FIFA 1030.09.2009, Jörg Luibl
FIFA 10

Im Test:

Lange Zeit hat Electronic Arts verzweifelt an seinem Fußball herum gepanscht: Man hat Arcade und Simulation gemischt, man hat bei der japanischen Konkurrenz wichtige Aromen geklaut und trotzdem nicht diesen einzigartigen Geschmack getroffen. Aber 2008 brachte endlich einen erlesenen Tropfen hervor, der auch kritischen Fußballtestern schmeckte. Und genau dieser Kick konnte jetzt weitere zwölf Monate im Entwicklerfass reifen. Wird es zum ersten Mal einen ausgezeichneten Platinjahrgang für FIFA geben?

Der lebendige Zweikampf

Das lebendige Zweikampfverhalten ist das Aushängeschild von FIFA 10 (ab 1,99€ bei kaufen): Noch nie waren Laufduelle so schön anzuschauen und taktisch so gut zu beeinflussen.
Phillip Lahm und Lionel Messi liefern sich an der rechten Außenbahn ein packendes Laufduell: Als der Verteidiger den Stürmer endlich erreicht, lehnt er sich regelrecht in den Argentinier hinein und versucht ihn mit seinem Körper abzudrängen - drückend und schiebend zeigen sie für ein paar Sekunden vollen Einsatz. Da beide in etwa dieselbe Statur haben, kann keiner den anderen einfach so wegdrängen, sie ringen regelrecht um die Balance und die Kontrolle des Balles. Es geht hin und her, es entsteht ein unheimlich lebendig animierter Zweikampf, den es so im Vorgänger nicht zu sehen gab. Und das Ergebnis ist angenehm offen: Wer clever in die Tacklings geht, kann auch einen verloren Ball wieder zurückgewinnen.

FIFA 10 simuliert diesen Körpereinsatz so gut wie kein anderes Sportspiel. Man kann die von vielen Trainern oftmals geforderte "Galligkeit" deutlich spüren, denn da wird hitzige Fußballrealität abgebildet. Die aktuell vorliegende Testfassung von Pro Evolution Soccer 2010 wirkt dagegen fast schon künstlich, wenn zwei spurtende Kicker ohne großes Gerangel mit einem dumpfen "Uff" aufeinander prallen. Man muss im Jahr 2009 ganz klar festhalten: Die Japaner haben im animierten Zweikampfverhalten den grafischen Vorsprung verloren. Hatte gerade EA bis vor ein paar Jahren noch große Probleme, die physische Individualität der Profis nachzuahmen und abzubilden, inszeniert man jetzt je nach Spielerstatur herrlich markante Kämpfe um den Ball - das Zuschauen und Einsteigen in diese Duelle macht einfach Spaß.

Eine Frage der Statur

FIFA 10 setzt neue Maßstäbe hinsichtlich der Animationen: Es gibt viele situationsabhängige Bewegungen, die quasi in letzter Sekunde abgerufen werden.
Wuchtige Kerle wie van Buyten oder Subotic würden Messi regelrecht zur Seite schieben, wenn sie ihn denn früh genug erwischen - da hilft ihm die Ballabschirmung über R2 auch nur für eine begrenzte Zeit (Video: Verteidigung). Je nachdem, wie energisch sie in das Tackling gehen, kann er das Gleichgewicht verlieren oder den Ball verstolpern. Aber Vorsicht: Diese Abwehrhünen sind auch wesentlich hüftsteifer und kommen kaum hinterher, wenn flinke Dribbler wie Deko oder Del Piero eine schnelle Drehung ausführen - das sollte man auch bedenken, wenn man sich über die neue Funktion "Virtual Pro" einen eigenen Mittelfeldregisseur mit zwei Meter Größe und schwerem Boxergewicht basteln will, denn Maße und Gewicht wirken sich auf dem Platz aus.

