Operation Flashpoint: Red River21.04.2011, Benjamin Schmädig
Operation Flashpoint: Red River

Im Test:

Die Simulation hat es schwer: Die Fans verlangen eine Spieltiefe, die der Realität in nichts nachsteht - die Mehrheit der Spieler schreckt vor einem solchen Detailreichtum eingeschüchtert zurück. Was bleibt, ist Codemasters. Denn ob Rennspiel oder Ego-Shooter: Die Briten balancieren seit jeher gekonnt auf dem schmalen Grat zwischen Realismus und Spielspaß. Erst vor zwei Jahren vereinten sie Actionfans und Simulanten in Operation Flashpoint: Dragon Rising. Und im Nachfolger rücken beide Parteien sogar noch enger aneinander!

Bei dir oder bei mir?

Es steht diesmal sogar an erster Stelle, das Zusammenrücken menschlicher Spieler. Denn sobald man das Spiel startet, öffnet man automatisch eine Online-Partie. Schon im Menü können Freunde beitreten und sich gemeinsam vorbereiten - sowohl auf den nächsten Einsatz der Kampagne als auch auf unabhängige Missionen. Selbstverständlich darf man die Einstellung jederzeit ändern, auch mitten im Einsatz, um alleine zu bleiben oder die Partie für alle Onlinespieler zu öffnen. Fremde sowie Freunde dürfen jederzeit einsteigen und ausstiegen. Die fast unsichtbare Naht zwischen Soloeinsatz und Onlinekampf ist eine einzigartige Stärke des Spiels!

Bunte Trainingsplätze

Es gibt Situationen, in denen Red River ganz große Momente auffährt - etwa, wenn man zu viert neben weiteren Soldaten hinter den Barrikaden hockt und eine heranstürmende Übermacht bis zur letzten Sekunde aufhalten soll. Hervorragend gelingen dem dritten Operation Flashpoint auch taktische Einsätze, in denen der Vierertrupp mit chirurgischer Präzision eine Schneise durch feindliche Linien schneidet. Vorrücken, sichern, decken, aufklären und von vorn: Nur eine gnadenlose Simulation wie Armed Assault fängt die Spannung militärischer Auseinandersetzungen knisternder ein. Im Vergleich ist jedes Call of Duty und Medal of Honor nur ein bunter Übungsplatz. Die Blockbuster aus dem Hause DICE oder Infinity Ward mögen explosiver inszeniert sein: Doch wenn Dutzende Gewehrkugeln über die weiten Flashpoint-Schlachtfelder schwirren, die Artillerie aus der Ferne donnert und Bomber Angriffe fliegen, dann fühlt man sich mittendrin im Gefecht.

Im Detail wirkt Red River natürlich schwächer und grafische Mängel wie plötzlich am Bildrand auftauchende Objekte übernimmt es aus dem Vorgänger. Außerdem fehlen Animationen beim Ein- und Aussteigen; man sitzt plötzlich im Jeep oder steht nach Knopfdruck unvermittelt vorm Hubschrauber. Die grandiose und spielerisch wertvolle Fernsicht der weitläufigen Schauplätze entschädigt aber für kleine Ungereimtheiten. PC-Soldaten sind ihren Konsolen-Kameraden dabei einen Schritt voraus: Ihr Bild ist deutlich schärfer und ruhiger. Die Version für Xbox 360 vertut sich wie üblich mit einer maßlos übersättigten Farbwahl, läuft dafür aber eine Idee flüssiger als ihr PS3-Pendant. Im Gegensatz zu Dragon Rising sind das allerdings die einzigen Unterschiede: Alle Fassungen enthalten die gleichen Spielvarianten und leider fehlt diesmal selbst der PC-Version ein Editor zum Erstellen eigener Missionen.

Der echte Soldat

Selbstverständlich ist es nicht allein die Inszenierung, mit der Operation Flashpoint mitreißende Gefechte darstellt. Immerhin wurde das gesamte Spiel um die Formel entwickelt: Was geschieht, wenn echte Soldaten aufeinander treffen? Die Antworten klingen erschreckend, denn einem echten Soldaten kann schon ein einziger Treffer zum Verhängnis werden. Ein echter Soldat stürmt nicht alleine durch ein feindliches Dort. Ein echter Soldat weiß, dass die Waffen seines Gegners so viel Durchschlagskraft haben wie seine eigenen. Ein echter Soldat tastet sich deshalb Schritt für Schritt von Deckung zu Deckung. Er arbeitet mit seinen Kameraden zusammen, ist auf zuverlässige Aufklärung angewiesen und zieht sich in brenzligen Situationen umgehend zurück. In Operation Flashpoint ist man ein echter Soldat!

