Sine Mora22.03.2012, Jan Wöbbeking
Sine Mora

Im Test:

Grasshopper verlegt die Kugelhölle in eine industrielle Science Fiction-Welt: Rostiges Metall, qualmende Megastädte – und mittendrin breiten sich abertausende farbig glühende Projektile aus. Um die Entwicklung des XBLA-exklusiven Horizontal-Shooters hat sich der ungarischen Strategie-Experte Digital Reality gekümmert. Design und Musik stammen aus der Feder der japanischen Grashüpfer (No More Heroes, Shadows of the Damned).

Qualmende Schönheit

Was die Designer hier aus dem Hut zaubern ist schlichtweg atemberaubend - vor allem für einen klassischen Horizontal-Shooter. Mit meiner kleinen knatternden Propellermaschine kämpfe ich z.B. gegen rostige Riesenkanonen, eine gigantische Metall-Libelle und einen noch größeren Tagebau-Roboter. An Letzterem muss ich mich minutenlang empor kämpfen, bis ich endlich den von multiplen Kanonen und dicken Lasern geschützten Kopf erreiche. Bevor die letzte Runde des Kampfes startet, lasse ich den Blick über das vom Bergwerk zerfurchte Natur-Panorama gleiten – was für ein Ausblick! Die kleinen Hügel und all die Technik-Kolosse dazwischen wirken beinahe wie gemalt, trotzdembin ich in einer Welt aus Polygonen unterwegs. Viele Kameraschwenks bringen Leben in die klassische 2D-Action. Da Microsoft als Publisher fungiert, erscheint das Spiel exklusiv auf Xbox Live Arcade.

Im Story-Modus schlüpfe ich in die Rolle unterschiedlicher Piloten. Sie gehören einem kleinen Rebellen-Grüppchen an, welches sich durch eine fliegende Festung kämpft. Hinter der geschmuggelten Kriegsmaschinerie hält sich der galaktische Serienkiller Ronotra Koss verschanzt, der ein Mädchen entführt hat und ein komplettes Volk mit seine Waffen bedroht. Die Geschichte wird in schlicht präsentierten Texten erzählt. Ein vom Krieg gezeichneter Büffel will sich z.B. am Tod seines Sohnes rächen und auch die Beweggründe seiner Mitstreiter werden beleuchtet.

Ewiger Krieg

Was für ein Ausblick: Die Panoramen in der eigentümlichen Welt von Sine Mora sehen schlichtweg atemberaubend aus.
Was für ein Ausblick: Die Panoramen sehen schlichtweg atemberaubend aus.

Die hochtrabend philosophisch anmutenden Texte wollen aber nicht dazu passen, dass ich kurz danach ganz klassisch von links nach rechts fliege und alles pulverisiere, was sich mir in den Weg stellt. Auch der Soundtrack von Silent Hill-Komponist Akira Yamaoka und die dünnen Explosionsgeräusche sind mir nicht krachig genug. Wenn ein Piano-Spieler gedankenverloren vor sich hin klimpert, unterstützt das zwar die fremdartige Atmosphäre, passt aber nicht dazu, dass ich schweißgebadet im Zehntelsekundentakt um mein Leben kämpfe.

Der geschichtliche Hintergrund harmoniert schon besser mit dem, was sich auf dem Bildschirm abspielt: Das Volk der Enkies nutzt die Zeitreise-Technik für einen “Ewigen Krieg“ und spult bei Bedarf einfach die Zeit zurück. Auch ich kann die Zeit manipulieren: Per Tastendruck starte ich eine Bullet-Time und tauche elegant zwischen dem leuchtenden Inferno hindurch. Allzu lange darf ich das Matrix-Spielchen aber nicht durchziehen. Erstens ist nach einigen Sekunden die dazugehörige Energie-Leiste geleert, zweitens läuft die Countdown-Anzeige am oberen Bildrand während der Zeitlupe in normaler Geschwindigkeit weiter. Wenn ich mich z.B. zu lange mit den hartnäckigen Kanonen eines Luftschiffs aufhalte, schaffe ich es nicht mehr rechtzeitig zum Boss.

Cleveres Zeit-System

So gehört sich das: Die fetten Bosskämpfe wie gegen diese Spinne sind spannend inszeniert.
So gehört sich das: Die fetten Bosskämpfe wie gegen diese Spinne sind spannend inszeniert.

