Naughty Bear02.07.2010, Mathias Oertel
Naughty Bear

Im Test:

Die Trailer zu Naughty Bear (ab 29,90€ bei kaufen) machten neugierig: Die knuddeligen Teddys, gemischt mit der anarchischen Herangehensweise an die typischen Fernsehserien für Kinder sowie einem Hauch unerwarteter Brutalität versprach im Vorfeld viel - quasi ein Inglorious Bearsterds. Jetzt ist der ungezogene Bär von Artificial Mind & Movement endlich gelandet. Und die konnten bereits actionreiche Erfahrung mit WET sammeln.

Moral-Apostel

Naughty Bear hat sich die einschlägig bekannten Fernseh-Serien wie Teletubbies oder Noddy, zum Vorbild genommen, die vornehmlich im Mutterland des Fußballs produziert werden: Der zusammengenähte und mit einigen Narben versehenene Teddybär Naughty wird von einem Märchenonkel aus dem Off vorgestellt. Alles wirkt zunächst zuckersüß und knallbunt. Doch Naughty hat ein Problem: Keiner der anderen Bären, die wohl klingende Namen wie Giggles oder Chubby haben, kann ihn leiden. Und so wird er nicht zur anstehenden Geburtstagsfeier eingeladen. Das Fass zum Überlaufen bringen jedoch die unverhohlene Missachtung und der Spott, mit dem Naughty konfrontiert wird, als er sich mit seinem selbst gebastelten Geschenk wider besseren Wissens auf den Weg zur Feier macht.

Der Anfang vom Ende: Nachdem Naughty von Giggles und Chubby ausgelacht wird, knallen bei ihm die Sicherungen durch und er schwört tödliche Rache!

Und plötzlich dreht die Stimmung: Bis in die tiefste Tiefe seiner fluffigen Bärenseele enttäuscht und angeheizt vom Erzähler, der jetzt die "Märchenonkel"-Stimme verloren hat und wie ein entfernter Verwandter des Batman-Jokers klingt, schmiedet er einen Racheplan - keiner der Bären auf Perfection Island darf überleben! Und so macht er sich bewaffnet mit Bärenfallen, Schraubenziehern, Macheten, Baseballschlägern, Projektilwaffen und allerlei anderen Totmachern im Gepäck auf, um es den mit Schaumstoff gefüllten Vettern von Winnie Puh heimzuzahlen.

Rache den Teddys

Frage: Wie viel Spaß kann es machen, mit einem psychopathischen Teddybär andere Stofftiere zu jagen und ihnen das Fell über die Ohren zu ziehen (bildlich gesprochen)? Antwort: Generell eine Menge! Mir gehen viele der Kinderserien mit ihren unnötig stilisierten Moralapostel-Aussagen,  die teils per Holzhammer-Methode vermittelt werden, gehörig auf den Keks. Dementsprechend fühle ich mich bei Naughty Bear auch gut unterhalten, wenn ich als Teddy-Jäger die stets gut gelaunten Li-La-Laune-Bären mit haufenweise Waffen malträtiere, ihnen Angst einjage oder ihren Stoff-Kopf auf einem Pier oder zwischen einer Autotür plätte. Ich kann mich daran erfreuen, wenn ich Gegenstände wie Gasgrills, Telefone, Stromversorgungen etc. sabotiere, die Bären versuchen, diese wieder zu reaparieren, ich mich an sie heranschleiche und sie mit einem "Enviro-Kill" in den Teddy-Bärenhimmel befördere - am besten, wenn andere Bären dabei zuschauen. Oder wenn sie Zeugen werden, wie ihre Freunde in von mir gestellte Fallen laufen und ich sie ohne große Mühe von ihrer Qual erlöse. Denn dann gehen nicht nur mein Punktekonto und der Multiplikator in die Höhe: Gleichermaßen werden labile Bären mit jeder Aktion, die sie mitbekommen, psychisch weiter instabil - bis hin zum Teddybären-Suizid! Die Möglichkeiten, die niedlichen Bewohner dieses Inselidylls numerisch zu reduzieren, sind auf den ersten Blick beachtlich.

Rache der Eintönigkeit

Frage: Wie viel Spaß kann es machen, mit einem psychopathischen Teddybär andere Stofftiere zu jagen und ihnen das Fell über die Ohren zu ziehen (bildlich gesprochen), wenn man quasi nach etwa 30 Minuten alles gesehen hat? Antwort: Deutlich

"Finish Him": Naughty kennt keine Gnade. Allerdings hat man sich an den Ablebe-Animationen schnell satt gesehen. 

weniger als erwartet! Ich mag abgefahrene Titel, die versuchen, gegen den Strom zu schwimmen; die bewusst (oder unbewusst) versuchen, andere Wege zu gehen. Doch auch wenn diese Titel bei mir einen gewissen Bonus haben und ich angesichts guter Ideen über die eine oder andere Schwäche hinwegsehen kann, hat Naughty Bear mechanisch und damit auch hinsichtlich der Motivation einige Probleme. Nehmen wir z.B. die Spielwelt: Jedes der fünf Kapitel der sieben Episoden ist in mehrere kleine Abschnitte unterteilt, innerhalb derer man erst vorwärts kommt, wenn man bestimmte Aufgaben (meist eine festgelegte Mindestpunktzahl oder Bärenkills) erledigt hat. Da die Abschnitte aber letztlich sehr überschaubar sind und irgendwann einer wie der andere aussieht (gelegentliche Texturänderungen mal ausgenommen), verliert man irgendwann die Lust, sich durch die Botanik zu wildern und eine Schneise der Zerstörung zurückzulassen.

