Metal Gear Rising: Revengeance22.02.2013, Mathias Oertel
Metal Gear Rising: Revengeance

Im Test:

Hideo Kojimas Metal Gear-Serie steht für hochklassige Stealth-Action. Dementsprechend groß war die Skepsis der Fans, als der Meister einen auf schnelle Katanakämpfe ausgelegten Ableger ankündigte. Einen Namens- und Teamwechsel später muss Metal Gear Rising Revengeance beweisen, dass der Cyborg Raiden auch in der Hauptrolle reinrassiger Action überzeugen kann.

Das kann doch nicht wahr sein

Es ist schon lange her, dass mich ein einziger Bosskampf derart Nerven gekostet hat. In den mittlerweile über 30 Jahren, in denen ich mich mit Video- und Computerspielen beschäftige, gab es (wenn überhaupt) vielleicht eine Hand voll Gegner, bei denen ich so laut und lang anhaltend geflucht habe. Es gab in meiner Zockervita verdammt wenige Momente, in denen ich wutentbrannt das Pad oder sonstige Peripherie frustriert auf den Tisch oder durch das Zimmer gefeuert habe. Doch Metal Gear Rising Revengeance (MGR) hat dieses Kunststück vollbracht. Nach dem gefühlt tausendsten Versuch bin ich wieder gescheitert. 1001. 1002. 1003. Weiter. Weiter. Und noch einmal. Scheitern. Scheitern. Scheitern. Irgendwann war es dann doch weit: Ich habe ihn besiegt ihn und mich am Abspann gelabt – ich habe es mir verdient.

Doch was zurück bleibt, ist trotz einer versöhnlichen Endsequenz, die mir ein Lächeln aufs Gesicht zauberte und auf eine Fortsetzung hoffen lässt, ein merkwürdig laues Gefühl und ein kleiner Hass auf die Entwickler von Platinum Games. Denn was sie mit dem letzten Boss anstellen, widerspricht dem Rest des Spielerlebnisses, das in bester japanischer Tradition die Werte "Hart, aber fair" verkörpert. Bis zu diesem Zeitpunkt waren alle kleinen oder mittleren Gegner (auch in mitunter unfair scheinenden Kombinationen) sowie alle Bosse mit Taktik, guten Reaktionen und Kenntnis der zur Verfügung stehenden Angriffsoptionen und mitunter sogar unter Zuhilfenahme von Stealth-Techniken zu knacken. Doch beim letzten, beim entscheidenden Kampf setzt Platinum auf eine Art unheilvolles Zufallsprinzip: Der Boss verfügt über etwa 15 Angriffsmuster, die man jedes für sich auskontern oder ihm zumindest ausweichen kann.

In den Bosskämpfen wird Raiden bis an seine Grenzen gebracht.
In den Bosskämpfen wird Raiden bis an seine Grenzen geführt.
Doch abseits des allerersten Move werden diese per Zufall ausgewählt. Und dies kann mit sich bringen, dass zwei ähnliche Angriffe einen so in die Enge treiben, dass man kurz darauf das Zeitliche segnet. Und beim Finalkampf ist die bis dahin gut reagierende Steuerung und noch mehr die akkurate Kollisionsabfrage gnadenlos. Den Bruchteil einer Sekunde zu spät reagiert und man kann in einen Angriffswirbel hinein geraten, der nur einen Ausgang kennt: Scheitern. Im Gegensatz zu anderen Bosskämpfen gibt es hier auch nur wenige und darüber hinaus extrem fordernde Gelegenheiten, seinen Vorrat an Reparatur-Nanopaste aufzuladen, mit der man seine Gesundheit regenerieren kann.

Überraschendes Erlebnis

Doch auch wenn mir der finale Kampf meine Motivation ganz schön mürbe gemacht hat - bis dahin konnte mich die in ihren Grundzügen an Bayonetta und Devil May Cry erinnernde Materialschlacht überraschend gut unterhalten. Und das, obwohl die schlauchigen Abschnitte, durch die man streift, bis man irgendwann Gegnern begegnet, so dass ein Arenakampf eingeleitet wird, nicht allzu üppig ausgefallen sind und man abseits des Weges nur wenig entdecken kann. Denn hinsichtlich des Kampfsystems gibt sich Platinum Games keine Blöße. Mit insgesamt vier Waffen, davon drei optional, kann man in die Duelle gehen. Für erfolgreiche Kombos und Finisher, deren Anwendung an eine intuitive Variante des hierzulande indizierten Afro Samurai erinnern, bekommt man Punkte, die man wiederum für Upgrades entweder der Waffe, der Gesundheit des Helden oder seines Energievorrats (nötig für die genauen Schnitte) einlösen kann.

