Virtua Tennis 429.04.2011, Benjamin Schmädig
Virtua Tennis 4

Im Test:

Ich liebe Arcade! Im Sport gebe ich einer Simulation aber stets den Vorzug. Bis vor drei Jahren, als "mein" Top Spin spielerisch wankte, während mich Segas Arcade-Schmettern in packende Ballwechsel verwickelte. Wochenlang trainierte ich auf Xbox Live... doch das ist lange her. Der Schlagabtausch zwischen Sega und 2K Sports ist längst in die vierte Runde gegangen. Genauer gesagt spielte Top Spin 4 bereits vor einem Monat so vorzüglich auf, dass schon zu diesem Zeitpunkt klar war: Virtua Tennis wird es in dieser Generation verdammt schwer haben!

Tradition und die Moderne

Was setzt die Traditionsserie der starken Konkurrenz entgegen - eine schlagkräftige Riege lizenzierter Spieler vielleicht? Tatsächlich müssen sich ungefähr 20 Sega-Profis nicht vor den 25 2K-Assen verstecken. Und natürlich wirft Sega auch den guten Namen in die Waagschale: "Virtua Tennis" steht für hervorragende Ballwechsel - actionreich überzeichnet, aber taktisch fordernd. Vielleicht ist es ja dieses Selbstverständnis, das den Japanern den Mut für einen spielerischen Konter gibt. Denn in seinem wichtigen Kern versucht das vierte Virtua Tennis etwas, das Top Spin in Ausgabe drei bereits gewagt hatte: Es will die Spielmechanik umstellen!

Dabei macht Sega bedeutend kleinere Schritte als die Konkurrenz, denn weder fliegen die Bälle plötzlich zu den Regeln einer glaubwürdigen Physik noch hat sich etwas Wesentliches an der überschaubaren Steuerung geändert. Die Arcade-Serie bleibt ihren Wurzeln treu: Man findet sofort Zugang zum Spiel, schlägt Schmetterbälle und jetzt auch Asse übers Netz. Slice, Lob sowie Top Spin liegen auf drei der farblichen Tasten und je länger man sie drückt, desto härter donnert der Ball ins gegnerische Feld. Aufs Timing kommt es hier nicht an: Man hält die Taste so lange fest, bis sich der Schuss löst.

Super! Oder?

Neu ist ein Superschlag, den man sich erst erarbeiten muss. Denn Virtua Tennis ändert das System, mit dem es die unterschiedlichen Stärken verschiedener Spieler darstellt: Beim gewöhnlichen Ballwechsel unterscheiden sich die Profis jetzt kaum noch - schade! Spielt man sie allerdings so, wie es ihrem Charakter entspricht, füllt man ihre Konzentrationsanzeige. 20 solcher Spielertypen gibt es. Ein Volley-Virtuose sollte also am Netz stehen, ein Konterkönig gefährliche Bälle retournieren und ein Trickser muss den Rhythmus seines Kontrahenten stören. Verfügt man schließlich über genug Konzentration, darf man einen besonders kraftvollen Ball übers Netz drücken. Vorteil: Das bedeutet noch lange keinen Punktgewinn. Man sollte den Schlag also im richtigen Augenblick einsetzen. Nachteil: Ich habe gesehen, wie Monfils einen flachen Slice gerade noch löffeln konnte, indem er seinen Schläger fast waagerecht unter den Ball hielt - er hat diese Notlösung trotzdem als druckvollen Superschlag gespielt...

Es ist nicht die einzige Schwäche der neuen Technik, die durch eine Zeitlupenstudie erst aus nächster Nähe eingefangen wird, bevor die Kamera den Schlag als normalen Spielball wiederholt. So kann man nämlich genau erkennen, in welche Ecke der Schuss gehen wird - ein ausgesprochen unsinniger Fauxpas, wenn mindestens zwei Menschen gegeneinander spielen! Ohnehin ist es ein seltsam beengendes Gefühl, den virtuellen Profi so zu imitieren, dass sich die Konzentrationsanzeige möglichst schnell füllt. Top Spin löst die Charakterisierung besser, weil es die Stärken und Schwächen der Profis so markant herausarbeitet, dass man ihre Vorteile unbedingt nutzen will.

