Binary Domain28.02.2012, Benjamin Schmädig
Binary Domain

Im Test:

Menschen, Roboter und alles, was dazwischen passt: Binary Domain (ab 12,99€ bei kaufen) zitiert ganz offensichtlich Blade Runner oder Ghost in the Shell - offensichtlich und meist auch oberflächlich. Klischeetriefende Stereotypen ballern auf tumbe Maschinen, die "überraschende" Wendung liegt von Beginn an in der Luft. Doch plötzlich nimmt die Geschichte mächtig Fahrt auf...

Ein Marshall für die Menschenrechte

Hinter Binary Domain steht das Team, das mit der Yakuza-Serie keine tiefschürfenden, aber dennoch eindringliche Milieustudien geschaffen hat. Tatsächlich haben selbst Yakuza die Darstellung gelobt. Einprägsame Charaktere spielten in aufwändigen Filmszenen - dieses Lob dürfte Binary Domain nicht zuteil werden. Um westliche Spieler anzusprechen, hetzt Segas "Yakuza Studio" einen bellenden Marine durch eine Gears of War-Kopie. An seiner Seite: der afroamerikanische beste Kumpel, zwei makellose Quotenbrüste, ein britisches Akzent-Duo sowie der etwas... andere Franzose. Ihre Mission: die Festnahme eines gefährlichen Magnaten.

Dabei ist der Schauplatz interessant, denn im Jahr 2080 ist die Hälfte des bewohnten Festlands vom Meer überspült. In Tokio wohnen die, die es sich leisten können, in den strahlend weißen Mauern einer neu erbauten Hochebene. Wer es sich nicht leisten kann, haust in den Ruinen der verlassenen Altstadt. Schwer gepanzerte menschenähnliche Roboter halten die Sicherheit aufrecht. Doch weder der Widerstandskampf der Armen noch die gewöhnlichen Maschinen stehen im Vordergrund. Vielmehr hat der Kopf des Amada-Unternehmens Androiden in die Welt gesetzt, die den Menschen nicht nur äußerlich ähnlich sehen: Sie kennen ihre wahre Identität auch selbst nicht - ein Verstoß gegen das Gesetz zum Schutz der Menschenrechte und der Weckruf für Dan Marshall.

Starres Wachs

Dan ist jener Esprit-befreite Marine, den man in knapp zehn Stunden Daueraction verkörpert. Was nach mehr klingt, als es ist. Denn unter Dauer verstehen die Entwickler vor allem eins: viele, viele, viele Roboter. Es hilft nicht gerade, dass sich die Masse der zweibeinigen Metallgerippe nur farblich unterscheidet. Es hilft erst recht nicht,

Den Preis für die meisten Roboter auf einem Bild heimst Binary Domain locker ein - leider.
Den Preis für die meisten Roboter auf einem Bild heimst Binary Domain locker ein.
dass fast alle Maschinen ohne echten Angriffsplan, aber zu Dutzenden aus den Ecken stürmen. Obwohl die einen aus der Ferne schießen, die anderen ein schweres MG tragen, sich hinter Schilden verstecken oder schnell den Nahkampf suchen, wiederholen sich die Wiederholungen des Immergleichen. Der Vorteil ist die unaufhörliche Action. Der Nachteil: das schnelle Sattsehen.

Vor allem technisch zeigen sich Risse, weil viele Kulissen aus graubraunen Metall- oder Steinwänden bestehen. Manche Schauplätze wurden mit einem Auge fürs Detail erschaffen und in der Ferne entdeckt man tolle Panoramen. Die Action findet aber meist in einfarbigen Gassen statt. Den Gesichtern sieht man zudem ihre Yakuza-Herkunft an: Wie Wachsfiguren glänzen die Poren und viele Bewegungen wirken vergleichsweise steif.

Brüchig statt futuristisch

Die Entwickler bemühen sich: Man merkt, wie sehr sie Binary Domain neben den westlichen Blockbustern platzieren wollen. Knopfdruck-Deckung, der Blick über die nahe rechte Schulter sowie Reaktionsspiele verschmelzen zum Prototypen des modernen Shooters. So ganz erreicht man deren Eleganz allerdings nie. Dan geht etwa in Deckung, während man in der Nähe einer Mauer die Sprinttaste drückt. So hockt er plötzlich neben einem Sims, an

Es will sein wie Gears of War - erreicht aber nie dessen brachiale Wucht und Eleganz.
Es will sein wie Gears of War - erreicht aber nie dessen brachiale Wucht und Eleganz.
dem er vorbei rennen sollte. Beim Stellungswechsel wirkt er hingegen behäbig, und falls ihn ein heranstürmender Roboter umläuft, kann er in Deckung hängend kaum schnell genug reagieren. Dass er Granaten beim Auflesen als aktive Waffe wählt, ist nur eine der weiteren Kleinigkeiten. Warum muss man Sprengkörper überhaupt aktivieren, anstatt sie über eine separate Taste zu werfen?

