Amy13.01.2012, Jörg Luibl
Amy

Im Test:

Das Grauen zieht Menschen magisch an – egal ob in Büchern, Filmen oder Spielen. Die Gänsehaut der leisen Töne hat es allerdings schwer in einer digitalen Welt, die gerne brachial zerfetzt. Doch neben diesem spektakulären Terror, der in Resident Evil 5 oder in Dead Space 2 wütete, gab es auch immer subtilen Horror wie etwa in Silent Hill oder in Amnesia. Ein kleines Spiel namens Amy will mit kreativen Ideen an diese Tradition anknüpfen. Gelingt der Nervenkitzel zum Sparpreis?

Wenn der Geduldsfaden…

…reißt: Ich schaue auf einen Rock, dann auf eine verschmutzte Strumpfhose. Schon wieder. Zum x-ten Mal. Denn Lana steigt eine Treppe hinab. Eben ist sie ja hinauf gestiegen. Elendig langsam fängt die Kamera jeden vorsichtigen Schritt ihrer Stöckelschuhe ein. Und das, obwohl die Welt um sie herum gerade im blutigen Chaos versinkt. Obwohl der Tod mit jeder Sekunde lauter an ihr Immunsystem klopft. Obwohl sie die Panik vor all den Monstern immer zur Eile zwingen müsste. Obwohl da draußen ein kleines Mädchen auf sie wartet. Aber nein - sie stakst seelenruhig hinab.  Warum zieht sie die High Heels nicht aus? Warum bricht sie die Stöckel nicht ab?

Was ist bloß in die Entwickler gefahren, dass sie mir diese langweilige Kletterei so oft aufzwingen, ohne dass ich sie abbrechen kann (nur die Zwischensequenzen kann man nach einem ersten Update vorzeitig beenden)? Diese schlecht designte Szene ist symptomatisch für ein Spiel, das ich aufgrund seines emotionalen und kooperativen Potenzials eigentlich

Die Technik:

Pro

+ solide Mimik & gutes Figurendesign

+ stimmungsvolle Kulissen

+ ansehnliche Verwandlungsszenen

+ sehr gute Soundeffekte

Kontra:

- Tearing & Ruckler

- nur simple Kampfanimationen

- schwache Texturen im Detail

- zwischendurch Soundprobleme lieben will. Wenn ich mit einem zitternden Mädchen an der Hand vor einem Monstrum fliehe, in letzter Sekunde in einem Schrank eine Zuflucht finde, während die Kreatur schnaufend nach ihren Opfern sucht und im Spiegel erkennbar ist, wie sie immer näher kommt, ist Gänsehaut garantiert. Das ist ein starker Moment!

Die Angst im Schrank

Aber es gibt so viele schwache. Amy inszeniert einen Horrortrip, der leider öfter frustriert als fasziniert. Die Steuerung aus der Schulterperspektive ist zu träge, interessante Gegenstände werden manchmal zu spät angezeigt, das Inventar ist zu oberflächlich designt, es  kommt immer wieder dazu, dass Befehle nicht sauber ausgeführt werden und man muss zu viel Trial & Error ertragen - sprich: Man braucht sehr viel Geduld, wenn man in einen Fluss kommen will. Warum ich mir dann noch weiter den Kopf zerbreche? Weil das Spiel wie ein ungeschliffener Horrordiamant wirkt. Der Survival-Horror braucht dringend diese Impulse, die hier ab und zu aufblitzen. Und in Amy sprach alles dafür, dass Paul Cuisset nach Flashback (1988) wieder etwas Bemerkenswertes gelingt – nicht erzählerisch, aber dramaturgisch hinsichtlich der Beziehung und Bindung zweier Charaktere.

