Risen 2: Dark Waters27.04.2012, Jörg Luibl
Risen 2: Dark Waters

Im Test:

Die Augenklappe sitzt, der Säbel tanzt, die Titanen können kommen! Denn für karibischen Urlaub ist keine Zeit: Angst und Zerstörung regieren im Reich, aber es gibt Hoffnung in der Südsee. Als namenloser Abenteurer soll man zehn Jahre nach Risen eine magische Waffe finden, die die Inquisition gegen die mächtigen Kreaturen einsetzen kann. Aber bevor man zum gefeierten Helden avanciert, muss man erstmal ein tapferer Pirat werden.

Der fleißige Botenjunge

Ist das nicht schön? Es gibt einige idyllische Ausblicke.
Ist das nicht schön? Es gibt einige idyllische Ausblicke. Hängematte raus und Urlaub machen!
Zehn Jahre sind vergangen? Und der Mann, der in Risen immerhin einen Titanen besiegen konnte, hängt jetzt als Säufer rum? Das sind eigentlich gute Voraussetzungen für einen Einstieg mit einem verbitterten Helden, der viel zu erzählen hat, der vielleicht zynisch und schwierig geworden ist. Aber diese Chance wird nicht genutzt, denn der namenlose Retter lässt sich viel zu schnell wie ein frisch geschlüpfter Botenjunge über eine Insel scheuchen, um Grog, Fleisch und Klamotten zu finden. Mit dem nacktem Oberkörper eines Zwanzigjährigen, beim Laufen so steif animiert als hätte man ihm einen Mast in den Rücken gerammt - dafür kann man mit dem Mausrad ganz nah ran an die Schulter.

Aber an das Gockeljogging gewöhnt man sich mit der Zeit. Im Gegensatz zur verschenkten Chance innerhalb einer Erzählführung, die weder innere Monologe kennt noch einen anderen Versuch der glaubwürdigen  Charakterzeichnung unternimmt – dafür wird man wie ein Kleinkind vom personifizierten Piratenlady-Kitsch namens Patty begleitet. Die Tochter von Stahlbart ist zwar wesentlich besser animiert als die Roboterfrauen in Risen, aber so geheimnisvoll wie Frau Antje aus Taka-Tuka-Land. Dass sie einem keinen Käse verkauft, sondern in einer der ersten Quests in die Küche geschickt werden kann, wenn man denn die Fähigkeit der Silberzunge trainiert hat, sorgt immerhin für einen frühen Höhepunkt. Dramaturgisch, versteht sich.

Idyllische Inselwelt

Die steife Mimik und unfreiwillig komische Gestik der Figuren ist komplett veraltet, aber die Kulisse kann auf den ersten Blick punkten: Idyllisch, karibisch, ansehnlich! Nicht nur der Dschungel wirkt mit seiner üppigen Vegetation, dem klaren Wasser am Strand sowie dem kargen Fels angenehm authentisch, vor allem die markante Architektur im kolonialen Stil vom Holzpalast bis zur mehrstöckigen Spelunke sticht heraus – da wurden Gebäude und Landschaften sehr liebevoll entworfen, so dass auch eine interessante Vertikale entsteht. Ein großes Lob gebührt den Artdesignern auch für die Kleidung und die Figuren, die markanter wirken als im Vorgänger. Die stilistische Inszenierung ist jedenfalls sehr gut und sorgt für wesentlich mehr Stimmung als die erzählerische.

Aber auf den zweiten Blick wird man regelrecht vor den Kopf gestoßen, denn so schön das alles aussieht - technisch ist die Inselwelt ein Fehlerfestival. Schon auf wenigen Metern ploppen zig kleine Gegenstände, Steine, Blumen oder andere Details ins Bild, es flackert hier und gibt alle paar Meter dort Clippingfehler und Matschtexturen. Diese Schwächen gibt es zwar auch in anderen Spielen, aber hier zeigen sich Pop-up, Tearing & Co in ungewohnter Häufigkeit, so dass einem vor den Konsolenversionen mal wieder angst und bange werden muss. Hinzu kommt ein Phänomen, das zunächst wie gewollt ausschaut: Manche Pflanzen bewegen sich wie lebendige Kreaturen, wenn man sich ihnen nähert – sie ziehen sich zusammen und rollen sich wieder aus. Trotz dieser Schwächen bleibt festzuhalten,  dass Risen 2 ein ansehnliches Abenteuer ist.

