Mass Effect 307.03.2012, Jörg Luibl
Mass Effect 3

Im Test:

Tod und Trümmer überall, die Erde gleicht einem Schlachtfeld: Wie aus dem Nichts wird der blaue Planet von den gefürchteten Reapern überfallen. Sie wollen alle organischen Wesen des Universums vernichten, sind absolut skrupellos und technologisch weit überlegen. Die Verteidigung scheint aussichtslos, konventionelle Waffensysteme versagen. Wie kann man die Menschheit retten? Wie kann man das Leben an sich retten? Es gibt nur eine Antwort: Shepard!

Verzweiflung im Weltraum

Ein Held muss her: Jemand, der die Reaper kennt und der Verbündete um sich scharen kann. Also wird Shepard reaktiviert, bekommt in kürzester Zeit sowohl seine Dienstmarke als auch den Status eines Spectre zurück, obwohl er für die fanatischen Feinde des Rates tätig war. Natürlich genießt er auch den Ruf eines Helden. Aber seine Vergangenheit wird im Einstieg viel zu schnell thematisiert. Man wundert sich, wie wenig der abtrünnige Commander vor den Verantwortlichen erklären muss und wie oberflächlich die ersten Dialoge gestrickt sind.

Für Veteranen ist das natürlich schade, denn man will sich von Anfang an mit seinem Charakter identifizieren, will tiefer schürfen und Fragen stellen - lediglich Einsteiger werden so nicht unnötig aufgehalten. Und man hat später immer wieder das Gefühl, dass BioWare sein Spieldesign eher für diese als für die Kenner der Serie ausgerichtet hat, denn viele Entscheidungen der ersten beiden Teile spielen hier letztlich gar keine Rolle.

Es geht jedenfalls schnell zur Sache: Shepard muss Allianzen schmieden und einer Wunderwaffe nachjagen. Das ist allerdings nicht so einfach, denn jedes Volk denkt zunächst an sich, zwischen vielen Rassen schwelen uralte Konflikte und selbst die Menschen sabotieren sich untereinander. BioWare versteht es sehr gut, die außenpolitischen Fäden

Neuen Charakter erstellen:

Wer keine Spielstände des Vorgängers übernimmt, kann einen männlichen oder weiblichen Helden erschaffen, seine Herkunft, seinen Ruf und Schlüsselmomente der Vergangenheit festlegen. Diese wirken sich dann u.a. auf einige Begegnungen im Spiel (ob man z.B. auf Kaidan oder Ashley trifft) aus. Außerdem wählt man wie gehabt zwischen sechs Klassen von Soldat über Techniker bis Infiltrator. und außerirdischen Eigenheiten der ersten Teile weiter zu verflechten. Auf wessen Seite stehen die Fanatiker von Cerberus? Werden sich die Kroganer nach dem Völkermord überhaupt dem Kampf anschließen? Wo sind die umtriebigen Quarianer? Und es ist schön, dass man viele Entscheidungen aus dem Vorgänger berücksichtigt - das Schicksal der Kroganer, der Tod von Ashley oder Kaidan.

Wunderwaffe und Reaperkontrolle

Wer die Vorgänger nicht kennt oder wesentliche Punkte vergessen hat, findet reichlich Lektüre über Gestalten, Geschichte und Gebräuche im stetig aktualisierten Archiv. Das ist vorbildlich strukturiert und lädt nicht nur zum Stöbern, sondern auch zum Lauschen ein, denn viele Einträge werden vorgelesen. Wer wissen will, was bisher geschah, kann auch unsere Bilderserie zu Rate ziehen. Jedenfalls beginnt nach einem kleinen Abstecher zum Mars eine Odyssee durch den Weltraum mit einer einzigen Hoffnung abseits der Sammlung vieler Verbündeter: Eine mysteriösen Waffe der Protheaner. Diese existiert zu

Explosive Action à la Gears of War bestimmt die Missionen.
Explosive Action à la Gears of War bestimmt die Missionen - mit dem Unterschied, dass nicht dieselbe situative Spannung entsteht.
Beginn des Abenteuers allerdings nur als Bauplan.

Wie kann man sie in der Kürze der Zeit herstellen? Und was bewirkt sie genau? Fragen über Fragen. Zumal das mächtige Artefakt auch Begehrlichkeiten weckt. Kaum wollen Shepard und sein Team mehr über sie erfahren, treffen sie auf die Jäger von Cerberus, die ebenfalls daran interessiert sind. Dort hätte man der Geschichte eine zweite Ebene geben können, indem man die Motive der Organisation recherchieren muss. Seltsam ist, wie schnell BioWare ihre Ziele anspricht: Ihr Anführer, der Unbekannte, erklärt, dass er die Reaper kontrollieren will. Im Vergleich zum  gelungenen Einstieg des zweiten Teils bleibt hier bis zum Ende wenig Rätselhaftes übrig.

Die effektive militärische Stärke

Viele potenzielle Verbündete bedeutet auch viel Streitpotenzial.
Viele potenzielle Verbündete bedeutet auch viel Streitpotenzial.
Shepard kann nicht alles lösen, muss Entscheidungen treffen. Und die sind mal wieder das Salz in der dramaturgischen Suppe. Alles trägt irgendwie zum Sieg bei, denn alles vom Gespräch bis zur Mission wird numerisch als „Kriegsaktivposten“ gezählt - egal ob überzeugte Zivilisten, gefundene Artefakte, gerettete Wissenschaftler, gesicherte Raumschiffe oder Allianzen mit Völkern, die hunderte Punkte am Stück einbringen. Selbst die Berichterstattung einer Reporterin bringt ein paar Punkte. Auf der Normandy kann Shepard die aktuelle Schlagkraft aller Kräfte einsehen: Er muss ein gewisses Minimum erreichen, um mit einer multinationalen Armada in die finale Schlacht zu ziehen - dann gibt es eine Mission ohne Rückfahrkarte, die bei Aktivierung quasi das Finale einläutet.