Rasante Action alter japanischer Schule: Raiden und seine Hochfrequenz-Klinge.
Rasante Action alter japanischer Schule: Raiden und seine Hochfrequenz-Klinge.
Die Kombos sind erstaunlich vielfältig - vor allem wenn man bedenkt, dass man nur zwei Angriffsknöpfe zur Verfügung hat. Zusammen mit einem taktisch gut umgesetzten Block, dem Einsatz von wenigen sinnvollen Gegenständen wie EMP-Granaten oder Raketenwerfer sowie einer Ausweichoption erreicht man zwar nicht ganz die Dynamik und Abwechslung eines Devil May Cry und schon gar nicht einer Bayonetta. Eintönig werden die Auseinandersetzungen aber dennoch nicht. Ganz im Gegenteil: Mitunter schafft es Platinum Games unter der Regie von Asushi Inaba, dass in der Kombination fordernder Gefechte sowie schnell geschnittener Skriptsequenzen das Adrenalin durch die Adern gepumpt wird, als ob es kein Morgen gäbe. Großen Anteil daran haben die zahlreichen Gegnertypen, die einem später in fiesen gemischten Gruppen nach dem Leben trachten. Die "Gekkos" aus MGS4 sind ebenso vertreten wie Cyborgs niedriger Stufen oder Mech-Kreationen, die nur für dieses Spiel entworfen wurden. Und will man bereits auf "Normal" eine Chance haben, sollte man den Block trainieren, der gutes Timing voraussetzt - sogar noch mehr, wenn man den gegnerischen Schlag nicht nur abwehren, sondern gleich kontern möchte, was im Bestfall das Fenster zum Nutzen der 360-Grad-Klingensteuerung öffnet.

Gleichermaßen intuitiv wie effektiv

Die ist übrigens erstaunlich leicht zu erlernen. Solange man genug Energie hat, kann man jederzeit über die Schultertaste in den Zeitlupen-Fokusmodus gehen und nun entweder über die Schlagtasten oder noch zielgenauer per rechtem Stick Schnitte anbringen.

Lang ist's her: Dieses Bild stammt aus der ersten Produktionsphase bei Kojima Productions.
Lang ist's her: Dieses Bild stammt aus der ersten Produktionsphase bei Kojima Productions.
Allerdings sollte man darauf achten, dass der Gegner bzw. einzelne Körperteile geschwächt sind, da ansonsten die gesamte Angriffsenergie verpufft. Ist der Status des Feindes jedoch entsprechend, spielt die "Schnittengine" ihre ganze Stärke aus. Man kann die Cyborgs und Maschinen fein säuberlich nach allen Regeln der Kunst filettieren und in ihre Einzelteile zerlegen. Diese Mechanik wird jedoch nicht zum Selbstzweck eingesetzt - zumal sie sich so auf Dauer schnell erschöpfen würde.

Doch wenn man auf diese Art und Weise einen geschwächten Gegner angreift, kann man zum einen versuchen, die linken Hände zu amputieren, die für den befreundeten Wissenschaftler (deutscher Herkunft) von Bedeutung sind, aber letztlich nur Bonuspunkte versprechen. Zum anderen, dies ist wesentlich wichtiger, kann man über gezielte Schnitte versuchen, das maschinelle Gegenstück zu Herz oder Wirbelsäule freizulegen und dann einzusammeln - mit dem Ergebnis, dass die eigene Gesundheit sowie die Energieleiste wieder bis zum Anschlag gefüllt werden. So stelle ich mir die gelungene Einbindung eines Features vor, das ursprünglich auf mich nur wie ein Blickfang wirkte. Insofern begrüße ich, dass auch in bestimmten Kämpfen die Nutzung der 360-Klingensteuerung forciert wird - auch wenn dafür der rechte Stick mitunter etwas zu sensibel reagiert.

Nur schmückendes Beiwerk?