Undercover mit Augenklappe

Mimik und Gestik sind hoffnungslos veraltet, aber man kann in den Dialogen rhetorisch Einfluss nehmen - wenn man talentiert genug ist.
Mimik und Gestik sind hoffnungslos veraltet, aber man kann in den Dialogen rhetorisch Einfluss nehmen - wenn man talentiert genug ist.
Was gibt es zu tun? Man hat ja ein klares Ziel vor Augen: Eine Wunderwaffe gegen die Titanen finden. Im Auftrag der Inquisition soll man sich bei den Piraten einnisten, die angeblich davon wissen – Pattys Vater Stahlbart ist da der erste Ansprechpartner. Aber bevor er einem vertraut, muss man sich als Pirat beweisen, in Minispielen um die Wette saufen und zahlreiche Aufträge erledigen, von denen die meisten aus dem schnöden Holen und Bringen bestehen – man vermisst sowohl verschachtelte Dialoge als auch mehr Aufträge der interessanten Art. Dafür hat man in den Gesprächen oftmals alternative Antworten, denn man kann rhetorisch Einfluss nehmen, wenn man entsprechende Fähigkeiten des Einschüchterns oder Bezauberns geschult hat. Und die Struktur der Quests so clever angelegt, dass das eine das andere bedingt und dass man seine Talente stetig entwickeln muss, um sie abzuschließen. Also erledigt man eine nach der anderen in einem angenehmen Spielfluss, zumal man sich schnell vom Zielort zum Auftraggeber teleportieren kann.

Aber von einer äußeren Bedrohung ist genauso wenig zu spüren wie von einer Spannung angesichts dieses Undercover-Einsatzes, denn so richtig misstrauisch ist nach ein, zwei Dialogen niemand mehr. Bezeichnend für die fehlende Dramaturgie ist auch die frühe Befreiung eines Piraten aus dem Knast der Inquisition: Wenn man ihm einen Dietrich beschafft, öffnet er die Tür und rennt raus, so dass die Wache ihre Waffe zückt. Während der Pirat in sein Lager joggt, kann man die Wache im Kampf besiegen. So weit, so gut, aber sobald sie wieder aufsteht, wird man nicht etwa von ihr zur Rede oder gar unter Arrest gestellt, sondern kann wieder normal mit ihr quatschen – und das, obwohl sie nichts vom Undercover-Einsatz weiß. Nicht nur hier verliert das Spiel an Faszination, die erst durch spürbare Konsequenzen auf der zweiten Ebenen der Reaktion entsteht.

Glaubwürdiges Figurenverhalten

Vorsicht, Langfinger: Wer in private Räume eindringt, wird rausgescheucht; wer stiehlt, wird attackiert.
Vorsicht, Langfinger: Wer in private Räume eindringt, wird rausgescheucht; wer stiehlt, wird attackiert.
Dabei machen die Figuren auf der ersten Ebene der Reaktion eine sehr gute Figur, von der sich manches Rollenspiel eine Scheibe abschneiden könnte: Zückt man die Waffe, zückt auch das Gegenüber die Waffe und weist einen zurecht. Schleicht man herum, wird man misstrauisch darauf hingewiesen. Geht man einfach in einen privaten Raum, wird man mit gezückter Klinge hinaus gejagt. Und wer dann etwas klaut, wird umgehend angegriffen. In diesen Situationen macht das Abenteuer richtig Laune, denn man muss vielleicht die Nacht abwarten oder eine andere Schicht, damit man dort etwas rauben kann. Jeder Bewohner geht irgendwann zu Bett und geht seinem Tagwerk nach.