Abgeschlagen

Aber dem Vergleich mit Top Spin hält Sega diesmal ohnehin nicht stand. Die dynamischen und abwechslungsreichen Ballwechsel auf dem 2K Sports-Rasen sind mit Abstand packender als das vergleichsweise banale Ping Pong bei Sega. In Top Spin zählen Timing, Technik, Ausdauer und Stellung zum Ball. In Virtua Tennis unterscheiden sich Slice und Top Spin nur wenig, unterschiedliche Schlagarten gibt es nicht und das Timing spielt ebenso wenig eine Rolle wie der nicht vorhandene Krafteinsatz.

Die Stellung zum Ball ist das einzige taktische Element - doch selbst das wirkt unausgegoren. Denn obwohl der Ball hoch und schwach vom Schläger abspringt, wenn man ihn zu früh oder zu spät annimmt: Solche ebenso unbeholfenen wie unrealistischen Returns frustrieren nur, weil man daraufhin meist chancenlos dem gegnerischen Punktgewinn nachschaut.

Hier kommen die lizenzierten Stars... PS3-Spieler erhalten übrigens drei Legenden mehr als 360-Besitzer: Becker, Edberg und Rafter schlagen auf Sonys Center Court auf.

Männer: Federer, Djokovic, Nadal, Murray, Roddick, Haas, Kohlschreiber, Del Potro, Monfils, Gonzales, Seppi

Frauen: Wozniacki, Ivanovic, Sharapova, Williams, Kuznetsova, Robson, Chakvetadze Das liegt auch am übermächtigen Netzspiel: Wer im vorderen Feld halbwegs agiert, ist jedem Grundlinienspieler haushoch überlegen. Hinzu kommt das starre Positionsspiel, denn entweder erahnt man rechtzeitig die Ecke oder man verliert den Punkt. Schwache Returns oder lange Ballwechsel, in denen man das Filz mit ausgestreckten Zehen und Fingerkuppen gerade noch erreicht, bleiben Ausnahmen.

Der gute Ton

Die größte Niederlage aber ist: Selbst als packende Arcade-Punktejagd macht Top Spin 4 mehr Spaß, weil es Gelegenheitsspielern einen ähnlich komfortablen Einstieg ermöglicht und gleichzeitig mehr Tiefe bietet. Zu allem Überfluss ist Sega nicht nur spielerisch, sondern auch technisch in allen Belangen unterlegen. Es fängt bei altmodisch kantigen Tennisplätzen an, geht bei einem leblosen Publikum weiter und hört bei den steifen Bewegungen der sportlichen Akteure auf. Die Übergänge zwischen verschiedenen Bewegungen sind ausgesprochen hölzern und am immer gleichen Abwischen des Schweißes hat man sich spätestens nach drei Punkten satt gesehen. Anstrengung hat hier ohnehin nichts mit Schweißbildung tun: Irgendwann klebt das Spiel den Profis Schweißtropfen auf die Stirn, das muss reichen.

Es gibt keine Rufe aus dem Publikum, auf die die Spieler reagieren könnten. Und wo die Fans in Top Spin 4 nach gefährlichen Schüssen so hörbar mitgehen, dass der Schiedsrichter anschließend zur Ruhe mahnt, schießen hier die schrecklichen Laufgeräusche den Vogel ab:

Auch zwei Minispiele sind PS3-exklusiv: Kegeln und ein mit Move spielbares Toreschießen.
Wie in einem Uralt-Rollenspiel trippeln die Athleten über den Platz. Bei aller Liebe für die typisch japanische Machart, haben solche Fehlgriffe in einem modernen Sportspiel nichts verloren!

