Schattenfreude & Spielekitzel
Das Tutorial mündet in die Jagd nach einem roten Rubin. Dieser Edelstein ist zwar das erste funkelnde Mosaik der Story, aber es dauert etwa eine Stunde, bevor der Abenteuer-Appetit wirklich angeregt wird: Die erste stimmungsvolle Zwischensequenz zeigt ein konspiratives Treffen mit einem flüsternden Hüter. Zwar nicht in fotorealistischer Renderqualität, aber opulent und düster animiert. Der Meisterdieb soll in die Hauptquartiere der Heiden und Hammeriten eindringen, um ihre heiligsten Schätze zu rauben. Garrett stimmt zu, will aber mehr von der Prophezeiung wissen. Erst hier wird zusätzlich zum schleichenden auch der erzählerische Ehrgeiz geweckt.
| Lauschen lohnt sich: So mancher große Schatz ist Tratsch-Thema.
(PC) |
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Aber es braucht mindestens eine weitere Stunde, bis die Story endlich ihre stechenden Joker ausspielt: es gibt unheimliche Gerüchte über ein Totenschiff im Hafen, ein Inspektor führt mysteriöse Ermittlungen gegen eine bestialisch mordende Frau und in der Bibliothek der Hüter wird verräterisch über die schleichende Apokalypse des Dunklen Zeitalters geflüstert. Das zunächst wirre Geflecht aus Andeutungen und Ahnungen zeigt plötzlich sein dramatisches Muster. Ab jetzt begleitet euch ein fröstelnd-süßer Hauch von Jack the Ripper, Resident Evil und Der Name der Rose. Ab jetzt hat Garrett nicht nur die Beute vor Augen, sondern auch die Angst im Nacken. Und ab jetzt macht Thief richtig Spaß.
Vom Knockout zum Alarm
Aber von der intriganten Historie zurück in die erspielte Gegenwart, denn wir haben den entscheidenden Augenblick verpasst. Ihr erinnert euch? Die Nische, der Schatten, die summende Wache? Weiter geht´s: Als sich der Mann im Kettenpanzer vor Müdigkeit streckt, schlägt der Meisterdieb zu – kurz und knackig auf den Hinterkopf. Der Körper sackt zu Boden, das Langschwert klimpert und der Weg zur Tür ist frei. Hastig stochert der Kapuzenmann mit zwei dünnen Stäben am mehrfach gesicherten Eisenschloss. Auf dem PC leider wenig authentisch mit der Maus kreisend, auf der Xbox angenehm vibrierend mit dem Analogstick. Es klickt einmal, zweimal, dreimal und dann… …hört er Stimmen hinter der Tür. Und zwar im englischen Original, denn Eidos hat die deutsche Fassung nur untertitelt. Die schauspielerische Qualität der Sprecher überzeugt übrigens auf ganzer Linie, nur ab und zu wirken die übersetzten Texte holprig. Zurück zur Dietrich-Szene: Jemand redet von einer Lady, flucht wütend, Schritte nähern sich. Schnell flüchtet der Dieb vom halb geknackten Schloss zurück in die düstere Nische. Die Tür öffnet sich und ein Mann in rotem Samt wundert sich über die seltsamen Geräusche. Noch besteht kein Grund zur Panik. Aber als der reiche Lord den Gang hinabschaut, sieht er das Langschwert der Wache im Mondlicht funkeln. Wenige Atemzüge später würde er laut Alarm schreien!
Verblüffendes Figurenverhalten
Diese alltägliche Szene zeigt schon, wie stark die künstlich gesteuerten Charaktere agieren. Das komplexe Figurenverhalten ist das Highlight des Spiels: Erschrockene Ladys rennen zu einer betrunkenen Wache, versuchen diese verzweifelt schluchzend von ihrer Entdeckung zu überzeugen, während der schwankende Helfer nur widerwillig meckert – klasse! Ich habe noch nie so aufmerksame und lebendig wirkende Wachen und Bewohner erlebt: Sie reagieren nicht nur auf Lärm, sondern auch auf offene Türen, Blutlachen und gestohlene Gegenstände. Und da sie dabei noch fleißig Selbstgespräche führen, ist die Illusion einer lebendigen Welt fast perfekt.
| Böse & morbide? Egal: Das hinterhältige Meucheln wird bestens inszeniert.
(Xbox) |
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Allerdings nur fast, denn es gibt auch Aussetzer und Bugs, die die Euphorie trüben. Da wäre z.B. die fehlerhafte Wegfindung: Eine Wache rennt hinter euch her, bleibt aber zwischen einem Kameraden und einer Tür rennend hängen, so dass ihr grinsend um sie herumschleichen könnt. Oder die Treppenphobie der KI: Ihr flüchtet eine Leiter hoch, unten lauert ein halbes Dutzend Heiden, sie fluchen, sie fordern euch auf, runterzukommen. Aber sie machen selber keine Anstalten hochzuklettern und warten lebensmüde auf die tödliche Mine. Trotz dieser Schwächen bei der Verfolgung gehört die KI in Sachen Wahrnehmung zum Besten, was die Spielewelt derzeit zu bieten hat. Und die vier Schwierigkeitsgrade wirken sich spürbar auf die Wachsamkeit, Hartnäckigkeit und Anzahl der Gegner aus.