Auch wenn das zu Beginn noch angenehm fordernd scheint, wächst die Punktzahl quasi sicher mit jeder Aktion, jeder Stunde. Es wird Shepard sehr einfach gemacht, denn es gibt

Es gibt drei Spielmodi:

Action, Rollenspiel, Story. Ersterer verzichtet auf Dialogoptionen, Letzterer läuft mit Gefechten auf niedrigster Stufe. Wir haben für den Test den mittleren gewählt, denn er entspricht dem vollständigen Erlebnis der früheren Teile. Der Schwierigkeitsgrad der Kämpfe kann jederzeit angepasst werden. zwar emotionale, aber keine statistischen Rückschläge in Form von verlorenen Kriegsaktivposten. Es ist auch nicht so, dass die aktuelle Flotte mal geprüft werden würde oder dass man eine strategische Entscheidung auf der Galaxiekarte treffen müsste. Schon im Vorgänger wirkte sich die teure Aufrüstung der Normandy lediglich im Finale aus - vorher mussten sich die Waffensysteme nicht beweisen.

Das war unheimlich schade, denn auf dem Weg zum Ziel hätte es genug Gelegenheiten für kleine Raumschlachten gegeben, egal ob in Echtzeit oder als statistisches Event. Mit den Kriegsaktivposten ist es ähnlich: Lediglich im Finale wirkt sich die Höhe der eigenen Schlagkraft ein wenig aus. Je nachdem, welche Allianzen man geschmiedet hat, sieht man dort z.B. andere Verbündete bei den Vorbereitungen. Sehr ärgerlich ist, dass der Status der Bereitschaft in den Sektoren immer auf 50% steht – man wählt ihn immer wieder über das Terminal der Kriegsaktivposten an, aber nichts passiert. Erst wenn man mit Online-Verbindung kooperativ oder über iPad (Mass Effect Infiltrator, kostenpflichtig) bzw. iPhone (Mass Effect Datapad, kostenlos) spielt, kann man das ändern - eine schlechte

Die Reaper wollen scheinbar alles organische Leben vernichten: In einem Bosskampf kommt man ihnen nahe.
Die Reaper wollen scheinbar alles organische Leben vernichten: In einem Bosskampf kommt man ihnen nahe.
Entscheidung, denn man hätte diese Übersicht auch dynamisch für Offline-Spieler simulieren können.

Shepard wird immer wieder mit Zweifeln am Gelingen konfrontiert, sowohl von seiner Mannschaft als auch Außenstehenden. Das ist auch kein Wunder, denn die Sternenkarte ist voller Reaper und bedrückende, tief dröhnende Soundeffekte unterstreichen immer wieder diese Last. Es gelingt BioWare durchaus, die Aussichtslosigkeit spürbar zu machen, obwohl der kurz angebundene militärische Ton oftmals ohne Alternative dominiert - Befehl, Salut, Aktion. Die deutsche Lokalisierung erreicht ein gutes Niveau, kann aber nicht begeistern. Es ist unheimlich schade, dass man nicht den ersten deutschen Sprecher für Shepard gewinnen konnte - seine aktuelle Stimme wirkt manchmal etwas hochnäsig. Das ist jedoch kein Problem, denn man wählt entweder die englische Sprachausgabe aus oder lädt sie auf 360 runter.

Intergalaktischer Burnout

Trotz der hohen Verantwortung und seiner durchaus differenzierten Vergangenheit wird Shepard recht schnell zum einfachen Befehlsempfänger, ohne dass er hinterfragen kann, was da alles an Befehlen von der virtuellen Admiralität reinrauscht. Vor allem der Einstieg der ersten fünf Stunden verströmt alles andere als mysteriöse Atmosphäre - lediglich Shepards Träume sorgen für einen wichtigen Kontrapunkt, denn sie verfolgen ihn und zeigen seine Angst. Ansonsten ist die Sache glasklar und so heißt es oftmals: "Es gibt keinen anderen Plan." Aber das heißt nicht, dass Shepard nur ein Ziel hat - er kann sich vor Anfragen kaum retten. Wem hilft er? Wen ignoriert er? Auf der Sternenkarte wimmelt es vor leuchtenden Punkten, aber auch vor roten Reapersignalen.

Sehr schnell füllt sich die Missionsliste: Eine Asari sucht biotische Verstärker, ein Turianer ein Regimentsbanner, ein Volus hat Shepard die Koordinaten für ein Artefakt gegeben, das Krankenhaus der Citadel braucht Nachschub, der Techniker der Normandy sucht irgendein Thermozeug, ein Kundschafter ist verschollen, eine Bombe soll entschärft werden, die Treibstoffversorgung der Allianz ist in Gefahr, die Sicherheitsleute suchen Steuerungspläne für Geschütze, er soll ein Wort für eine irre Sadistin einlegen, ein

Die Technik:

Mass Effect 3 (ab 3,99€ bei kaufen) ist grafisch überaus ansehnlich, vor allem die Licht- und Partikeleffekte wurden erheblich verbessert. Aber Killzone 3, Crysis 2 oder Gears of War 3 werden hinsichtlich Animationen oder Texturen nicht erreicht. Die Abschnitte sind größer und sowohl Fassaden als auch Natur wirken plastischer als im Vorgänger. Die famosen Zwischensequenzen mit den Raumschlachten sorgen für Star Wars-Flair. Leider kommt es in diesen Szenen immer wieder zu Rucklern und das Gesprochene ist nicht lippensynchron. Außerdem ernüchtern die Lauf- und Kampfanimationen sowie manche späten Textureinblendungen. Zweimal wurde in einem Gespräch der Partner nicht angezeigt.

Die Unterschiede zwischen PC, PS3 und 360 halten sich in Grenzen. Für Ersteren wurden hoch auflösende Texturen per Download angekündigt. Dokumentarfilmer will, dass er Fotos schießt, er soll eine Jägerbasis verteidigen und irgendwo Zivilisten retten, außerdem ein Interview geben und gute Mine zum tödlichen Spiel machen. Und da fehlen noch Aufträge mit hoher Priorität, die meist wichtige Allianzen oder Aufträge mit alten Bekannten wie Liara, Garrus, Miranda oder Tali betreffen. Auch wenn man nicht alle in sein Team aufnehmen kann: Gerade bei diesen Wiedersehen spürt man die erzählerische Sogkraft einer dreiteiligen Saga. Man fühlt sich fast ein wenig Zuhause.