In der Rolle der zwanzigjährigen Lana kämpft man zusammen mit der achtjährigen Amy im Westen der USA ums Überleben. Der fiktive Hintergrund des Jahres 2034 mutet

Im Kampf kann Lana entweder einfach zuschlagen oder ausweichen; Waffen nutzen sich mit der Zeit ab.
Im Kampf kann Lana entweder einfach zuschlagen oder ausweichen; Waffen nutzen sich mit der Zeit ab.
zunächst wenig aufregend an: Es sind schon wieder Viren, die nach einem Kometeneinschlag aus Menschen wandelnde Monster machen – guten Morgen ihr Zombies, auch schon wieder wach? Die Comics und die TV-Serie zu The Walking Dead demonstrieren ja aktuell, wie man dem überlaufenen Thema mit einem guten Drehbuch frische Faszination abgewinnen kann. Daran kann das Drehbuch von Amy mit seinen fünf Kapiteln zwar bei weitem nicht anknüpfen, aber man wird durchaus neugierig auf die Geschehnisse in der Kleinstadt Silver City und an der einen oder anderen Stelle überrascht. Die englischen Sprecher (man kann deutsche Untertitel aktivieren) sind solide, auch wenn die Dialoge manchmal seltsam hallen. Man vermisst jedoch recht früh ein Tagebuch, das die Hintergründe der Protagonisten und auch die Storyfetzen zusammen fasst – stattdessen kann man alte Zeitungen, die etwas über die Ereignisse informieren, noch nicht mal in einem Inventar verstauen, um sie später zu lesen. Schade, da war mehr drin!

Die Schicksalsgemeinschaft

Lana legt sich mächtig ins Zeug, um der kleinen Amy zu helfen –  sie lässt sich weder am Telefon einschüchtern noch von mutierten Fratzen ängstigen. Sie wirkt trotz der High Heels nicht wie ein 08/15-Babe, sondern wie eine engagierte Frau, sie fühlt mit, sie hilft, sie riskiert ihr Leben. Und all das, obwohl sie selbst in größter Gefahr ist - die kann man noch in drei Schwierigkeitsgraden anpassen. Man schlüpft in ihre Rolle und nimmt sie ihr ab, wenn man mit dem Mädchen an der Hand dem Grauen trotzt. Meist verbirgt sich hinter Kooperation in Videospielen nur der gemeinsame Kampf. Der eine haut, der andere sticht. Der eine rennt, der andere deckt. Es geht um das rein taktische Zusammenarbeiten, um ein roboterhaftes Zweckbündnis mit mechanischen Befehlen.

Die gibt es zwar auch hier, denn man kann Amy sagen, dass sie irgendwo stehen bleiben, dass sie sich verstecken, dass sie her kommen oder einen Hebel bedienen soll – was leider zu oft, zu durchschaubar, zu träge wiederholt wird. Wenn man das x-te Mal einen Schalter bedient, unter einen Schreibtisch kriecht oder Amy durch einen schmalen Durchgang lotst, damit sie in dem Raum dahinter etwas aktiviert, schleicht sich Routine ein. Aber viel zu selten können Abenteuer eine Bindung zwischen Spieler und Figur aufbauen wie etwa ICO (2002). Dort hatte man Yordas Furcht regelrecht gespürt, man hat sich Sorgen um sie gemacht, konnte sie an die Hand nehmen und mit ihr vor der Gefahr fliehen. Wie wenig hat sich seit einem Jahrzehnt auf diesem Gebiet getan! Und deshalb muss ich Amy trotz all seiner Schwächen für dieses sträflich vernachlässigte Element loben.

Die Angst von Amy ist immer sichtbar.
Die Angst von Amy ist immer sichtbar. Man steuert beide Figuren zusammen; es gibt keinen Koop-Modus für zwei Spieler.

