und kann alle Gebäude schnell sowie kontextsensitiv an Straßen errichten. Man kann die Kamera so weit rauszoomen, dass man von oben auf einen Spieltisch schaut, der wie ein riesiges Diorama das komplette Gelände einer Region mit all ihren Straßen, Dörfern und Flüssen abbildet, vom Strand bis zu den Alpen ; und überall erkennt man kleine und große, teilweise gestapelte Chips, die die Kriegsparteien darstellen . Mit jeder Zoomstufe kann man sich dann weiter in das Gelände hinein bewegen, bis man selbst einzelne Büsche oder Bäume erkennt.

Schwächen im totalen Zoom

Diese extreme Detailansicht ist dann allerdings nicht mehr so atemberaubend, was Texturen von Gebäuden oder die Körnigkeit von Straßenbelägen angeht. Auf den Konsolen hinkt man dem PC übrigens deutlich hinterher - man beobachtet vereinzelte Pop-ups, kann nicht ganz so sanft zoomen, hinzu kommen gröbere Oberflächen, Schatten und Spiegelungen. Wer auf der Xbox 360 loslegt, sollte unbedingt die Installation wählen, da das Spiel ansonsten ruckelt und zuckelt.

In dieser nahen Perspektive zeigen sich auf allen Plattformen die physikalischen Inkonsequenzen in der Hitze des Gefechts: Panzer schießen schon mal klar durch Bauernhäuser, ohne dass es einen Schaden geben würde, Infanterie ballert scheinbar durch so manchen Hügel und ein Jagdbomber taucht bei seinem Sturzflug einfach mal in den Acker ein, um etwas später wieder rauszukommen - bei den Kollisionen hapert es dann doch. Das ist ärgerlich, aber in RUSE geht es eher um die große Taktik auf dem Spieltisch, nicht um simulierten Krieg inklusive korrekt einstürzender Altbauten; etwas mehr Authentizität hätte allerdings nicht geschadet.

         

Kampagne im Zweiten Weltkrieg

Infanterie in Städten und Wäldern sorgt für Überfallangriffe mit dreifachem Schaden - ideal für Hinterhalte.
Dieser Krieg mit Brettspielflair und Pokerspannung macht sogar in der Kampagne Spaß, obwohl man vermutet, dass man dort auf all das zwischen Tunesien, Normandy und Stalingrad trifft, was schon so viele Spiele thematisiert haben - die alte Leier des Zweiten Weltkriegs. Aber in der Story geht es eher um militärische Intrigen und Persönlichkeiten als um das große Theater auf nationaler Ebene. Sprich: Es werden Charaktere aufgebaut, die Rechnungen offen haben und sich gegenseitig ausspielen - ganz so, als wäre das ein internationales Pokerturnier mit Soldateneinsatz.

Zwar ist die KI hin der Kampagne lange nicht so stark wie im normalen Gefecht, nutzt deutlich weniger Listen und man hat zumeist nur beschränkten Zugriff auf die militärischen Möglichkeiten der Alliierten - aber man lernt das Spiel von der Pike auf. Man wird sehr behutsam mit den Listen und Taktiken vertraut gemacht, während man einer alles andere als packenden, aber soliden Story rund um Spionage und Verrat folgt, in der prominente Akteure der Zeit von Canaris bis Rommel auftauchen. Und sowohl deren lebendige Mimik als auch die Sprachausgabe können in den zahlreichen Zwischensequenzen überzeugen. Alles dreht sich darum, wer wohl hinter dem Decknamen "Prometheus" steckt, denn er scheint den Deutschen die exakten Positionen der Alliierten zu verraten, was zu verheerenden Verlusten führt.

Wer ist Prometheus?

In der Rolle des gebrannten Majors Joe Sheridan, der an einer "verratenen" Schlacht teilnehmen musste, befehligt man auf Seiten der Alliierten zunächst kleine Truppenverbände, um mit der Spielmechanik vertraut zu werden. Trotzdem wird man bereits in große Schlachten in der Endphase des Krieges geworfen, die durchaus beeindrucken: Überall Qualm und Rauch im Gelände, dutzende Pokerchips auf allen Seiten, darunter rote, blaue und grüne - während Sheridan & Co noch am Spieltisch über die Taktik sinnieren, fährt die Kamera dann langsam runter in den kleinen Bereich, den er kontrollieren darf; sehr ansehnlich. Es geht schließlich über zwei Jahre von Tunesien über Italien und die Normandy zurück nach Deutschland zum finalen Showdown des Jahres 1945. Obwohl man die Charaktere recht gut inszeniert, ist diese Story in ihrer Entwicklung doch etwas zu schnell durchschaut.

