Fallout: New Vegas22.10.2010, Jörg Luibl
Fallout: New Vegas

Im Test:

Nach ein paar Schüssen in den Kopf ist das Leben für die meisten Getroffenen vorbei. Aber in Fallout: New Vegas (ab 2,45€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) fängt es für einen totgeweihten Kurier erst an: Er überlebt den mörderischen Überfall, weil ihn ein seltsam freundlicher Roboter aus dem blutigen Sand birgt und ein hilfsbereiter Arzt rechtzeitig die Kugeln entfernt. Bitte dreimal raten, wofür sich der frisch gerettete Held im darauf folgenden Abenteuer brennend interessiert? Richtig, und so beginnt er seine Suche in der sengenden Hitze des postnuklearen Amerika.

Rage against the Machine

Bis hierher ist es ein langer Weg: Wer in den bunten Sperrbezirk will, muss entweder 2000 Kronkorken zahlen oder die Wachroboter mit seinem wissenschaftlichen Know-how überzeugen.
Ich schleppe mich mit einem verkrüppelten Bein, akuten Entzugserscheinungen und halb verdurstet in den Kontrollraum. Meine Wahrnehmung sinkt, meine Kraft schwindet. Soll ich das letzte Stimpak jetzt einnehmen? Sicher ist sicher: Meine Lebensleiste wächst ein wenig, dann hört dieser bedrohliche Herzschlag endlich auf und es summt nur noch in der Stille. Vor mir liegt der Rechner einer gigantischen Stromanlage, hinter mir eine lebensgefährliche Tour, deren letzte Meter ich nur schleichend an schießwütigen Wachrobotern vorbei überstanden habe. Jetzt durchatmen, endlich bin ich da!

Aber was ist das? Wieso funktioniert der Computer nicht, warum kann ich die verdammte Maschine nicht aktivieren? Ich werde erst wütend. Dann schaue ich mich um. Ach so, ich muss erst das Notstromaggregat einschalten! Das ist ja kein Problem, also klick ich einfach darauf und Murphy lässt grüßen - es ist defekt! Man braucht ein Stück Altmetall und eine Reparaturfähigkeit von 35, um es in Gang zu bringen. Ich habe kein Altmetall und ich habe nur ein Know-how von 24. Ich fluche, fühle mich nach all den Strapazen fast deprimiert. Doch ich will an diesem Ende der Quest nicht aufgeben, zumal sich meine Entscheidungen über den Strom auf die gesamte Region auswirken können. Werde ich ihn als Waffe nutzen, nur New Vegas zukommen lassen oder gerecht unter allen Orten verteilen?

Kampf um Altmetall und Intelligenz

Vor dem Strip steht der Konflikt in der Mojave-Wüste: Dynamit kann gegen die Panzerung der Riesenskorpione und andere mutierte Insekten helfen.
Dieses Rollenspiel überlässt mir immer die freie Wahl. Als brachialer Kämpfer spielen oder als geschickter Scharfschütze? Folter oder Psychodruck im Verhör? Eine Militärregierung einsetzen oder einen korrupten Sherriff? Schnelles Geld verdienen oder Datenvernichtung zum Wohle der Menschheit? Es führt weder auf der politischen noch auf der spielmechanischen Ebene in lineare Sackgassen, sondern eröffnet immer mehrere Auswege. Wer eine harmlose Aufgabe wie die Untersuchung einer Raketenanlage oder eines Vaults startet, muss damit rechnen, dass er sich in einem Konflikt zwischen verfeindeten Parteien und optionalen Zielen wieder findet. Ganz selten geht es um klassisches Holen und Bringen, viel öfter um überraschende Recherche vor Ort in liebevoll ausgearbeiteten Nebenquests mit glaubwürdigen Charakteren.

Auch in dieser Situation im Kontrollraum steigt meine Motivation wie in zig anderen abwechslungsreichen Quests nach ein wenig Überlegung: Hatte ich da nicht ein Magazin "Selbst ist der Mann!" etwas weiter oben gefunden und in meinem Rucksack verstaut? Schnell wühlen: Hurra, da ist es - und das erhöht meine Kenntnisse temporär um zehn Punkte. Und wenn ich meine Intelligenz wenigstens kurzfristig über ein Aufputschmittel steigern kann, erreiche ich locker die 35! Abhängig bin ich sowieso schon, der Arztbesuch wird meine nächste Quest...

Und Altmetall? Das hinterlassen die Wachroboter! Allerdings wird das kniffliger, denn ich bin körperlich am Ende, habe keine Granaten mehr und nur noch wenig Munition - vor allem keine Panzer brechenden Geschosse für meinen schweren Colt. Aber ich habe noch eine letzte Splittermine: Also schleppe ich mich aus dem Raum heraus, folge dem Gang, sehe den Roboter, schieße ihn an und höre ihn mit seinem Warnruf anrollen. Ich platziere die Mine, ziehe mich sofort zurück und warte ... einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig - KRABUUUMMM! Der Blecheimer quietscht noch vorwärts, ich aktiviere das Zielsystem und hoffe, dass die drei Kugeln ausreichen, um ihm den Rest zu geben.                     