Die emotionale Beziehung

Paul Cuisset und sein Team von Vector Cell inszenieren das Verhältnis zwischen Spieler und Amy sowie die Emotionen des rätselhaften Mädchens zwar nicht immer konsequent, manchmal zu statisch, aber dennoch sehr glaubwürdig und besser als viele andere Spiele. Die Kleine zeigt ihre Angst, indem sie zittert oder verschreckt nach dem Anblick einer Leiche zurück taumelt. Sie rennt sogar weg, wenn sie sich unwohl fühlt und läuft nicht wie ein Roboter hinter Lana her. Im Gegenteil: Sie braucht ihre Unterstützung, um das Grauen um sie herum zu überstehen. Wenn man Amy beruhigen will, muss man ihre Hand nehmen und spürt dabei ihren Herzschlag, der bei großer Gefahr über den Rumble-Effekt

Dieses Spiel setzt trotz einiger Actionmomente eher auf clevere Erkundung und Ablenkung.
Dieses Spiel setzt trotz einiger Actionmomente eher auf clevere Erkundung und Ablenkung.
des Controllers  stärker wird  – eine klasse Idee!

Das sorgt für Spannung, denn die Hilfe beruht auf Gegenseitigkeit.  Hinzu kommt nämlich, dass man als Spieler selbst mit der Gefahr der Verwandlung leben muss, die scheinbar nur Amy kurzfristig bannen kann. In der Haut von Lana wütet bereits der Virus: Sie ist schon infiziert. Wenn sie kontaminierten Gebieten (es gibt drei Gefahrenzonen, die auf ihrem Rücken farbig angezeigt werden) zu lange ohne Amy ausgesetzt ist, verwandelt sie sich rasend schnell in einen Zombie. Man kann quasi im Sekundentakt beobachten, wie ihre Venen anschwillen, wie ihre Augen glasiger und ihre Bewegungen starrer werden. Und dann nimmt man die Welt auch durch ihre Augen wahr - wabernd, unscharf, unheimlich. Der spielerische Vorteil: Man kann sich so ohne aufzufallen unter anderen Zombies bewegen. Der Nachteil: Ist man zu lange ohne Amy oder rettende Spritzen mit einem Gegenmittel  unterwegs, stirbt man.

Tragisches Duo

So bewegt sich das tragisch verbundene Duo langsam durch eine bedrohliche Welt, in der nicht nur Zombies, sondern auch Spezialeinheiten lauern. Warum sollen sie alle Überlebenden exekutieren? Während man durch verminte Flure streift und Sicherheitstüren öffnet, indem man DNS-Proben scannt, kann man sich darüber Gedanken machen. Das Abenteuer lebt auch vom akustischem Grusel, der zwar nur ansatzweise musikalisch an Silent Hill erinnert, aber durchaus seine Momente hat. Manchmal reißt einen ein schrilles Kreischen oder ekelhaftes Schmatzen aus dem Trott und Lana schreckt zurück. Allerdings wird auch das auf lange Sicht zu plump wiederholt.

Man sollte sich schleichend und vorsichtig bewegen, die Routen der Zombies ausspähen, unter Sichtlinien vorwärts kriechen und auf Kleinigkeiten wie Glas achten, das bei Betreten verräterisch knirscht. Die Interaktion mit Amy ist zwingend notwendig: Man kann ihr sagen, dass sie in schmale Schächte kriechen soll, um in verschlossene Räume zu gelangen. Dann ist Lana natürlich in großer Gefahr zum Zombie zu mutieren und muss schnell in die Nähe der Kleinen. Amy bleibt übrigens bei interessanten Gegenständen stehen und kann hacken. Aber ihre zentrale Fähigkeit liegt neben der passiven Heilung Lanas in ihren

Paul Cuisset

Der französische Spieldesigner ist kein Unbekannter: Der kreative Franzose ist seit mehr als zwanzig Jahren an zahlreichen Entwicklungen beteiligt, darunter Klassiker wie Space Harrier (1988), das grandiose Flashback (1992) oder das weniger bekannte Action-Rollenspiel Darkstone (1999). In jüngster Vergangenheit konnte er mit Spielen wie Mr. Slime (2008) keine markanten Duftmarken mehr hinterlassen -  mit Amy hätte er wieder etwas Besonderes in seiner Vita anbieten können. mystischen Kräften: Sie kann seltsame Zeichen an Wänden abmalen und damit Spezialaktionen wie eine Kugel der Stille oder eine Schockwelle auslösen. Erstere schluckt alle Geräusche, so dass man selbst über Glas laufen kann; Letztere kann Feinde zurückwerfen und Objekte zerstören.

