NHL 1214.09.2011, Jörg Luibl
NHL 12

Im Test:

Letztes Jahr konnte NHL 11 einen großen Sprung machen: Neues Physiksystem, neue Bullys, neue Bandentaktik, neue Dekes, neue Steuerungsfinessen, neue Modi inklusive Sammelkarten. Das Drumherum und vor allem das Spielgefühl wurden gegenüber NHL 10 (Wertung: 82%) so deutlich verbessert, dass die Puckjagd endlich wieder Gold erobern konnte. Gibt es dieses Jahr eine Steigerung?

Auf der Stelle skaten

Nein, gibt es nicht. Das sehr gute Spielgefühl gleicht auf den ersten, zweiten und dritten Blick dem des Vorgängers. Wer NHL 11 (Wertung: 86%) kennt, wird sich sofort heimisch auf dem Eis fühlen und sich angesichts all der vertrauten Mechanismen fragen: Was ist hier neu? Es gibt nämlich kaum relevante Steuerungsänderungen - egal ob im Angriff oder der Verteidigung, egal ob beim Deke oder beim Bodycheck. Und weder hinsichtlich der Mimik noch der Animationen bemerkt man relevante Unterschiede. Hat man überhaupt ein aktuelleres NHL im Schacht? Die Frage muss man sich stellen, wenn man dieses Vergleichsvideo zwischen den Boston Bruins und den Pittsburgh Penguins ansieht – die Lupe nicht vergessen.

Natürlich erkennt man an vielem Kleinkram am Rande, dass das NHL 12 (ab 4,90€ bei kaufen) ist: Das Boxcover wurde angepasst, man darf jetzt draußen bei Schnee spielen (auf dem „Heinz Field“ in Pittsburgh - sehr cool!) und Torhüter verlieren auf dem Eis schon mal ihre Handschuhe – bisher flogen ja nur Stöcke und Helme. Wie schon letztes Jahr erfreut man sich am taktischen Bully- und Bandenspiel, die beide nur leicht ergänzt wurden. Aber von einem neuen oder gar deutlich besseren Gefühl auf dem Eis ist keine Spur; ist ja auch nicht schlimm, denn das Alte bot ja klasse Eishockey. Aber es ist nicht so, dass es da keine Luft mehr nach oben gab: Einer der Kritikpunkte am Vorgänger, die fehlenden Finessen beim Passen, bleibt zusammen mit KI-Schwächen in der über weite Strecken noch immer sterilen Karriere weiterhin bestehen. Ruht sich Electronic Arts angesichts der geschlagenen Konkurrenz etwa aus?

Schlagschüsse 1.5

Vor dem Tor geht es etwas hektischer zu als in NHL 11 - mehr Abpraller, mehr Abdrängen, aber auch mehr Pfiffe wegen Fouls am Goalie.
Vor dem Tor geht es etwas hektischer zu als in NHL 11 - mehr Abpraller, mehr Abdrängen, aber auch mehr Pfiffe wegen Fouls am Goalie.
Es hat sich schon etwas getan, aber das erkennt man erst nach längerer Zeit auf dem Eis. Es gibt z.B. etwas authentischere Kollisionen (aber immer noch Clippingfehler), das Tor kann aus seiner Verankerung gerissen werden, massige Verteidiger wie der Hüne Chara von den Boston Bruins können ihren Körper effizienter einsetzen (fallen aber bei manchen Checks von kleineren Centern noch zu leicht) und der Puck prallt etwas unberechenbarer nach Schlagschüssen ab (gleitet aber manchmal trotz optischem Hindernis seltsam unbeeindruckt weiter), was zu etwas mehr Hektik vor dem Tor führt. Die Goalies wirken präsenter auf dem Eis, sowohl hinsichtlich ihrer Animationen, aber auch ihres Einflusses (es nervt aber, dass KI-Stürmer so oft mit ihnen kollidieren, was sofort Strafminuten einbringt).

Was sollen all die nervigen Klammern? Sie sollen klar machen, dass die sichtbaren kleinen Schritte noch keine Schritte zur Perfektion sind und dass es für alle Zusätze eine Einschränkung gibt. Die neue „Full-Contact-Physik-Engine“ ist lange nicht so mächtig wie sie sich anhört. Es würde mich nicht wundern, wenn es in NHL 13 eine verbesserte „Real-Full-Contact-Physik-Engine“ gibt. Es ist also noch reichlich Luft nach oben, was Pässe, Bewegungen, Kollisionen und Vollkontakt angeht. Auch das Figurenverhalten kann nicht ohne Haken gelobt werden: Einerseits ist es schön, dass sich die Offensiv-KI besser freiskatet als letztes Jahr, bis hin zur optimalen Position für den jeweiligen Spielertyp – Scharfschützen lauern lieber etwas weiter hinten, Torjäger preschen für den Abstauber nach vorne.