Die erlösende Zeitlupe

Weite Sicht, heißes Land: Auf dem PC wirkt die Landschaft etwas ansehnlicher als auf PS3 und 360.
Ein Treffer, zweiter Treffer, dann begleitet die Kamera in Zeitlupe das letzte Projektil auf seiner Reise zum Roboter, der daraufhin explodiert - hurra! Ich sammle das Altmetall ein, humple zum Notstromaggregat, schlucke Aufputschmittel, verwende das Buch und siehe da: Ich kann das Teil endlich reparieren! Nicht nur das: Es gibt prompt Erfahrungspunkte und einen Stufenanstieg. Ich atme durch, ich freue mich. Und ich steigere in weiser Voraussicht meine Reparaturfähigkeiten um zehn, gebe den Rest auf meine Schusswaffen. Außerdem kann ich mir ein Talent aussuchen: Will ich in Zukunft mehr Gesprächsoptionen mit Frauen oder Männern? Will ich Leichen essen oder mehr Punkte nach der Magazinlektüre gewinnen? Will ich Scharfschütze sein oder weniger Schaden einstecken?

Spätestens hier bin ich wieder ganz tief in der angenehmen Grübelei und einer postatomaren Spielwelt versunken, die mich schon in Fallout 3 so begeisterte. Spätestens hier wühle ich in einem Auftragsbuch zwischen dutzenden Quests - soll ich den Sexbot für den Casinobetreiber suchen oder jage ich den Spion der Legion in der Kaserne? Und wenn es mal weiter raus in die Wildnis geht, weil eine Karawane vermisst oder eine Vault untersucht werden will, sinniere ich über die kommende Route und die nächsten Einkäufe. Jeder Schritt will wohl überlegt, der Rucksack gut gepackt sein: Denn im optionalen Hardcore-Modus, den ich allen Rollenspielern nur wärmstens empfehlen kann, kommt die Spannung einer lebensfeindlichen Endzeitwelt mit den Auswirkungen von Verletzungen, Hunger, Durst und Müdigkeit erst richtig zum Tragen. Man freut sich selbst über Kleinigkeiten wie aufbereitetes Wasser oder einen frischen Apfel.

Zeit vorspulen und auf Faszination warten

Das Jahr 2281 versprüht den Charme der 50er: Man wandert zwischen Schrotthaufen und Werbeplakaten gen Vegas. Wer nur der Hauptstory folgt, kann das Spiel in unter 20 Stunden beenden - alle anderen freuen sich auf 30 Stunden plus x.
Trotzdem ist das natürlich keine Simulation: Man kann schnell über die Karte zu einmal entdeckten Orten reisen, kann neuerdings Gegenstände über Express-Briefkästen zwischen ihnen tauschen. Und neben dem Speicherkomfort mit regelmäßigen automatischen Sicherungen darf man die Zeit um beliebig viele Stunden vorstellen. Sehr nützlich, wenn man in einer Quest einem nächtlichen Einbrecher auf der Spur ist oder ein verrückter Bauer um Mitternacht unsichtbare Gestalten sieht - spinnt er oder hat er Recht? Aber Vorsicht: In der vorgespulten Phase wirken im Hardcore-Modus ebenfalls Hunger, Durst & Co. Es empfiehlt sich übrigens, sich einen Schlafplatz mit Stauraum in der Wildnis oder einem der Hotels zu suchen, da auch das Gewicht der Munition eine Rolle spielt. Apropos: Von Laser bis Plasma, von Hohlspitz bis Panzer brechend, von Klein- bis Großkaliber ist alles dabei - und natürlich wirkt sich alles je nach Rüstung und Gegner anders aus.

Aber bis zu dieser Faszination hat das Abenteuer ein paar Stunden gebraucht. Die Hauptstory um den angeschossenen Kurier, der plötzlich aufwacht um die mysteriösen Täter zu suchen, ist nicht gerade spannend - der erzählerische Weg durch die Pampa nach Vegas scheint quasi vorgezeichnet. Und schon der Einstieg wirkt mit der knappen Charaktererstellung wie ein schwacher Aufguss des grandiosen Vorgängers; anstatt eine komplette Kindheit zu erleben, klicke ich mich durch einen Psychotest mit Rorschachbildern und Wortassoziationen. Diesmal spielt man keinen Bewohner einer Vault, der plötzlich die Außenwelt entdeckt, sondern einen erwachsenen Boten, der dort schon ein Leben geführt haben muss - über das man kaum etwas erfährt. 

