Lead and Gold: Gangs of the Wild West16.04.2010, Jan Wöbbeking
Lead and Gold: Gangs of the Wild West

Im Test:

Es gibt wieder blaue Bohnen: Jahrzehnte nach Bud Spencer und Terrence Hill kümmern sich jetzt ein paar Schweden darum, dem vernachlässigten Western neues Leben einzuhauchen. In Lead and Gold fliegen zwar mehr Kugeln als Fäuste durch die Luft, trotzdem geht es genau so hektisch zu wie im Spaghetti-Western.

Mein Name ist Nobody

Steam-Nutzer dürfen bereits jetzt die Schrotflinte zücken, Besucher des PSN-Stores greifen ab dem 15. April zu und Besitzer einer Xbox 360 müssen sich noch ein paar Wochen länger gedulden; Eine PC-Version für den Handel ist ebenfalls in Planung. In meinen ersten Matches herrscht reichlich Verwirrung -  dutzende Fragen rauschen durch meinen Kopf, während ich als Cowboy-Neuling durch die Gassen hetze und diverse Pistoleros sich über den Haufen ballern.

Man sieht seinem Revolverhelden wie bei Uncharted 2 über die Schulter (oder auch ins Gesicht, wenn man die Kamera dreht).
Warum steigt mein Level im Sekundentakt? Was bedeutet der Wust an Icons, Statusmeldungen und Lokomotiven-Sounds? Ich dachte Lead and Gold sei ein einfacher Online-Shooter!

Im Grunde ist es das auch. Zwei kleine Gangs mit jeweils fünf Mitgliedern treten gegeneinander an: Sie ballern sich mit Colts und Schrotflinten die Schlapphüte vom verschwitzen Schädel, klauen Goldsäcke aus der Mine, jagen Brunnen mit Pulverfässern in die Luft oder nehmen eine vorgegebene Reihenfolge von strategisch wichtigen Punkten ein. Also alles so, wie man es aus etwas älteren Genrevertretern wie Call of Duty 3 kennt. Beim Respawn lässt sich eine Klasse auswählen; jede besitzt von Haus aus eine auf sie zugeschnittene Waffe sowie eine Spezialfähigkeit: Der Westernheld mit Schlapphut z.B. kann mit einer Hand über seinem Colt schnelle »Fanning«-Schusssalven abfeuern.

Der Dicke ist nicht zu bremsen

Die Schrotflinte des gut genährten Sprengmeisters lässt mit Blei vollgepumpte Widersacher durch die Luft fliegen, außerdem schleudert er Dynamitstangen hinter Deckungen. Auf große Distanz sind die Trapperin mit ihrem Jagdgewehr und der Hilfssherriff mit seinem Repetierkarabiner effektiver; erstere kann außerdem Fallen legen. Der Hilfssherriff versieht seine Widersacher mit Markierungen, damit sie wie in Bad Company 2 für das Team sichtbar werden, 

Wie üblich kann man sowohl anlegen als auch aus der Hüfte schießen.
auch wenn sie sich verstecken. Oberflächlich betrachtet ist das Spiel also nur ein flottes Gemetzel. Doch darunter liegt ein Regelgeflecht, welches leider nur ansatzweise in der Anleitung erklärt wird. Nachdem ich einen hilfreichen Thread im offiziellen Forum durchgeschmökert und ein paar Runden gezockt hatte, wurde mir einiges klar.

Entwickler Fatshark will ähnlich wie in MAG oder Battlefield: Bad Company 2 die Teamarbeit belohnen. Um das zu erreichen, wurden mehrere, teils eigenwillige Mechanismen eingebaut: Habe ich ein paar Kugeln eingesteckt, leert sich meine Energieanzeige. Statt mich nur in der Deckung zu verstecken, muss ich aber die Nähe meiner Kameraden suchen, damit sich die Anzeige wieder auflädt. Es ist also sinnvoll, möglichst nah zusammenzubleiben und die gegnerischen Stützpunkte regelrecht im Rudel zu überrennen.                   

Die Rechnung wird mit Blei bezahlt

Da viele der Waffen wie im echten Wilden Westen nicht all zu genau treffen, wird diese Taktik noch gefördert: Auf den staubigen Gassen vor dem Saloon kommt es zu jeder Menge turbulenter Marathon-Schießereien - ganz wie man es aus den frühen Tagen des Kinos kennt. Auch die Schauplätze erzeugen sofort ein stilechtes Ambiente: Es gibt jede Menge sandige Plätze, Saloons, Holzwälle, Maisfelder zum Verstecken und steinige, verwinkelte Minen mit einem kurbelbetriebenen MG-Geschütz. 