Ausgelatschte Laufbahn

Die Karriere leidet unter ähnlichen Symptomen: Sie ist durchaus unterhaltsam - aber wollen Tennisasse tatsächlich einer Kette von Minispielen folgen, um nur gelegentlich mal Tennis zu spielen? Hier müssen die Profis dazu bereit sein, wobei ein Match ohnehin nur zwei Spiele dauert, auf Tiebreaks verzichtet man großzügig. Immerhin entscheidet man sich für einen der 20 Spielstile, um das sportliche Alter Ego den eigenen Vorlieben anzupassen. Das ist schon deshalb wichtig, weil man den Nachwuchsstar auch ins Online-Match führen darf und die lizenzierten Asse nicht alle Typen abdecken. Echte Identifikationsfiguren erstellt man in dem unbequemen Charaktereditor allerdings nicht. Eine gelungene Idee sind Verletzungen, die während der Karriere auftreten, falls man nicht früh genug eine Trainingspause einlegt. Leider mutet es aber seltsam an, wenn der verletzte Spieler die gewohnte Laufbewegung in Zeitlupe ausführt, weil er nicht mehr schnell laufen kann.

Virtua Tennis 4 (ab 14,50€ bei kaufen) wirkt bemüht: Es will viel mehr sein als Arcade-Tennis, es will seine knorrigen Wurzeln hinter sich lassen und moderne Spieltiefe mit etwas Vertrauten verbinden. Doch wo Top Spin vor drei Jahren so mutig war, sich grafisch, physikalisch und inhaltlich neu zu erfinden, lehnt sich Virtua Tennis vergebens gegen die Innenwände seines alten Fundaments.

Guck mal, freihändig!

Natürlich ist es vor allem zu viert unterhaltsam, sich im Doppel eine Bombe zuzuspielen, schlüpfende Küken einzusammeln, Tontauben zu zerdeppern, zum Tennis-Poker aufzuschlagen, gegen den Wind zu Spielen und vieles mehr. In knapp zehn Minispielen darf man sich austoben. Doch leider ist deren banale Einfachheit diesmal bezeichnend für Segas ehemaligen Sportkönig. Das gilt auch für die Unterstützung von Move bzw. Kinect, denn die Bewegungssteuerung funktioniert nur unter dem Menüpunkt "Motion Play". An einzelnen Matches und Minispielen kann man sich dort versuchen; an Karriere, Turnieren und Onlinespielen dürfen Bewegungsswillige allerdings nicht teilnehmen.

Dabei tut die Trennung dem Spiel sogar gut, weil weder Move- noch Kinect-Tennis überzeugen. Zwar erkennen beide Systeme halbwegs zuverlässig, ob man Slice, Top Spin, geraden Schlag oder Lob auslöst - Move hat hier die Nase vorn.

Dass man Zwischensequenzen nicht abbrechen kann, hält die mit zwei Spielen viel zu kurzen Onlinespiele unnötig auf.
Die Richtung des Schlags lässt sich aufgrund der unübersichtlichen Perspektive allerdings nur schwer vorgeben; die Kamera wechselt ständig zwischen Schulterblick und Egoansicht. Motion Play bietet einen interessanten Vorgeschmack dessen, was mit Bewegungserkennung möglich sein kann. In dieser Form ist es aber zu rudimentär, um Analogstick und Tasten zu ersetzen. Nicht zuletzt bewegen sich die Sportler automatisch über den Platz, wodurch das freie Tennis entscheidend an Reiz verliert. Lediglich das Laufen zum und vom Netz darf man selbstständig einleiten, indem man einen Schritt nach vorne bzw. zurück macht.

Spiel mit mir!

Ausgewachsen wirkt Virtua Tennis 4 nur im Onlinespiel, das nahezu störungsfreie Partien ermöglicht. In Sachen Verbindungsqualität ist man Top Spin sogar eine Nasenlänge voraus! Zumal ich kurze, vorgegebene Kommentare auswählen und bei Bedarf über die rechten und linken Schultertasten zum Besten geben darf. Bei 2K fehlte mir die Kommunikation mit meinem Kontrahenten - hier kann ich ihm Anerkennung zollen, mich ärgern oder über einen Punktgewinn freuen. Während ich auf einen Gegner warte, darf ich sogar ein paar Bälle gegen die KI schlagen. Aus unangenehmen Wartezeiten wird so entspanntes Warmspielen.