Dieser Fußball ist noch unterhaltsamer als im Vorjahr, denn er ist ansehnlicher, lebendiger und vor allem freier - also zurück zum Zweikampf: Der bewegliche Messi gewinnt dank der neuen 360-Grad-Kontrolle mit einer einfachen Richtungsänderung etwas Luft auf Höhe des Strafraums und macht einen Meter gut. Konnte man sich in FIFA 09 (Wertung: 85%) nur in acht Richtungen bewegen, sind jetzt auch feinere Winkeländerungen möglich, so dass selbst eine kleine Veränderung des Laufweges dazu führen kann, dass man seinen Gegenspieler umrundet - und damit wird ein weiterer Kontrapunkt des letzten Jahres ausgemerzt: Die zu starken Defensivautomatismen. Es ist jetzt in der Offensive einfacher, sich auch ohne artitsische Dribblings Räume zu verschaffen und man kann das Spiel als Verteidiger nicht mehr so ohne Weiteres mit Doppeldeckung und Tacklingterror ersticken - das tut unheimlich gut, weil man dadurch kreativer spielen kann.

Zurück zum Zweikampf an der Außenbahn: Messi könnte jetzt eines seiner gefährlichen Dribblings über L2 und den rechten Analogstick (Video: Spezialbewegungen) einleiten, um ein Solo Richtung Tor zu starten - und gerade Messi kann aus dem Vollen von fünf Dribblingstufen mit satten 50 Tricks schöpfen. Lahm könnte versuchen, in vollem Lauf über das Halten von L2 und R2 einen so genannten "Running Jockey" einzuleiten, um den Argentinier direkt abzudrängen. Aber er geht über L2 und X in eine seitlich tänzelnde Abfanghaltung namens "Jockey Press" und deckt zunächst den Raum, um die mögliche Flanke oder Finte schon im Ansatz zu verhindern.                      

Tempo-Gegenstoß

Rettungsaktionen in letzter Sekunde und verzweifelt hechtende Torhüter sorgen für mehr Dramatik in der Defensive.
Messi täuscht mit seinem Körper nach rechts an, indem er den Stick antippt und deutet danach einen Übersteiger über eine leichte R2-Drehung an. Diese Finten sind noch genau so elegant anzusehen wie schwierig auszuführen, denn es kommt auf punktgenaues Timing an. Aber letztlich sind sie deshalb auch so befriedigend, wenn sie zum Erfolg führen, zumal eine höhere Quote an Kunststückchen auch unangenehmes Arcadeflair entfachen könnte. Aber zurück zum Zweikampf: Was macht Lahm? Er schlägt zu, indem er die L2-Taste in dem Moment loslässt, als Messi gerade dribbeln will und so geht er blitzschnell in den Mann und stibitzt den Ball. Dieses Defensivmanöver ist kniffliger als das direkte Pressing bzw. Tackling, weil man beim Abfangen zunächst an Tempo verliert. Aber dafür riskiert man hier kein Foul, kann also elegant und effizient an das Leder kommen. Und es klappt: Lahm gewinnt das Leder und spielt einen sicheren Pass Richtung Ballack.

Auch in diesem Jahr kommen die kurzen Zuspiele (Video: Pässe) sehr sicher, fast schon wie an der Schnur gezogen ohne Holprigkeiten zum Mitspieler - der Spielaufbau wirkt dadurch auf den ersten Blick relativ einfach und deutlich komfortabler als in PES 2010, wo man sich auch kleine Raumgewinne härter erarbeiten muss, wo der Ball mal verspringt oder versackt, wenn man ihn nicht erst sicher annimmt oder einfach so weiterleitet. In FIFA 10 scheint die Individualität der Spieler, die ja alle unterschiedliche Werte im Passen haben, immer noch nicht konsequent genug berücksichtigt zu werden - das sollte in FIFA 11 noch deutlicher werden. Wer die pure Passfreiheit jetzt schon atmen will, der kann allerdings auch hier alle Hilfen abschalten und komplett manuell kicken. Dann entscheidet jede kleine Änderung des Sticks über die Richtung des Balles und auch die Stärke des Zuspiels will gut dosiert sein. Und das kann schmerzhafte Erinnerungen an die eigene Fußballkarriere in der Kreisklasse Erinnerungen rufen.