Zu viel Trial & Error

Aber man wird zwischendurch immer wieder in Sackgassen manövriert. Nicht weil man in packenden Verfolgungen oder aufgrund von Sinnestäuschungen die Orientierung verliert, sondern weil das Spiel unnötig oft verwirrt. Ich verlange keine Hinweise zu Rätseln, aber eine klare Struktur. Warum gibt es z.B. keine Karte à la Silent Hill, die nicht sofort alles spoilert, sondern Schritt für Schritt unzugängliche Wege und offene Türen markiert? Schon im zweiten von fünf Kapiteln gibt es Situationen, in denen man wie blöd hin und her läuft, weil man nicht erkennen kann wo es weiter geht.

Und leider werden diese Phasen auch noch von Probieren und Scheitern geprägt: Zu oft muss man genau das machen, was die Entwickler wollen, um weiter zu kommen. Das ist zwischendurch nicht schlimm, aber wenn die Spielmechanik noch zickt und keine

Das Artdesign kann sich sehen lassen - hier ein Zombie aus der Nähe.
Das Artdesign kann sich sehen lassen - hier ein Zombie aus der Nähe.
Freiheiten zulässt, wird die ewige Wiederholung nervig. Warum muss der Einsatz der Spezialfähigkeiten so kompliziert sein? Warum muss das Verschieben einer Kiste so lange dauern? Warum entdeckt mich eine Wache, obwohl ich in einer Stillekugel laufe? Warum werde ich mal sofort erschossen, mal ignoriert? Hinzu kommt, dass die automatischen Speicherpunkte einfach zu weit auseinander liegen.

Ich habe selten so über Trial&Error geflucht wie in diesem Abenteuer, denn es wird irgendwann zur Qual – es hätte einfach mehr Toleranz für alternative Wege und Konsequenz hinsichtlich der wankelmütigen Ki-Routinen geben müssen. Da mahnt der erste Sidekick Marcello, dass er lieber vorgehen wird, aber als man darauf wartet, dass er endlich lostigert, bleibt er einfach stehen und folgt einem.

Fazit

Selten hat mich ein Abenteuer gleichzeitig so fasziniert und frustriert. Amy hat starke Momente, die eindrucksvoll demonstrieren, wie unterentwickelt die Spielwelt auf emotionaler Ebene ist - und genau das rettet es für mich gerade auf ein befriedigendes Niveau. Aber so sehr ich diesen subtilen Ansatz im Horror schätze, so wichtig gerade die Beziehung zwischen Figuren ist: Leider überwiegen letztlich die Momente des Ärgers über die Steuerung, die langatmige Inszenierung, die KI-Inkonsequenzen und zu viel Trial&Error. Das Fatale ist: Amy hatte so viel Potenzial! Es sprach alles dafür, dass Paul Cuisset nach Flashback (1988) wieder etwas Bemerkenswertes gelingt – vor allem dramaturgisch hinsichtlich der Beziehung und Bindung zweier Charaktere. Ich habe seinen Ansatz schon auf der gamescom gelobt. Und die Atmosphäre kann auch in der finalen Version überzeugen, obwohl der Einstieg im Zug recht plump wirkt  – da musste man noch eine Actionorgie befürchten. Es geht aber später hauptsächlich um die clevere Erkundung im Duo, um das Schleichen und Ablenken. Leider haben die Entwickler dieses kreative Spieldesign nicht konsequent zu Ende gedacht und so viele handwerkliche Fehler gemacht, dass einem häufiger der Geduldsfaden reißt als dass wirklich Gänsehaut aufkommt. Wie man subtilen Horror auch mit kleinen Mitteln viel besser inszenieren kann, zeigt Amnesia.

Wertung

360

Ein Horrortrip mit einigen starken, aber zu vielen schwachen Momenten - da war viel mehr drin!

PlayStation3

Emotional stark, tolle Koop-Momente, aber zu viele frustrierendes Trial & Error, Wiederholungen und Steuerungstücken - schade.

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