Allerdings mit Einschränkungen: Denn nur der höchste von drei Schwierigkeitsgraden richtet sich an die Hartgesottenen. Unter "Hardcore" werden weder Wegpunkte angezeigt noch gibt es Ziel- oder andere Hilfen. Selbst Speicherpunkte fehlen; wer an der Grasnarbe knabbert - und das geht schnell - muss die Mission von vorn beginnen. Auf dem leichtesten Level werden an den Speicherpunkten hingegen verlorene vom Spiel gesteuerte Kameraden ersetzt und die Gesundheit wieder hergestellt. Zusätzlich erleichtern Orientierungshilfen das Zurechtfinden. Diesmal können "Normalspieler" allerdings sämtliche Hilfen abschalten, ohne den Schwierigkeitsgrad aufzudrehen.

Taktische Gefechte in weitläufigen Arealen: Red River soll sowohl Simulationspuristen als auch Gelegenheitsspieler erreichen.

So dürfen sich auch unerfahrene Marines mittendrin fühlen. Die Illusion wird nur zerstört, wo man aus unerfindlichen Gründen nicht über eine knöchelhohe Mauer treten oder eine hüfthohe Deckung nicht wie sonst per Knopfdruck überspringen darf.

Codemasters macht auch dort Kompromisse an die Spielbarkeit, wo die Einsätze kein knochentrockenes Wegpunkt-Absuchen mit gelegentlichen Schusswechseln über weite Distanzen sind. Stattdessen gibt es immer wieder Höhepunkte, während der man in harte Stellungskämpfe verwickelt wird. Eine Neuerung sind zudem Gefechte in den Straßen und Häusern kleiner Siedlungen. Inzwischen darf man außerdem nicht nur Blutungen selbst stoppen, sondern auch selbstständig Verletzungen heilen, die die Bewegungsfreiheit einschränken. Das neue Flashpoint ist abwechslungsreicher und schneller als sein Vorgänger - es opfert aber nie seine oberflächliche Glaubwürdigkeit. Noch immer fliegen viele Kugeln über hunderte Meter. Noch immer ist ein Kilometer eine lange Strecke, die man erst mal erlaufen muss. Noch immer hat man Zeit, auf Entwicklungen zu reagieren, anstatt plötzlich auftauchende Schießbudenfiguren über den Haufen zu ballern.

Knochentrocken vielleicht nicht...

... aber auch Red River ist staubtrocken, und zwar buchstäblich. Denn nachdem Dragon Rising auf der Insel Skira ins Grüne führte, spielt Red River in den Bergen von Tadschikistan. Ein paar Bäume, etwas Gras, wenige Sträucher hier und da - mehr hat die Vegetation nicht zu bieten. Die vereinzelten Gebäude bestehen meist aus einfachen Steinmauern. Vielleicht liegt es an der spartanischen "Einrichtung", dass das Land zwischen China und Afghanistan besser aussieht als die Insel des Vorgängers. Auf jeden Fall liegt es an seiner Lage zwischen einer terroristischen und einer kommunistischen Hochburg,

Wir entdeckten übrigens Kinderkrankheiten in der Verkaufsversion für PC.

So war der Spielstand defekt, nachdem der Fortschritt gespeichert wurde, während die XP-Version nicht mit Games for Windows Live! verbunden war. Wir mussten daraufhin sowohl Kampagne als auch Chrakterentwicklung von vorn beginnen.

Die Windows 7-Fassung stürzte hingegen einige Male ohne Vorwarnung ab.

dass sich in dem frei erfundenen Szenario religiöse Fundamentalisten festgesetzt haben, die recht bald von politisch motivierten Aggressoren unterstützt werden. Natürlich will das US-Militär nur das Beste für die tadschikische Bevölkerung und führt deshalb Einsätze mit humanistischen Zielen aus!

Man muss sich nicht drei Punkte als Satzzeichen denken, um die ungehaltene Hurra!-Attitüde des US-Patriotismus abzuwinken. Auf der einen Seite gibt es im Englischen zwar hervorragende Einsatzbesprechungen, die mit genau so viel Übermut vorgetragen werden, dass der aufmerksame Spieler die Ironie dankend annimmt. Auf der anderen Seite ist da aber das traurige Klischee des Sergeant "Schreihals", der während des gesamten Feldzugs vielleicht zweimal zum Schmunzeln anregt - sonst aber zum Abschalten der wahlweise deutschen Sprachausgabe auffordert.

"Fucked. Him. Up!"