Der taktische Spielfluss

Dank der neuen 360-Grad-Kontrolle und einem Pool von über 50 Finten und Tricks kann man auch in der Offensive aus dem Vollen schöpfen.
Aber das Einfache ist auf den zweiten Blick nicht unbedingt das Schlechtere, denn man kann sich in FIFA 10 auf das Lesen des Spiels konzentrieren und man hat auch mit Passhilfen keine Zielgarantie sowie unheimlich viele Möglichkeiten den eigenen Spielaufbau über Flankenwechsel, Doppelpässe oder Kurzpassterror kreativ zu gestalten oder den des Gegners über aggressives Defensivverhalten oder schlaue Raumdeckung über geschickte Spielerwechsel im Keim zu ersticken - auch hier bietet sich übrigens L2 zum Zurücktänzeln an, denn so hat man den Gegenspieler im Blick. Schön ist, dass das Laufverhalten der eigenen Abwehr deutlich besser ist und Lücken geschlossen werden. Aber die neue 360-Grad-Kontrolle sorgt auch hinten dafür, dass man genau aufpassen muss: Man kann schon mal an einem Ball vorbei rennen, weil man die Richtung beim Abfangen nicht optimal angepasst hat. Und der Einsatz der Doppeldeckung verlangt ebenfalls mehr Aufmerksamkeit, denn es entstehen schnell sehr große Löcher, so dass die Defensivautomatismen nicht mehr so tödlich greifen.

Die auf und ab hüpfenden Fans im Stadion, die dieses Jahr noch lebendiger wirken, interessiert der taktische Kleinkram natürlich nicht: Die Zuschauer jubeln, denn die kritische Situation mit Messi wurde bereinigt! Und dann geht es verdammt schnell in die Offensive: Ballack spielt direkt auf Özil, der schaut sich kurz um und schlägt einen hohen Traumpass in die Spitze, direkt in die Schnittstelle der Viererkette - also mitten in den Lauf von Klose, der sich schon mit seinem Spurt und dem Winken angeboten hatte, und jetzt nach einer flüssigen Brustannahme im vollen Lauf (letztes Jahr gab es hier noch ärgerliche Verzögerungen) alleine auf's Tor rennt, während Demichelis, Burdisso und Zanetti verzweifelt auf Abseits winken! Aber der Linienrichter hebt seine Fahne nicht.

Dieses Jahr wird die Vorteilsregel übrigens nicht viel besser gepfiffen, denn so manche Situation läuft inkonsequent weiter: Es wird immer noch zu oft nicht abgepfiffen, wenn der vermeintliche Vorteil keiner mehr ist. Außerdem stehen die bei einfachen Tacklings manchmal etwas kleinlich pfeifenden Schiris sehr häufig im Weg, so dass der Ball an ihnen abprallt - richtig ärgerlich ist das, wenn es einen Konter zerstört und in einem Match vier oder fünfmal passiert. Die schwarzen Männer müssten viel öfter elegante Ausweichmanöver zeigen. Hier hat EA noch zu tun.

              

Der wichtige Abschluss

Ein physikalischer Schwachpunkt von FIFA 10: Die Kopfbälle - ihnen fehlt die Wucht.
Aber zurück in den Sturm: Was macht man jetzt in der Haut von Klose? Direkt mit Vollspann abziehen, elegant über das Halten von R1 mit dem Innenrist an ihm vorbei ins Netz schlenzen, den Torwart mit einer Finte gar komplett umspielen oder einen listigen Heber über L1 riskieren? Der Bayern-Stürmer ist schon im Strafraum, Abbondanzieri kommt mit erhobenen Armen auf ihn zugestürmt und Klose lupft den Ball an - der steigt steil in die Höhe, aber der Torwart kann ihn tatsächlich noch mit der rechten Hand erwischen, so dass seine Flugkurve noch steiler wird. Demichelis und Burdisso decken Klose, während alle dem rotierenden Leder hinterher schauen. In den dutzenden Probespielen der Redaktion konnten wir die Lupfer mit etwas Übung allerdings etwas leichter mit einer etwas zu hohen Quote von etwa 90% versenken.