Allerdings wird dieses System nicht konsequent genutzt: Manchmal kann man auch vor den Augen der Besitzer einfach alles stehlen, was herum liegt. Gleich zu Beginn ermahnt einen die Wache auf Takarigua, man solle ja nix anfassen und dann kann man auf den ersten Tisch springen und Vorräte klauen. Warum wird man gerade als Fremder da nicht zurechtgewiesen? Ernüchternd sind auch so manche Dialoge, die in Endlosschleife laufen: Als sich Stahlbart und der Wirt Booze vor der Taverne unterhalten, muss man sich  bei jedem Kontakt das „Naaaaa, kommst du auch mal aus deiner Hütte gekrochen, du Landratte““ anhören.

Oberflächliches Kampfsystem

Lediglich gegen größere Kreaturen muss man auch mal clever kämpfen: Wer die Krabben tritt, legt sie auf den Rücken.
Lediglich gegen größere Kreaturen muss man auch mal clever kämpfen: Wer die Krabben tritt, legt sie auf den Rücken.
Diese kleinen Fehler kann man jedoch eher verschmerzen als das schwache Kampfsystem, das einen in der Wildnis dazu verdonnert wie dämlich auf den Mausknopf zu drücken. Sobald einem Affen, Termiten oder Wildschweine begegnen, kann man mit geschlossen Augen losklicken, denn die Kamera richtet sich auch noch automatisch auf die Feinde aus. Wen soll das unterhalten? Selbst einen Jaguar erledigt man so plump, nur dass man sich zwischendurch in einem Reaktionstest losreißen muss, indem man schnell Space drückt. Und dafür bekommt man auch noch „Ruhmpunkte“? Selbst ein wehrloser Truthahn gibt 20. Die werden ohnehin sehr großzügig ausgeschüttet, selbst beim Betreten eines neuen Gebietes. Das ist auch kein Wunder, denn man braucht sie zwingend für Entwicklung der Fähigkeiten.

Immerhin steigt der Anspruch im Kampf bei größeren Kreaturen wie den gut designten Krabben oder Spinnen sowie menschlichen Feinden. Dann sollte man per rechter Maustaste den Gegner fixieren und sowohl fiese Tricks wie Tritte, Sand in die Augen oder Kokosnuss auf den Kopf als auch besondere Schläge wie schwere Hiebe sowie schnelle Schüsse aus der Pistole einsetzen. Allerdings sind die Animationen eher spartanisch, denn Wurfwaffen und Schusswaffen zeigen bis auf einen Puff kaum eine Rückstoßwirkung. In diesen Situationen sind die Gefechte abwechslungsreicher, aber alles andere als spannend, zumal zum einen die Steuerung nicht präzise genug ist: Man kann zwar um den Feind herum tänzeln, um den richtigen Moment für einen Konter abzuwarten, aber der dafür notwendige Angriffsklick kurz vor dem Schlag des Gegners gleicht einem Glücksspiel. Zum anderen zeigen die Figuren dämliche Aussetzer  – manchmal reagieren sie viel zu spät auf Hiebe oder Trupps von drei Leuten lassen sich einfach trennen, obwohl Sichtkontakt besteht. Wie effizient der Einsatz von Tritt, Säbel, Machete, Pistole oder Muskete ist, entscheidet man über die Entwicklung der Fähigkeiten, für die man Lehrer aufsuchen, genug Ruhm besitzen und Gold zahlen muss.

Eingeschränkte Erkundung

Eine der ersten Quests besteht darin, den gefangenen Piraten zu befreien. Leider laufen viele Aufträge auf schnödes Holen und Bringen hinaus.
Eine der ersten Quests besteht darin, den gefangenen Piraten zu befreien. Leider laufen viele Aufträge auf schnödes Holen und Bringen hinaus.
Ein wenig Abwechslung bei der Inselerkundung kommt zum einen durch einige Höhlen ins Spiel: Die sind bisher sehr klein, aber locken mit versteckten Schätzen. Vor allem jene mystischen Höhlen der Ureinwohner, in denen man auch mal kleine Schalterrätsel findet oder von Fallen überrascht wird – dann gilt es per einfachem Reaktionstest dem tödlichen Sturz vorzubeugen. Da es auch in der Landschaft tödliche Trittfallen gibt, muss man immer auf der Hut sein. Ärgerlich ist allerdings, dass man weder schwimmen noch klettern kann, denn so bleiben viele Bereiche der Inseln und viele Erkundungsreize tabu - lediglich an bestimmten Stellen kann sich der Held an einem Sims hochziehen. Hinter- oder Geheimeingänge an Gebäuden gab es bisher nicht. Schade ist auch, dass man die Karte nicht beschriften kann, denn wer Äffchen zähmen will, sollte wissen wo man sie gesehen hat.