Dennoch zeigt sich das vierte Virtua Tennis auch hier von seiner sperrigen Seite. U.a. gibt es nach jedem Ballwechsel eine Wiederholung, die man nicht abbrechen darf. Noch mehr stört mich, dass für ein Match um Ranglistenpunkte ausschließlich Matches gespielt werden, die mickrige zwei Spiele lang sind. Offizielle Turniere gibt es im Rahmen der weltweiten Meisterschaft nicht. Im Gegensatz zu Top Spin sammelt ein selbst erstellter Spieler zudem keine Erfahrungswerte, die er in die Ausbildung seiner Fähigkeiten stecken könnte. 2K Sports hat vorgemacht, wie Tennis in dieser Generation aussehen muss - Virtua Tennis 4 hinkt dieser Qualität jedoch in allen Belangen hinterher.

Fazit

Virtua Tennis 4 kommt etwa fünf Jahre zu spät: Es muss sich nicht nur dem aktuellen Top Spin geschlagen geben - selbst der eigene Vorgänger war äußerlich aufregender und spielerisch interessanter. Der aktuellen Ausgabe fehlen taktische Vielfalt und der Einfluss einer modernen Physik. Gutes Stellungsspiel ist zwar von Bedeutung, der spielerischen Umsetzung fehlt aber die Dynamik des 2K-Spiels. Lediglich die unterschiedlichen Spielweisen der Profis graben Spieltiefe in den Center Court. Dass Top Spin dem Konkurrenten dabei nicht nur als Simulation, sondern auch beim schnellen Arcade-Ballwechsel den Schneid abkauft, ist Segas schwerste Niederlage. Virtua Tennis 4 spielt sich so furchtbar belanglos und unaufregend, dass es nach dem grandiosen Top Spin 4 beinahe seine Daseinsberechtigung verliert. Selbst technisch reißt es keine Bäume aus - dem direkten Konkurrenten ist es in jeder Hinsicht unterlegen. Ihm gelingt eine fehlerfreie Onlineanbindung ohne Nerven raubende Wartezeiten und mit der Möglichkeit, den Spielverlauf zu kommentieren. Andere Neuerungen wie der Superschlag oder die Unterstützung von Kinect bzw. Move wirken dafür aufgesetzt und überflüssig. Hoffentlich ist Virtua Tennis 4 nur ein Lückenfüller, während Sega im Geheimen schon die neue Tennisgeneration skizziert! Die aktuelle Ausgabe schädigt im Fahrwasser des starken Top Spin 4 nur den guten Namen.

Pro

unkompliziertes, leicht verständliches Tennis
Verletzungen in Karriere
online: Auswahl an Kommentaren zwischen Ballwechseln
viele Originalspieler, darunter Becker (nur PS3) und Courier
flüssige, fehlerfreie Onlinematches
online: spielerischer Überbrückung der Wartezeit auf Mitspieler
20 verschiedene Spielertypen

Kontra

banales Ball-Erlaufen statt starker Arcade-Taktik oder Simulation
Netzspiel ist übermäßig mächtig
Schlagarten unterscheiden sich zu wenig
schwache Schläge führen fast immer zu halben Lobs
kaum Unterschiede zwischen verschiedenen Spielweisen
spröde Figuren und Bewegungen
furchtbar veraltete Geräusche, relativ lebloses Publikum
Zwei-Spiel-Sätze ohne Tie-Break in Karriere
unhandlicher Charaktereditor mit mäßigen Ergebnissen
selbst erstellter Spieler macht online keine Karrierefortschritte
Richtung von Superschlägen für Gegenspieler früh erkennbar
online: mickrige Zwei-Spiel-Sätze im Ranglistenspiel

Wertung

360

Das technisch altbackene Virtua Tennis 4 strauchelt bei dem Versuch, zwischen Simulation und Arcade zu balancieren.

PlayStation3

Das technisch altbackene Virtua Tennis 4 strauchelt bei dem Versuch, zwischen Simulation und Arcade zu balancieren.

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