Nur Abbondanzieri hat Besseres zu tun und kämpft gegen die Statistik: Er dreht sich um, rennt zurück und hechtet dem scheinbar unerreichbaren Ball entgegen, der sich schon gefährlich Richtung Kasten senkt. Und tatsächlich kann er das Tor in letzter Sekunde verhindern und den Ball über die Latte lenken. Gerade diese neuen Rettungsmanöver in der Defensive sorgen für mehr Dramatik im Strafraum. Und nicht nur der Torwart, auch die Verteidiger zeigen jetzt teilweise akrobatische oder verzweifelte Befreiungsschläge bzw. Grätschen, wenn man einen Angreifer kurz vor seinem Abschluss abfängt. Die Defensive ist wachsamer und reaktiver als im Vorgänger, so dass man mehr Tore verhindern kann. Nur manchmal scheint es so, als könne man die Abwehr mit Pässen in die Tiefe zu leicht aushebeln, denn man rennt in den ersten Spielen etwas zu oft alleine auf den Torwart, den man dann locker überlupfen kann. Doch je länger wir spielten, desto seltener kam es zu diesen Soli: Man kann in den Taktiken z.B. von der trügerischen Abseitsfalle auf die sichere Raumdeckung umstellen und schon kann man dieser Verwundbarkeit in der Schnittstelle der Viererkette entgegnen. Unterm Strich gibt es jedenfalls mehr Leben (Video: Angriff) auf dem Platz als noch in FIFA 09.

Dafür hat man die normalen Distanzschüsse etwas knackiger inszeniert: Wenn Rooney abzieht, jagt der Ball wie eine Rakete Richtung Kasten. Video: Schüsse.
Die prächtig animierten Torhüter haben allerdings nicht nur Glanzmomente: Obwohl sie klasse Paraden zeigen und besser als noch in der Vorschaufassung die Flanken über dem Fünfmeterraum pflücken, kommt es zu sporadischen Aussetzern, wenn sie den direkt über ihnen her jagenden Ball einfach segeln lassen und der dann am langen Pfosten eingenickt wird. Außerdem haben sie eine Positionierungsschwäche bei hohen geschlenzten Bällen: Wenn man von der Strafraumecke aus einige Meter entfernt von der 16er-Linie parallel zu ihr dribbelt und den Ball dann schräg mit voller Kraft Richtung Tor schlenzt, geht er etwas zu oft wie eine Art Lupfer rein, weil der Torhüter zu weit vorne steht. Ausgemerzt hat man endlich den Anstoßbug: Man kann nicht einfach vom Mittelkreis abziehen und beobachten, wie der Goalie beim Fangen hinter die eigene Linie kommt.

Die neuen Standards

Zurück zu Argentinien und Deutschland. Es gibt jetzt Ecke und die Jungs mit dem Adler auf der Brust nutzen eine einstudierte Variante: Die kopfballstarken Ballack und Klose rennen nach Ausführung von der Strafraumgrenze im Zickzack zum Elferpunkt, Gomez sorgt im Fünfmeterraum mit drei, vier Haken für Unruhe. Man kann Freistößen und Ecken jetzt eine individuelle Note verpassen, indem man sich Taktiken mit vorher aufgezeichneten Laufwegen zurechtlegt (Video: Standards). Der neue Editor ist denkbar einfach zu bedienen und erlaubt weitreichende Manöver für bis zu neun Spieler in acht Gebieten um den Strafraum; diese kann man einzeln anwählen und ihre Laufwege aufzeichnen. Davon kann man bis zu vier Routinen speichern und dann per Digikreuz im Spiel abrufen.

Das ist ein kreativer Zusatz, der Bewegung in die Standards bringt und zum Experimentieren einlädt! Genau so wie die schnellen Freistöße im Mittelfeld, die clever ausgeführt von der einen auf die andere Sekunde für Torgefahr sorgen können. Aber keine Bange, was die aufgezeichneten Standards angeht: Bisher konnten wir keine todsicheren Skripte entwickeln, die quasi keine Abwehrmöglichkeit bieten; das liegt auch daran, dass die Defensiv-KI automatisch gut mitläuft und Spieler deckt. Natürlich kommt es je nach Richtung und Drall des Balles trotzdem zu direkten Treffern nach Ecken.

              

Die Ballphysik 1.5

In den 1-gegen-1-Situationen kann man den mächtigen Lupfer einsetzen, aber ab und zu erwischt der Torwart auch diesen Ball.
Argentinien kann die scharf herein getretene Ecke auf Ballack jedenfalls nicht verhindern und der Profi des FC Chelsea trifft das Leder mit der Stirn: Es segelt allerdings relativ harmlos Richtung Tor. Was ist da los? Hier zeigt FIFA 10 noch eine Schwäche, denn die Ballphysik hinterlässt trotz der Tatsache, dass sie bei Schüssen etwas schwerer wirkt, noch immer keinen krachenden Eindruck - es fehlt der Wumms. Gerade bei den Kopfbällen vermisst man diese Wucht, die zwar ab und zu da ist, aber in vielen Fällen eben nicht kräftig genug inszeniert wird; das Leder "flufft" manchmal wie ein Softball. Im direkten Vergleich wirkt PES 2010 hier einfach dramatischer, denn die Flanken kommen schärfer und der Aufprall wird besser inszeniert. FIFA 10 bietet auch hier eine Fülle an Möglichkeiten, denn man kann die Bälle auf den kurzen oder langen Pfosten schlagen, kann die Flugkurve über R1 senken, aber man hat noch Nachholbedarf, denn man vermisst diese hart und scharf in den Rücken der Abwehr gezogenen Flanken.