Obwohl das Rollenspiel auf einem soliden Fundament ruht, fehlt ihm die epische Sogkraft. Man hat nach sechs Stunden nicht das Gefühl, dass man überall etwas machen und erledigen, sondern dass man sich auch in eine Hängematte legen könnte - so belanglos wirken Aufträge und Abläufe. Lediglich die Begegnung mit einem der Meerwesen konnte einen mysteriösen Akzent setzen, obwohl gerade diese Szene schrecklich albern gesprochen wurde; das hatte fast Kinderbuch-Charakter. Wer darauf gehofft hat, ein erwachsenes Piraten-Abenteuer im derben Ton der ersten Gothic-Teile zu erleben, wird

Neu ist, dass man sich auf einen Klick von Ort zu Ort teleportieren kann.
Neu ist, dass man sich auf einen Klick von Ort zu Ort teleportieren kann.
ohnehin etwas enttäuscht, denn trotz einiger zotiger Witze und harter Sprüche wirkt die Welt zu sauber, zu harmlos. Ob da noch was kommt?

Machtpolitische Hoffnungen

Wie wirkt sich z.B. der Beitritt zu einer der drei Fraktionen aus? Es gibt die Inquisition, die Piraten sowie die Eingeborenen. Man konnte mit seinen Aufträgen aber bisher keine numerisch sichtbare Sympathie bei einer Partei sammeln – auch die Quests sind nicht nach Fraktionen geordnet. Hier bleibt noch abzuwarten, wie sich das Abenteuer in dieser Hinsicht entwickelt, denn die machtpolitische Freiheit könnte die Motivation nochmal erhöhen. Auch die Entwicklung der Fähigkeiten sowie die Story können noch Pluspunkte bringen.

Die Wahl der Crew

In Caldera muss man irgendwie zum Hohen Rat kommen. Aber wie?
In Caldera muss man irgendwie zum Hohen Rat kommen. Aber wie?
Endlich habe ich ein Schiff. Und man kann Patty darauf zurücklassen – welch eine Freude! Nichts gegen Frauen mit Kopftuch im Allgemeinen, aber das ist eine der besten Designentscheidungen. Denn diese schlecht animierte Lady geht einem mit ihren schnippischen Kommentaren sowie der unheimlich nervigen Stimme gehörig auf den Keks. Da sie als Tochter Stahlbarts eine der Hauptrollen spielt, kann man ihr allerdings über die 30 Stunden nicht komplett entgehen. Gut, dass es zwischendurch noch weitere Crewmitglieder wie alte Piraten, kundige Eingeborene oder gar kauzige Gnome gibt, die wesentlich angenehmere Begleiter abgeben.

Diese Wahl des Partners bereichert das Spielerlebnis von Risen 2, denn zum einen kann man sich mit ihnen unterhalten und zum anderen haben sie oftmals Tipps oder ein spezielles Training im Angebot. Zwar darf man ihnen im Kampf keine Befehle geben oder ihnen ein Verhalten zuweisen, aber auch ihr automatisches Zuschlagen ist hilfreich. Vor allem die Ureinwohnerin Chani ist eine sehr gute Unterstützung, denn sie heilt den Helden, wenn es im Kampf mal brenzlig wird; außerdem kann sie Spuren lesen und so manchen Konflikt erahnen. Leider kommen diese Charaktere trotz ihrer teilweise süffisanten Kommentare nicht über einen Mitläuferstatus hinaus: Man muss keine Beziehung zu ihnen über clevere Dialoge aufbauen oder diese über bestimmte Gefallen pflegen wie etwa in Dragon Age. Und wenn sie mal sterben, stehen sie einfach wieder auf.

