Tony Hawk: Shred03.11.2010, Dieter Schmidt
Tony Hawk: Shred

Im Test:

Nach dem mangelhaften Skate-Desaster (Tony Hawk Ride) setzt der Falke ein Jahr später zum zweiten Sinkflug an, um sich die Mäuse von ahnungslosen Müttern zu greifen - das Problem ist nur: Die wenigen Plastikbrett-Käufer benutzen den Controller mittlerweile als Bücherregal.

Wie soll ich mich bloß motivieren? Meine "Ich trink mir RIDE mit viel Astra schön"-Strategie des letzten Jahres hat mir allerhöchstens Kopfschmerzen beschert. Dabei ist es doch ganz einfach: Die Tony Hawk-Serie ist tot! Basta! Shred ist kein Skateboard-Spiel. Vor mir liegt ein weiteres Fitness-Board  - die Software ist ein etwas schöneres Wii Skate Fit. Mit Jogginghose, Sneakers und das Handtuch in Reichweite habe ich während der zehn Stunden vor allen Dingen eines: Kalorien verbrannt. Und es hat mir mehr Spaß bereitet als im November-Regen joggen zu gehen. So viel zum Positiven.

Knapp über Augenkrebs-Niveau

Visuell bestätigt Shred jegliche Befürchtungen: Schnell zusammen geschusterte Level-Schläuche mit dem Verzicht auf detaillierte Texturen und ausgearbeitete Umgebungen - dafür aber ein Comic-Shader, der das Grauen mit knallbunten Farben übertüncht. Was frisch wirken soll, ist im Grunde genommen ein aufgeblähter Hefeteig mit viel Sahne drauf, die vom fehlenden Inhalt ablenken soll. Hinzu gesellen sich an jeder zweiten Ecke Clipping-Fehler, fast schon lustige und skurrile Flugkurven, wenn die Zuordnung vom Skater zu den Objekten fehlerhaft berechnet wird; Pop-Ups, die auch mal wenige Meter vor dem Brett das halbe Level herbeizaubern und fast schon deutsche Simulations-Allüren, wenn mein Snowboarder in den Alpen durch den Levelboden stürzt. Na, das nenne ich mal Air-Time!

Die alte neue Art des Skatens

Neben den drei bekannten Modi (Hardcore - direkte Übersetzung, Erfahren - leichte Bahnlenkung, Casual - "Railshooter-Skaten") haben die Entwickler Robomodo eine Casual Plus-Steuerung integriert, deren dünner Fahrstreifen bewirkt, dass ich zwar Grinds, Punkteboni oder Zeitringe verpassen kann, aber nicht wie

Was auf dem Screenshot noch ganz hübsch wirkt, wird im Spiel aufgrund der Texturenschwäche zu einem hässlichen Entlein.
besoffen durch die Gegend eiere. Da der Controller nach wie vor an einem schwerwiegenden Konstruktionsfehler leidet, hat sich an der Steuerung im Hardcore-Modus nichts geändert: Nach wie vor führt der kantige Übergang von der planen Fläche zu den seitlichen schrägen Flächen dazu, dass sanfte Richtungsänderungsversuche entweder in der Hauswand enden oder man das komplette Obstacle verpasst. Nach wie vor fühlt sich das weit entfernt von dem an, was jeder Brettsportler von seinen Gummis in den Trucks kennt. Zumindest hat man dem Skateboard einen transparenten Pfeil vor die Nose gespannt, was durchaus als positive Steuerungshilfe verbucht werden kann. Im Übrigen kann man auch jederzeit zwischen den Schwierigkeitsstufen hin- und herschalten.

Zu den Neuerungen gesellt sich auch eine HUD-Anzeige, die Gewichtsverlagerungen und das Aktivieren der vier Seitensensoren (Grabs) anzeigt. Immerhin konnte ich somit genau verfolgen, wie exakt das Board meine Bewegungen registriert, trotzdem hat die Software meine Verrenkungen oftmals nicht umgesetzt. Außerdem visualisiert das so genannte BSA sehr deutlich, dass der Controller nach Sessions mit 180-Grad-Tricks beim Level-Neustart die Drehung ignoriert und man quasi spiegelverkehrt fährt. Dafür musste ich im Erfahren-Modus verzückt feststellen, dass sich der Frust lediglich durch permanentes Fluchen Gehör verschafft, was wohl daran liegt, dass abrupte Gewichtsverlagerungen in eher moderate Richtungswechsel münden, man aber nicht wie bisher dazu geneigt ist, mit dem Plastikbrett das Sofa zu malträtieren. Aber mein innerer Motivationstrainer ermahnt mich erneut: Die "neue Art des Skatens" ist tot! Es lebe das Fitness-Casual-Programm!         