Wenn Profis wie Ballack oder Totti mit ihrer hervorragenden Schusstechnik abziehen, dann jagt der Ball zwar aus der Distanz ansehnlich Richtung Tor, und es wirkt auch einen Tick besser als im Vorjahr, aber es kracht immer noch nicht gut genug und es fehlt auch bei manchen Volleys dieser wichtige Aufpralleffekt. Und genau hier verspielt dieses sehr gute FIFA 10 zusammen mit der immer noch recht sterilen Karriere den Platin-Award, denn man hat einfach zu wenig Entwicklung in diesen guten, aber eben noch nicht sehr guten Bereich der Ballphysik investiert, der ja auch bei den erwähnten Kurzpässen eine Rolle spielt. Das erkennt man auch daran, dass man bei Flanken und Überdrehung des Analogsticks immer noch unrealistische Flugkurven einleiten kann - das muss 2011 einfach besser werden. Immerhin wirken sich Regen oder Schnee schon jetzt spürbar auf den Platz und die Schüsse aus, wenn das Leder in Pfützen satt auftitscht oder auf Eis an Tempo gewinnt.

Mitten drin statt nur dabei

Egal ob Einlauf, Zeitlupen oder Kommentare - FIFA 10 ist hinsichtlich der Präsentation weiterhin top.
Aber Ballphysik alleine sorgt noch nicht für Atmosphäre, für dieses spezielle Kitzeln im Nacken und die Aufregung im Strafraum. Dazu gehören klasse Animationen, volle Stadien, enthusiastische Zuschauer, dramatische Rettungsaktionen und natürlich der Kick des Augenblicks - dieser Treffer in letzter Sekunde, dieses Gefühl, dass man mit genug Skills und Glück auch ein Match entscheiden kann. Und all das bietet FIFA 10 in einer unberechenbaren Art, die bis vor zwei, drei Jahren nur PES bieten konnte. Es gibt herrliche Abpraller, Freistöße ans Lattenkreuz, heroische Torwartaktionen und viele dieser magischen Momente, die für ein Raunen im Stadion sorgen. Und das sind Qualitäten, die man noch vor ein paar Jahren schmerzlich vermisste.

Natürlich ist es klasse, dass man mit seinem Verein loslegen kann, dass man dank Live Season 2.0 (Video: Live-Season) jeden Mittwoch aktualisierte Kader und Formwerte bekommt - sogar inkl. gelber Karten, Verletzungen und Voraussetzungen. Man kann am ersten Spieltag mit seinen Clubdaten starten und die Saison quasi umschreiben, wobei ein Vergleichsdiagramm zeigt, wie sehr sich virtuelle und reale Ergebnisse voneinander unterscheiden. So eine fiktive Saison voller Erfolge kann durchaus therapeutische Heilwirkung für BVB- und Hertha-Fans haben.

Und es ist schön, dass jetzt auch die holländische Mannschaft mit allen Namen dabei ist. Es sind aber nicht nur die Lizenzen, die offiziellen Wappen, Namen und Stadien, die Lust auf Fußball machen. Es sind die Kleinigkeiten, die für Atmosphäre sorgen: In den Stadien gibt es Durchsagen über falsch geparkte Autos und die Kommentatoren gehen zwischendurch auf die Vereinshistorie oder die Spielerbiografie ein. Überhaupt haben die Sprecher zugelegt und liefern sehr viele passende Analysen und Beschreibungen - natürlich gibt es blödsinnige Aussetzer, aber wir waren überrascht angesichts der vielen treffenden. Bei einem Derby giften sich die Kapitäne schon im Tunnel an und die Zuschauer gehen emotionaler mit. Sehr schön ist auch, dass es in den Nord- und Südkurven richtig Bewegung gibt, denn die Zuschauer springen zu Hunderten auf und ab.