Die Geschichte plätschert…

Die einzige politische Entscheidung des Spiels: Kämpft man für die Inquisition oder die Ureinwohner?
Die einzige politische Entscheidung des Spiels: Kämpft man für die Inquisition oder die Ureinwohner?
So vielversprechend der Einstieg in das karibische Abenteuer mit Feuer, Kraken & Co auch wirkte:  Man wird erzählerisch fast eingeschläfert. Und das, obwohl man nach Caldera und Takarigua noch fünf weitere malerische bis mystische Orte erkundet. Diese Piraten-Abenteuer fängt wunderschön an und steigert sich weiter – wobei die Reise von vielen technischen Schwächen und später immer mehr Rucklern begleitet wird. Nichtsdestotrotz gebührt  den Designern ein großes Lob für diese markanten Landschaften. Vor allem die Bucht von Maracai ist mit ihren überwucherten Ruinen, riesigen Höhlen und dem verwinkelten Hangdorf eine Augenweide. Und wenn es gewittert, kommt richtig Stimmung auf.

Aber dieser atmosphärische Funke will nicht auf die Erzählung überspringen. Zwar wird die Story durch die exotischen Begleiter und wenigstens kleine Intrigen ein wenig belebt, aber sie will für viele Stunden einfach nicht in Fahrt kommen – man bleibt selbst dann unbeteiligter Zuschauer, wenn etwas Tragisches passiert. Das liegt zu einem großen Teil daran, dass der namenlose Held so viele Identifikationspunkte anbietet wie ein Holzklotz; man kann ihn weder im Vorfeld individualisieren noch im weiteren Verlauf über moralische Entscheidungen entwickeln; er sinniert nicht in inneren Monologen und kommentiert auch nichts.

Außerdem fehlen charismatische Antagonisten und der Held kann relativ gefahrlos seine vielen Aufträge angehen, die sich linear aneinander reihen und viel monotone Laufarbeit verlangen. Selbst als anerkannter Pirat und gefeierter Held nach ersten großen Endgegnern muss man zum größten Teil dieselben Botengänge abarbeiten. Man bleibt immer der Questlaufbursche. Daher ist das Teleportsystem eher ein komfortabler Segen als ein moderner Fluch.

Fraktionen? Wo?

Schlimmer geht's nimmer: Das Knacken der Schlösser ist ein belangloser Witz.
Schlimmer geht's nimmer: Das Knacken der Schlösser ist ein belangloser Witz.
Für regelrechte Beliebigkeit sorgt das fehlende Fraktionssystem. Hat man an der Schwertküste noch die Hoffnung, dass sich die Machtpolitik zwischen Eingeborenen, Inquisition sowie den untereinander verfeindeten Piraten irgendwie auswirkt oder dass man als Held größeren Einfluss hat, löst sich diese kurz nach der einzigen relevanten Entscheidung des Spiels in Luft auf: Man kann sich an einer Stelle für die Eingeborenen oder die Inquisition entscheiden, so dass man entweder Voodoo lernt oder sich der Muskete widmet – das war’s. Man muss sich kein Vertrauen einer Fraktion über gleichzeitige Quests erarbeiten, so dass man evtl. über Stunden in Konflikte gerät wie noch zu Gothiczeiten. Hier mangelt es dem Spiel an Komplexität und epischer Sogkraft. Man hat eher das Gefühl, sich durch ein hübsches Bilderbuch zu blättern als auf einer gefährlichen Reise zu sein.

Man hat auch nicht den Eindruck, dass sich wenigstens diese einzige Entscheidung irgendwie auf das Verhalten der Parteien auswirkt – es geht weiter linear vorwärts, denn selbst mit einer Eingeborenen im Schlepptau  spaziert man munter durch die Orte der Blauröcke oder umgekehrt. Man kann es sich nirgends so verscherzen, dass es spürbare Konsequenzen oder Tabuzonen gibt. Die Story kann auch keine charismatischen Antagonisten aufbauen. Kaum begegnet man einem potenziellen Kontrahenten, wird dieser auch schon in einem Duell besiegt. Lediglich im letzten Drittel gibt es mal eine überraschende Wendung – gerade für eine Piratengeschichte fehlt es aber über weite Strecken an Intrigen und Überraschungen.