Wir machen den Weg frei: TNT-Fässer zerstören nicht nur Missionsziele, sondern auch gekennzeichnete Holzwände.
Mit dem Detail-Overkill eines Uncharted 2 oder anderen aktuellen Highlights kann das Budget-Spiel natürlich nicht mithalten, dazu werden die Texturen aus der Nähe einfach zu unscharf. Trotzdem sehen die Karten wirklich gelungen aus.

Auf der Haut der Charaktere glänzen sogar feine Härchen und Bartstoppeln. Die Frisur des Sprengmeisters erinnert dagegen an den Plastikkopf einer Playmobil-Figur. Wenn es heiß hergeht, torkeln die Cowboys auch gerne einmal mit albernen Ragdoll-Animationen durcheinander oder verbinden sich dank starker Schnittstellenfehler mit Zäunen und Hauswänden. Letztere lassen sich an manchen Stellen übrigens tatsächlich durchbrechen, wenn man ein Fass davor hievt und es mit einem Schuss in die Luft sprengt. Als Belohnung für's Schleppen wandern Erfahrungspunkte aufs Konto und lassen den Level rapide in die Höhe schnellen, doch dazu später mehr. Nimmt ein Teammitglied die Spawn-Flagge aus der Basis mit, kann man übrigens direkt bei ihm im Getümmel wieder einsteigen.

Vier für ein Ave Maria

Ein weiteres Extra zur Unterstützung des Teamworks sind die "Synergien": Hat ein Grüppchen Angreifer z.B. einen Revolverhelden dabei, können alle Mitstreiter in seiner Nähe besser zielen. Der Sprengmeister verstärkt die Panzerung seiner Teammitglieder, der Hilfssherriff den verursachten Schaden. Die Trapperin schließlich erhöht die Wahrscheinlichkeit eines kritischen Treffers, damit der niedergestreckte Gegner sich nicht noch mit seiner Zweitwaffe in der zitternden Hand rächen kann. Kommen wir zu den Feinheiten: Beinahe alle Aktionen lassen Erfahrungspunkte auf's Konto wandern und steigern dadurch blitzschnell den Level. Dadurch werden wiederum die Synergie-Effekte gestärkt.

Wenn ein Trupp von Verteidigern einen Sprengmeister mit hohem Level dabei hat, kann es hart werden, sie zu überwältigen. Ein wuchtiger Volltreffer aus der Schrotflinte macht ihnen dann bei weitem nicht mehr so viel aus wie zu Beginn des Matches. Da der Level nicht dauerhaft bestehen bleibt, sondern nach jedem Match wieder auf Null fällt,

Die verwinkelte Karte mit der Bahnstrecke ist besonders idyllisch geraten.  
kommt es darauf an, sich zu Beginn einen Vorteil zu verschaffen - dadurch werden überraschende Wendungen leider unterdrückt.  Andererseits kann ein Spieler mit niedrigem Level schnell aufsteigen, wenn er ein paar stärkere Feinde erledigt. Wie das Punktesystem im Detail funktioniert, wird im bereits erwähnten Thread erklärt.

Die rechte und die linke Hand des Teufels

Es gibt übrigens auch einen Koop-Modus, in welchem sich zwei Spieler das Gold schnappen und eine immer größer werdenden Horde von Computer-Gegnern abwehren müssen. Die Bots sind allerdings mit derart wenig Intelligenz gesegnet, dass sie sich bereitwillig im freien Feld hinrichten lassen, wie von der Tarantel gestochen im Kreis laufen oder auf der Stelle hüpfen. Für mehr als ein paar Lacher ist diese Spielvariante also nicht zu gebrauchen. Schade auch, dass ich mich nicht einmal klassisch hinter einem Tresen oder Tisch abducken kann - stattdessen gibt es lediglich eine Ausweichrolle.

Ebenfalls ärgerlich ist die mangelnde Qualität des Netzcodes: Meist läuft das Gemetzel zwar flüssig, doch viel zu häufig zuckeln die Gegner durch Lags in abgehackten Bewegungen über die Karten. Einige male flog ich auch komplett vom Server und landete in den schrecklich spartanisch gestalteten Menüs. Ähnlich minmalistisch fällt der Server-Browser aus: Es lassen sich öffentliche und privater Server erstellen; Sortierungs-Optionen sind bei der Suche allerdings Mangelware. Volle Server werden gar nicht erst angezeigt und einigen halb gefüllten Exemplaren konnte ich einfach nicht beitreten - und das, ohne dass eine entsprechende Fehler- oder andere Rückmeldung angezeigt wurde.          