Selbst die Mehrspieler-Gefechte wirken wie Zugeständnisse an den Soll, nicht wie eigenständige Entwicklungen. Denn entweder verteidigt man im Team ein Gebiet gegen immer stärkere Angriffswellen oder man zieht gegeneinander - jeder für sich oder als Teil eines Teams - in den Kampf. Ob Deathmatch, Capture the Flag, Domination: Mit den richtigen Partnern ist das Onlinematch packend. Trotz der vielen Wiederholungen und unsäglich pubertärer Dialogbrocken ist das Solospiel allerdings bedeutend spannender.

Verdammt!

Immerhin gewinnt Yakuza Studio der gewöhnlichen Action eine neue Seite ab, denn Dan kann sich mit seinen Kameraden unterhalten. Genauer gesagt ist es der Spieler, der den

Sag was! Die Kameraden nehmen Befehle entgegen und reagieren auf Kommentare wie "Gut gemacht!" oder "Du Idiot!".
Sag was! Die Kameraden nehmen Befehle entgegen und reagieren auf Kommentare wie "Gut gemacht!" oder "Du Idiot!".
Begleitern Befehle erteilt, sich für ein versehentliches Anschießen entschuldigt oder auf Fragen reagiert. Meist kämpfen mehrere Soldaten an Dans Seite und die Spracherkennung erkennt zuverlässig Ansagen, die man entweder ans Team oder an Einzelne richtet.

Bedauerlich, dass die Action ebenso gut ohne die Anweisungen auskommt. Zum einen verstehen die Kameraden nur rudimentäre Befehle wie "Angreifen!" oder "Zu mir!" und zum anderen halten sie sich ohnehin nicht an jede Direktive. Es ist ein starres System, bei dem man hin und wieder einen von wenigen Befehlen spricht. So richtig spürbar wird diese Starre, wenn man auf speziell inszenierte Fragen reagiert: Dann ist man auf eine so kleine Anzahl Begriffe gebunden, dass Dan viele Fragen zur Entwicklung der Ereignisse mit "Verdammt" beantworten muss und man gar nicht weiß, was er damit eigentlich ausdrückt.

Zum Glück darf man jederzeit auf den Einsatz des Headsets verzichten und alle Eingaben am Gamepad vornehmen - was die scheinbar zusammenhangslosen Antworten natürlich nicht aus dem Weg räumt. Erst dann bemerkt man allerdings auch, wie gut es trotz der überschaubaren Vielfalt tut, dass Mitstreiter auf gesprochene Befehle reagieren oder ihrem Ärger nach einem "Du Idiot!" Luft verschaffen. Sie eilen Dan auf Kommando zu Hilfe und freuen sich über "Gute Arbeit!". So öffnet Binary Domain zumindest ein kleines Fenster in die Zukunft. Eine Zukunft, in der man sich ohne starre Dialogoptionen unterhalten kann. Eine Zukunft, in der Worte und Taten echte Konsequenzen haben.

Den Kopf verdreht

Taktik kommt auch da zu kurz, wo man durch Abschüsse oder Kopftreffer erhaltenes Geld besser in die Hauptfigur steckt, anstatt Waffen und Ausrüstung der Kameraden aufzuwerten: Bei seinen Mitstreitern wirken sich die teuren Erweiterungen kaum aus, weil sie zu zaghaft ins Kampfgeschehen eingreifen. Aus diesem Grund spielt auch das Beziehungsgeflecht im Team nur eine untergeordnete Rolle. Ein wohl gesonnener Mitstreiter, der mit Dans Fähigkeiten im Kampf und seinen Antworten auf die gelegentlichen Fragen zufrieden ist, bietet zwar seine Hilfe an, während sich ein mürrischer eher zurückhält - die Auswirkungen sind jedoch kaum spürbar. Da die Beziehungen für die geradlinige Handlung ähnlich bedeutungslos sind, ist die Kommunikation eher Spielerei als Spiel.

Nur wenn man über Dans Kimme Roboter aufs Korn nimmt, gibt es eine taktische Komponente, denn verschiedene Trefferzonen verursachen unterschiedlichen Schaden. So fallen die Metallbüchsen nach einem Kopftreffer nicht einfach um, sondern wenden sich gegen ihre eigene Truppe. Schießt man ihnen die Beine weg, fallen sie hingegen auf den Boden - manche kriechen oder humpeln kurz darauf allerdings weiter. Es kann also passieren, dass man sich plötzlich nicht bewegen kann, weil ein halber "Terminator" unbemerkt heran kriecht und ein Bein packt. Erst ein Schuss aus der Pistole gibt der Weglaufsperre den Rest. Besonders schwere Feinde sind hingegen selbst als humpelnde "Zombies" noch eine echte Gefahr. Es sind coole Nuancen im eintönigen Einerlei.