Viel Action im Weltraum

BioWare kleckert nicht, sondern klotzt mit Möglichkeiten: Irgendwann hat Shepard knapp 70 Aufträge im Logbuch, wobei erledigte ausgegraut werden. Aber letztlich ist das mehr Masse als Klasse, mehr Action als Abwechslung. Es gibt nur ganz wenige Aufträge, in denen man tatsächlich mal einen Schalter für einen Kran bedienen oder Artefakte aktivieren muss – und diese wenigen haben kaum Rätselanspruch. Gerade im letzten Drittel des erzählerisch interessanten, aber spielerisch manchmal ermüdenden Abenteuers fragt man sich: Schon wieder Geballer? Noch eine Welle? Außerdem erledigen sich viele der nichtmilitärischen Nebenmissionen wie etwa der Zusammenschluss der verfeindeten Söldnerbanden fast wie von selbst – hier ein bisschen reden, da hinlaufen. Aber was ich vor allem vermisst habe: Mehr strategische und gruppenspezifische Entscheidungen. Im zweiten Teil musste Shepard z.B. gegen Ende bestimmen, wer was macht - da kam es auf die Spezialisierung der Gefährten an, ob sie erfolgreich waren.

Teilweise filmreife Zwischensequenzen stehen im Kontrast zur lediglich soliden Kulisse.
Teilweise filmreife Zwischensequenzen stehen im Kontrast zur lediglich soliden Kulisse.
Warum gibt es das hier nicht öfter? Warum wird Shepard nicht häufiger gefragt, wen er irgendwo für eine Recherche, einen Kampf oder etwas anderes einsetzt? Das hätten auch kleine Aktionen innerhalb der Actionabschnitte sein können. Nur ganz selten darf man mal bestimmen, wer etwas repariert oder wer sich vom Dreierteam trennt, während man mit dem anderen weiter ballert. Aber man hat eben nicht das Gefühl, dass derjenige dort etwas gemäß seiner Klasse leisten muss und es später ein Ergebnis gibt – er ist einfach kurz beschäftigt.

So muss man immer und immer wieder nur die beiden Kampfteilnehmer wählen, ohne dass man deren Talente auch mal anderweitig berücksichtigen muss. Und wenn sie mal notwendig sind, werden sie automatisch ausgewählt - da braucht man nicht mehr viel nachdenken. Hier verschenkt BioWare viel Potenzial! Es gibt quasi nur drei Missionstypen: Landen und kämpfen, auf der Citadel reden und suchen, Planeten anfliegen und scannen. Dass Ersteres das Spieldesign dominiert, dürfte nicht mehr überraschen. Dazu passt, dass eine der neuen Figuren ein stiernackiger Soldat mit Schrotflinten-Faible ist, der auch als Fenix‘ Kumpel in Gears of War durchgehen könnte: James. Wer ein explosives Latino-Frontschwein sucht, wird hier fündig. Immerhin gelingt es BioWare, dem auf den ersten Blick plumpen Krieger einige interessante Facetten abzugewinnen, wenn er mit Shepard in den Ring steigt.

Landen und kämpfen

Shepard trifft auf viele alte Bekannte, darunter auch Liara.
Shepard trifft auf viele alte Bekannte, darunter auch Liara.
Im Vorfeld wurde mehr Anspruch im Gefecht versprochen. Wenn damit eine bessere KI gemeint war, muss man den Kopf schütteln: Teilweise hat sie Moorhuhn-Niveau. Dass die Kämpfe tatsächlich manchmal etwas kniffliger sind, liegt also nicht daran, dass BioWare die Computerintelligenz erhöht hat - man kann meist ohne Gefahr flankieren, manche Feinde reagieren überhaupt nicht, wenn sie in Deckung sind und selbst dann nicht, wenn man neben ihnen steht. Aber wesentlich früher tauchen mittelgroße Kreaturen wie Verwüster oder Mechs mit starken Barrieren, Schilden oder Fähigkeiten sowie getarnte Einheiten wie Phantome auf, die auch noch von vielen normalen Truppen begleitet werden. Es ist allerdings eher die Masse, die die Gefechte manchmal schwerer als nötig macht. Da muss man sich taktisch kaum anpassen: Wenn Zenturionen ihren dichten Rauch einsetzen, sorgt ein Scharfschützengewehr für Durchblick. Wenn Feinde mit Schilden nahen, hilft Schnellfeuerbeschuss. Bei einer Banshee sollte man die biotischen Sprünge für den Angriff abwarten – selbst wenn man es nicht tut, erledigt das die kombinierte Feuerkraft.

Diese Wesen, vor allem wenn sie zu dritt auftauchen, sorgen dennoch für wesentlich mehr Gefahr als das hirnlose Zombie- und Mutantenzeug, das einem in ein, zwei oder drei

Ärgerliche Ladephasen:

Sowohl auf der Normandy als auch auf der Citadel muss man häufig warten. Vor allem auf Shepards Raumschiff wird man bei jedem Gang vom Kommandoraum zur Galaxiekarte künstlich aufgehalten, indem man immer wieder einen Scan über sich ergehen lassen muss. Wellen wie blöde vor die Flinte läuft. Wer die situative Hochspannung eines Gears of War 3 oder Killzone 3 sucht, wird sie hier nicht finden – von den steifen Animationen beim Kampf ganz zu schweigen. Man kann wie gehabt jederzeit pausieren, das Fähigkeitenrad aufrufen und einen Feind quasi von drei Seiten gleichzeitig unter Beschuss nehmen - das bringt selbst die dicksten Brocken schnell zu Fall. Wenn man die Kräfte seiner Gefährten kombiniert, wenn man z.B. biotisch lähmt, dann einfriert und mit einer Haftgranate bestückt, hat man sie vernichtet. Es gibt eine Hand voll Kombos, mit denen man alle Situationen meistert: Ziehen und Warp, Überlasten und Betäubungsschuss, Verbrennung und Blutbad, Einfrieren und Sturmangriff. Aber erstens kennt man das schon zur Genüge aus dem Vorgänger. Und zweitens gelingt es nicht, diese bekannte Kampftaktik zu variieren oder gar aufzuwerten: Warum wird man nicht mal von feindlichen Biotikern attackiert und selbst in die Luft befördert? Warum gibt es keine Konter über Fähigkeiten? Warum ist das Befehlssystem immer noch genau so simpel (Steuerkreuz rechts/links für die Deckung; unten für Sammlung; oben für Angriff) wie überflüssig, weil die KI einfach so wieder den sicheren Schutz verlässt?