Wo bleibt interaktives Training?

Bei den Flanken sollte man im nächsten Jahr die unrealistischen Dreher beseitigen.
Electronic Arts bietet zwar ausführliche Tutorial-Videos an, um alle Steuerungsdetails von der Abwehr bis zum Sturm zu veranschaulichen. Aber man hat immer noch keine interaktiven Übungen für einzelne Dribblings oder Abwehrsituationen in petto. Gerade angesichts der Fülle an Finten (Video: Dribblings) hätten sich situationsbezogene Trainings angeboten. Immerhin gibt es über 50 Tricks, die je nach Schwierigkeit auf fünf Levels verteilt sind. Und hier kann FIFA aus dem Vollen schöpfen: "Elastico", "Roulette", "Sombrero Flick", "Rabona Fake", "Hocus Pocus" - alleine diese Namen sorgen für Zauber.

Neben einfachen Körpertäuschungen und Übersteigern verbergen sich dahinter Hackentricks, Dreher oder artistische Einlagen wie den Überkopfball. Warum kann ich die nicht direkt nachdribbeln? Trotzdem gibt es auch hier Neuerungen: Wer üben will, kann entweder im bekannten Spielbildschirm vor Anpfiff gegen den Torwart zaubern oder über den Druck auf "Select" bzw. "Back" ab sofort auf den Trainingsplatz, um dort z.B. acht gegen zwei oder fünf gegen fünf gegen einen Torwart spielen, man kann Freunde dazu einladen und auch komplett ohne Regeln mit wüsten Fouls loslegen - auch der eigene "Virtual Pro" (Video: Karriere) darf hier wie in allen anderen Modi, offline sowie online, eingesetzt werden. Diese lockeren Kicks machen zwischendurch richtig Laune und man kann das Überzahlspiel üben.

Wer sein Foto auf www.easportsfootball.com hoch lädt, kann übrigens sein Gesicht importieren, bearbeiten und z.B. auf Ronaldos Körper setzen. Aber selbst mit dem Astralkörper muss man erstmal arbeiten: Nach der Erstellung des mittelmäßigen Spielers kann man sich und seine Werte quasi hoch kicken, indem man über 200 Herausforderungen in acht Kategorien wie Balltechnik, Mental, Pässe & Co meistert, dadurch körperliche Fitness, bessere Werte und Fähigkeiten hinzu gewinnt: Wer einen Spannschuss im Strafraum versenkt, bekommt Schusskraft +1; wer vier Kopfballduelle gewinnt, erhält Sprungkraft + 1 und 3,2 Kilometer mit seinem Profi zurücklegt, gewinnt Ausdauer +1. Das wird alles sehr motivierend über eine Art Erfolgestickeralbum visualisiert: Immer, wenn man eine Herausforderung meistert, erscheint ein kleines Abziehbild. Schön ist, dass es hier teilweise sehr knifflige Aufgaben wie etwa das Ausdribbeln von gleich drei Gegnern oder Ähnliches gibt.

        

Sei ein Profi!

Sehr edel, sehr motivierend: Euer virtueller Profi sammelt fleißig Fähigkeiten und Talente in einer Art Stickeralbum.
Im Karrieremodus "Be A Pro" kann man sich mit dem selbst erstellten Fußballer ganz nach oben kicken - wahlweise auch mit bis zu drei Freunden in einem Team. Vier Jahre hat man Zeit, um aus einem durchschnittlichen Spieler eine Legende zu machen, die schließlich im "Be A Pro International Cup" aufläuft. Hört sich gut an, aber hier hat EA gegenüber dem Vorjahr zu wenig an Entwicklung zu bieten. Es bleibt alles beim alten ABlauf: Egal ob Aussehen, Position oder Grundfähigkeiten wie Passen oder Dribblings - alles lässt sich den eigenen Wünschen anpassen. Hat man sich für einen Verein entschieden, startet man zunächst in der Reservemannschaft, um erste Erfahrungspunkte zu sammeln.