Ein brutaler Hauch von Dead Rising: es gibt viele neue Nahkampfwaffen wie etwa den Golfschläger. Man hat 30 Level Zeit, um seinen Charakter zu entwickeln.
Trotz dieser Ernüchterung darf man das großartige Fundament des Charaktersystems nicht vergessen: Das an das Pen&Paper-Rollenspielsystem GURPS angelehnte S.P.E.C.I.A.L.-System ist eines der besten seiner Art, weil es eine offene und markante Entwicklung des Charakters um die sieben Grundwerte Stärke, Wahrnehmung, Ausdauer, Charisma, Intelligenz, Beweglichkeit und Glück ermöglicht. Darüber hinaus kann man dann bei einem Aufstieg Punkte auf zig Fertigkeiten wie Sprache, Schusswaffen, Medizin, Nahkampf, Dietrich, Wissenschaft etc. verteilen.  Hinzu kommen die Spezialfertigkeiten, mit denen man besondere Boni ergattert oder in bestimmten Fähigkeiten schneller voran kommt: Als "Ladykiller" fügt man Frauen zehn Prozent mehr Schaden zu und erhält weitere amoröse Dialogoptionen, als "Heller Kopf" bekommt man immer zehn Prozent mehr an Erfahrung. Außerdem werden je nach Erfahrungsstufe spezielle Fertigkeiten freigeschaltet, so dass es immer kniffliger wird, sich zu entscheiden - zumal sich manche Talente erst ergeben, wenn man eine bestimmte Kombination aus Grundwert, Fertigkeitshöhe und/oder Levelstufe erreicht hat. Nur wer Schleichen und Nahkampf auf eine hohe Punktzahl bringt, kann irgendwann Ninja werden. Wer sich spezialisieren will, bekommt also reichlich Gelegenheit und kann sich als Rollenspieler wesentlich individueller entwickeln als etwa in Mass Effect 2 .        

Skeptischer Einstieg

Attacke in vollem Lauf: Vor allem die Banditen greifen mit Macheten, Knüppeln und sonstigen Nahkampfwaffen an.
Die anfängliche  Art der Charaktererstellung im Zwiegespräch mit dem Doktor ist zwar unterhaltsam, weil ich nicht genau weiß, was am Ende eines Psychotests heraus kommt. Aber ich freue mich danach mehr über die Möglichkeit, die obskuren Ergebnisse manuell ändern zu können. So starte ich mit meinem erstellten Wunschkurier in einem Kaff namens Goodsprings, sammle erste Informationen über die Tat und helfe den wenigen Anwohnern gegen Banditen, um mich für die Kronkorken mit Lebensmitteln und Ausrüstung einzudecken. Schon bald erfahre ich etwas über die außenpolitische Machtlage im Amerika des Jahres 2281: Zwei große Parteien kämpfen um den strategisch wichtigen Hoover-Staudamm. Man muss das vier Jahre vorher angesiedelte Fallout 3 nicht kennen, um sich zurechtzufinden, aber es gibt ein paar Anspielungen für Kenner - wie etwa Aktionen der stählernen Bruderschaft.

Ansonsten werden die politischen Karten zwischen Arizona und Nevada neu gemischt: Da wäre zum einen das konservative Militär der Republik Neu Kalifornien (RNK) mit seinen Rangern und Offizieren, das aufgrund seiner strengen Gesetze beim Freiheit liebenden Landvolk eher misstrauisch beäugt wird. Auf der anderen Seite lauert die Armee der Legion, die vor allem aufgrund ihrer Brutalität und Sklaverei gefürchtet ist - ihre Soldaten sehen aus wie eine Mischung aus Mad Max-Barbaren und römischen Centurionen. Zwischen diesen Mächten agieren noch zahlreiche Banden, rivalisierende Händler, Kultisten und vor allem die große Stadt New Vegas, die sich bisher weder der RNK noch der Legion angeschlossen hat. Auch dort kämpfen drei mafiöse Gruppen um die Macht. Und wer ist eigentlich Mr. House? Der Pate? Aber obwohl das neugierig macht und sich nach angenehmer Fraktionsvielfalt anhört, die vor allem im späteren Verlauf für Spannung sorgt, tue ich mich mit dem Abenteuer zunächst schwer.

Eine Technik, die nicht begeistert

Man erstellt seinen Charakter in einem Psychotest, kann aber später alles manuell anpassen.
Nicht nur, weil die Kuriergeschichte etwas aufgesetzt wirkt, sondern weil die Kulisse zwei Jahre nach Fallout 3 nicht gerade begeistert. Der Asphalt lockt zwar in Ego- oder Schultersicht mit angenehmer Schärfe und im Vergleich zu anno 2008 wirkt das Spiel gerade auf Konsolen etwas weicher, farbenfroher und der Himmel einladender - der Abstand zum Rechner ist diesmal deutlich geringer. Das Rollenspiel zeigt allerdings eine Wüstenkulisse, die hinsichtlich der Texturen und Details eine Klasse hinter Red Dead Redemption liegt, und eine Mimik sowie Figurenanimationen, die eine Klasse hinter Mass Effect 2 liegen. Hinzu kommen einige Probleme mit Clippings und Kollisionen: Da versinkt ein Skorpion im Kampf schon mal komplett in der Felstextur, da schwebt schon mal eine Kuh einen Meter in der Höhe, wenn sie einem Schrottauto begegnet und die Todesanimation zeigen manchmal alberne Ragdollverrenkungen, die mit Physik nichts zu tun haben. Warum fliegt ein Mann nach einem Kopfschuss wie eine Puppe acht Meter in die Luft? Dieses Fallout hat einige hässliche Seiten und kann trotz seiner weiten Sicht weder die Pop-ups noch die Fade-ins auf allen Systemen verbergen. Also machen wir es kurz: Obsidian kann im Jahr 2010 keine Technikbegeisterung entfachen, denn auch wenn das Ganze auf dem PC noch etwas schärfer aussieht als auf 360 oder PS3, gibt es auch dort all diese Defizite bis hin zum späten Nachladen von Texturen.