Gears of War lässt grüßen

Zu selten fordern die Gefechte taktische Planung: Meist reichen ein paar Kraft-Kombos.
Zu selten fordern die Gefechte taktische Planung: Meist reichen ein paar Kraft-Kombos.
Keine Entscheidung verdeutlicht die Anbiederung BioWares an Shooter wie Gears of War so deutlich wie das einzige frische Element, nämliche der neue Nahkampf über die so genannte Omniblade: Shepard kann auf Feinde zurennen und ihnen seine orange glühende Klinge nach kurzer Aufladung in den Körper rammen - die Kettensäge lässt grüßen, es gibt auch Bayonette für Gewehre und je nach gewählter Klasse unterschiedliche Angriffe. Leider hat man es damit etwas übertrieben, denn wer sich auf diese kurze Distanz und den Vollkontakt konzentriert, schlitzt sich viel zu leicht durch; auch direkte Tötungen aus der Deckung heraus sind möglich. Allerdings ist die Handhabung zu steif, die Übersicht geht oftmals flöten und die animierte Ausführung ist nicht gerade ansehnlich. Dazu passt die neue Beweglichkeit: Man kann im Sprint über Abgründe springen (automatisch ohne Timing) und über einen Doppelklick zügiger hüfthohe Hindernisse überwinden. Das Ducken oder Kriechen im Gelände ist nicht möglich.

Allerdings wirkt die neue Akrobatik in den Verfolgungsszenen nicht immer flüssig, denn man muss zu oft die Kamera nachjustieren oder kann plötzlich doch nicht auf ein Plateau klettern, obwohl es nicht viel höher liegt als die anderen. Das schlauchartige Leveldesign bietet mehr Freiraum und Größe, wird aber immer noch künstlich beschränkt. Vor und nach den Gefechten sollte man sich dennoch gut in den Gebieten umsehen: Meist findet man Medizin, Waffen, Modifikationen oder Credits.

Ein Armutszeugnis für die Action sind übrigens die Geschützturmszenen: Es ist ja nicht so, dass man das nicht spannend gestalten kann, aber wer hat sich bloß dieses primitive Wegrotzen ausgedacht? Selbst wenn man nicht alle Husks auf Anhieb trifft, scheint auch das keine Rolle zu spielen – es kommt quasi nie einer durch. Man vermisst anspruchsvolle Geschützturmszenen, in denen man sich auch mal auf den Schwachpunkt eines Feindes oder auf die Zerstörung explosiver Umgebung konzentrieren muss, um die Wellen zu überstehen. Gerade im letzten Drittel, wenn es wirklich heikle Missionen gibt, kann man nur den Kopf schütteln, wenn Shepard mal wieder an die Projektilrampe muss. Gibt`s dafür keine Spectre-Hiwis? Oder einen Bot?

Auf der Citadel reden und suchen

Gut, dass es neben der explosiven, aber auf Dauer redundanten Action noch etwas Rollenspiel gibt. Die Gespräche erreichen gerade in Konfliktsituationen immer noch eine Qualität, von der viele andere Spiele weit entfernt sind. Hinsichtlich der Dramaturgie beweist BioWare seine Klasse, indem man immer wieder in ein moralisches Dilemma gerät und Entscheidungen mit teilweise tödlichen Konsequenzen treffen muss. Trotzdem wird man auch auf diesem Spezialgebiet der Kanadier ernüchtert: Die Dialoge sind manchmal sehr kurz und teilweise oberflächlich. In den Situationen, wo es um die politische oder auch emotionale Überzeugung geht, wo sich Shepard kommunikativ beweisen müsste, vermisst man verschachtelte Gespräche mit mehreren Antworten, die auch mal zum Lesen und Nachdenken animieren, bevor man losplappert.

Kinect auf der Xbox 360:

Auf der Xbox 360 kann man Kinect einsetzen, um Sprachbefehle in Echtzeit zu erteilen: Egal ob der Einsatz von Fähigkeiten, die Deckungssuche oder das Anlegen von Waffen. Man kann auch Türen per Kommando öffnen oder die Antwort in Gesprächen laut vorlesen. Man hat die Dialoge zu schnell durchschaut. Man hat meist nur zwei Optionen, wobei ein, zwei Klicks auf die obere und damit "gute" bzw. "vorbildliche" Antwort ausreichen, um nahezu jede Situation optimal zu meistern. Sehr ärgerlich ist dabei, dass die kurzen Antworttexte manchmal nicht dem entsprechen, was Shepard bei einem Klick darauf antwortet: Zwischen dem provokativen "Sind sie wahnsinnig?" und einem "Wie wollen sie das machen?" liegen Welten. So verlieren vermeintlich brisante Szenen wie z.B. Shepards erstes Treffen mit dem Rat der Citadel an außenpolitischer Glaubwürdigkeit und rhetorischem Anspruch. Auch die Rekrutierung alter Gefährten ist hinsichtlich der Kommunikation manchmal eine Sache von Sekunden. Natürlich herrscht Krieg da draußen, natürlich hat es Shepard eilig, aber so wird es ihm auch verdammt einfach gemacht - egal ob Romanze oder Allianz, alles idiotensicher. Und warum nutzt man nicht wenigstens die Dramatik der Echtzeit, um Antworten auf Zeit zu verlangen? Alpha Protocol war in dieser Hinsicht interessanter.

Abtrünnig oder vorbildlich?