Auch die angesprochenen Finisher laufen sich schnell tot. Denn für jede Waffe, für jede Sabotage, für jede Falle, für jede misslungene Flucht gibt es genau eine Ablebe-Animation. Da in späteren Episoden nur unwesentlich mehr Sabotage-Möglichkeiten oder Waffen hinzugefügt werden, beraubt sich Naughty Bear seiner Einstiegsfaszination.

Passabel, aber unsauber

Frage: Wie kann man den Spaß erhöhen, wenn man mit einem psychopathischen Teddybär andere Stofftiere jagt und man quasi nach etwa 30 Minuten alles gesehen hat? Antwort: Theoretisch mit einer überzeugenden Kulisse! Machen wir uns nichts vor: Viele Titel haben mit Wiederholungs-Problemen zu kämpfen. Und viele schaffen es, diese Mankos mit einer guten Technik oder dem einen oder anderen besonderen Feature auszugleichen. Naughty Bear gehört leider nicht in diese Kategorie - weder auf der PS3 noch auf der 360, die sich sowohl inhaltlich als auch technisch gleichwertig zeigen. Gerade angesichts der bereits angesprochenen Kleinheit der Abschnitte sind die Clipping-Fehler, die Probleme mit der Kollisionsabfrage, die mitunter schwachen Texturen, die auch nicht mit einer bewussten Artdesign-Entscheidung zu 

Noch lacht der grüne Teddy, doch spätestens wenn die Axt durch die Füllwolle schneidet, hat der Spaß ein Ende.
rechtfertigen sind, sowie die hakelige Kameraführung noch schwerer zu begreifen. Vor allem Letztere sorgt immer wieder für Frust, wenn man die Übersicht verliert, nur weil die Kamera es nicht schafft, eine vernünftige Sicht auf die Dinge zu präsentieren und man eher damit beschäftigt ist, einen ordentlichen Blickwinkel zu finden anstatt sich um die wesentlichen Ziele eines Psycho-Teddys kümmern zu können. Die stilisierte Inselkulisse mit Palmen, begehbaren Häusern, Stränden und Gebirgsformationen geht zwar in Ordnung und passt zur vermeintlichen Kinderserien-Thematik, doch auch hier wird das sich anbietende Potenzial nur ansatzweise ausgeschöpft.

Einzig die passablen Animationen der Figuren sowie ihre mitunter herrlich ausdrucksstarke Mimik erreichen das Niveau, das man von einer HD-Konsole im Jahr 2010 erwarten kann, darf und muss. Dass das nicht reicht, um die technischen Schnitzer vergessen zu lassen, ist jedoch ebenso klar.

Abwechslung naht

Frage: Wieso sollte man ein Spiel spielen, in dem man mit einem psychopathischen Teddybär andere Stofftiere jagt, man quasi nach etwa 30 Minuten alles gesehen hat und das zudem noch technisch im Bestfall durchschnittliche Werte erreicht? Antwort: Hmm... Wieso eigentlich? Das ist tatsächlich nicht so einfach zu beantworten. Was bei mir letztlich immer den Ausschlag gab, von Zeit zu Zeit nach Perfection Island zu reisen, war der ungehobelte Charme, der sich manchmal über die visuelle oder inhaltliche Redundanz legt und kurzzeitig sinnfreie Unterhaltung verspricht. Die Motivation, zum gelegentlichen Zeitvertreib ein oder zwei Kapitel neu oder erneut zur Highscorejagd anzugehen, ist vergleichsweise hoch, da man in regelmäßigen Abständen durch freispielbares Material belohnt wird: Hier ein neues, noch unbekanntes Kapitel, da ein neuer Gegnertyp wie z.B. Bärenzombies, die sich nicht erschrecken lassen, dort ein neues Kostüm für Naughty, das beim Anlegen mit einer Verbesserung seiner Werte wie Lebenspunkten oder Kraft einhergeht.

Vor allem das Freispielen neuer Kapitel lohnt sich, da später viele mit besonderen Herausforderungen versehen sind. Mal darf man die Bären frühestens töten, wenn man sie vorher durch eine geschickte Aneinanderreihung von Aktionen in den Wahnsinn getrieben hat, dann darf man nicht ein Mal getroffen werden und spätestens wenn man dazu aufgefordert wird, die Bärenbevölkerung zu dezimieren ohne dabei gesehen zu werden, weht ein Hauch Splinter Cell über die Ursidae-Insel.