Zwischen Kreuzigung und Countrysong

Aber Obsidian kann eine bizarre Stimmung zwischen Endzeitwahnsinn und Heileweltidylle im 50er-Jahre-Stil erzeugen: Wenn ich auf meiner Wanderung an Gekreuzigten vorbei komme, die noch lebend am Holz hängen (ansprechen? ausrauben? töten bzw. erlösen? danach doch ausrauben?), während im Radio ein Countrysong von romantischer Liebe schnulzt, dann ist das ein Kontrast, der es in sich hat. Man begegnet auf den ersten Blick einer Welt zwischen klaren moralischen Extremen,

Kann man einem Ghul trauen? Das Abenteuer überrascht mit markanten Charakteren und vielen guten Quests.
zwischen brutalem Sadismus und naiver Hilfsbereitschaft. Aber auf den zweiten Blick zeigen sich selbst dort die Grauzonen in all den gut geschriebenen Quests, denn selbst der gesetzestreue Sheriff oder das gerade befreite Opfer kann ein egoistisches Schwein sein. Plötzlich wird man als Retter angepöbelt! Es gibt psychopathische Wissenschaftler und selbst ein Ghul kann zum glaubwürdigen Messias werden, wenn er seine Herde per Rakete ins Paradies schießen will - eine der besten Missionen thematisiert diesen skurrilen Kult. Man ertappt sich dabei wie man vom Ghuljäger fast zum Sympathisanten wird, als der Anführer seine Philosophie erklärt. Oder soll man die Raketen doch sabotieren?

Fallout entführt mit einem sarkastischen Augenzwinkern in eine Welt jenseits von Gut und Böse. Und die deutsche Lokalisierung hinterlässt eine gute Figur: Neben gut übersetzten Texten überzeugen die Sprecher der wichtigen Nebencharaktere mit markanten Stimmen - fanatische Wissenschaftler wettern zornig, alte Cowboys nuscheln Ratschläge und Prostituierte lispeln von unerfüllten Träumen. Trotz der ärgerlichen technischen Fehler, die auch manche Quest betreffen, ist mir das Gebiet um die Mojavewüste nach einigen Stunden ans Herz gewachsen. Das liegt nicht nur an der Gewöhnung oder zu viel Whiskey, sondern an dieser einzigartigen Endzeitstimmung und der weiten Sicht auf ein gefährliches Land, das zwischen kleinen Wüstenstürmen und zerfurchten Canyons nicht nur Riesenskorpione und schnelle Geckos, sondern sehr viel Charakter zeigt. Im Zentrum steht diese monumentale Architektur der Zerstörung, die mich unter endlosen Highwaybrücken marschieren lässt, die sich wie riesige Betonschlangen gen Vegas schlängeln - immer wieder unterbrochen von Kratern und Trümmern, verlodderten Tankstellen und Kaschemmen aus Wellblechschrott. Man entdeckt riesige Kriegsdenkmäler und vergessene Vaults, aus denen Pflanzen sprießen - dieses Fallout ist etwas farbenfroher als der Vorgänger. Und wenn man sich dem Strip nähert und das Licht angeht, wirkt die Glücksspielmetropole wie ein Paradies in der Wüste; jedenfalls von außen. Sobald man die leuchtende Stadt betritt, trifft man auf rivalisierende Banden, Dealer, Erpressungen und Prostitution.      

Rollenspiel im Jahr 2077

Wehe dem, der den Wachroboter reizt: Die Blechhaufen feuern zielsicher.
Ich fasse mal zusammen: Obsidian kann keine Technik. Obsidian kann aber Stimmung. Und Obsidian kann vor allem eines - Rollenspiel. Das haben sie nicht erst mit Alpha Protocol demonstriert, dessen suversive Dialoge und Verschwörungen auch in diesem Spiel zwischen den Fraktionen anklingen.  Auf diesem wichtigen Gebiet ist das Spiel eine vorbildliche Erweiterung für alle, die schon für Tage in Fallout 3 versunken sind - es gibt nicht mehr Action, sondern mehr Tiefe, mehr Auswirkungen. Das wunderbare System der Charakterwicklung mit seinen Attributen und Talenten, die auf Wunsch pausierbaren Kämpfe mit ihren Trefferzonen und all die kleinen handwerklichen sowie kommunikativen Fähigkeiten wurden sinnvoll ergänzt: Den Hardcore-Modus, der das Spielerlebnis mit seinen Folgewirkungen intensiviert, habe ich schon erwähnt. Hinzu kommen mehr martialische Möglichkeiten vom Skalpell bis zum Golfschläger für Nahkämpfer oder gar spezielle Boni für den Gebrauch von Wurfgeschossen bis hin zum Speer - da weht fast ein Hauch von Dead Rising. Hinzu kommen klassische Westernelemente wie Dynamit mit langer Lunte und breitkrempige Hüte, die man auch zum Strahlenanzug tragen kann. Man kann seine Waffen um Visiere, Magazine und mehr Feuerkraft modifizieren.