Ein feindlicher Treffer raubt mir kein Leben, sondern knabbert ebenfalls am Zeitkonto. Wenn es knapp wird, kann ich den Timer aber wieder nach oben treiben, indem ich viele Gegner aus der Luft puste. Jede Explosion bringt mir ein paar Sekunden ein. Oder ich schnappe mir ein paar Zeitsymbole. Der clevere Kniff verleiht dem klassischen Spielprinzip nicht nur Dynamik, sondern nimmt übersehenen Querschlägern auch eine Menge ihres Frustpotentials. Einfach wird es trotzdem nicht, im Gegenteil: Selbst auf dem niedrigen Schwierigkeitsgrad im Story-Modus musste ich mich hellwach durch die Projektil-Teppiche mogeln und möglichst schnell die gefährlichsten Geschütze ausschalten. Gelang mir das nicht, war die Zeit ruck-zuck abgelaufen und eines der neun Continues futsch.

Trotz der neuen Zeitmechanik ist also auch eine große Portion klassisches Auswendiglernen nötig, wodurch der Kampf gegen Standard-Gegner mitunter etwas altbacken wirkt. Immerhin darf ich mich ab und zu für unterschiedlich schwere Abzweigungen entscheiden. Rund drei Stunden dauert die Kampagne; je nach Können auch deutlich mehr oder weniger. Auf dem höheren Schwierigkeitsgrad wartet außerdem ein zweiter Handlungsstrang darauf, entdeckt zu werden. Im Arcade-Modus und den Highscore-Varianten für einzelne Levels wird es noch happiger. Dort stehen lediglich die Schwierigkeitsstufen Hard und Insane zur Wahl – und die machen ihren Namen alle Ehre. Obwohl sich die Punktejagd an Profis richtet, wurden die kargen Menüs nur bedingt professionell gestaltet: Die Ergebnisse seiner Freunde sieht man z.B. nur in den Bestenlisten statt direkt vor oder nach einem Level. Auch die Feinheiten der Spielmechanik werden während der Kampagne nur unzureichend erklärt, lassen sich aber in der Anleitung im Optionsmenü nachlesen. Löblich ist, dass es für jedes wählbare Flugzeug eine

Kollidiert man mit einem der Projektile, verliert man kein Leben, sondern lediglich das Zeitkonto schrumpft. Leicht wird es dadurch trotzdem nicht.
Kollidiert man mit einem der Projektile, verliert man kein Leben, sondern lediglich das Zeitkonto schrumpft. Leicht wird es dadurch trotzdem nicht.
Detailansicht gibt, auf der seine Hit-Zone (also der für Treffer empfindliche Kern) angezeigt wird.

Ketten-Chaos

Wer sich clever anstellt, kann hohe Kombos aufstellen, z.B. indem er lange überlebt, ohne Zeitlupe auskommt oder keine Punkte-Symbole verpasst. Auch die Waffe lässt sich langsam aufmotzen. In der normalen Kampagne musste ich je nach Level leider mit einem vorgegebenen Flieger leben. Im Arcade-Modus darf aber mit freigeschalteten Flugzeugen, Charakteren und den dazugehörigen Extrawaffen herumexperimentiert werden.

Eine der Figuren feuert zielsuchende Raketen ab, eine andere säubert die Umgebung mit zwei rotierenden Lichtschwertern von feindlichen Projektilen. Außerdem kann die Zeitlupe gegen andere Extras eingetauscht werden: Spieler mit schnellen Reflexen greifen zu einem Schild, welche Kugeln einfach abprallen lässt. Die dritte Variante ermöglicht sogar das Zurückspulen vergeigter Sekunden – genau wie in Codemasters Dirt 3.

Fazit

Respekt an Grasshopper und Digital Reality: Ich hätte nicht gedacht, dass jemand einen derart hübschen Horizontal-Shooter auf die Beine stellt. Die abwechslungsreichen Luftschiffe, rauchenden Metallstädte und weiten Naturpanoramen beeindrucken nicht nur durch starke Technik, sondern sind auch unheimlich stilsicher gestaltet. Das clevere Zeit-System bringt viel Dynamik ins klassische Genre und auch die Kämpfe gegen gigantische Bosse rocken! Bei der Punktejagd bleibt mir das Spiel aber zu konservativ auf Profis ausgerichtet: Wenn ich nicht stoisch auswendig lerne, wann wo welches Flugzeug auftaucht, ist im Handumdrehen der Countdown verstrichen. Warum gibt es keinen mittleren Schwierigkeitsgrad wie z.B. in Super Stardust HD? Auch die schlichte Präsentation, die übertrieben theatralischen Story-Texte und der ruhige Soundtrack passen nicht so recht zum blitzschnellen Kampf um Zehntelsekunden. Doch unterm Strich bietet Sine Mora einen spannenden Ausflug in eine bezaubernde Kugelhölle.

Wertung

360

Wunderhübsch designter Bullet Hell-Shooter mit cleverem Mix aus Zeitlupe und Energiesystem.

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