Winter Stars18.11.2011, Benjamin Schmädig
Winter Stars

Im Test:

„Bitte bringt das Curling zurück“, schreibt der Schmädig vor genau zwei Jahren. Damals hatte 49Games seinen jährlichen Wintersport nämlich komplett umgekrempelt, aber das Stein-über-Eis-Schieben nicht mitgekrempelt. Curling... pft. Frauenversteher! Heute, zwei Ausgaben später ist die Schlaftablette jedenfalls wieder drin. Und? Ist er jetzt glücklich?

Das Spiel zur Fernsehübertragung?

„Faszination Curling“: Für viele ein Widerspruch in sich - für andere großes Taktikkino. So behäbig die geschliffenen Steine nämlich übers Eis rutschen, so sehr kommt es auf Präzision und Planung an, um am Ende mehr Steine als der Gegner im Zielkreis zu platzieren. Ein bisschen ist es wie langsames Snookern nach den Regeln des Schachs. Und ja, Curling ist cool! Nicht zum Zuschauen, aber zum Selberspielen. Und genau deshalb habe ich es zuletzt so vermisst.

Nun bildet EuroSport Winter Stars (ab 26,90€ bei kaufen) (die Serie hieß WinterSports, als sie noch unter RTL-Flagge firmierte) das Curling nicht als umfassende Simulation ab, aber das ist ohnehin nicht sein Anspruch. Schließlich wurden die elf Disziplinen, darunter die alpine Abfahrt, Skifliegen, Snowboard Cross, Bobfahren oder Biathlon, vor allem auf Kurzweil getrimmt. So hat man die Steuerung schnell durchschaut und ist nach einem Übungslauf schon wettbewerbsfähig. Ganz ähnlich wie bei der Olympiade von Mario & Sonic, nur dass dort der schnelle Einstieg und das vergnügte Quieken im gemeinsamen Wettstreit noch stärker im Vordergrund standen.

Denn 49Games geht das Thema eine Idee seriöser an: Die Disziplinen dauern länger als Segas Minispiel-Snacks und um eine Sportart zu meistern, braucht man mehr als zittrige Knopfdruckdaumen und Reaktionsschnelligkeit. Im Biathlon fährt man Hügel etwa mit besonderer Kraftanstrengung hinauf, gleitet in der Hocke hinunter, nutzt Adrenalinschübe zur Beschleunigung und muss natürlich am Schießstand bestehen. Andere Disziplinen fordern andere Finessen. So sind beim Snowboarden und auf dem Schneemobil kleine Tricks der Geschwindigkeit zuträglich, während es beim neuen Paraski auf eine gekonnte Mischung aus Fallschirmflug und Skifahren ankommt. Und obwohl auch in Winter Stars die flotte Unterhaltung im Vordergrund steht, sind Tempo und Dauer alle Wettbewerbe näher an der Fernsehübertragung.

Jake und seine Wachsfiguren

Apropos: Vor und nach jedem Wettkampf zeigen stimmungsvolle Einblendungen, wie sich die Athleten auf ihren Einsatz vorbereiten, wie sie auf Sieg oder Niederlagen reagieren, ein Kommentator erklärt Wissenswertes zum Sport und der Stadionmoderator kommentiert die Positionen der namentlich genannten Teams auf dem Siegertreppchen. Richtig sympathisch auch, wie der im nächsten Wettbewerb antretende Athlet im Gemeinschaftsraum aufsteht und bei seiner erfolgreichen Rückkehr die Kameraden abklatscht oder umarmt. Technisch ist die Sportspielsammlung natürlich kein FIFA und kein NBA 2K; vor allem die Gesichter aller Figuren scheinen einem PS2-Wachsfigurenkabinett entliehen.

Die elf Disziplinen

Neu sind das Curling sowie Paraski, bei dem ein Sportler mit dem Fallschirm kleinere Abhänge hinab gleitet, bevor er auf Skiern landet, um für den nächsten Abhang Schwung zu holen. Die Schneemobil-Rennen, der Neuzugang des vergangenen Jahres, sind ebenfalls dabei - genau wie die folgenden Disziplinen:

- Ski Alpine Abfahrt

- Ski Alpine Freeride

- Biathlon

- Eiskunstlauf

- Snowboard Cross

- Shorttrack

- Bobfahren

- Skifliegen Trotzdem verbreitet die liebevolle Präsentation eine sehr gemütliche Wintersport-Stimmung.

Und dann ist da Jake. Jake, der... genau erfährt man es nie, aber der Abfahrtsläufer gehörte offenbar einem starken Team an, bevor er bei einem Sturz auf die Pausetaste seiner Karriere krachte. Macht ja nichts: Als er zurück humpelt, hat sich der Großteil seines Teams zwar aus dem Staub gemacht, mit der restlichen Truppe macht er aber weiter. „Was ihnen an Erfahrung fehlt, machen sie durch Kampfgeist wett“, heißt es in der Beschreibung und so baut Jake aus unerfahrenen Jungsportlern eine Mannschaft auf, die irgendwann den großen Winterpokal holen soll.