Dialogfreunde kommen noch besser auf ihre Kosten als im Vorgänger, weil es mehr interessante Situationen und erweiterte Funktionen für sie gibt. Die Gespräche sind angenehm verschachtelt und bieten etwas mehr Auswahl von der Lüge bis zur Überzeugung - nicht nur für Leute, die das wichtige Talent der Sprache steigern. Es macht Spaß, sich durch die gut geschrieben Texte zu wühlen. Im Gegensatz zu Fallout 3 können auch handwerkliche Kenntnisse wie etwa in "Sprengstoff" neue Dialogoptionen öffnen, wenn es um Dynamit geht. Und es lohnt sich, in die teilweise überraschenden Gespräche abzutauchen, weil sich in ihrem Verlauf vielleicht neue Punkte auf der Karte oder ganze Quests ergeben. Dass ein Rollenspiel gut ist, merke ich spätestens dann, wenn ich mir trotz klarer Aufgabendokumentation nebenbei Notizen machen: "Schaufel kaufen und Gräber öffnen. Zum Safe im Rathaus zurück kommen, wenn Dietrich bei 50. Cass nochmal ansprechen. Roboter Victor mit Wissenschaft 25 helfen, was dann?" Irgendwann ertrinkt man in Aufgaben und wenn man nach 30 Stunden immer noch nicht mit allen durch ist, dann darf man sich als Rollenspieler entspannt zurück lehnen - wer stoisch der Hauptquest folgt, kann das Finale allerdings unter 20 Stunden erreichen.

Auf leisen Sohlen

Wie in Fallout 3 kommt das Trefferzonensystem zum Einsatz: Man kann pausieren und taktisch anvisieren.
Auch Leisetreter, Schlossknacker und Hacker dürfen sich auf spannende Situationen freuen - es gibt nicht nur viele Tresore und Computer, sondern geschickt verminte Räume inklusive Stolperdraht und böser Gewehrschussfalle; jedes Haus kann eine Falle voller Köder sein und wer versteckt agiert, wird den kritischen Treffer aus dem Hinterhalt zu schätzen wissen. Eine der vielen Szenen, die mir gefallen hat: Ich soll einem Lager der RNK einen Besuch abstatten, weil keine Funksignale mehr kommen. Als ich nachts ankomme, marschiert gerade eine Patrouille heraus, grüßt mich und alles scheint in Ordnung. Ich gehe weiter ins Büro des Offiziers, der in einer Blutlache liegt. Als ich ihn untersuchen will, geht die erste Mine hoch, die man unter seinem Körper platziert hat. Der Nebenraum ist mit Stolperdraht gesichert und jede Leiche tatsächlich vermint. Ich finde zwei Audiologs, die ich abspiele: Auf einem Band droht die Legion der RNK mit weiteren Anschlägen - gerade eben sind also Legionäre in RNK-Uniformen an mir vorbei marschiert? Ob ich sie noch einholen kann? Oder erstatte ich erst Bericht?

Es lohnt sich, jeden Winkel abzusuchen, denn es gibt unter hunderten Gegenstände von der Blechdose bis zur Energiezelle, vom Fallobst bis zum Bankettwein auch einzigartige Entdeckungen wie die erwähnten Bücher, die in ihrer besten Variante nicht nur temporär, sondern permanent eine Fähigkeit steigern. Vieles kann man mit entsprechenden Fähigkeiten an Werkbänken, Laboren oder am Lagerfeuer kostengünstig zu Heilmitteln, Nahrung oder Waffen verarbeiten. Wie im Vorgänger nutzen sich alle Rüstungen und Schießprügel mit der Zeit ab, so dass regelmäßig Reparaturen anstehen - und die sind sauteuer, wenn man sich nicht selbst vornimmt. Apropos Preise und Anschaffungen: Wenn man New Vegas erreicht und sich denkt, man hat alles gesehen, wird man nicht nur von Minispielen wie Blackjack, Roulette, einarmigen Banditen und einer Kanalisation angelockt, sondern von einer Flut an neuen Waffen, Modifikationen und Drogen überschwemmt. Erst dort kann man sich in der Klinik auch Implantate einpflanzen lassen, die gezielt die Wahrnehmung, die Intelligenz oder andere Eigenschaften fördern - wenn man das bezahlen kann.

         

Der gute Ruf

Wird man diese Stromanlage zum Wohle der RNK wieder in Schuss bringen? Betrügt man das Militär? Oder löscht man das ungeliebte Militär lieber aus?
Schön ist, dass ich mir sowohl bei der Landbevölkerung als auch bei den großen Fraktionen einen Namen machen kann, indem ich Aufträge erfülle - so kann mein Ruf in einzelnen Siedlungen in mehreren Stufen von "verrufen" bis "vergöttert" reichen. Und wie im Vorbild wird im Radio über meine Taten und ihre Folgen berichtet. Manchmal grüßt man mich freundlich, manchmal flucht man hinter vorgehaltener Hand. Wenn mich die Leute mögen, bekomme ich nicht nur Rabatte oder gar Geschenke, sondern auch mehr Dialogoptionen und weitere Quests. Wenn sie mich hassen oder aufgrund meiner Brutalität fürchten, werde ich schon auf Sichtweite angegriffen oder man rennt gar panisch vor mir weg. Leider kann es in einigen Situationen auch zu skurrilen Reaktionen kommen, die man sich nicht auf Anhieb erklären kann...