Dabei gibt es zwei langfristige Saison-Ziele und jeweils ein Match-Ziel: Erstens will der Club, dass am Ende eine Tordifferenz von mind. plus zehn, dazu 30 Schüsse auf das Tor sowie eine Durchschnittswertung von 6.0 erreicht werden. Zweitens soll man auf nationaler Ebene ein Spiel gewinnen sowie drei Tore erzielen. Man kann den Bundestrainer auch auf sich aufmerksam machen, wenn der eigene Verein an prestige gewinnt. Und drittens gilt es an jedem Spieltag noch kleine Erfolge wie den Sieg, ein Tor oder auch mal eine klasse Wertung von 8.0 zu feiern.

Auf dem Platz läuft alles so wie schon im letzten Jahr: Während des Spiels zeigen Pfeile an, welche Laufwege man wählen sollte und Kreise markieren den zu deckenden Gegenspieler. Es gibt auf einer Leistungsleiste Pluspunkte für erfolgreiche Aktionen wie Pässe, Tacklings & Co sowie Minuspunkte für Fehlpässe, falsche Positionierung oder verlorene Zweikämpfe. Und die Kamera schaltet wie gehabt in eine wacklige Schultersicht, wenn man sich dem Tor nähert.

Sterile Erfüllung von Aufgaben

Während der Karriere kann man zahlreiche Finten und Jubelanimationen freischalten.
Man kann sich erneut aussuchen, ob man wirklich nur seinen Spieler oder die ganze Mannschaft steuert. Zugriff auf die Auswechslungen und Formationen hat man zwar erst, wenn man zum Kapitän ernannt wird, aber auch so kann man das Spiel ohne Ball beeinflussen, denn man kann auch als offensiver Spieler in der Abwehr das Doppeln oder Pressing einleiten, Pässe anfordern und andere Spieler zum Schuss animieren. Neu ist lediglich, dass man jetzt über bestimmte Aktionen nicht nur Erfolge, sondern nützliche Fähigkeiten für seinen "Virtual Pro" freischalten kann.

Schade ist allerdings, dass man die Karriere über echte Berater oder Trainer als Ansprechpartner nicht persönlicher und über Rückschläge, Rivalen oder Interviews etwas dramatischer gestaltet. So hat man das Gefühl, dass man lediglich anonym Aufgaben abarbeitet - eine persönliche Bindung zum Club kann dabei nicht entstehen. Der neue, aber inhaltlich magere und umständlich zu bedienende Managermodus ist auch nicht der Rede wert, wenn man bedenkt, dass EA mit dem hauseigenen Fussball Manager 10 bald eine vollwertige Simulation anbietet. Ja, man kann Sponsorenverträge und Transfers abschließen sowie sein Budget verwalten. Aber die Benutzerführung ist denkbar umständlich und wo ist z.B. das gezielte Training, was Kondition, Technik, Formationen und Standards angeht? Warum bleibt man als Manager weitgehend eine anonyme Person? Es geht hier eigentlich nur darum, schnell bessere Spieler zu kaufen und das ist zu wenig.

Auch dieses Jahr kann man fleißig trainieren, aber nicht nur 1 gegen 1, sondern auch Überzahlspiel wie acht gegen zwei.
Offline gibt es  hinsichtlich der ohnehin bekannten Spielmodi (Turniere, Pokale, auch der Lounge-Modus ist wieder dabei, wo man sich mit bis zu 19 Freunden Herausforderungen stellen und Abzeichen gewinnen kann) wenig aufregende Neuigkeiten. Aber online gibt EA nicht nur mit der neuen Möglichkeit, einen eigenen Verein aus Online-Virtual Pros zu gründen Vollgas - hier kann man Freunde einladen oder gezielt nach anderen Virtual Pros suchen, indem man die entsprechenden Ranglisten durchforstet; wer spielt schon freiwillig einen rechten Verteidiger? Natürlich sind auch die Online-Ligen wieder dabei, so dass man für bis zu 31 Freunde eigene Saisons erstellen kann. Auch mit seinem neuen Filterservice kann Electronic Arts überzeugen: Man kann endlich gezielt nach Spielpartnern suchen, die z.B. Zweitligateams bevorzugen, indem man nur Teams mit entsprechender Sterne-bewertung zulässt; allerdings kann man nicht separat deaktivieren, dass man im Zufallsmatch immer wieder gegen einen bestimmten Verein wie den FC Barcelona antreten muss.

