Im Test:
Mit dem Reboot von Tomb Raider meldete sich Lara Croft im letzten Jahr eindrucksvoll zurück – zumindest, was die technische Seite betrifft. Vor allem am PC zauberte die neue Engine von Crystal Dynamics prächtige Kulissen und eine traumhaft modellierte Protagonistin auf den Bildschirm. Und Haare! Mit der definitiven Edition will Square-Enix jetzt auch auf der PS4 und Xbox One den technischen Fortschritt der neuen gegenüber der alten Konsolengeneration demonstrieren.
Inhaltlich ist die Edition identisch zu dem Tomb Raider, das vor knapp einem Jahr auf 360, PS3 und PC veröffentlicht wurde – mal abgesehen von DLC-Inhalten wie alternativen Outfits und Mehrspielerkarten, die bereits Bestandteil der Neuauflage sind. Deshalb verweise ich an dieser Stelle auf Jörgs Test, in der alle nötigen Infos zum Spielablauf, der Dramaturgie und Mechaniken enthält. Gleichzeitig sind die identischen Inhalte ein erster Kritikpunkt an der Definitive Edition: Warum wurde die Chance nicht genutzt, die ständigen Einblendungen zu reduzieren und den Spielern ähnlich Thief 3 mehr individuelle Anpassungen am HUD zu erlauben? Warum wurde der magere Erkundungs- und Rätselanteil nicht weiter ausgebaut? Warum wurde die KI der Widersacher nicht aufgepeppt? Es hätte mehr als genug Baustellen gegeben, um Tomb Raider auch abseits der Technik zu optimieren, doch haben Square Enix, Crystal Dynamics und die mit der Umsetzung betrauten Studios United Front Games (Xbox One, Sleeping Dogs) und Nixxes (PS4, u.a. PC-Umsetzung von Deus Ex: Human Revolution) die Chance vertan, inhaltliche Schwachpunkte zu verbessern.
Höhere Bildrate, schärfere Texturen, tolle Haare: Die Definitive Edition legt technisch zu, übertrifft aber nicht den PC.
Stattdessen konzentrierten sich die Entwickler voll auf die technischen Aspekte und nutzten die Power der beiden neuen Konsolen, um das visuelle Erlebnis näher an das PC-Vorbild heran zu bringen. Neben den höher aufgelösten Texturen springt vor allem die Nutzung von TressFX ins Auge – also die gleiche Technik, die schon am PC für Laras eindrucksvolle Haarpracht gesorgt hat. Strähnen und der typische Pferdeschwanz bewegen sich hier physikalisch mehr oder weniger korrekt, sei es durch Bewegungen oder Einflüsse wie Wind und Wetter. Auch bei mitgeführten Objekten wie dem Bogen oder der Axt zeigen sich jetzt die Auswirkungen der Kräfte. Zusätzlich verändert sich das Aussehen des Lara-Modells dynamisch: Matsch und Blut lassen Crofts Kleidung und Körper zunehmend verschmutzen, während bei Regen oder anderen feuchten Besuchen nicht nur die Klamotten nass werden. Die Tropfen kullern auch langsam über ihre Haut und nach einem kleinen Bad wird der ganze zuvor aufgenommene Dreck wieder abgewaschen. Ein schickes optisches Feature. Die Anpassungen an Laras Gesicht sind dagegen Geschmackssache: Zwar werden dank der erweiterten Mimik manche Sequenzen bereichert, doch die neue, etwas rundlichere Gesichtsform ist zusammen mit der veränderten Augenpartie ein Streitpunkt. Schönheit liegt im Auge des Betrachters – mir persönlich hat die alte neue Lara mit ihrer etwas kantigeren Gesichtszügen jedenfalls besser gefallen.
Doch was die Kulisse betrifft, haben die neuen Konsolen eindeutig die Nase vorne, obwohl Tomb Raider schon auf PS3 und 360 eine exzellente Figur gemacht hat und man das Niveau der PC-Fassung nicht ganz erreicht. Dank höherer Details und mehr Bewegung der Fauna zieht mich die Insel auf jeden Fall noch mehr in ihren Bann, während die Beleuchtung zusammen mit der druckvollen Klangabmischung ebenfalls zur Atmosphäre beitragen.
Laras Gesicht bekam ebenfalls eine Schönheitsoperation spendiert - mit streitbarem Ergebnis.
Auf Standbildern wird man vermutlich kaum einen Unterschied zwischen beiden Versionen bemerken, auch wenn auf der Xbox One die eine oder andere Textur nicht ganz so knackscharf wirkt wie auf der PS4. Anders sieht es bei der Bildrate aus: Wie schon in den News ausgebreitet läuft Tomb Raider auf der Sony-Konsole insgesamt deutlich runder und die Bildrate bewegt sich in Regionen zwischen 45 und 60 Bildern pro Sekunde. Auf der Xbox One lässt es Lara dagegen etwas langsamer angehen und muss sogar schmerzhafte Einbrüche in Kauf nehmen, bei der die Action unter die 30fps-Marke fällt. Dies wirkt sich auch auf die Steuerung aus: Auf der PS4 hat man das Gefühl, als würde die angehende Archäologin flotter auf die Eingaben reagieren, sodass Tomb Raider auf der PlayStation nicht nur grafisch besser flutscht, sondern sich auch angenehmer spielen lässt.