Die passable Kulisse hat nur eingeschränkt Anteil daran, mich zur Rückkehr ans Pad zu motivieren. Zwar passt das Gegnerdesign und vor allem die geschmeidigen Kampfanimationen Raidens sorgen für einige Hingucker. Doch Defizite im Umgebungsdetail sorgen dafür, dass sich die Waagschale auf einem leicht überdurchschnittlichen Niveau einpendelt. Auch die immer wieder eingestreuten Abweichungen wie Abschnitte, in denen man sich schleichend bzw. in Dunkelheit vortasten muss, haben nur geringen Anteil daran, die Motivation hochzuhalten. Dazu bleiben die Mechaniken zu oberflächlich und vor allem die Entdeckungs-KI der Gegner lässt stark zu wünschen übrig. Es ist zu leicht, sie zu überraschen oder sie in die Irre zu führen. Mitunter konnte ich sogar beobachten, wie sie bei der Wegfindung Probleme hatte und nicht an Hindernissen vorbei kam, so dass ich mich noch ungefährdeter z.B. in einem Karton heranschleichen konnte. Dennoch hat Platinum gut daran getan, diese Elemente einzubauen - nicht nur, weil man sich damit vor der Herkunft der Serie verbeugt, sondern weil sie als Kontrapunkt zu der rasanten Action gut geeignet sind, um den angesprochenen Adrenalinspiegel auf ein vernünftiges Niveau einzupegeln. Doch machen wir uns nichts vor: Wenn es nur um die Kämpfe oder Kulisse ginge, sind Dämonenjäger aus eigenem oder fremden Hause weiter.

Raidens Hochfrequenz-Klinge macht mit Standard-Gegnern schnell kurzen Prozess.
Raidens Hochfrequenz-Klinge macht mit Standard-Gegnern schnell kurzen Prozess.
Doch im Zusammenspiel mit der Geschichte, die gut ins Metal Gear-Universum eingebunden wurde und auch mit einem gelungenen Cameo überrascht, wurde bei mir der Grundstein gelegt, mich durch das recht kurze Vergnügen (bis zum Endboss ca. vier bis fünf Stunden) zu kämpfen. Und nicht nur das: Ich wurde auch animiert, wieder Metal Gear Solid 4 zu spielen - was ich bei seiner Erstveröffentlichung zu meiner Schande aus Zeitmangel nicht durchgespielt hatte. Um Revengeance erzählerisch nachvollziehen zu können, muss man die Teile 2 und 4 nicht unbedingt gespielt haben. Doch um Anspielungen oder Raidens Motivation zu verstehen, ist die Kenntnis der Metal Gear-Serie durchaus sinnvoll. Denn entgegen der Erwartung vieler Fans (mich eingeschlossen), spiegelt sich Platinums Bewusstsein hinsichtlich der erzählerischen Serientradition wider, was auch damit zusammen hängt, dass Hideo Kojima weiterhin als ausführender Produzent ein Auge auf Revengeance hatte und die Story von Kojima Productions' Etsu Tamari geschrieben wurde.

Ernste Themen

So gibt es z.B. eine plausible und serienkohärente Erklärung, wieso sich Raiden vier Jahre nach den Geschehnissen in Teil 4 wieder vom friedlichen Familienleben verabschiedet. Überhaupt spielt man viel mit Themen, die man entweder aus der "richtigen" Metal Gear-Serie kennt oder die nahtlos in das Universum passen: Es geht u.a. um Kindersoldaten, was Raiden wiederum mit seiner eigenen Vergangenheit konfrontiert und für ein paar interessante emotionale Szenen sorgt.

Mit der AR-Sicht kann man die Umgebung analysieren.
Mit der AR-Sicht kann man die Umgebung analysieren.
Man beschäftigt sich mit Kriegswirtschaft, kompromissloser Gier, Sinn und Unsinn von Wissenschaft, Selbstbestimmung gegen Fremdbestimmung, Schuld, Sühne, Rache und nicht zuletzt gibt es ein paar zynische Seitenhiebe auf die Rolle der USA als "Weltsheriff". Dass dabei Cyborgs und KI-Figuren mitunter menschlichere Züge tragen und lernfähiger sind als die haupthandelnden Menschen, kommt nicht von ungefähr und unterstreicht die kritischen Untertöne.