Die Kommentare des eigenen Vierertrupps sind kaum eloquenter: Das Team spricht mitunter aus, was mancher Zocker im stillen Kämmerlein nur denkt. Richtungsangaben zu neu entdeckten Zielen sind eine hervorragende Orientierungshilfe - der restliche Funkverkehr besteht aus so wenigen, teils pubertären Versatzstücken, dass man ihn beinahe ignorieren kann.  

Überhaupt ist das Team nicht der Glanzpunkt dieser Taktik-Einsätze. Denn so funktioniert Red River: Kameraden, die nicht von menschlichen Mitstreitern gesteuert werden, übernimmt das Spiel. Über wenige Tasten weist man sie dann zum Vorrücken, Halten einer Position, Stürmen eines Hauses oder anderen Aktionen an. Und meist führen sie die Befehle auch aus. Besonders jene Marines, die als Scharfschützen kämpfen, können ihren Trupp so von einer hohen Position aus unterstützen, während sie ihn zum Stürmen einer feindlichen Position anweisen. Ob sie dabei die gesamte Gruppe befehligen oder jedem Kameraden einen eigenen Befehl erteilen, dürfen sie frei entscheiden. Schwierig ist nur, dass man nicht umgehend erkennt, welcher Kamerad von einem Menschen und welcher vom Spiel gesteuert wird. Dabei ist diese Unterscheidung für die taktische Ausrichtung ungemein wichtig.

Kameradenschweine

Die Künstliche Intelligenz stellt sich nämlich bei weitem nicht so geschickt an wie ein denkender Begleiter. Und sie leistet sich unverzeihliche Aussetzer - läuft schon mal immer wieder in die Schusslinie eines MG-Postens, rollt im Jeep über einen auf der Straße stehenden Kameraden hinweg oder steckt zappelnd zwischen Busch und Mauer fest. Tatsächlich ist es taktisch fast sinnlos, den Mitgliedern separate Anweisungen zu erteilen - am besten scheuchen Solisten stets ihren gesamten Trupp durch die Gegend.

Besonders im Zusammenspiel mit bis zu drei menschlichen Kameraden erlebt man packende Action - wenn auch zugunsten des vollständigen Anspruchs auf Realismus.

Wer Operation Flashpoint ohne Online-Unterstützung erlebt, verpasst deshalb viel vom Spiel. So spannend manche Gefechte auch im Alleingang sind, so schnell flacht das Zusammenspiel mit den unauffälligen Kameraden ab. Schade auch, dass sich der Verlauf eines Gefechts nicht auf die Moral der Mitstreiter auswirkt. Bald rennt man in Tadschikistan vergeblich dem taktischen Anspruch hinterher, um wirklich in der Spielwelt anzukommen...

Auch die von der Kampagne losgelösten Einsätze wie das möglichst lange Halten einer festen Position, das Retten abgestürzter Piloten oder das Beschützen eines Konvois sind mindestens im Duett bedeutend unterhaltsamer als im Alleingang. Allerdings strecken sie auch für Onlinesoldaten lediglich die Spielzeit - den taktischen Spielraum erweitern sie kaum. Es sind übrigens die einzigen Möglichkeiten, abseits des Feldzugs in den Krieg zu ziehen: Red River-Spieler treffen sich online oder per LAN ausschließlich in kooperativen Einsätzen, treten aber nie gegeneinander an.

Spiegelbilder

Sie dürfen die Fähigkeiten ihrer Figuren allerdings nach jeder abgeschlossenen Mission durch Erfahrungspunkte erweitern. Dabei verbessern sie in kleinen Schritten ihre Sprintgeschwindigkeit oder das Erkennen entfernter Gegner. Diese allgemeinen Werte gelten unabhängig davon, ob man als einfacher Soldat, Sprengstoffspezialist, Kundschafter oder MG-Schütze in den Krieg zieht. Abgesehen davon erhält man erst mit steigender Erfahrung Zugang zu stärkeren primären und sekundären Waffen sowie neuer Ausrüstung - diese Verbesserungen gelten für die Klasse, mit der man einen Auftrag absolviert hat. Zusätzlich erhält jede Klasse Modifikatoren wie eine höhere Treffergenauigkeit oder stärkere Panzerung. Es ist einer der Bausteine, mit denen Codemasters eine Brücke zwischen Anspruch und Spielspaß baut - dennoch ist Puristen dieses Zugeständnis an gegenwärtige Standards zu Recht ein Dorn im Auge.