Mit Cash-ual auf die Kosten kommen?

So habe ich mich also hauptsächlich mit der Casual-Plus-Steuerung durch die vier Spiel-Modi geskatet: Mit vielen Manuals und Kombos stürzt man sich in der Punktejagd auf Multiplikatoren- und Punkteblasen. Die Zeitjagd ist im Grunde genommen nichts anderes als die Suche nach der perfekten Route und damit auch den meisten Zeitblasen; bei den Punkte-Spots muss man in fünf kurzen Abschnitten Highscores erzielen und zu guter Letzt bilden die Herausforderungen das Herzstück von Shred: In kleinen Mini-Runs müssen Trickreihen erzielt werden, wobei man den

Selbst im Casual-Modus, quasi dem "Railshooter-Skaten" funktioniert die Steuerungserkennung nicht optimal.
ganzen Modus durch einen geringeren Schwierigkeitsgrad und somit auch von der Fehleranfälligkeit her entschlackt hat. Während bei RIDE sehr spezielle Grinds und Flips für hochrote Köpfe gesorgt haben, sorgen bekömmlichere Trickgruppen wie Side-Slides (egal ob Tail-, Nose-, Frontside- oder Backside-Slides), Angle-Slides und erweiterte Grab und Fliptricks (z.B. statt Kickflip, Double-Kickflip) für eine weitaus gesündere Gesichtsfarbe.

Natürlich sieht man immer wieder schön ausgeführte Crooked Grinds, während man perfekt orthogonal zum Fernseher steht und den Side-Slide nailen will. Und natürlich passiert es ständig, dass Shred aus dem Übergang von einem 5-0 zu einem Tailslide einen Olli berechnet, ohne dass man etwas Ruckartiges gemacht hat, was wichtige Zeit bzw. Meter kostet. Und natürlich lacht man hysterisch auf, wenn aufgrund der fehlerhaften Software noch einmal das Tutorial angezeigt wird, wie man richtig fährt, aber die Entwickler Robomodo haben aus der Not heraus eine kleine Tugend geboren: Die sechs Skate-Areale sind bis auf das Melbourne-Level lineare Bahnen, die sich hin und wieder verästeln. Ob Balkonen-Ebenen in St. Louis, flache Lehmhäuser oder Containerhafen von Marokko, Abwasserkanal in Wallows, enge Gassen von Santorini oder Huckjam-Freizeitpark: Das schlauchartige Level-Design sieht es gar nicht vor, großartig im Freeride-Modus ohne Steuerungshilfe herum zu gurken, sondern praktiziert den Kniefall vor der einfachen Einbahnstraße. Das sieht man schon daran, dass die härteren Steuerungs-Modi erst noch freigeschaltet werden müssen. Frei nach dem Motto: Wenn wir alles verschmälern und in die Länge ziehen, dann haben die Spieler auch mehr Zeit, die Herausforderungen zu meistern, und es verbleiben Zwischenflächen für Richtungskorrekturen. Der Schwierigkeitsgrad hält sich ebenfalls in Grenzen, was auch daran liegt, dass sich der Trickometer für die Signature-Moves zu schnell füllt, so dass man ohne Ende Punkte einsackt.