Angenehmer Spielfluss

Sieht interessant aus, aber kaum begegnet man einem Antagonisten, wird er schon wieder erledigt.
Sieht interessant aus? Kaum begegnet man einem Antagonisten, wird er schon wieder erledigt.
Bis dahin plätschert alles erzählerisch belanglos vor sich hin. Und so seltsam das klingt, sorgt auch das für einen angenehmen Spielfluss, denn es gibt zig Aufträge, die einen auf Trab halten und in der guten Übersicht dokumentiert werden. Zwar gibt es auch hier kleinere Bugs, aber das Inventar ist gut zu bedienen. Schön ist, dass man einige Aufträge auch ohne Kämpfe oder lange Botengänge lösen kann, indem man Leute einschüchtert oder überredet. Wenn das nötige Talent fehlt, kann man auch über Ringe, Amulette oder Tränke nachhelfen, die vielleicht einen Bonus auf „Silberzunge“ verleihen. Man  hat immer noch so viel an so vielen Schauplätzen zu tun, dass einem nicht langweilig wird. Sehr ärgerlich bleibt, dass man nicht aktiv segeln darf – wer von der Schwertküste nach Antigua will, klickt einfach auf die Karte.

Vor Ort gibt es immer viel nebenbei zu tun: Man kann Affen zähmen und diese in unzugängliche Bereiche schicken, man kann legendäre Gegenstände und weitere Schätze suchen. Vor allem beim zweiten Besuch von Caldera machen auch die Hauptaufträge Spaß, weil z.B. Voodoo clever eingesetzt werden muss – man kann fremde Körper übernehmen, um sich so höhere Belohnungen oder Zugang zu bisher verbotenen Orten verschaffen. Man manipuliert Stimmabgaben, verkleidet sich und erlebt endlich etwas Abwechslung von Bring-mir-dies-oder-das. In der Bucht von Maracai sorgt die Erkundung des Dschungels dann für gute Unterhaltung in der Wildnis, denn hier hat man lange Zeit keine Karte, darf auch mal an Simsen – schrecklich hölzern animiert, voller Clippings- irgendwo hinauf klettern und durchstreift einen labyrinthischen Urwald mit vielen Höhlen und Ruinen. Es gibt abseits der Pfade also einiges zu entdecken, zumal man sich auch mit dem Brauen von Tränken, Schmieden von Schwertern oder Pistolen beschäftigen kann.

Mehr Masse als Klasse

In der Bucht von Maracai kommt nochmal Stimmung auf.
In der Bucht von Maracai kommt nochmal ruinöse Stimmung auf.
Die Quantität der Aufträge stimmt, aber die Qualität lässt oft zu wünschen übrig, weil sie entweder zu billig sind, spürbare Konsequenzen fehlen oder das Figurenverhalten schlichtweg fehlerhaft ist: Wenn man einen Gefangenen befreien soll und der Schlüssel drei Meter vor dem Knast „von der Wache fallen gelassen wurde“, ist das genau so billig wie die Pflanzensuche für Einheimische, die sich darauf beschränkt, die drei Quadratmeter vor deren Füßen zu begutachten – auf diesem engen Raum muss man tatsächlich auch mal ein Artefakt finden, dass jemand verloren hat. Leichter geht es kaum noch.

In manchen wichtigen Szenen fehlt zudem die Glaubwürdigkeit: Da hat man gerade mit einem Geist der Ahnen gesprochen und kann einfach so dessen Sarkophag plündern, obwohl das Plündern der alten Tempel laut Story ein Sakrileg ist? Da hat man gerade den Piraten Hawkins aus dem Knast der Inquisition befreit und der darf einfach mit Patty unten am Hafen palavern, obwohl dort Wachen patrouillieren? Man übernimmt einen Kommandeur mit Voodoo und kann die Truhen im eigenen Haus nicht öffnen, weil der Schlüssel fehlt?