Das ist kein Witz! Erstens: Die Vorgeschichte ist auch im Spiel so schnell erzählt, dass man sie kaum wahrnimmt. Und zweitens: Die Karriere dreht sich in der Tat um die beschriebene Handlung. Stück für Stück kommen neue Teammitglieder hinzu, entstehen Rivalitäten mit anderen Mannschaften - in belanglosen, zum Glück aber mit einer selbstbewussten Leichtigkeit erzählten Filmschnipseln. Schon die beiden Vorgänger wussten nicht nur, wie man feuchtfröhliche Abende begleitet, sondern konnten mich auch als Einzelspieler ansprechen... Hier, Sega, nimm ein Stück Abgeschnittenes für deine Hauptsache-Olympializenz-Serien!

Rollensportspieler

Und auch das kann offenbar nur 49Games: Zwischen den Wettbewerben wertet man - ebenfalls wie in den vergangenen zwei Ausgaben - verschiedene Eigenschaften auf für eine größere Geschwindigkeit, höhere Stilnoten oder eine bessere Balance auf dem Snowboard. Die Leistungssteigerungen wirken sich zwar in der Größenordnung einer Mikrobe aus, in späteren Turnieren sind voll ausgebildete Athleten aber durchaus im Vorteil. Blöd nur, dass es viel zu lange dauert, ehe man auf starke Kontrahenten trifft. Bis es soweit ist, ermüdet der anfängliche Schwung leider spürbar, zumal sich die elf Disziplinen ungemein schnell wiederholen.

Turniere und Herausforderungen wie das Sammeln von Münzen sind übrigens längst Teil einer einzigen Karriere. Gelegentlich muss man deshalb separate Aufgaben meistern, bevor die Geschichte weitergeht. In der verzweigten Laufbahn stehen dabei stets zwei oder mehr Aufgaben zur Auswahl.

Yes!
Nicht zuschauen - spielen!

Richtig gut gefällt mir auch nach wie vor die Fairplay-Idee, denn wer mehrere Rennen beendet, ohne sich mit den Ellbogen Vorfahrt zu verschaffen, freut sich über ein schnelleres Aufladen seines Adrenalinhaushalts. Dass man für das Erreichen bestimmter Erfolge wie das enge Anfahren von Alpin-Toren oder das Treffen aller Biathlon-Ziele zusätzliche Erfahrungspunkte erhält, spornt ebenfalls an.

Diss: Kinect

Wat mut, dat mut: 49Games legt sich in den Trend der Zeit und verpasst seinem Kurzweil-Workout eine Move-Steuerung für PS3, mit der man tatsächlich vernünftig fuchteln kann. Einige Bewegungen wie das blitzschnelle Schwungholen beim Curling sind jedoch aus der Luft gegriffen und werden nicht einleuchtend genug erklärt. Xboxler nehmen hingegen mit Kinect Vorlieb. „Ja, klar... Kinect. Das ist doch nur ein Gimmick, darauf kann ich verzichten.“ Ne, kannste eben nich! Denn Winter Stars funktioniert auf Xbox 360 ausschließlich mit Ganzkörper-Groove - was für eine blöde, blöde Entscheidung!

Dabei haben sich die Macher durchaus einen Kopf gemacht und fordern einige Bewegungen, die gut auf die dargestellten Disziplinen passen. Das fängt beim Schwungholen im Curling an, geht über offensichtliche Bewegungen beim Eistanz oder das Hin und Her der Arme beim Shorttrack-Eissprint und hört beim Abstoßen mit den Biathlon-Stöcken nicht auf. In den meisten Fällen wurde allerdings der Knopfdruck und das Gedrückthalten lediglich vom Gamepad auf eine Bewegung übertragen - also hebt man in demselben Moment die Arme, in dem man sonst eine Taste drückt. Das große Problem: Dank einer typischen Kinect-Verzögerung benötigt man für zeitkritische Reaktionen eigentlich den Blick in die Zukunft. Das gilt nicht nur für kurze Auslöser, sondern auch für das Lenken in den zahlreichen Wettlauf-Disziplin. So wird selbst das präzise Durchfahren breiter Tore zur schwammigen Rutschnummer. Mitunter kann das Spiel ähnliche Bewegungen zudem nicht  auseinanderhalten, weshalb man beim Biathlon ständig den Adrenalin-Turbo aktiviert, anstatt nur mit den Stöcken Schwung zu holen.

Zwei gegen vier

Einzige Alternative für Kinect-geplagte ist die Mutti-Kindergarten-Oma-Steuerung, von der sowohl Kinect- als auch Gamepad-Anfänger profitieren: Die Wettbewerbe laufen dann wie Filme ab, nur ganz selten verlangt das Spiel noch eine Eingabe. Für Könner ist das natürlich Quatsch - der Rest der Familie kann sich seine Entschuldigungen à la „Das sind mir zu viele Tasten!“ endlich abschminken.