Kein Powder für die Schneekanone

Das Snowboarden hätte man sich auch schenken können, so lieblos wie das Schneebrettfahren implementiert wurde.
Ach ja, und Snowboarden gibt es auch noch. Eigentlich müsste ich das unreflektiert stehen lassen, so lieblos wie man mit der Implementierung des Schneebretts umgegangen ist. Gerade bei den breiten Pistenflächen wollte ich mich im Hardcore-Modus dem Gefühl totaler Freiheit hingeben. Und für einen kurzen Moment dachte ich noch: "Hey, ist das wirklich Spaß, was ich hier im Whistler Mountain empfinde?", bevor ich wie total paniert an der fünf Meter breiten Rampe vorbeirausche. Auch im Schnee bleibt die eherne Regel: Die Casual Plus-Schiene muss es richten. Neben einem schnell hingeklatschten Hallen-Fun-Park (der zwar als Tutorial durchgeht, aber nicht wie angezeigt zwei vollwertigen Leveln entspricht) sind die beiden Bergabschnitte gähnend langweilig konzipiert, wobei die Alpen so aussehen, wie Japaner sich das vorstellen. Zudem nudelt man die gleichen Spielmodi ab und hat wie auch im letzten Freizeitpark-Skatelevel (was die Entwickler im Übrigen in drei Areale zerteilen, um dem Spieler zu suggerieren, dass acht Level vorhanden wären) mehr mit den Bugs als mit den Tricks zu kämpfen. Außerdem wirkt ein Backflip-540 von einer Box aus gesprungen etwas außerirdisch, und dass man einen Rodeo-1080 reißt, indem man lässig die Hüfte zur Seite neigt, fühlt sich irgendwie surreal an. Kurzum: Man müsste tonnenweise Schnee schnüffeln, um beim Snowboarden Spaß zu finden. In die gleiche Kerbe schlägt auch der Pro Challenge-Modus, der neben dem Skaten und Snowboarden als dritte Erlebniswelt angepriesen wird: Die schnell zusammen gezimmerten Runs in der Skate-Halle beschäftigen einen nicht länger als eine halbe Stunde und lassen die Motivationskurve schnell gen Null fallen.     

Fazit

Was hat uns Activision nicht alles weismachen wollen? Nicht ein einziger Entwickler hat im letzten Jahr den vermurksten Controller angefasst, um ein Snow-, Wake-, Surf- oder Kite-Board-Spiel zu entwickeln. Herr Shaun White knüpft auch aus gutem Grund an der traditionellen Steuerung an. Überhaupt kann man nur mutmaßen, ob eine Vertragsklausel dafür verantwortlich gemacht werden muss, dass Activision zu einem Nachfolgerspiel gezwungen wurde, da Herr Hawk unter Umständen an jedem verkauften Spiel prozentual verdient und auf ein weiteres Spiel gepocht hat. Das Ergebnis ist zumindest Shred: Ein lieblos, hässliches und schnell zusammen geschraubtes knallbuntes Etwas, das durch die sich ständig wiederholenden Modi schnell an Drive verliert. Daran kann auch das Snowboarden mit den exakt gleichen Modi nichts ändern, was sich insgesamt eher wie ein Skaten im Schnee spielt und dessen Level- und Trickumsetzung auf Free2Play-Niveau dümpeln. Über die "neue Art des Skatens" will ich hier kaum Worte verlieren: Die Steuerung bleibt katastrophal, allerdings wurde softwaretechnisch etwas an der Übersetzung geschliffen, was das "Rumeiern" etwas eindämmt. Shred wurde aber allein schon aus designtechnischer Sicht um den Casual-Mode herum konzipiert: Die lang gezogenen Level sind quasi nichts anderes als verästelte Schienen. Erwähnenswert bleibt immerhin der gesenkte Frustgrad: Längere Grinds, längere Anfahrtswege, gröbere Trickgruppen und damit leichtere Herausforderungen machen Shred im Casual-Plus-Mode zu dem, was es von Anfang an hätte sein sollen: Eine extrem schweißtreibende Herausforderung, die mich als Spieler besser unterhalten kann als ein Wii-Fit. Insgesamt kann das Skaten auf Schienen zeitweise sogar belustigen, aber über zehn Stunden verteilt bleibt ein ganz schwaches Sporterlebnis, dessen Controller ich wieder als Bücherregal verwende.

Pro

gesenkter Frustgrad durch leichtere Vorgaben der Trickreihen
Shred konnte Torah Bright verpflichten 

Kontra

grenzdebile Zwischensequenzen
schlecht umgesetzte Comic-Shader-Grafik
langweiliges Level-Design
nach wie vor katastrophale Steuerung im Hardcore-Modus
zwar verbesserte aber noch nicht befriedigende "Erfahren"-Steuerung
kurze und extrem schlechte Snowboard-Umsetzung
kein Online-Mehrspieler
nicht gerade innovativer Pro-Challenge-Modus-&nbsp;schlechte Musikauswahl (Nena und Oldies in der Trackliste)<IMG src="http://static.4players.de/premium/ContentImage/f0/26/162728-bild.jpg">

Wertung

360

Auf den höheren Steuerungsstufen bleibt Shred katastrophal und in den niedrigen Modi erlebt man ein kaum motivierendes "Railshooter"-Skaten.

PlayStation3

Auf den höheren Steuerungsstufen bleibt Shred katastrophal und in den niedrigen Modi erlebt man ein kaum motivierendes "Railshooter"-Skaten.

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