Fazit

Was für ein Triumph: Ein feindlicher Revolverheld springt hinter dem verwitterten Lattenzaun hervor, doch auch seine Schussalve kann mich nicht mehr stoppen! Mit letzter Kraft sprinte ich in seine Richtung, schmeiße ihm das Pulverfass entgegen, zücke die Schrotflinte und drücke ab. Wenige Sekunden später rumpelt der Subwoofer und mein Widersacher fliegt mit dem Splittern des Western-Windrads durch die Luft. Gegner tot, Missionsziel zerstört, Sieg für die rote Bande! Solche Momente sind es, die den Online-Shooter Lead and Gold mitunter richtig richtig unterhaltsam machen - und natürlich die hektischen Schießereien vorm Saloon. Doch die Shootouts besitzten auch ihre Schattenseiten: Es ist zwar löblich, dass das Teamwork mit einigen neuen Spielmechanismen belohnt wird. Doch der Wust aus Regeln, Sounds und Statusmeldungen ist viel zu konfus - gerade in einem schnellen Shooter wie diesem. Auch die Anleitung kann nicht alle Ungereimtheiten beseitigen - das offizielle Forum dagegen schon. Schade ist auch, dass es bis auf Steam-Errungenschaften (also Erfolge) nichts freizuschalten gibt und nach einem Match der komplette Fortschritt wieder futsch ist. Anders als bei einem Suchtmittel wie Battlefield: Bad Company 2 sinkt hier die Motivation nach ein paar Stunden rapide ab. Die Leaderboards konnten mich ebenfalls nicht zum Weiterspielen motivieren: Statt interessanten Statistiken gibt es nur eine Sortierung nach der Gesamtzahl von Erfahrungspunkten, Kills und Toden. Außerdem sind mir deutlich mehr Lags und Verbindungsabbrüche untergekommen als bei der Konkurrenz - meist blieb die Action aber gut spielbar. Der Koop-Modus sorgt dank schwachsinniger Bots allenfalls durch unfreiwillige Komik für Unterhaltung. Trotzdem: Für eine flotte Schießerei um zwölf Uhr mittags ist das Spiel allemal gut.

Update zur PS3-Version vom 30. April 2010: Mittlerweile ist das Spiel auch im PSN-Store erhältlich, also haben wir auf der PS3 Probe geballert. Die turbulenten Schießereien machen beinahe genau so viel Spaß wie auf dem PC - nur bei der Steuerung müssen Konsolenbesitzer leichte Abstriche in Kauf nehmen: Die auf große Distanz starken Klassen wie die Trapperin treffen mit dem Analogstick nicht mehr ganz so präzise und die Tasten lassen sich nicht mehr frei belegen. Davon abgesehen gibt es aber nur marginale Änderungen: Im Server-Browser z.B. wird die Verbindungsqualität nur noch in Null bis drei Sternen angezeigt. Außerdem leidet das Spiel auf Sonys Konsole ab und zu unter leichten, noch erträglichen Ruckel-Einlagen. Des Weiteren lassen die kleinen Alias-Treppchen an sämtlichen Kanten das Bild etwas weniger sauber erscheinen. Wer einen actionreichen Online-Shooter für seine Konsole sucht, kann aber zugreifen.

Pro

<P>
turbulente Feuergefechte in staubigen Gassen
jede Menge lustiger Situationen
typisches Western-Ambiente durch minutenlange Schießereien
Zusammenarbeit wird belohnt
frische Ideen wie z.B. das Energie-Aufladen im Rudel
explosive Pulverfässer eröffnen neue Wege
liebevoll gestaltete Städchen, Ranches und Minen
nette Details wie kreisende Geier und surrende Insekten
fünf interessante und zum Szenario passende Modi
sinnvolle Spezialfähigkeiten</P>

Kontra

<P>
Belohnungsysstem verwirrt zu Beginn
Anleitung und Tutorial verschweigen wichtige Details
dank Level-Reset nach dem Match kaum Langzeitmotivation
keine Extras zum Freischalten
uninteressante Leaderboards
gelegentliche Lags und Verbindungsabbrüche
spartanischer Server-Browser
nur wenige Objekte zerstörbar
Holzoberflächen und Grasbüschel wirken aus der Nähe recht schlicht
langweiliger Pseudo-Koop für zwei Spieler
debile Bots laufen im Kreis oder hüpfen auf der Stelle
Hintergründe aus hässlich unscharfen Texturtapeten
Steuerungslayout lässt sich nicht verändern (PS3)
gelegentliche leichte Ruckeleinlagen (PS3)</P>

Wertung

PlayStation3

Der flotte und zunächst verwirrende Online-Shooter in Western-Kulisse sorgt für lustige Schießereien, bietet aber auf Dauer zu wenig Substanz.

PC

Der flotte und zunächst verwirrende Online-Shooter in Western-Kulisse sorgt für lustige Schießereien, bietet aber auf Dauer zu wenig Substanz.

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