Der Ruf kann sich aber dynamisch ändern, so dass man Fehler auch ausbügeln kann. Und man kann zu kleinen Tricks greifen: Als ich zwei Gefangene in einem Banditenlager befreien muss, gehe ich ganz locker hinein, weil ich kurz vorher die entsprechende Rüstung der Fraktion angelegt habe. So komme ich nah an den schlafenden Anführer, der nach einem Kopfschuss aus der schallgedämpften Pistole stirbt - danach sind die anderen dran und ich erspare mir die offene Konfrontation. Es lohnt sich also, die Outfits der Parteien irgendwo zu bunkern. Sehr konsequent: Falls ich vergesse, die Legionskleidung abzulegen, wird mich die RNK selbst dann auf Sichtweite angreifen, wenn man Ruf bei ihr ein guter ist...

Die Spielwelt reagiert nicht nur auf meine äußere Erscheinung, sondern auch auf meine Taten. Zwar stört sich im martialischen Jahr 2077 keiner, wenn ich eine Waffe zücke - zumal hier selbst der einfache Bauer seine abgesägte Schrotflinte offen trägt. Aber wenn ich unbefugt in Häuser eindringe oder stehle, sinkt nicht nur mein Karma - das ist quasi die moralische, alles sehende Instanz, die bei guten Taten steigt und bei schlechten sinkt. Wenn ich es beim Diebstahl zu weit treibe, werde ich attackiert und mein Ruf sinkt bei der politischen Fraktion bzw. in der Siedlung. Sehr schön ist, dass unterlegene Gegner auch während eines Schusswechsels fliehen und Hilfe holen - dann kehrt der Beraubte mit Verstärkung zurück, wenn man den Ort nicht verlässt. Übrigens: Falls man mal aus Versehen einen Unschuldigen trifft, kann man die Waffen symbolisch einstecken und die Sache vielleicht ohne tödlichen Ausgang regeln. Selbst Gespräche können dem Ruf dienlich sein: Wer einen Gefangenen der Legion in einem Verhör nicht verprügelt, sondern kommunikativ einschüchtert und so an Informationen kommt, steigt z.B. im Ansehen des Militärs.

Du bist nicht allein

Über ein Kreismenü kann man Befehle an seine Begleiter erteilen, Gegenstände tauschen oder mit ihnen ins Gespräch kommen.
Das Rollenspielerlebnis wird nicht nur von neuen Figuren wie dem orkähnlichen Nachtvolk, sondern auch von den Begleitern aufgewertet: Man kann einen Menschen bzw. Ghul sowie einen Roboter oder auch ein Tier als Partner gewinnen - und ist dann maximal zu dritt unterwegs. Je nach Spielweise und Talenten kann das allerdings eine Zeit dauern: Ich habe die Whiskey schlürfende Cass erst anwerben können, als ich New Vegas schon erreichte und für die karminroten Händler einen ersten Auftrag erledigt hatte. Obwohl diese Lady ab und zu hinsichtlich der Wegfindung zickte und schon mal zu forsch in Kämpfe ging, hat das Abenteuer mit ihr an Tiefe gewonnen - und man gewinnt ihre spezielle Fähigkeit, solange sie im Team sind: So lange Cass bei mir ist, kann ich z.B. Whiskey ohne Folgen trinken.

Neben der zusätzlichen Feuerkraft, die man zu schätzen weiß, wenn man in der Kanalisation von Vegas plötzlich von Ghulen und Riesenratten angegriffen wird, haben diese Nebencharaktere ähnlich auch eine eigene Hintergrundgeschichte sowie individuelle Quests, so dass sie auch erzählerisch an Charakter gewinnen. Sie geben Kommentare in bestimmten Regionen und in Gefechten ab, können über ein Kreismenü auch mit Gegenständen und Stimpaks versorgt werden, die sie in der Regel automatisch einnehmen. Ansonsten lassen sich klassische Befehle wie "Warten" oder "Folgen" erteilen, man kann ihnen den Nah- oder Fernkampf vorschreiben, sie auf Abstand halten oder zur Heilung animieren. Sehr schön ist, dass sie automatisch in die schleichende Position gehen, wenn man das selber vormacht. Weniger schön ist, dass es mit den Begleitern auch zu einigen Bugs kommen kann, wenn sie plötzlich nicht ansprechbar sind, aus einer Tür nicht heraus kommen oder einfach nicht in einen anderen Spielbereich folgen - dann hilft nur Nachladen. Unterm Strich ist diese Geselligkeit eine Bereicherung, aber sie wird emotional und inhaltlich nicht so ausgezeichnet inszeniert wie in Mass Effect 2 .  