Auf den ersten Blick gibt es im Feld nicht viel Neues zu lernen: Man kann gemischte Einheiten auf dem PC per Lasso oder jene gleichen Typs per Doppelklick markieren. Vor allem das Auswahlviereck per gedrückter Maustaste macht das Markieren gemischter oder weitläufig verteilter Verbände am Rechner wesentlich einfacher als auf den Konsolen. Hier wirkt alles intuitiver und präziser, obwohl man auf allen Systemen ein Problem mit der Auswahl einzelner Einheiten aus Stapeln hat, wenn man aus großer Distanz spielt: Hier hätte man das präzise Durchschalten, vielleicht über das Steuerkreuz oder das Mausrad ermöglichen sollen.

Auf PS3 und 360 muss man sich an die Steuerung zunächst gewöhnen, aber dann funktioniert sie bis auf eine Ausnahme ordentlich: Sichtbare Einheiten gleichen Typs kann man nicht über Doppeldruck aktivieren, sondern über einen Kreis, der sich nach Knopfdruck vom Zielpunkt ausweitet - so kann man zwar sechs dicht beieinander stehende leichte Panzer auswählen, aber eben nicht vier oder nur drei, denn es gibt kein Lasso zum Markieren. Gerade wenn es an einem Ort hitzig wird, weil Soldaten, Geschütze und Panzer aktiv sind, kann man mit dem Gamepad nur über mehrere Aktionen etwas Ruhe und Ordnung reinbringen. Trotzdem kann man mit etwas Geduld auch von der Couch aus seine Verbände kontrollieren, indem man frühzeitig Gruppen einteilt.

Schade ist, dass man die neue Move-Kontrolle für die PS3 hier nicht richtig ausnutzt: Wer Move aktiviert, kann zwar bequem hinein und rauszoomen, indem man den Leuchtcontroller nach vorne bzw. hinten zieht; außerdem kann man über ein einfaches Schütteln Menüs öffnen und schließen, was allerdings wesentlich anfälliger ist als der einfache Knopfdruck. Aber erstens reicht ein Move-Cotroller alleine nicht, man braucht auch den Analogstick eines zweiten Controllers, um z.B. die Karte zur Seite zu bewegen. Zweitens verzichtet man auf die Einbindung einer Lassomethode, obwohl Move doch dafür prädestiniert wäre: Einfach per Cursor ins Gelände zeigen, Knopf gedrückt halten und einen Auswahlkasten aufziehen! Unterm Strich spielt sich RUSE mit einem Gamepad besser und weniger verwirrend als mit Move. .

Zu wenig militärische Finessen

Man vermisst auf allen Plattformen eine variable Ausrichtung oder wenigstens wählbare Grundformation für jene Einheiten, die man von A nach B schickt - sie lassen sich zwar kontextsensitiv ausrichten, nehmen dann aber nicht immer eine optimale Position ein. Es gibt auch keine rudimentäten Verhaltensweisen wie defensiv, offensiv oder Ähnliches, so dass man des Öfteren beobachten muss, dass Einheiten am Zielort plötzlich noch einen Schlenker nach vorne machen, um den Feind zu attackieren. Hier wünscht man sich als General eine präzisere und vielfältigere Kontrolle der Verbände, aber unterm Strich funktioniert der automatische Beschuss ganz ordentlich - zumal man im Menü einstellen kann, ob Gebäude auch attackiert werden, sobald sie in Reichweite kommen.