Lediglich in vereinzelten Situationen muss man wie im Vorgänger schnell reagieren, wenn das gute blaue oder das böse rote Symbol auftaucht: Ein Klick und schon unterbricht man den Zuhörenden, weist ihn schroff zurecht oder lenkt beschwichtigend ein. Dieses System sorgt für mehr Aufmerksamkeit, aber es ist nicht optimal designt. Mal abgesehen davon,

Feinde hinter Schilden sollte man mit SChnellfeuer oder Disruptor-Mun angreifen.
Feinde hinter Schilden sollte man mit Schnellfeuer oder Disruptor-Mun angreifen.
dass Shepard seine Karrierepunkte weder direkt in Charisma noch Rhetorik investieren kann, weil es keine reinen sozialen Fähigkeiten gibt: Warum habe ich in diesen Konflikten nicht grundsätzlich die Wahl zwischen abtrünniger oder vorbildlicher Antwort? Das würde die Entscheidung erschweren. So taucht oftmals willkürlich die eine oder andere Aktion auf. Es kann z.B. sein, dass der eigene Shepard einen zu 90% vorbildlichen Ruf hat, aber dennoch lediglich eine abtrünnige Aktion aufblinkt. Warum?

Shepards Ruf setzt sich ja aus beiden zusammen: Vorbildlichen (blau) und abtrünnigen (rot) Punkten, die man für Antworten oder Missionen bekommt und die zusammen eine Leiste ergeben. Je nachdem, wie weit man in einem Bereich ist, werden weitere Dialogoptionen oder Unterbrechungshandlungen wie oben beschrieben freigeschaltet. Dass man nicht genügend Ruf in einem Bereich erworben hat, wird immer dann klar, wenn z.B. Antworten in Gesprächen ausgegraut und damit nicht verfügbar sind - das ist wesentlich nachvollziehbarer als das willkürliche Auftauchen der Aktionen.

Romanzen und Techtelmechtel

Man kann Beziehungen eingehen, sowohl hetero- als auch homo- und aliensexuell. Wie gehabt muss man dafür einiges an Zeit und vor allem Dialoge investieren, aber der Weg zum Ziel inklusive Akt ist denkbar billig. Schade ist, dass man sich den aktuellen Beziehungsstand nicht anzeigen lassen kann. Auch die reine Loyalität gegenüber Shepard bleibt unsichtbar, obwohl auch sie Auswirkungen hat: Immerhin kann man eine Fähigkeit dieses überzeugten Crewmitglieds zur Auswahl im Labor freischalten - z.B. die Inferno-Granate oder Warp-Munition.

Ich habe auf meiner Reise weder einen Zickenkrieg an Bord erlebt noch einen Streit darüber, wer bei der nächsten Mission dabei sein darf. Lediglich zu Beginn des Abenteuers kommt es zwischen den Botschaftern zu einer hitzigen Debatte, bei der Shepard eingreifen darf. Aber ansonsten verläuft der Alltag auf der Normandy ohne allzu große Zwischenfälle: Man liest seine Mails, tröstet oder bestärkt, fliegt zum nächsten Planeten. Erst während der Missionen dort kann es zu tragischen Momenten kommen. Aber viel zu selten wird Shepard in Konflikte auf dem Raumschiff hinein gezogen.

Planeten scannen 0.9

Neu ist der Nahkampf mit der Omniblade: Jede Klasse führt eigene Attacken aus.
Neu ist der Nahkampf mit der Omniblade: Jede Klasse führt eigene Attacken aus.
Das Scannen wurde gegenüber dem Vorgänger umgebaut: Es geht zwar schneller, ist aber nicht mehr als simple Routine. Man kann in einem Sonnensystem einen Scan-Impuls aussenden, der auf den Planeten im Umkreis vielleicht etwas ortet - meist sind das Artefakte, die direkt in Credits umgewandelt werden oder als Kriegsaktivposten zählen. Um sie zu bergen, bewegt man ein Fadenkreuz wie gehabt über den Planeten, muss aber lediglich dem weißen Strahl folgen und am Zielpunkt eine Drohne abfeuern - das war's, dauert knapp eine Minute. Der Reiz der Suche geht gegen null.

Man muss also weder auf der Oberfläche landen und mit einem Fahrzeug erkunden noch selbige komplett per Scan absuchen. Warum sendet so eine Drohne bei der Landung nicht erstmal kurze Aufnahmen von einer Höhle, einem Feind, einem Gefecht oder einer Anlage? Warum kann man dann nicht entscheiden, ob man landet und dort unten wie im ersten Teil die Gegend mit einem Fahrzeug erkundet? Hier wäre so viel an Entdeckungsreizen und Überraschungen möglich gewesen, wenn man die guten Ansätze des ersten Teils weiter entwickelt hätte!

Spannung entsteht nur ansatzweise dadurch, dass jeder Scan in einem besetzten Sektor die Reaper anlockt, angezeigt durch eine wachsende Leiste der Aufmerksamkeit. Es besteht also die theoretische Gefahr, dass sie die Normandy orten und angreifen - dann gibt es aber kein Weltraumgefecht, sondern einfach ein Game Over. Und das Fliehen ist denkbar einfach: Man bewegt das schnöde Raumschiffsymbol so schnell wie möglich zu einem Massenportal. Zur Beruhigung der Situation trägt auch bei, dass die Reaper brav abwarten, wenn man gerade einen Planeten überprüft. Langweilig!

Lebendige Spielwelt?

Kein Hacking mehr, keine Minispiele - lediglich das kastrierte Scannen lockert den Actionalltag auf.
Kein Hacking mehr, keine Minispiele - lediglich das kastrierte Scannen lockert den Actionalltag auf.
Die Citadel wirkte im Vorgänger recht leblos. Auf den ersten Blick hat BioWare hier nachgebessert, auch wenn man weitere "Städte" vermisst: Es gibt auf den fünf Etagen (Landebucht, Docks, Botschaften, Krankenhaus, Präsidium) mehr Bewegung, mehr Personen und kleine Hingucker auf den Fluren. Man kann Gesprächen lauschen, damit indirekt viele kleine Missionen aufschnappen oder aktuelle Nachrichten zum Stand der Reaper-Bedrohung auf großen Schirmen verfolgen. Außerdem gibt es neue Sicherheitsscanner, die blau flimmernd nach Biotik fahnden sowie mehr zu sehen, wenn man aus den Panoramafenstern schaut.