Fazit

Nach dem Einstieg, der wie ein schwacher Aufguss der grandiosen Charaktereinführung aus Fallout 3 wirkte, war ich skeptisch. Denn die Hauptgeschichte um den nieder geschossenen Kurier hinterließ zunächst genau so viel Stirnrunzeln wie eine Kulisse, die im Zeitalter von Red Dead Redemption gerade noch als spröde Schönheit durchgeht - Architektur hui, Details pfui. Hinzu kommen grafische Schwächen und ärgerliche Bugs auf allen Plattformen. Es gibt genug technische Argumente gegen Gold. Und ich musste lange mit dieser Wertung kämpfen. Aber ähnlich wie anno dazumal in Vampire: Die Maskerade oder The Witcher können diese Schlampigkeiten meine Faszination nicht mindern. Denn da liegt dieses weite Land mit all seinen unentdeckten Orten vor mir, es flimmert in sengender Hitze auf dem Asphalt und es kribbelt in zu vielen Situationen überaus angenehm - Obsidian bietet mir hier wesentlich mehr Rollenspiel als BioWare in Mass Effect 2. Nicht nur, weil ich Quest für Quest in eine ebenso bizarre wie stilsicher inszenierte Mischung aus Endzeitwahnsinn mit sadistischen Gangs und Heilewelt-Country mit 50er-Jahre-Kuchen abtauche. Sondern vor allem, weil ich in diesem durchdachten Nachfolger mit seinen abwechslungsreichen und intelligenten Aufgaben immer entscheiden darf, wie ich spielen will - egal ob brachialer Haudrauf oder nobler Revolvermann, egal ob skrupelloser Einbrecher oder kommunikativer Charmeur. Je nachdem welche Fraktion ich unterstütze, spüre ich schon nach wenigen Stunden kleine und große Konsequenzen, grüble in den ausgezeichneten Quests über die möglichen Folgen meiner Entscheidungen und freue mich über den noch authentischeren Hardcore-Modus. Und so versinke ich müde und durstig in dieser riesigen Mojave-Wüste, mit Dean Martin im Ohr, Hohlspitzpatronen im Colt und einer Whiskey saufenden Lady als Begleiterin.

Pro

glaubwürdige Endzeit-Spielwelt
sehr große Erkundungsreize
angenehm offenes Abenteuer
Entscheidungen mit Konsequenzen
diverse politische Fraktionen
gut erweitertetes Dialogsystem
teilweise sehr gute Texte
architektonisch imposante Kulissen
Radiokommentar zu aktuellen Ereignissen
cleveres Schleichen, Infiltrieren & Reden wird belohnt
taktisches Kampfsystem mit Trefferzonen
Leute reagieren auf Diebstahl & Kleidung
individuelle Charakterentwicklung
bis zu zwei Begleiter rekrutieren
sehr abwechslungsreiche Quests
Waffenmods & Item-Herstellung
optionaler Hardcore-Rollenspielmodus
hilfreiche Notizen & Audiodateien
Dörfer, Städte, Berge, Höhlen & Kanalisation+ gutes Hacking- & Schlossknacksystem
einige bizarre Überraschungen & Entdeckungen
gute deutsche Texte und solide Sprachausgabe

Kontra

zu Beginn schwache Hauptstory
Charaktererstellung wirkt wie halbgares Fallout 3-Plagiat
einige seltsame Questbugs & Inkonsequenzen
Probleme mit Clipping, Texturnachladen & Kollisionen
sporadische Abstürze auf allen Plattformen

Wertung

360

Obsidian kann zwar nicht technisch, aber inhaltlich begeistern: Wer Fallout 3 mochte, wird auch in Vegas versinken!

PlayStation3

Trotz schwacher Technik: Klasse Rollenspiel in glaubwürdiger Endzeitwelt!

PC

Technisch nur etwas ansehnlicher als die Konsolen und als Rollenspiel genauso stark.

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Kommentare

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Svenc

Ich erwarte da von Bethesda (und auch von den sehr wenigen AAA-Devs) trotzdem nur noch sehr wenig. Die haben klare Kante gezeigt, wo für sie die Prioritäten liegen, nämlich: Immer noch mehr und noch mehr Spieler abzuholen. Die Konsequenz daraus ist logisch. Das ist an sich auch völlig legitim.

Das spaltet das Genre zwar extrem; viel unterschiedlicher können sich Wichter oder aktuell Pathfinder kaum spielen (und trotzdem für die meisten wohl zum gleichen Genre zählen -- irgendwie). Aber es eröffnet eventuell irgendwann dann doch wieder Marktlücken, wie es bereits für die ganzen BG- und Fallout1+2-likes passiert ist.

Wie ich glaube auch hier gesagt: Selbst Spiele wie Kotor oder Dragon Age:Origins, die damals durchaus auch kommerziell recht erfolgreich waren, gibts praktisch gar nicht mehr. Da haben sich ja bereits auch Studios aus ehemaligen Biowares gegründet, die das sicherlich im Auge haben.

Baldur's Gate 3 wird, rein technisch, übrigens absolut AAA. Da arbeiten Hundertschaften dran. Was schon ein bisschen verrückt ist. Vor ein paar Jahren war die Vorstellung einer einer Zigmillionen-Dollar-D&D-Umsetzung (samt Rundenkämpfen) mehr als nur skurril. :mrgreen: Insofern tut sich bereits einiges.