Die Blitze zeigen an, dass die List mit dem Geschwindigkeitsboost gespielt wurde.
Etwas schade ist, dass die eigenen Truppen in der Kampagne nicht an Erfahrung gewinnen oder übertragbar sind. Manchmal werden die eigenen Verbände zum Start der nächsten Mission auch einfach angepasst, ohne auf die Zusammensetzung des Missionsendes zu achten. Und man fragt sich, warum man im Level aufsteigt, wenn man doch nichts Konkretes mit den Erfahrungspunkten kaufen kann? Hier hätte man schon früh in der Kampagne zusätzliche Spezialeinheiten oder Ähnliches als käufliche Belohnung anbieten sollen. So muss man diese erst in den Prototypen-Fabriken entwickeln, die man in der Kampagne erstmal gar nicht bauen kann.

Dafür stimmen die Inszenierung und das Missionsdesign: Schon während der Schlacht werden Hilfskräfte oder vorrückende Feinde in kleinen Einspielern über geteilte Bildschirme präsentiert. Außerdem sorgen die militärischen Aufgaben für Abwechslung: Es geht in den Missionen mal um die schnelle Eroberung bestimmter Ziele, mal um die geschickte Verteidigung im Mehrfrontenkrieg oder die gezielte Ausschaltung bestimmter Waffengattungen, um vorrücken zu können. Man muss seine Konvois schützen, den Feind enttarnen und abwehren oder eine Stellung auf Zeit halten. Wer nach der etwas zu leichten Kampagne echte Herausforderungen sucht, sollte sich im Multiplayer austoben oder den Operationen widmen. Das sind spezielle Kriegsschauplätze mit vorgegebenen Einheiten, die man auch kooperativ angehen kann.          

Fazit

Pokerspannung an einem riesigen Kommandotisch? In Echtzeit mit stufenlosem Zoom von gestapelten Chips bis hin zu walzenden Panzern? Endlich mal ein frischer Ansatz, endlich ein kreativer Impuls für dieses Genre! Zwar hält das Panorama des Krieges en detail nicht das, was es auf den ersten topographischen Blick zu versprechen scheint: Authentische Schlachten mit realistischen Einheiten im riesigen Google-Earth-Maßstab - nein, dieser Krieg ist weder was die Zahlen noch was die Physik oder Inszenierung angeht so etwas wie eine Simulation der Frontwirklichkeit, kein Sudden Strike XXL und kein Total World War 2. Anspruchsvolle Feldherren werden einige Finessen in der Steuerung, grafische Details sowie bissigere Feinde in der überraschend gut inszenierten Kampagne vermissen. Aber dieses Spiel erobert mit seinem Brettspielflair eine taktische Nische: Denn auf den zweiten Blick besticht RUSE nicht nur mit seiner Mischung aus Täuschen und Tarnung, aus Aktion und Reaktion, sondern auch mit klassischen militärischen Tugenden. Das kreative Spieldesign wendet sich an Generäle mit Köpfchen, die erst aufklären und dann clever zuschlagen wollen - und gerade in den einzelnen Gefechten überzeugt die hartnäckige KI. Hier kann man wunderbar trainieren, um sich im gelungenen Multiplayer trickreiche Schlachten zu liefern!

Pro

gut inszenierte Story
innovatives Spielprinzip mit Listen
cooles Spieltisch-Panorama mit Zoom
charmantes Poker- und Brettspielflair
clevere Taktiken & Aufklärung werden belohnt+ abwechslungsreiche Missionen
Kampagne mit Parteienwechsel
sechs spielbare Nationen
angenehm fordernde KI im Gefecht und Operationen
Punktgewinn nach Zeitlimit möglich
bis zu vier (PS3, 360)/bis zu acht Spieler online (PC)
sehr gute deutsche Sprachausgabe & Zwischensequenzen

Kontra

- x-mal durchgekauter Schauplatz
Kampagnen-KI etwas zahnlos
keine konsequenten Kollisionen im Gelände
keine Formationen/Verhaltensweisen für Zielort wählbar
Steuerung fehlt Lasso (PS3, 360)

Wertung

360

Zwar nicht ganz so komfortabel zu steuern und weniger prächtig, aber eines der besten Strategiespiele für Konsole!

PC

Pokerspannung im Nacken und Brettspielflair vor Augen: RUSE erobert eine taktische Nische!

PlayStation3

Schade, dass Move nicht für mehr Präzision sorgt! Trotzdem kommt keine Echtzeitstrategie auf PS3 an RUSE heran!

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