Wer sich nicht auskennt, fragt die informative KI nach Besonderheiten oder öffnet die Karte, die alle relevanten Orte anzeigt. Sehr gut gelungen ist der Stimmungswandel im Laufe des Abenteuers, wenn es nach einem Ereignis eine ganz neue Situation mit neuen Missionen auf der Citadel gibt. Und sehr schön ist, dass Shepard auch als Spectre einige Entscheidungen im Sicherheitsbüro treffen muss: Befürwortet er, dass Waffen an Zivilisten ausgegeben werden? Befürwortet er, dass die medizinische Versorgung rationiert und nicht mehr allen gleich zur Verfügung steht? Auch das hat Auswirkungen - manchmal zwar nur in der nächsten TV-Ansage, manchmal jedoch relevanter.

Aber auf den zweiten Blick ist all das mehr Schein als Sein. Wenn man gerade dabei ist, die futuristische Atmosphäre aufzusaugen und sich in der Citadel umzusehen, entdeckt man sehr viel Statik: Man kann nur mit ganz wenigen Leuten sprechen. Sehr schön ist zwar, dass man sich in Konflikte einmischen und diese entweder für die eine oder andere Partei lösen darf, wenn es z.B. darum geht, ob noch Platz für Flüchtlinge ist oder ob sich ein paar Freunde bewaffnen sollen. Die meisten Bewohner reagieren allerdings auch nicht auf Shepard, wenn er sich vordrängelt oder Gesprächen lauscht. Wenn man einer alten Dame zu Ende zuhört, die ganz vorne an einem Schalter in einer Schlange steht, tut sich dort nach ihren zwei Sätzen nichts - die Frau bleibt stumm dort stehen, die Leute warten dahinter wie Roboter. Warum hat man nicht wenigstens etwas Leben in die Situation gebracht, indem der zweite Wartende sein Anliegen vorbringt? Auch die Bar ist mal wieder eine statische Enttäuschung: Da wird viel getanzt, es gibt laute Musik und quasi null Interaktion oder Abwechslung über Zwischenfälle oder Kartenspiele - einen Drink bestellen, tanzen, das war`s.

Kein Hacking, keine Minispiele

Die speziellen Fähigkeiten von shepard & Co werden zu selten abseits des Kampfes gefordert.
Die speziellen Fähigkeiten von shepard & Co werden zu selten abseits des Kampfes gefordert.
So grast man irgendwann einfach nur alle Flure ab, um Artefakte irgendwo abzuliefern, sich an Stationen etwas zu kaufen oder all das aufzusammeln, was gratis rumliegt - Diebstahl gibt es nicht, wird erzählerisch auch nicht vermisst. Aber leider hat BioWare das Hacken komplett gestrichen: Gab es im Vorgänger noch zwei Minispiele, die für etwas Spannung vor einem Schloss, einer Kiste oder einem Terminal gesorgt haben, öffnet sich jetzt alles automatisch oder gar nicht. Das ist unheimlich schade, denn abgesehen von der spielerischen Abwechslung hätte man einer Klasse wie dem Infiltrator gewisse Vorteile gegenüber einem Soldaten geben können. Oder man hätte spezielle Missionen dafür designen können.

Überhaupt vermisst man kurzweilige Herausforderungen am Rande: Warum gibt es Pokertische, aber kein aktives Kartenspiel? Situationen dafür oder für andere Spiele wie Schach werden angedeutet, aber nie genutzt - weder in der sterilen Bar auf der Citadel noch auf der Normandy. In Star Wars: Knights of the Old Republic sorgte Parzaak immer wieder für Unterhaltung abseits der Action. Hier regiert sie selbst dann, wenn sich cleveres Kombinieren quasi aufzwingt: Als man in die virtuelle Welt der Geth eindringt, die ein wenig an Tron erinnert und plötzlich Hoffnungen auf intelligentere Herausforderungen weckt, gibt es nicht etwa ein Logik- oder Puzzlespiel, sondern erneut Geballer - einfach auf die Knotenpunkte schießen, dann kommt man schon weiter. Schießt man auf den falschen, wird man darauf hingewiesen, es woanders zu versuchen.

Die Charakterentwicklung

Die Charakterentwicklung beschränkt sich fast komplett auf militärische Fähigkeiten, so dass die Wahl einer der sechs Klassen von Soldat bis Techniker für das Erlebnis abseits der

BioWare hat mehr Anspruch versprochen, der allerdings eher durch die Masse als die Klasse der Feinde entsteht.
BioWare hat mehr Anspruch versprochen, der allerdings eher durch die Masse als die Klasse der Feinde entsteht.
Action keine Rolle spielt. Zwar hat jede Klasse einzigartige Möglichkeiten: Nur der Biotiker kann z.B. Dinge heran ziehen, aber es gibt keine speziellen Missionen, in denen man sein Können beweisen müsste. So muss man als Infiltrator nicht einmal clever seine Tarnung einsetzen, um z.B. einen Kampf zu umgehen. Für ein intensiveres Erlebnis des eigenen Charakters hätte BioWare klassenspezifische Missionsstränge anbieten müssen.

Man kann alle eigenen Stärken und Schwächen durch die beiden Mitstreiter ausgleichen. Und zu oft hat man in der Schlacht das Gefühl, dass selbst diese Wahl relativ egal ist – man kommt mit jedem Trio durch die Gefechtszonen. Die Entwicklung von Shepard und Kollegen beschränkt sich auf bekannte Fähigkeiten, die sich allerdings manchmal in zwei Bereiche aufspalten. Was sich nach interessanter Spezialisierung mit neuen Möglichkeiten am Ende anhört, ist aber lediglich Statistik. Dabei geht es in erster Linie um Gesundheit, Schaden, Schilde, Munition, Abkühlzeiten und Trefferradien.