Abgesehen vom neuen Modell und technischen Verbesserungen hat man sich weitere Extras für die definitive Edition ausgedacht, um den Titel stärker an die individuellen Möglichkeiten der beiden Plattformen anzupassen. So wird sowohl auf der PS4 als auch der Xbox One eine optionale Sprachsteuerung angeboten, mit der man z.B. die Karte aufruft oder Waffen wechselt. Außerdem kommt auf beiden Plattformen Gesten- bzw. Motion-Kontrolle zum Einsatz, wenn man es denn möchte.
Die Bildrate ist auf der PS4 durchschnittlich höher als auf der Xbox One.
Der PS4-Controller hat es den Entwicklern wohl besonders angetan: So werden Funksprüche, Tagebucheinträge und ausgewählte Umgebungsgeräusche zusätzlich über den integrierten Lautsprecher wiedergegeben, falls man die entsprechende Option aktiviert. Ein gelungener Zusatz, der die Immersion tatsächlich steigern kann und einmal mehr die erstaunlich gute Klangqualität der Mini-Box unter Beweis stellt. Auch die Beleuchtung an der Front wird ausgiebig genutzt: In Schussgefechten flackert das Lämpchen z.B. ständig rot auf, um eine Art „Ambilight“ im kleinen Format zu erschaffen. Leider lässt sich ausgerechnet diese Funktion nicht auf Wunsch abschalten. Als jemand, der gerne in einem dunklen Raum und im Idealfall am Beamer spielt, empfinde ich das Flackern und Leuchten eher als nervig und würde gerne auf dieses Feature verzichten.
Auf der Xbox One hat man es leider nicht geschafft, die Möglichkeiten des Controllers komplett auszunutzen. Dass Kinect unterstützt wird, ist zwar eine nette Beigabe, doch hätte mir die Unterstützung und Einbindung der Impulse Trigger mehr Freude bereitet.
Fazit
Bei der Definitive Edition von Tomb Raider fühle ich mich so, als würde ich mir die Blu-ray von einer vormals klasse gemasterten DVD anschauen. Alles ist einen Tick schärfer, es läuft ein bisschen runder und sieht einfach besser aus – mit Ausnahme des neuen Lara-Modells, aber das ist Geschmackssache. Leider hat man die Chance vertan, die neue Edition als Director's Cut aufzuziehen, bei dem man neben den technischen auch inhaltliche Verbesserungen hätte angehen können. Damit wäre ich als Besitzer des Originals auch eher bereit gewesen, den Vollpreis zu zahlen. So aber würde ich es nicht einsehen, für ein rein technisches Upgrade und ein paar Controller-Spielereien erneut tief in die Tasche zu greifen. Zumal die Technik auch nicht so rund läuft wie erhofft: Vor allem auf der Xbox One rutscht die Bildrate in manchen Situationen unter die 30fps-Marke, doch auch auf der PS4 ist nicht alles perfekt, obwohl die Darstellung insgesamt besser ist als auf der Microsoft-Konsole und gleichzeitig auch die Steuerung flotter reagiert. Wer beide Systeme sein Eigen nennt, sollte also lieber zur PS4-Fassung greifen.
Pro
add_circle_outline sehr guter Einstieg
add_circle_outline Story und Schauplatz machen neugierig
add_circle_outline erstklassige, abwechslungsreiche Kulisse
add_circle_outline gute deutsche Lokalisierung, gute Dialoge
add_circle_outline Lara wirkt als Figur authentischer
add_circle_outline klasse Kameraperspektiven
add_circle_outline einige physikalische Rätsel & Hindernisse
add_circle_outline Fähigkeiten und Waffen verbessern
add_circle_outline dank besser Ausrüstung in Gebiete zurückkehren
add_circle_outline gute Tagebücher & Rückblicke verweben Story
add_circle_outline 3D-Schätze untersuchen und Hinweise finden
add_circle_outline spielerisch starkes letztes Drittel
add_circle_outline diverse Multiplayermodi für bis zu acht Spieler
add_circle_outline hübschere Kulisse, höhere Bildrate & feinere Haardarstellung
add_circle_outline optionale Extras (Gesten- und Sprachsteuerung, Pad-Lautsprecher)
add_circle_outline DLC-Pakete enthalten
Kontra
remove_circle_outline Survivalaspekte sind überflüssiges Blendwerk
remove_circle_outline Story mit einigen Löchern und Stolpersteinen
remove_circle_outline penetrantes Aufblinken von Freischaltungen
remove_circle_outline schrecklich schwache KI-Gegner
remove_circle_outline Kraxelei fehlt situative Spannung
remove_circle_outline wenig große Rätsel-/Erkundungshöhlen
remove_circle_outline Lara mutiert zu schnell zur Killermaschine
remove_circle_outline Spielmitte gleicht Pazifikkrieg mit Dauerexplosionen
remove_circle_outline überfrachtetes bis nerviges Sammel
remove_circle_outline & Freischaltprinzip
remove_circle_outline Fähigkeitensystem überflüssig, keine echte Spezialisierung
remove_circle_outline Schätze & Artefakte werden nicht motivierend genug integriert
remove_circle_outline kein Tauchen
remove_circle_outline Chance auf inhaltliche Anpassungen wurde vertan
remove_circle_outline Vollpreis
Wertung