Der eiserne Jurassik Park

Hätten die Entwickler lediglich auf das massive Roboterschlachten gesetzt, könnte sich Binary Domain nur im belanglosen Mittelfeld mit Tendenz zum Abrutschen halten. Doch die Japaner lockern den SciFi-Trip immer wieder mit Szenen wie der Fahrt auf einem Speedboot, dem Steuern eines großen Mechs oder dem Tauchen durchs Meer gleich zu Beginn auf. Immer dann, wenn die Action wieder ihren Schwung verliert, sitzt man plötzlich in einer heißen Verfolgungsjagd.

Klasse, wie die Entwickler die Hatz über eine Stadtautobahn inszenieren: Ein sechs Fahrspuren breiter und genau so hoher Roboter prescht dem Kleinbus mit Dan und seinem Team hinterher, schießt Raketen auf das Vehikel, während links und rechts gewöhnliche Gegner weiter feuern. Was der drögen Kulisse fehlt, das kracht, qualmt und poltert um den blechernen Giganten herum - es ist kein bahnbrechendes, aber ein fulminantes Feuerwerk. Und es ist nicht das einzige. Tatsächlich ist es bemerkenswert, wie viele mechanische Riesen

Gigantomanie: Im Bosskampf trumpft Binary Domain mächtig auf.
Gigantomanie: Die Bosskämpfe sind eine große Stärke des SciFi-Trips.
man beseitigen muss, ohne dass sich ein einziger Kampf wiederholt.

Nur ein Blinzeln

Gleich in den ersten Stunden begegnet man einer Riesenspinne, die etliche Stockwerke in die Höhe ragt: Entweder bekämpft man direkt ihren versteckten wunden Punkt am Bauch oder man zerschießt ein Bein nach dem anderen. Mit cleveren Angriffen hält der gigantische Roboter Dan in Schach, der ständig auf der Suche nach Munition ist. Die Spinne selbst springt eklig naturgetreu über den großen Platz oder klettert an Häusern empor. Über die westliche Action mögen die Japaner stolpern. Bosskämpfe aber, die beherrschen sie aus dem Effeff!

Überhaupt ist es die Inszenierung, mit der Binary Domain punktet. Eine überraschende Szene gleich zu Beginn zeigt die Stärken der Handlung und der routinierten Regisseure: In der Momentaufnahme gelingen ihnen trotz der technischen Schwächen überzeugende Gesichter in glaubwürdigen Dialogen. Manches Blinzeln wirkt so echt, dass man den Schauspieler hinter der digitalen Maske erkennt, einige Sequenzen würden selbst auf der Leinwand funktionieren und im Finale ziehen die Autoren endlich alle Register. Die spielerische Dramaturgie hält das Tempo so hoch, dass man ihr die zahllosen Roboter-Schlangen beinahe nachsieht. Und der erzählerische Kniff kurz vor Schluss ist so gelungen, dass er die plumpen Charakterzeichnungen fast vergessen macht.

Fazit

Schade, dass Dan seine Mitstreiter nicht taktisch delegieren kann. Schade, dass er tausende Patronen in einfältigen Metallgerippen versenken muss. Schade, dass er und seine Begleiter pubertäre Jugendsprache zitieren. Schade, dass sich das Beziehungsgeflecht auf ein oberflächliches Ja/Nein-Spiel beschränkt. Schade, dass Binary Domain alles sein will - aber nur die Hälfte sein kann. Vielleicht hätte es die gute Spracherkennung opfern sollen, um wichtige Aspekte zu stärken. Denn dort, wo es die Action eines Gears of War nachahmt, fehlt ihm die grafische Wucht der Moderne. Ihm fehlen taktische Feinheiten, die mehr verlangen als den Schuss aus der Deckung und gelegentliche Stellungswechsel. Und ihm fehlt die spannende Erzählweise abseits japanischer und westlicher Klischeekisten. Dabei ist es gerade die Verbindung von Ost und West, die es am stärksten macht. Denn wann immer es den Deckungskampf verlässt und ein Gefecht gegen gigantische oder blitzschnelle Roboter inszeniert, entsteht ein packender Showdown. Wann immer eine Verfolgungsjagd den monotonen Kugelhagel unterbricht, gewinnt die Action an Schwung. Und wenn die japanischen Autoren schließlich ihre Geschichte erzählen dürfen, wächst sie endlich über "Gears of Blade Runner" hinaus. Binary Domain verbindet die japanische Qualität des Bosskampfes mit der westlichen Schule des modernen Shooters. Schade, dass die fernöstliche Spielekunst gerade deshalb verwässert wird.

Wertung

360

Binary Domain verbindet die moderne Action des Westens mit japanischer Bosskampf-Kunst - und schwebt am Ende zwischen allen Stühlen.

PlayStation3

Binary Domain verbindet die moderne Action des Westens mit japanischer Bosskampf-Kunst - und schwebt am Ende zwischen allen Stühlen.

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