Das Wichtigste, der Netzcode, konnte zwar bis zum Mittag noch nicht so überzeugen wie im letzten Jahr: Da hatten wir bei etwa zwölf gespielten Partien noch einige Probleme mit ungewöhnlichen Lags, die auch mal für ein paar Sekunden alles einfrieren ließen. Und das, obwohl die Angabe der Latenz auf beiden Seiten drei grüne Balken aufwies. Zum anderen gab es bei der Hälfte der versuchten Partien schon nach einer Minute sofortige Verbindungsverluste. Aber ab 14 Uhr liefen die Spiele sowohl auf PS3 als auch Xbox 360 flüssig und ohne Probleme. Wurden erst da alle deutschen Server aktiviert? Wir wissen es nicht, aber seit dem Nachmittag flutschen die Matches. Übrigens haben jetzt beide Spieler nach dem Abpfiff die Möglichkeit, sich (auch sichtbar für den anderen9 für oder gegen eine Revanche zu entscheiden. Außerdem bekommt man direkt nach dem Spiel eine detaillierte Übersicht darüber, wie sich die gerade abgelaufene Partei auf die eigene Online-Statistik ausgewirkt hat - sehr schön.

            

Fazit

Electronic Arts hat sein Fußballspiel sehr gut reifen lassen: Das ist ein herrlich anzusehender, angenehm lebendiger und vor allem überaus dramatischer Kick! Selbst wenn man auf den ersten Blick kaum Unterschiede zu FIFA 09 erkennen mag, zeigen sie sich spätestens nach dem dritten und vierten Match: Das Zweikampfverhalten ist deutlich packender, die Defensive ist wachsamer, man kann neben einfachen Tacklings auch über L2 eleganter an den Ball kommen und es gibt herrliche Rettungen in letzter Sekunde - egal ob verzweifelt hechtende Torhüter oder Verteidiger, die mit dem Elfmeter im Nacken grätschen. Dieser Nachfolger wirkt weicher, runder und freier, was auch an der neuen 360-Grad-Steuerung liegt. Der ganze Spielaufbau hat bis auf die nervigen Schiri-Kollisionen profitiert, ist im direkten Vergleich zum Vorjahr etwas offensiver und geschmeidiger. Hinzu kommt nicht nur die Virtual Pro-Erstellung mit dem motivierenden Stickeralbum, sondern auch selbst erstellbare Ecken und Freistöße. Man spürt hier eine qualitative Weiterentwicklung gegenüber dem Vorgänger und auch der Online-Netzcode läuft nach Startschwierigkeiten seit dem Nachmittag sehr sauber. Zwei Dinge fehlen mir für Platin: Zum einen lässt die Ballphysik bei Vollspannschüssen und vor allem Kopfbällen immer noch diese krachende Wucht vermissen. Zum anderen müsste die Karriere endlich persönlicher und dramatischer gestaltet werden. Egal: FIFA 10 macht auch dieses Jahr fast alles richtig und unheimlich Spaß!

Zum FIFA 10-Video-Fazit

Zum FIFA 10-Test (PC)

Pro

klasse Simulationsflair
neue 360-Grad-Freiheit
packendes Zweikampfverhalten
angenehm wachsame Defensive
dramatische Rettungsaktionen
Virtual Pro-Erstellung mit Foto
Online-Clubs & Turniere mit Freunden
motivierendes Skill-Sammelalbum
guter Online-Netzcode
andere Platzphysik bei Regen oder Schnee
überraschend gute Kommentare
starke Physis der Profis spürbar
Editor für Ecken und Freistöße
lebendige Fankulisse & Gesänge
elegante Schlenzer
ansehnliche Dribblings & Finten
hervorragende Animationen
umfangreicher Spieler/Vereins-Editor
sehr gute Offensiv-KI im Solospiel
gute Simulation der Platzbreite
10 gegen 10 online
offizielle Lizenzen

Kontra

Kopfbälle nicht wuchtig genug
sterile Karriere ohne Trainerfeedback
Schiri steht zu oft im Weg, pfeift Vorteilsregel nicht konsequent
Ballphysik fehlt noch mehr Schwere

Wertung

360

Runder, freier, spannender: FIFA 10 bietet Dramatik pur!

PlayStation3

FIFA 10 macht da weiter, wo FIFA 09 aufgehört hat: Fußball vom Feinsten!

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