Richtig ärgerlich sind seltene, aber schwere Bugs im Figurenverhalten, die so manche heikle Quest zum Treppenwitz degradieren: Man soll Kanonen sabotieren, die bewacht werden. Wie bekommt man bloß die sture Wache Benito da weg? Erstens gibt es hier weder über Voodoo noch Rhetorik in Dialogen eine Chance, was schon mal schade ist. So besteht der einzige Weg darin, ihr eine aufs Maul zu hauen, was plump, aber immerhin akzeptabel ist. Aber wenn man den Säbel zieht und sie attackiert, lässt sie sich einfach so ohne Gegenwehr fertig machen (siehe Video) – das zerstört jegliche Spannung.

Kastrierte Rollenspielelemente

Die Charakterentwicklung ermöglicht zwar den Pfad der Gerissenheit, aber diebische Aktionen werden schlecht inszeniert.
Die Charakterentwicklung ermöglicht zwar den Pfad der Gerissenheit, aber diebische Aktionen werden schlecht inszeniert.
Neben dem Verzicht auf Fraktionen und fehlender Konsequenz bei Diebstählen (mal wird man als Langfinger angegriffen, mal klaut man alles vor den Augen der Besitzer) hat Piranha Bytes weitere Rollenspieltugenden aus den Augen verloren – und das, obwohl man in der Karriere den Pfad der Gerissenheit wählen kann: Aber der Taschendiebstahl, das Schlösserknacken und der Raub werden schwach inszeniert. Will man jemandem beklauen, kann man das mitten im Dialog ohne eine Animation auf Tastendruck machen und hat immer Erfolg, wenn der Wert stimmt – so kann man sich die Taschen ohne Gefahr selbst bei der befreundeten Fraktion füllen, denn man hat nie ein Risiko; ist der Wert zu niedrig, geht es eben nicht. Wo ist der Nervenkitzel für Langfinger?

Und wer als Dieb an Truhen heran will, darf vor Freude jauchzen: Der eine Dietrich geht niemals zu Bruch und das Minispiel zur Öffnung derselben  ist ein schlechter Witz, bei dem man selbst schwierigste Schlösser ohne Zeitlimit, Entdeckungsgefahr oder Anspruch öffnet – manchmal reicht es, den Dietrich einfach blind ganz schnell mit der Maus in alle Richtungen zu bewegen. Was soll das? Ähnlich idiotensicher läuft das Einschleichen: Geht der Held aufrecht in ein privates Gebäude, wird er zurechtgewiesen – sehr gut! Geht der Held eine Sekunde später geduckt von der Seite bei hellichtem Tage (!) in dasselbe Gebäude, darf er drinnen alles plündern – sehr armselig! Zumal man das auch noch mit einem Begleiter durchziehen kann, der nicht einmal automatisch mit in die Hocke geht, sondern aufrecht mit reinlatscht. Warum erlaubt man das Ausrauben nicht nur bei Nacht, nur solo oder nur dann, wenn der Besitzer wirklich weg ist? Auch das Wettsaufen sowie das Wettschießen reihen sich in die Belanglosigkeit ein. Ersteres kann man (im nüchternen Zustand) gar nicht verlieren, Letzteres ist nichts weiter als Moorhuhn.

Monotone Kämpfe

Obwohl es ab und zu mal Fallen gibt, ähneln sich die Höhlen auf Dauer zu sehr - dafür sind sie schnell erkundet.
Obwohl es ab und zu mal Fallen gibt, ähneln sich die Höhlen auf Dauer zu sehr - dafür sind sie schnell erkundet.
Zwar bin ich schon darauf eingegangen, aber nach 30 Stunden mit Feinden aller Art muss man weiter darüber den Kopf schütteln. Wie kann man ein kampflastiges Rollenspiel mit so einem schwachen Kampfsystem ausstatten? Nicht nur im Vergleich mit Spielen, die den Klingentanz auf ein packendes Niveau gehoben haben wie Severance: Blade of Darkness oder Dark Souls, auch gegenüber einfacheren Systemen wie in Fable, Kingdoms of Amalur oder The Witcher 2 ist das richtig schlecht. Vor allem die Gefechte gegen Tiere oder größere Kreaturen und Biester sind an Statik kaum zu überbieten – man darf als Held nicht einmal ausweichen oder wegrollen und kann plumpe feindliche Schlagketten manchmal nicht unterbrechen. Ab und zu gelingt das mit einem Tritt, aber meist besteht die beste „Taktik“ darin, sich während der Kämpfe über Rum oder Grog zu heilen. Das funktioniert einfach auf Tastendruck, ohne dass der Held etwa eine Trinkanimation zeigt. Und weil die menschlichen Feinde das natürlich nicht in Anspruch nehmen, erlebt man auch gegen sie mit Säbel und Pistole meist situative Langeweile. Hat man genug Rum, hat man gewonnen!