Zumal das dritte Flashpoint die Individualisierung nicht konsequent genug fördert. Denn man entwickelt sich zwar je nach Wahl der Klasse weiter - äußerlich darf man den Marine aber nicht verändern. Ein großes Manko? Nicht unbedingt. Doch nicht nur die menschlichen Mitstreiter haben freie Wahl über ihre Kampfklasse, man darf auch bis zu vier gleiche KI-Kameraden zum Einsatz abstellen. Und spätestens dann, wenn vier Soldaten in einem Hubschrauber zum Einsatz fliegen und komplett gleich aussehen, zeigt Operation Flashpoint: Red River (ab 8,75€ bei kaufen), dass ihm trotz der guten Ansätze einfach die Größe der ganz großen Shooter fehlt. 

Fazit

Es ist eine schmale Klinge, auf der Codemasters balanciert: Findet das dritte Operation Flashpoint tatsächlich den goldenen Weg zwischen Simulation und Actionspiel? Denn so sehr es vom Pfad des Realismus' abweicht und den fiktiven Konflikt in beinahe filmischen Feuergefechten erzählt, so sehr besinnt es sich immer wieder auf die Stärke glaubwürdiger Distanzgefechte. Oft genug liegen hunderte Meter zwischen den Wegpunkten und wer als Scharfschütze auf den Feind zielt, braucht vor allem eins: viel Zeit. Wer sich darauf einlässt, sein Vorgehen in Ruhe zu planen, aus der Deckung heraus zu agieren und wer mit Stolpersteinen wie unüberwindbaren kniehohen Hindernissen leben kann, den erwarten packende Augenblicke, die mehr martialische Kraft haben als jedes Call of Duty. Leider werden die vom Programm gesteuerten Begleiter dem taktischen Anspruch des Spiels nicht gerecht - sie stellen sich oft unauffällig, manchmal sogar tollpatschig an. Solisten erleben deshalb einen recht faden Feldzug, weil der taktische Vorstoß selten glaubwürdig ist. Nicht zuletzt gewinnen weder die pathetische Handlung noch die pubertären Charaktere irgendeinen Blumentopf. Die Charakterentwicklung durch Erfahrungspunkte ist zudem eine motivierende, aber auch hanebüchene Idee. Grafische Schwächen kratzen zusätzlich auf dem Gesamtbild, wenn etwa die Figuren einer Charakterklasse alle gleich aussehen. Red River trumpft erst dort richtig auf, wo menschliche Helfer Unterstützung leisten. Denn wer sich abspricht, kann sich taktisch bedeutend besser einstellen und freut sich mehr über erfolgreiche Manöver. Je nach Vorliebe dürfen Freund und Jedermann jederzeit in eine Partie einsteigen oder sie verlassen - der nahtlose Übergang gelingt vorbildlich. Wer diesem Operation Flashpoint verzeihen kann, dass es spielerische Kompromisse eingeht und die konsequente Simulation für stark konstruierte Michael Bay-Momente opfert, der erlebt zumindest online eine spannende Gratwanderung!

Pro

packende, zum großen Teil glaubwürdige Gefechte
meist ruhiger Ablauf mit Schwerpunkt auf taktischem Vorgehen
sehr weitläufige Schauplätze mit enormer Sichtweite
bis zu vier Spieler in Kampagne oder Einzelmissionen
motivierende Charakterentwicklung...
glaubwürdiger Darstellung echter Ausrüstung
zahlreiche Optionen zum Anpassen von Anzeigen und Hilfen

Kontra

Kameraden und Feinde leisten sich Fahrlässigkeiten
trotz Personalisierung und Erfahrungspunkten kein Charaktereditor
nur ein Figurenmodell für alle Figuren derselben Klasse
einige unüberwindbare kniehohe Mauern
 ... die Realitätspuristen sauer aufstößt
unterschieden zwischen KI und menschlichem Partner ist schwierig
markige Sprüche statt bodenständiger Inszenierung
oberflächliche Einführung in Taktiken und Ausrüstung
keine Animationen beim Einsteigen/Aussteigen und Heilen
Abstürze und Datenverlust selten, aber möglich (PC)

Wertung

360

Taktische Kriegssimulation, die zugunsten explosiver Action Abstriche beim Realismus macht und nur im kooperativen Onlinekampf zu Bestform aufläuft.

PlayStation3

Taktische Kriegssimulation, die zugunsten explosiver Action Abstriche beim Realismus macht und nur im kooperativen Onlinekampf zu Bestform aufläuft.

PC

Taktische Kriegssimulation, die zugunsten explosiver Action Abstriche beim Realismus macht und nur im kooperativen Onlinekampf zu Bestform aufläuft.

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