Defensive Schwächen & Karriere

Aber dafür ist die Defensiv-KI inklusive Torwart im Be A Pro-Modus extrem anfällig für kurze Pässe vor dem Kasten – manchmal landet ein einfacher Pass in sicherer Spielsituation nicht sicher beim Verteidiger, sondern erst an dessen Stock und dann im Netz. Außerdem neigen die Torhüter in der Karriere zu seltsamen Pässen ins leere Eck und es kommt immer noch zu automatischen Reihenwechseln in so ungünstigen Situationen, dass daraus ärgerliche Tore und Niederlagen entstehen. Hier hat Electronic Arts noch viel Arbeit vor sich, denn der Be A Pro-Modus wirkt über weite Strecken immer noch zu steril.

Hört sich theoretisch gut an, mit Gretzky & Co zur Legende zu werden - ist aber praktisch zu steril.
Hört sich theoretisch gut an, mit Gretzky & Co zur Legende zu werden - ist aber praktisch zu steril.
Man hat lediglich seine Struktur und den Komfort etwas verbessert: Es gibt Matches über die volle Spielzeit, man kann nach seiner eigenen Auswechslung bis zum nächsten Einsatz vorspulen, es gibt detailliertes Feedback sowie klare Aufgaben für das eigene Spiel, die das Sammeln von Erfahrung etwas erleichtern. Apropos Karriere: NHL 12 hat sich bei unseren Spielen einige Male mitten in einer Saison verabschiedet – diese Abstürze gab es letztes Jahr nicht in dieser Häufung. Aber sie lassen sich auch nicht genau replizieren, so dass es bei einem sporadischen Ärgernis bleibt. Natürlich bietet das Spiel erneut so viel an Modi, dass man sich monatelang damit beschäftigen kann – von vorbildlichen Trainingsübungen über Play-Offs, Turniere und Saison und  bis hin zum Management. Man kann Kader auf Knopfdruck aktualisieren und auch die DEL ist neben anderen europäischen Ligen wieder dabei.

Leider will der Funke beim einzigen neuen Modus, dem der Legenden, nicht überspringen: Im Gegensatz zum kommenden NBA 2K12 verpasst es NHL nämlich, seine elf großen, nacheinander freizuspielenden Stars wie etwa Mario Lemieux oder Wayne Gretzky so zu inszenieren, dass ihre Karriere für einen Moment lebendig werden würde (etwa mit historischen Kommentaren oder Grafikfiltern) – man spielt im Grunde eine stinknormale Be A Pro-Karriere mit einer berühmten Polygonfigur; nur dass das Ganze "Be-A-Legend" heißt und als neues Feature verkauft wird. Schade, da war mehr drin!

Fazit

Es kracht, es scheppert, es rockt - das ist das aktuell beste Eishockeyspiel. Ist ja auch kein Wunder, denn die Konkurrenz von 2K Sports wurde vom Eis gefegt. Das lag nicht an den offiziellen Lizenzen, sondern an der stetig gesteigerten Qualität dieses Sportspiels: Die Entwickler trafen den Nerv der rasanten Puckjagd einfach immer besser. Ruht man sich jetzt im zweiten Jahr ohne Verfolger im Nacken aus? Denn im Gegensatz zu NHL 11, das sich gegenüber NHL 10 deutlich gesteigert hatte, muss man hier schon ganz genau hinschauen, um Fortschritte zu erkennen. Das Spielgefühl ist nahezu identisch, die Steuerung ist dieselbe, die Kulisse ebenfalls. Ja, die Torhüter werden aktiver integriert. Ja, die Kollisionsphysik wirkt etwas authentischer. Und ja, die Offensiv-KI skatet sich besser frei. Aber warum hat man nicht auch das Pass-System verfeinert? Warum gibt es so viele dämliche Rückpass-Tore der Defensiv-KI? Warum kann man den Einsatz der Dekes noch immer nicht gezielt trainieren? Warum ist gerade der neue Legenden-Modus so schrecklich langweilig? Und wieso kommt es zu sporadischen Abstürzen während Karriere und Saison? NHL inszeniert immer noch tollen Sport. Aber dieses Jahr skatet es so auf auf der Stelle, dass man nichts verpasst, wenn man den Vorgänger weiter spielt.

Pro

klasse Arena-Atmosphäre
bessere Torwarteinbindung
besserer Körpereinsatz beim Abdrängen
neues Spiel unter freiem Himmel
vielfältigere Kollisionen & Abpraller
leicht verbesserter Be A Pro-Modus
zig Online- & Offline-Spielmodi
sehr guter Netzcode

Kontra

Defensiv
& Torwart-KI mit dämlichen Patzern
man vermisst weitere Pass-Finessen
Be A Pro-Modus fehlen Emotionen
steriler neuer Be A Legend-Modus
Physik nicht immer ganz überzeugend
kein gedrucktes Handbuch mehr
sporadische Abstürze

Wertung

360

Tolles Eishockey, das allerdings auf der Stelle skatet: Die Unterschiede zu NHL 11 sind marginal.

PlayStation3

Immer noch das beste Eishockeyspiel, aber kaum spürbare Veränderungen gegenüber dem Vorjahr - man kann guten Gewissens bei NHL 11 bleiben.

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