Selbst mit der Entwicklung der Fechtkunst über Konter und schwere Hiebe oder Speerwürfe kommt zu wenig Spannung auf. Immerhin kann man ein wenig variieren, indem man Tritte, Sand oder – das einzige Highlight im Kampf – einen Papageien zur Verwirrung einsetzt. Aber entweder sind die Klickorgien zu leicht oder man begegnet plötzlich zu schweren Situationen, die man in Tränke-schlucken-Bomben-werfen-und-durch-Manier bestehen muss. Nicht etwa weil die Feinde so clever agieren würden, sondern weil sie schnöde in Überzahl sind oder einen schon mal unfair mit der Muskete oder dem Speer durch die Wand treffen. Das sorgt dann ganz plötzlich für Trial&Error-Frust. Und am Ende bekommt man nicht viel mehr "Ruhmpunkte" dafür als für das primitive Weghauen von Truthähnen oder Affen. Lediglich einige der Bosskämpfe fordern mal die größere Aufmerksamkeit des Spielers.

Fazit

Pippi Langstrumpf war cool. Vor allem die Piraten habe ich als Kind verehrt: Messer-Jocke und Blut-Svente, die fiesen Halunken! Heute schmunzle ich darüber, aber die Folgen im Taka-Tuka-Land waren immer unheimlich spannend. Das kann man von Risen 2 nach 30 Stunden nicht sagen, obwohl Stahlbart & Co auch in Astrid Lindgrens Kinderwelt herum poltern könnten – von einer Piratenwelt für Erwachsene oder einer dramatischen Story ist nicht viel zu spüren. Wo sind die tragischen Momente, wo die charismatischen Antagonisten? Der Star ist einzig und allein die wunderschöne Landschaft: Trotz eines Festivals an technischen Macken ist dieses Abenteuer unheimlich idyllisch und stimmungsvoll. Leider wirkt das Figurenverhalten nur in seinen besten Momenten authentisch, denn viel zu oft ist es unglaubwürdig bis fehlerhaft. Dieses Risen 2 hat ein solides Fundament, was die Anzahl und Verflechtung der Quests angeht, sowie nette Ideen wie das dressierte Äffchen oder Voodoo - man kommt trotz zu vieler Hol- und Bringdienste in einen angenehmen Spielfluss. Doch letztlich entsteht dabei keine epische Sogkraft, man erlebt keine Höhepunkte: Man fühlt sich über weite Strecken nicht wie ein Undercover-Agent in Lebensgefahr, sondern wie ein anonymer Botenjunge auf Klickurlaub. Und dabei begegnet man einem wankelmütigen Figurenverhalten - Piranha Bytes hat sich zurückentwickelt: Als Rollenspieler vermisse ich ein freies Fraktionssystem (die eine Entscheidung ist ein Witz!) genauso wie gut inszenierte und konsequente Diebstahl-, Schlossknack- oder Einbruchsituationen. Obwohl das Abenteuer im letzten Drittel etwas offener wird und auch mal clevere Aufträge sowie mehr Erkundungsfreiheit anbietet, hat mir der größte Kritikpunkt immer wieder die Lust geraubt: Das schrecklich schwache Kampfsystem! Ich habe selten so viel so blödsinnig klicken müssen - von situativem Nervenkitzel ist bis auf wenige Bosskämpfe keine Spur. Am Ende war ich froh, dieses hübsche, aber flache Karibik-Abenteuer endlich zu verlassen.

Wertung

PC

Wunderschöne Landschaften, viele Quests, aber eine schwache Technik, viele Inkonsequenzen und ein schreckliches Kampfsystem trüben den Abenteuer-Spaß.

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