Zu schade ist allerdings, dass die Schleichmechanik so simpel ist: In den Waldzonen ist man vor fast allen Anfeindungen sicher, es sei denn, man flieht ins "Dünnicht" (Dickicht kann man es wahrlich nicht nennen), wenn man einen Ninja oder

Später muss sich Naughty nicht nur mit dem bärigen Militär, sondern z.B. auch mit Zombären auseinandersetzen.
Offizier der Armee im Schlepptau hat, die einen hartnäckig verfolgen. Der Rest der KI kümmert sich meist nicht mehr um einen, wenn man im Wald steht - selbst wenn sie nur wenige Meter hinter einem waren.

Kompetente KI

Dabei reagiert die KI ansonsten recht kompetent: Sie reagiert auf die Aktionen von Naughty, versucht Gegenmaßnahmen zu ergreifen und scheut sich auch nicht, selber mit einer Waffe in der Hand dafür zu sorgen, dass der Frieden (natürlich auf Naughtys Kosten) wieder hergestellt wird. Und spätestens, wenn keiner der Bären überleben darf, man es nicht geschafft hat, den telefonischen Hilferuf zu unterbrechen und dann die bärige Nationalgarde zur Unterstützung aufmarschiert, hat man alle Hände voll zu tun und muss taktischer vorgehen  - was jedoch angesichts der letztlich doch eingeschränkten Möglichkeiten sowie der Kameramankos immer wieder zu Frustmomenten führt.

Alternativ kann man auch in vier Multiplayer-Modi (allesamt Variationen bekannter Elemente) versuchen, sich gegenseitig die Füllwolle aus dem Leib zu prügeln. Doch wo das simple Button-Mash-Kampfsystem für Solisten noch passable Ergebnisse liefert und zumindest in Ansätzen mit taktischen Einsprengseln gefüttert wird, laufen die Online-Duelle meist nur auf eines heraus: Mashen, bis der Bärendoktor kommt und hoffen, dass einem das "Kill"-Symbol früher angezeigt wird als dem Gegner. Und das ist auf Dauer wahrlich nicht spannend.     

Fazit

Naughty Bear ist ambitioniert und hat einige gute Ideen. Das beginnt bereits mit dem psychopathischen Hauptdarsteller, der nach einer Kränkung beschließt, es allen anderen Teddys auf Perfection Island heimzuzahlen. Und das hört erst bei den zahlreichen Möglichkeiten auf, die einem über die sieben Episoden à fünf Kapitel zur Verfügung stehen, um den Bären an die Füllwolle zu gehen: Schleichen, Sabotage, Frontalangriffe, Fallen - alles klingt gut und macht beim ersten Einsatz einen Heidenspaß. Doch auf Dauer geht nicht nur der anfänglich vorhandene anarchische Humor flöten. Naught Bear krankt vor allem an einem redundanten Spieldesign. An den Finishern hat man sich schnell satt gesehen, an den ebenso kleinen wie spröden Abschnitten ebenso. Und dass diese durch Clipping-Fehler und Probleme mit Kollisions-Anfrage sowie Kameraführung nicht schöner werden, hilft dem Unterfangen Inglorious Bearsterds auch nicht. Dennoch: Für eine kleine Bärenjagd zwischendurch bietet der neue Titel des WET-Studios ansprechende Unterhaltung. Allerdings sinkt der Spaß antiproportional zur "Spielzeit am Stück". Und online sollte man ohnehin nicht loslegen, da es hier zwar weitestgehend lagfrei zur Sache geht, aber der Umfang rudimentär bleibt und der Erfolg zu sehr von blindem Button-Mashen abhängt. Schade: Statt sich zur erhofften anarchischen Perle zu entwickeln, stolpert der Psychobär über die grundlegende Technik und seine eigenen Ambitionen.

Pro

psychopathischer Teddybär als Hauptfigur
interessantes Spielkonzept
viel freizuspielen
Herausforderungen sorgen für Abwechslung
weitestgehend lagfreier Online-Modus
viele Ablebemöglichkeiten für die Bären
interessantes Artdesign
Waffen, Fallen, Sabotage
herrlich zynischer Sprecher

Kontra

problematische Kameraführung
redundantes Spieldesign
kleine Abschnitte
mitunter mangelhafte Kollisionsabfrage
Online-Modus mit geringem Umfang
Finisher nutzen sich schnell ab
Stealth nur als Ultra-Light-Mechanik

Wertung

360

Ein psychopathischer Teddybär auf Rachefeldzug ist ein interessantes Konzept, dessen Spaß durch technische Schwächen sowie inhaltliche Redundanz deutlich gemindert wird.

PlayStation3

Das Konzept ist interessant, doch technische Probleme sowie inhaltliche Redundanz machen dem Psycho-Bären Naughty auf seinem Rachefeldzug zu schaffen.

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