Im Test:
Der moderne Western
Wie konnte Techland nur? Call of Juarez war trotz Schwächen ein hervorragender Western, Bound in Blood eine zumindest stimmungsvolle Fortsetzung - und mit The Cartel rammen die Entwickler einen fetten Pflock in die Herzen ihrer Fans. Sie behaupten zwar, ihr Spiel hätte mit den Schauplätzen Kalifornien und Mexiko, mit der gesetzlosen Welt, in der es spielt, mit dem Gefühl von Freiheit und dem erwachsenen Humor alle Zutaten eines echten Westerns. Tatsächlich spielen Zeitgefühl und Kulissen aber eine verdammt wichtige Rolle, die hier einfach übergangen wird. Klar führt einen die Geschichte um einen Drogenkrieg irgendwann nach Mexiko. Techland lässt es sich auch nicht nehmen, ein paar aus den Vorgängern bekannte Kulissen zu recyceln. Aber immer dort, wenn ein Jeep vor dem Saloon parkt oder ein Hubschrauber über das Anwesen donnert, ist „wilder Westen“ nur noch eine topografische Bezeichnung. Und Jeeps und Hubschrauber gibt es in diesem „Western“ leider an allen Ecken und Enden.
Gut: Die harten Sprüche, mit denen hantieren die drei Protagonisten wie ein Jongleur mit Kegeln. Immer und immer und immer wieder markiert die FBI-Agentin den harten Mann, gibt sich der schmierige DEA-Mann betont lässig und entfährt dem knallharten Cop Benjamin McCall ein knurrendes „Fahr zur Hölle!“. Humor konnte ich allerdings nirgendwo ausmachen, „erwachsen“ sind die pubertären Klischee-Verschnitte schon gar nicht. Natürlich ist Ben übrigens ein entfernter Verwandter der McCalls aus den Vorgängern. Und selbstverständlich spielt das überhaupt keine Rolle – der Bezug ist reiner Selbstzweck. Das gilt auch für die Handlung: Die drei Staatsdiener sollen als eine Art Spezialkommando ein Attentat aufklären, was sie auf die Spur eines, nun, Kartells führt.
Spürhunde
Dabei könnte die gewöhnliche Geschichte sogar interessant sein, denn alle drei Charaktere erleben sie aus einer anderen Perspektive. Das heißt, sie verfolgen zwar dieselben Bösewichte, übers Handy werden ihnen aber Informationen über die beiden Partner zugespielt, die nur der Anrufer hören kann. Leider heißt das nicht, dass sich die Wege des Trios auch mal trennen. Stattdessen laufen sie bis auf zwei kurze Ausnahmen durch dieselben engen Gassen und sehen sich gegenseitig dabei zu, wie sie oft gleichzeitig einen Anruf mit neuen Informationen erhalten - schwach. Noch schwächer sind kleine Bonusziele, die ihnen ebenfalls per Anruf zugeteilt werden, denn dabei handelt es sich um nichts weiter als banale Sammelaufgaben. Einziger Haken: Die Partner dürfen das Aufsammeln nicht beobachten, weil es sich um das heimliche Entfernen von Beweisen oder Geld handelt. Also rennt man stur drauflos, sobald man das deutlich eingeblendete „Hier steckt ein Geheimnis“-Symbol erblickt, um schnell und ungesehen dort anzukommen.
Der Anblick täuscht: Duelle gibt es in diesem Westen nicht. |
Vom Spiel gesteuerte Partner stehen jedoch gerne direkt vor dem Objekt der Begierde, weshalb man am besten auf ein packendes Feuergefecht wartet, um sich heimlich davon zu schleichen... Schade: Was clevere Geheimniskrämerei sein könnte, verkommt so zum tumben Such-und-Find-Spiel. Warum gibt es nicht noch andere Bonusaufgaben und wieso werden sie nicht mit jedem Spiel zufällig verteilt? Das hätte das gemeinsame Erleben der Kampagne mit bis zu zwei Online-Partnern zum spannenden „Wer plant wohl was?“ machen können!
Nein, spannend ist dieser „Dreier“ leider nicht. Natürlich ist es besser, zu dritt in den Kampf zu ziehen! Dem Unterhaltungswert eines Spiels tut das immer gut. Und immerhin warten immer wieder Herausforderungen wie das Erzielen der besten Trefferquote oder das Anrichten des größten Schadens. Dennoch wird aus der drögen Action kein Kracher. Dazu verhalten sich die Gegner zu einfältig, selbst laute Explosionen krachen nur verhalten, Munition ist niemals knapp und die gelegentliche Zeitlupe wirkt im dritten Call of Juarez sogar aufgesetzt. Symbolisierte der verlangsamte Ablauf in den Vorgängern noch die Lucky Luke-Fähigkeiten der Helden, ist sie diesmal nur ein zum Selbstzweck aufgesetztes Stilmittel. Ohnehin fehlt den Schnellfeuerpistolen der Moderne der knorrige Charme langsamer Western-Kolben, von schnöden MGs ganz zu schweigen.
Hilfe!