Apropos veraltet: Ich hatte so um die Zeit von New Vegas die Demo von Dragon Age 2 auf dem Schirm. Die Fallout3-Engine mag recht oll gewesen sein; aber technisch und vom Design wirkte diese Demo wie das viel altbackenere Spiel. Ohne Quatsch, man konnte sich kaum drei Meter bewegen, ohne die nächste semi-interaktive Cutscene zu triggern, die wiederum die nächste Arena-Welle an Mobs triggerte. (Aber das gilt ja heute allgemein fast dreißig Jahre nach Hype um Interactive Movies wieder fast als "modernes" Spieldesign, irgendwie). Letztens mal nachgesehen, ob meine Erinnerung da nicht übertrieben hat, aber nein, keineswegs.

Zu Zeiten von DA2 verließen dann ja auch bereits einige Biowares wie Brent Knowles wegen kreativen Differenzen die Company.

Zuletzt bearbeitet vor 2 Jahren

vor 2 Jahren
vor 2 Jahren
Svenc

Die Ultimate-Edition wäre auch gerade im Angebot bei gog..

Jup, die DLC's lohnen sich. Es wird ja auch von einem FA:NV-2 gemunkelt... Gab mal vor ein paar Wochen eine mögliche Leak Meldung im web.
Ja, hab ich auch mitgekriegt. Wobei Obsidan als damaliger Entwickler auch viele (führende) Leute von damals verloren haben. The Outer Worlds ist ja vom Design grundsätzlich ähnlich gelagert z.B. -- aber was ich davon gesehen habe, wirkt eher nicht mehr ganz so gut (und ich mochte eigentlich die davorigen Iso-RPGs ganz gern).

Noch besser als ein NV2 wäre es, wenn sich mehr Entwickler ein Beispiel an NV nehmen würden. Ich denke aber, das wäre leichter passiert, wenn es sich mehr verkauft hätte als bspw. Fallout 4 (statt umgekehrt). :D Das bestätigt alles die Entwickler nur in ihrer Ausrichtung.

Zuletzt bearbeitet vor 2 Jahren

vor 2 Jahren
vor 2 Jahren
Svenc

Im Rückblick wird New Vegas ja teilweise mehr gefeiert als zu Release -- aber endlich zurecht. Man sah das Ding wohl dann doch mit einem halben Auge zuallererst als eine Fallout3-Erweiterung. Die besten Userrankings auf den bekannten Plattformen von allen modernen Fallouts gehen jedenfalls an dieses Spiel.

Und auch gute, tiefgründigere Analysen zu seinem Design gibt es mittlerweile so einige.






Rückblickend hätte New Vegas ein Gamechanger sein sollen. Der Moment, in dem die wenigen nach dem Genreexodus um die Jahrtausendwende noch verbliebenen (AAA)-RPG-STudios aufhören, zunehemends entweder semi-interaktive Action-Adventurefilme oder pfützentiefe Open-World-Vergnügungsparks zu basteln (oder eine Mischform davon). Aber da wohl nur vergleichsweise wenige Spieler New Vegas' Freiheiten, sein Questdesign und sein Charaktersystem zu schätzen wussten, fanden die Studios schnell noch profitablere Spiele-Formeln -- die weitaus mehr Spieler abholen als die RPG-Kernzielgruppe. Das alles erinnert an die Probleme, die (AAA-)Immersive Sims haben, die eh mit RPGs verwandt sind: Ein mordsmäßiger Design-Mehraufwand in Bereichen, die sich nicht zwingend in mehr Verkäufen widerspiegeln.

Wenn es mehr Spiele wie New Vegas gäbe, würde ich heute noch erheblich mehr AAA-RPGs spielen und nicht auf die Indies ausweichen, weil sich die AAA-Vertreter mittlerweile wie so ziemlich jeder Action-Blockbuster am Markt spielen.

Werde mir wohl demnächst irgendwann endlich mal die Ultimate kaufen -- die wohl gelungenen DLCs habe ich (zum Glück?) nämlich noch alle nicht gespielt.

Zuletzt bearbeitet vor 2 Jahren

vor 2 Jahren
oppenheimer

Für die kurze Zeit die Obsidian hier zur Verfügung stand, ist dass ein großes Kunststück.
Oh ja. Ich bin immer noch verblüfft, mit welcher Konsequenz man hier seinen eigenen Spielstil durchziehen kann und wieviele komplett unterschiedliche Charaktertypen man hier zocken kann.
Ob verstohlener Rasierklingenmörder, irrer alkoholabhängiger Sprengstoffmeister, computerhackender Laserwaffennerd, friedliebender Händler oder hinterhältiger Drecksack mit Silberzunge... es nimmt buildtechnisch einfach kein Ende und dennoch kann man das Spiel abschließen, selbst wenn man alles und jeden ermordet. Der Wiederspielfaktor ist astronomisch. Ich ziehe es persönlich selbst Fallout 2 vor.
Und für mich war es auch der letzte offizielle Fallout-Titel.
Das was Bethesda Fallout 4 nennt, hat eine toll gestaltete Welt, die den Erkundungsdrang weckt, ein schönes "environmental storytelling", recht solide shooter-Mechaniken, aber das wars auch schon.
Dass diese Marke bei Bethesda gelandet ist, dürfte einer der übelsten Treppenwitze dieser Industrie sein.

vor 4 Jahren
johndoe945852

...

Zuletzt bearbeitet vor 4 Jahren

vor 13 Jahren