Dennoch gibt man sich dabei deutlich leichter verdaulich. Die Geschichte ist weniger verworren als z.B. MGS 4, muss aber auch nicht so viel aufarbeiten oder auflösen. Und man zeigt sich insgesamt humoristischer. Wobei man keine Schenkelklopfer befürchten muss, die die Serie und alles, was man damit assoziiert, ad absurdum führen würden. Stattdessen sorgen die Pointen und Einzeiler eher für ein befreiendes Lachen, um die innere Spannung nach einem Kampf aufzulösen oder ein Gegengewicht zu einer emotional "schweren" Szene zu bilden. Dabei hat man sich bei Konami dazu entschlossen, bei der Lokalisierung nur die Texte ins Deutsche zu bringen, die Sprachausgabe bleibt Englisch. Und auch hier zeigt sich Revengeance konsequent:

Der geschickte Einsatz des Blocks bzw. Konters kann im Kampf den Unterschied machen.
Der geschickte Einsatz des Blocks bzw. Konters kann im Kampf den Unterschied ausmachen.
Raiden wird wieder von Quinton Flynn gesprochen, der dem bei Fans unterschiedlich aufgenommenen Cyborg bereits in MGS 2 und MGS 4 seine Stimme lieh. Überhaupt achtet man darauf, hinsichtlich Look&Feel viele Ansatzpunkte zu den bisherigen Metal Gear-Titeln zu schaffen. Das alarmierende "Pring" bei Entdeckung kennt man, ebenso das trällernd-singende "Tri-Tri" bei einem hereinkommenden  Codec-Gespräch oder die Inventar-Benutzerführung. Wobei man auf viele der überall in den Abschnitten verstreuten Hilfsmittel wie zielsuchende Raketen, Granaten, Kartons oder Metallfässer (zur Tarnung) auch hätte verzichten können. Es ergibt z.B. keinen Sinn, dass man fünf identische Kartons zur Verfügung hat, während z.B. bei anderen Teilen der Originalserie mitunter eine Rolle gespielt hat, mit welchem Papp-Behälter man sich tarnt. Als kleine Verbeugung vor dem Quellmaterial ist dies dennoch ein liebenswertes Detail.

Fazit

Ja: Mit gut fünf Stunden Spielzeit plus Zeit für ggf. häufiges Scheitern und Neuladen ab Kontrollpunkt ist Metal Gear Rising Revengeance etwas kurz geraten. Doch mir ist ein kurzes, aber intensives Erlebnis weitaus lieber als ein gestreckter Langeweiler - und das wird hier mit Bravour abgeliefert. Allerdings übertreibt Platinum Games die Intensität beim Endboss: Während bis dahin die japanische Kunst anspruchsvoller, aber stets fairer Kämpfe zelebriert wird wie seit Ninja Gaiden Black nicht mehr, nagt der Finalkampf mit zufallsabhängiger Unfairness an meinen Nerven und kostet dieses Abenteuer wie zahlreiche Detailschwächen in der Kulisse oder die schwache KI einige Punkte in der Endabrechnung. Dennoch: Dieses actionlastige Metal Gear macht richtig Spaß. Das Konzept der 360-Grad-Klingensteuerung geht überraschend gut auf, die Kämpfe werden mitunter spektakulär inszeniert. Zwar liegt man immer noch deutlich hinter Platinums Edelhexe und mit leichtem Abstand auch hinter Capcoms Dämonenjäger zurück. Doch schaut man sich an, was z.B. Tecmo mit dem bislang letzten Ausflug von Ryu Hayabusa verunstaltet hat, können sich Freunde überzogener Arenakämpfe japanischer Prägung auf rundum gute Unterhaltung freuen. Zumal sich auch die Geschichte als deutlich vielschichtiger zeigt, als man befürchten musste. Ich hoffe, dass sich Platinum und Hideo Kojima auf eine Fortsetzung einigen können – Raiden hätte es verdient.

Pro

coole Bossfights, die hart aber fair sind...
schnelle, gnadenlose Katana-Action
saubere "360 Grad"-Schnittsteuerung
gelungenes Spinoff im Metal Gear-Universum
überzeugend inszenierte Zwischensequenzen
treibender Soundtrack
viele Anspielungen auf bekannte Metal Gear-Elemente (Sounds, Cameos usw.)
interessante Aufarbeitung von Themen wie Kindersoldaten, Kriegsprofitgier usw.

Kontra

... ausgerechnet der Endboss hält sich nicht daran
kleine Schlauchlevel
Videos mitunter etwas krümelig
Schleichelemente zu rudimentär
schwache "Entdeckungs"-KI
viele der nutzbaren Gegenstände nur schmückendes Beiwerk
Kulisse mit Schwächen im Detail (Umgebungstexturen, Schatten)

Wertung

360

Die Katana-Action ist gnadenlos und sortiert sich gut ins Metal Gear-Universum ein, zeigt im Detail aber Schwächen.

PlayStation3

Gnadenlose Katana-Action, die sich gut ins Metal Gear-Universum einsortiert, aber im Detail Schwächen zeigt.

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