Menschliche Partner können sich übrigens gegenseitig auf die Beine helfen, wenn ein Kumpel zu Boden geht. Das Spiel übernimmt hingegen die Steuerung aller nicht besetzten Figuren, Erste Hilfe beherrscht die KI aber nicht. Vielleicht liegt’s am generellen Intelligenzquotienten - allzu geschickt verhalten sich die Begleiter jedenfalls nicht. Sie laufen wenige Zentimeter an einem Feind vorbei, sind ohnehin kaum eine Hilfe und verursachen Fehler, die den Entwicklern hätten auffallen müssen. So kann es z.B. passieren, dass man durch eine Tür in eine menschenleere Lagerhalle tritt. Dort kann man minutenlang herumstöbern – doch erst wenn die Partner am Eingang stehen und man nach ihnen noch einmal durch die Tür geht, schaut man auf einmal etlichen Gewehrläufen entgegen. Gelegentlich tauchen die Kollegen auch buchstäblich aus dem Nichts vor dem Spieler auf.
Apropos Fehler: Es gibt Türen, die führen aus dem Level hinaus. Es kann passieren, dass man einen der 15 Abschnitte von vorne beginnen muss, weil das Spiel nach dem Laden des letzten Speicherpunkts keine Skripte mehr abspielt. Auf der PS3 kommt das Spiel immer wieder kurz ins Stocken. Ich wollte aus einem Auto aussteigen, als das Auto samt mir etwa zehn Meter zurück gezogen wurde, weil ich es laut „Drehplan“ am falschen Fleck abgestellt hatte. Die Verfolgungsjagd zu Beginn des Spiels muss man später wiederholen -
Erst spät findet das Trio nach Mexiko. Zuvor muss es sich mit dem tristen Los Angeles zufrieden geben. |
doch obwohl es dieselbe Szene ist, wird sie deutlich anders inszeniert. Und irgendwie hat ein Entwickler bei der letzten Kontrolle wohl vergessen, den ausgesprochen hässlichen Lückenfüller durch das vermutlich totschicke Hauptmenü zu ersetzen…
Fingerübung für Untote?
Was soll’s: The Cartel ist ohnehin kein Hingucker. Der größte Unterschied zwischen der im Vorgänger verwendeten Chrome Engine 4 und der diesmal eingesetzten Chrome Engine 5 ist die Zahl im Namen. Tatsächlich fällt es verdammt schwer, markante Unterschiede auszumachen. Der einzig nennenswerte ist die große Anzahl gleichzeitig dargestellter Figuren. Ob Techland schon mal für Dead Island probt? Zu allem Überfluss gleichen sich sämtliche Straßenzüge des hier gezeigten Los Angeles' so sehr, dass man ständig das Gefühl hat, quasi am Fleck zu stehen. Und leider verbringt das Trio einen Großteil seiner Zeit in der Stadt der Engel. Nur die Kulissen des späteren Mexiko versprühen ein wenig Esprit, weil sie dem europäischen Auge exotisch erscheinen.
Um spielerische Abwechslung sind immerhin Verfolgungsjagden bemüht, für die man sich hinter die Lenkräder dicker SUVs zwängt. Auf Knopfdruck duckt man sich dabei besonders tief unters Lenkrad – das Verstecken hinter dem Armaturenbrett hat sogar ein bisschen was von einem coolen Film! Leider wird man in dieser Position immer noch getroffen, während man die Straße gerade gut genug einsehen kann, um praktisch die gesamte Fahrt über diese Stellung zu halten. Der spannende Kick „In Deckung gehen oder weiterfahren?“ ist deshalb schnell dahin. Eine andere Idee setzt Techland konsequenter um: Wer in dem einzigen kompetitiven Mehrspieler-Modus als Polizist oder Gangster kämpft, darf sich einen Partner aussuchen. Bestätigt der gewünschte Spieler die Partnerschaft, sollte man von da an Seite an Seite kämpfen, denn nur so ist man stärker als Einzelgänger. Ein cleverer Einfall - der das ansonsten gewöhnliche Onlinegefecht allerdings nicht zum Highlight macht.
Fazit
Oder war es gar Techland selbst, das sich mit einer Schnellschuss-Fortsetzung der namhaften Serie ein paar Kröten für die Dead Island-Entwicklung sichern wollte? Nach mehr sieht das Call of Juarez, das keins mehr ist, jedenfalls nicht aus: Man rennt durch die überall gleich aussehenden Viertel eines öden Los Angeles', ärgert sich über das lieblose Recycling einiger Abschnitte aus den Vorgängern und ist froh, wenn der Spuk im halbwegs schicken Mexiko endlich ein Ende hat. Man ballert in Zeitlupe oder zweihändig, vermisst den Rumms einer zeitgemäßen Inszenierung und kann über die ständig brüllenden und fluchenden C-Film-Akteure nur staunen. Dass The Cartel auch noch mit technischen Fehlern kämpft, passt da nur ins Bild. Es hat ja was für sich, sich erstens gedankenlos und zweitens zu dritt an den peinlichen Filmszenen vorbei zu ballern. Und das Team Deathmatch macht mit seinem Partnerkampf sogar mal richtig Laune. Die überschaubaren Verhaltensmuster von Gegnern und Begleitern, die banale Heimlichtuerei beim Aufsammeln von Bonusgegenständen und das monotone Sprinten durch spielerisch einfallslose Kulissen - das alles schreit aber einfach: „Hallo, ich bin ein Ballerbaukasten vom Levelfließband und heiße wie ein großes Spiel!“ Dabei ist es so klein.
Pro
Kontra
Wertung
360
Der Wilde Westen war gestern: Inhaltlich und spielerisch ist von den stimmungsvollen Vorgängern kaum etwas übrig. Schade um den guten Namen!
PlayStation3
Der Wilde Westen war gestern: Inhaltlich und spielerisch ist von den stimmungsvollen Vorgängern kaum etwas übrig. Schade um den guten Namen!
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