Man kann so gut wie nichts falsch machen und falls man doch das Gefühl hat, dass die Freischaltung der frostigen Kryo-Fähigkeiten sinnvoller sei als jene des Verbrennens, kann man im Labor alles wieder auf null stellen - beim ersten Mal ist das für jedes Team-Mitglied gratis, später kostet es ein paar Peanuts. Die Fähigkeiten kann man wie gehabt manuell verbessern oder automatisch aufsteigen lassen. Normalerweise würde ich das in keinem Spiel aus der Hand geben, aber hier gibt es so wenig zum Grübeln, dass es nahezu egal ist.

Waffen, Rüstung & Modifikationen

Shepard kann komplette Panzerungen anlegen oder einzelne Teile gezielt schützen - es gibt zig Hersteller.
Shepard kann komplette Panzerungen anlegen oder einzelne Teile gezielt schützen - es gibt zig Hersteller.
Es gibt also weniger Abwechslung, weniger Rollenspiel. Was gibt es mehr? Waffen und Ausrüstung! Shepard kann sich fünffach und seine Mitstreiter zweifach ausrüsten, indem er Waffen auf Steckplätze am Rücken montiert. Im Gegensatz zum Vorgänger kann er auch während eines Einsatzes wechseln. Von Pistolen über Sturmgewehre, Schrotflinten und Präzisionsgewehren in zig Varianten ist alles dabei; und sie fühlen sich auch anders an, was Rückstoß, Mündungsfeuer und Explosivgeräusche angeht.

Jede Waffe besitzt fünf Eigenschaften: Gewicht, Kapazität, Feuertempo, Schaden und Präzision. Zwar werden diese Werte zum Vergleich markiert, wenn man zwischen ausgerüsteten Waffen wechselt. Aber diesen Vergleich vermisst man bei einem Händler bzw. an einem Shop-Terminal - dort bekommt man nur eine Beschreibung und muss raten, ob diese neue Pistole vielleicht mehr Schaden macht als die alte. So kauft man des Öfteren die Katze im Sack. Ärgerlich, aber erneut komplett verschmerzbar, denn man hat quasi immer genug Geld. Das "Wirtschaftssystem" wirkt beliebig: Man findet eigentlich überall Credits, selbst in Kampfmissionen, und bekommt sie auch automatisch nach Missionen gutgeschrieben. Das Kaufen von neuen Waffen wird einem auch deshalb nicht allzu schmackhaft gemacht, weil man selbige genauso wie Panzerungen unterwegs findet.

Die Farbe der Panzerung

Allerdings sollte man nicht zu viele Ballermänner gleichzeitig mit in den Kampf schleppen, denn ihr summiertes Gewicht wirkt sich negativ auf die Abkühlzeit der Fähigkeiten aus – das ist eine lobenswerte Ergänzung. Man kann dem entgegen wirken, indem man weniger Waffen trägt oder selbige z.B. über Modifikationen leichter macht. Pro Waffe gibt es zwei Plätze für Verbesserungen, dazu gehören auch Visiere, eine höhere Feuerrate oder mehr Durchschlagskraft. Mit all diesen Zusätzen kann man recht schnell experimentieren, allerdings vermisst man eine komplette Übersicht. Zudem kann man jede Waffe gegen Credits direkt auf höhere Stufen bringen und damit nahezu alle Werten verbessern.

Bei der Ausrüstung vom Helm bis hin zur Panzerung verschiedener Körperteile sieht das etwas anders aus: Diese kann Shepard nicht für seine Gefährten anpassen und nicht direkt im Gelände wechseln, sondern nur stationär - z.B. auf der Normandy. Neu ist, dass man nahezu alle Rüstungsbereiche optisch anpassen kann, indem man Farben und Materialstrukturen dafür wählt. Wichtiger sind natürlich die statistischen Werte: Man kann gezielt die Gesundheit, die Aufladezeit, den Schaden etc. verbessern, wenn man Teile unterschiedlicher Hersteller kombiniert. Es gibt auch teure Komplettpanzerungen, die man dann allerdings nicht mehr modifizieren kann.

Die Multiplayer-Ernüchterung

Wer möchte, darf sich neuerdings auch über das Internet im Universum austoben. Das ist zwar nicht nötig, um die Kampagne zu meistern, aber man kann seine militärische Stärke für das Finale verbessern – nicht nur über kooperative Missionen an PS3, 360 und PC, sondern auch über iPhone und iPad: Denn nur so lässt sich der Wert der Bereitschaft erhöhen, der im Offline-Spiel ansonsten immer bei 50% liegt und so die Hälfte aller bisher gesammelten Kriegsaktivposten abzieht. Nur wer online loslegt, kann diese Abzüge verringern.

Bis zu vier Spieler können gemeinsam einzelne Missionen starten. Das Schöne daran: Man kann auch mal andere Völker wie Kroganer oder Quarianer wählen, kann ihre Fähigkeiten verbessern und Waffen modifizieren – es geht also um einen neuen Helden, Shepard bleibt auf der Normandy. Man erhöht so allerdings nicht nur die Bereitschaft für die Kampagne, sondern sammelt auch Erfahrungspunkte, um weitere Charaktere, Wummen und Ausrüstung freizuschalten. Außerdem wird ein maximal aufgestufter Online-Kämpfer umgehend als Kriegsaktivposten in der Kampagne hinzugefügt. Das ist theoretisch eine gute Verbindung zur Story, denn so wird die Parallelität der Ereignisse simuliert. Allerdings ist dieser Charakter für den Multiplayer auch gestorben.

Das Schlechte daran: Das kooperative Spiel ist im Vergleich zur Shooterkonkurrenz einfach zu austauschbar, zu träge und wirkt wie eine billige Kopie des Horde-Modus aus Gears of War. Man stellt sich ganz einfach knapp einem Dutzend Angriffswellen der Reaper und ihrer Verbündeter, ohne jedoch die situative Dynamik und Spannung des Vorbildes zu erleben. Vor allem der Nahkampf macht immer wieder Zicken – Letzter wird einfach nicht flüssig genug ausgeführt. Hinzu kommt, dass das Geschehen mit plötzlichen Gegner-Spawns, Richtungspfeilen, Countdowns sowie dem Hantieren der Spezialfähigkeiten oft chaotisch ist. Die KI verdankt ihre Stärke vornehmlich ihrer Masse oder starken Schilden, agiert aber wie in der Kampagne teilweise apathisch und dumm.Der Zugriff auf biotische Kräfte oder Hacker-Angriffe wird übrigens eingeschränkt, da man sich vor jeder Runde auf drei festlegen muss, die direkt über Knöpfe ausgelöst werden. Für etwas Abwechslung sorgen kleine Schutzmissionen, wenn einer der vier z.B. einen Terminal bedienen und während dessen bewacht werden muss.