Gerade in einem reaktionsschnellen Spiel wie Winter Stars hat die träge Kinect-Steuerung nichts verloren.
Gerade in einem reaktionsschnellen Spiel wie Winter Stars hat die träge Kinect-Steuerung nichts verloren.
Es ist eine sinnvolle Ergänzung. Um Xbox-Athleten aber noch mehr zu ärgern, gilt übrigens die Einschränkung, dass sich nur zwei Duellisten vor Kinect aufbäumen dürfen, während PS3-Sportler bis zu viert an den Start gehen. Die schauen dafür in die Röhre, falls eine Hälfte mit Move, die andere aber mit Gamepad spielen will, denn die Kombination verschiedener Controller ist nicht möglich. Abgesehen davon gerät die weiße Aussicht gewaltig ins Stocken, sobald der Bildschirm in vier Teile getrennt wird. Immerhin: Wer online antritt, genießt auf beiden Konsolen die störungsfreie Sicht auf bis zu drei Kontrahenten.

Die großspurige Herausforderung eines Familienmitglieds sollte man dabei tunlichst annehmen, den Schritt ins Internet unbedingt wagen. Winter Stars erlaubt nämlich nicht nur das Erstellen eigener Turniere, sondern lädt vor allem in unterhaltsamen Regeländerungen zu fiesen Wettkämpfen. Einmal sind es Münzen, die jeder Teilnehmer sammelt - und seinen Gegnern durch Rempeln abluchsen kann. Ein andermal ist es eine Flagge, die man auflesen und zum Checkpunkt tragen muss - falls sie nicht ebenfalls von einem schubsenden Widersacher gemopst wird. Außerdem gibt es Hochgeschwindigkeitsrennen, in denen dauerhafter Raketenschub für F-Zero-Verhältnisse sorgt sowie WipEout-ähnliche Läufe mit Geschwindigkeits-Boosts und Sammel-Extras.

Fazit

Ich meine das ohne jede Ironie: Hoffentlich hat 49Games richtig viel Geld für die Kinect-Exklusivität erhalten. Den Entwicklern sei es gegönnt - ihrem Spiel tun sie damit keinen Gefallen. Im Gegenteil, denn obwohl einige Gesten den realen Sport widerspiegeln, ist die Erkennung zu ungenau, vor allem aber viel zu träge für ein schnelles Reaktionsspiel. Als witziger Zusatz für laute Abende - meinetwegen. Als einzige Eingabemöglichkeit ist das allerdings ein Unding. Dabei ist die um Längen bessere Gamepad-Steuerung nicht nur seit Jahren ausgereift, sondern in der PS3-Version komplett vorhanden. Sie wurde ohne Blick für den Spieler einfach aus dem 360-Spiel gerissen und das ist in Anbetracht des unterlegenen Ergebnisses ein ziemlich schlechter Witz. Ein Verlust ist es vor allem deshalb, weil die Karriere mit ihrer  naiven, aber erfrischend unterhaltsamen Geschichte gemütliche Winterabende verspricht: Schritt für Schritt entwickelt man die Sportler, Fairplay zahlt sich aus, Solisten kommen auf ihre Kosten. Mehrspieler-Athleten toben sich hingegen online oder offline aus und genießen turbulente Spielvarianten. Natürlich gibt es das alles schon seit zwei Jahren fast genau so! Deshalb und weil elf Sportarten auf Dauer auch mit gutem Willen sehr überschaubar sind, versiegte die Welle meiner Begeisterung irgendwann im gefälligen Mittelfeld. Selbst das neue Curling als abwechslungsreicher Neuzugang konnte daran kaum etwas ändern. Aber immerhin: Auf Kurzweil bedachte Wintersportler wie der Schmädig werden zumindest im PS3-Schnee in der Tat mit diesem Wintersport glücklich!

Pro

umfangreiche Solo-Karriere mit unterhaltsamer Geschichte
zahlreiche Mehrspieler-Varianten bis zu viert, auch online
stimmungsvolle Präsentation der Sportereignisse

Kontra

elf Disziplinen wiederholen sich schnell
Karriere und Charakterentwicklung bleiben lange anspruchslos
ungenaue, träge Kinect-Steuerung ohne Gamepad-Unterstützung (360)

Wertung

360

Höchstens zwei Dinge profitieren vom sinnlosen Weglassen der Gamepad-Steuerung: Microsofts Kinect Only-Liste und das Portemonnaie des Entwicklerstudios.

PlayStation3

Sehr unterhaltsamer und stimmungsvoll präsentierter Blick in die Welt des Wintersports - egal ob alleine oder mit bis zu vier On- und Offline-Freunden.

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