Fazit

Unterhaltsam, actionreich, ernüchternd - das ist der konsequente Abschluss einer Saga, deren Qualität mit jedem Teil sank. BioWare gelingt es wieder einmal nicht, so zu begeistern wie in alten Zeiten. Es macht Laune, die Kräfte seines Teams zu bündeln und auf die Feinde loszulassen. Es macht Spaß, mit seiner Crew zu sprechen und Beziehungen zu pflegen. Und über all dem liegt der Reiz der freien Entscheidung: Man muss mit tragischen Konsequenzen leben, es kommt zu bewegenden Situationen. Man trifft alte Bekannte und fühlt sich auf der Normandy fast wie Zuhause. Für all das schätze ich diese Saga. Aber das ist der inhaltlich schwächste, weil eintönigste Teil eines futuristischen Abenteuers, das sich in die falsche Richtung entwickelt hat. Irgendwann geht einem das primitive Geballer einfach auf den Keks: Nicht weil es Geballer ist, sondern weil es zu eintönig ist und zu selten die situative Spannung erstklassiger Shooter wie Killzone oder Gears of War erreicht. Anstatt die Taktik der Kräfte weiter über Konter zu vertiefen oder mal die schrecklich dumme KI zu verbessern, setzt man auf brachialen Nahkampf und einen Koop-Multiplayer mit blöder Wellenaction! Mass Effect 3 gelingt es auch nicht, die Gesprächsführung weiter zu entwickeln - die Dialoge sind gut geschrieben, aber teilweise eine Enttäuschung, denn man kommt genauso idiotensicher vorwärts wie in der oberflächlichen Entwicklung seines Teams. Man vermisst an allen Ecken und Enden sowohl Anspruch als auch Abwechslung: Cleverer Einsatz der Fähigkeiten abseits des Kampfes? Minispiele, Hacken, Stealth? Freie Erkundung eines Planeten? Lebendige Städte? Strategische Charakterwahl? Logikrätsel? Alles Fehlanzeige. BioWare hat viel für die Rollenspielwelt geleistet, aber jetzt ruht man sich auf seinen Stärken aus. Warum biedert man sich lieber Call of Duty an? Weil es sich verkauft, ist ja klar! Aber die Kanadier verkaufen sich mit dieser Banalisierung des Spieldesign auch ein wenig selbst. Und es ist bezeichnend, dass sie unter „mehr Rollenspiel“ tatsächlich die Modifizierung von Panzerung und Waffen verstehen. Man darf nicht vergessen, dass noch genug Qualität in dieser Space Shootera steckt: Die Charaktere sind interessant, die Story mitunter tragisch, einige Geheimnisse werden gelüftet. Wer vor sechs Jahren mit Shepard losgezogen ist, muss diese Odyssee ohnehin beenden. Und er wird vom Finale nicht enttäuscht. Aber als der Abspann nach den knapp 25 Stunden lief, habe ich nicht mit einem andächtigen Wow an einen Nachfolger, sondern an die fehlende Headshot-Statistik gedacht. Es gibt ja noch DLC.

Michael Krosta (237)Es spricht nicht unbedingt für Mass Effect als Rollenspiel, dass mich BioWares Universum so fasziniert. Ich kann dem Genre eigentlich nicht viel abgewinnen, doch die Kanadier treffen bei mir auch zum Abschluss der Trilogie den richtigen Nerv – vielleicht gerade weil die Serie sich von Anfang an nicht als Hardcore-Rollenspiel wie Skyrim präsentiert hat. Dass diese  entgegen der Versprechen weiter zugunsten der Action kastriert wurden, stößt mir zwar nicht ganz so sauer auf wie Kollege Jörg, doch kann ich manche Designentscheidungen wie den Wegfall von Minispielen ebenfalls nicht nachvollziehen. Wenn man als Entwickler den Actionweg beschreiten und ein packendes Shootererlebnis im Stil von Gears of War realisieren möchte, dann muss man es auch richtig machen! Dazu hätte BioWare aber vor allem die KI deutlich aufbohren müssen anstatt zum Moorhuhnschießen einzuladen. Ja, die Mechanik wurde im Vergleich zu den hölzernen Kämpfen der beiden Vorgänger spürbar verbessert, doch unter den Gesichtspunkten eines Shooters bieten die Gefechte trotzdem nur Mittelmaß ohne echten Nervenkitzel. Das Problem: Weder Rollenspieler noch Actionfans werden mit dieser Mischung völlig zufrieden gestellt. Und trotzdem gefällt mir dieser Teil besser als sein Vorgänger, denn abgesehen von der verbesserten Technik wird endlich die Geschichte zu ihrem Abschluss geführt. Und sie ist von Anfang an der Grund gewesen, weshalb ich von Mass Effect trotz der spielerischen Defizite immer angetan war: Ich mag das Universum, ich mag die Charaktere, ich mag das Design und das Prinzip der Entscheidungen, deren Auswirkungen sich dank des importierten Profils durch alle drei Spiele ziehen. Und deshalb genieße ich weiter den Weg zu meinem großen Finale, auch wenn er hier zu sehr von stupiden Ballereinlagen überschattet wird.

Wertung

360

Kinect sorgt für freie Gesprächskultur: Shepard kann Befehle mündlich erteilen oder Türen per Ansage öffnen.

PC

Erst mit den hoch auflösenden Texturen wird die PC-Version spürbar besser aussehen.

PlayStation3

Unterhaltsam, actionreich, ernüchternd - das ist der konsequente Abschluss einer Saga, deren Qualität mit jedem Teil sank.

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johndoe945852

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