Im Test:
Große Versprechen…
in diese actionorientierte Richtung gehen muss - vor allem auf dem nordamerikanischen Markt. (...) Wenn wir uns die Marktdaten von 'Survival Horror'-Spielen anschauen, dann ist der Markt sehr klein im Vergleich zu den Verkaufszahlen, die Call of Duty und die anderen Actionspiele erreichen."
Was erzählten sie der versammelten Skepsis dann im April? Sie wollten als Executive Producer dafür sorgen, dass Resident Evil 6 (RE6) an die „lauernden Schrecken“ und die „Schockmomente“ anknüpft, die viele Fans mit den Anfängen der Serie verbinden. Man sollte wieder diese „Ungewissheit verspüren“, wenn man um eine Ecke geht. Ihr Team wollte nicht nur „etwas bisher nie Erlebtes“ inszenieren, sondern den "Survival-Horror auf eine neue Ebene" bringen. Kein Problem: Klappern gehört natürlich zum Handwerk. Deshalb habe ich in der Vorschau gesagt, dass wir Sie und ihr Team an diesem Versprechen messen werden. Und wie soll ich sagen? Sie haben es gebrochen. Das Spiel ist eine große Enttäuschung.
…werden nicht gehalten!
Der explosive Prolog würde zwar Michael Bay stolz machen, aber schon hier deutet sich in einem überzogenen Höhepunktverschleiß an, was Stunde um Stunde zur traurigen Gewissheit wird: Dieses Resident Evil wurde so auf Massenunterhaltung getrimmt, dass man die Unterschiede zu 08/15-Shootern irgendwann kaum noch erkennt – man fühlt sich viel zu früh an die schrecklichen Kinofilme erinnert. Das ist also kein Zurück-zu-den-Wurzeln mit einer Besinnung auf eigene Werte. Wohlgemerkt: Ich rede nicht vom Urvater Resident Evil anno 1996, sondern von Resident Evil 4 (RE4) anno 2005 – selbst von dieser (wichtigen! Wertung: 93%) Modernisierung hat man sich hinsichtlich Tempo, Dramaturgie und Design so entfernt, dass man von unterschiedlichen Spielen reden muss. Es gibt einige ekelhafte Szenen: Da wird zerfleischt, zerschreddert und zerfetzt. Aber es wird zu wenig erschrocken, zusammen gezuckt und geängstigt.
Das hat nichts mit falscher Nostalgie zu tun: Es geht nicht darum, dass früher alles besser war. Aber man sollte als Entwickler Respekt vor etablierten Werten haben und gleichzeitig den Mut zum Fortschritt beweisen - das beste Beispiel einer Modernisierung war RE4. Ich habe dieses Spiel geliebt! Aber ich könnte keine Szene in diesem sechsten Teil nennen, die dessen Terror verströmt. Erinnert sich jemand an die Stelle, an der man von allen Seiten belagert wird? Mehrere Dutzend Fanatiker wollten Leon und Spanier Luis lynchen. Da war dieses Haus. Man stürmte zusammen hinein. Man verbarrikadierte Türen und Fenster. Man saß in der Falle. Dann barsten die ersten Scheiben, brachen die ersten Türen. Rücken an Rücken versuchte man, den blutrünstigen Mob aufzuhalten. Das erinnerte an Butch Cassidy und Sundance Kid, an dieses Wir-gegen-alle-Gefühl. Wo sind diese Momente hier?
Keine Türen schließen, keine Barrikaden
Überhaupt: Wo sind die Zombies? Denn wenn sie auftauchen, macht das Spiel durchaus Laune. Aber die klassischen Schlurfer kommen viel zu selten vor. Dafür begegnet man einem Monsterkabinett, das von skurril bis lächerlich reicht – manchmal muss man angesichts der bekloppten Mutationen, wenn irgendwo Flügel heraus oder ganze Pferde heran wachsen einfach nur den Kopf schütteln. In einem Silent Hill sorgen zuckende Gliedmaßenkonstrukte für einen unangenehmen Schauer, hier erreicht man teilweise Realsatire. Anstatt mit der ureigenen Angst des Genres, also der schieren Masse an Zombies zu ängstigen, versucht man mit Skurrilitäten und Verwandlungen zu beeindrucken. Und das geht so schief, dass man irgendwann selbst über Bosse lachen muss.
Vorhersehbare Story ohne Substanz
Man wird auf diese veraltete Art erzählerisch überhaupt nicht angesprochen, kann auch kaum eine Identifikation mit den Charakteren aufbauen, sondern wird auf billige Art immer weiter geködert: Wenn man einmal sagt, dass etwas später erklärt wird, ist das okay. Aber Leon bekommt immer wieder diese plumpe Antwort - später, gleich, wirklich, später, gleich, versprochen, in der Kathedrale aber wirklich. Oder doch später. Denn wenn man dann da ist, geht das peinliche Geleier tatsächlich weiter.
Redundantes Spieldesign mit künstlichen Brüchen
Und auch das Spieldesign mutiert spätestens hier auch zur Endlosschleife: Irgendwann habe ich die Stürze nicht mehr gezählt. Immer tiefer fallen Leon und Helena in den scheinbar endlosen Schlund unter der Kathedrale. Überall Abgründe, Holzbrücken und schmale Simse. Man fühlt sich fast ein wenig an Minas Tirith oder Schandstadt erinnert, wenn man sich eine gefühlte Ewigkeit durch grauschwarze Tunnel ballert, Fallen ausweicht und Hebel umlegt.
Wer etwas über die Hintergründe der Welt erfahren will, muss tatsächlich blaue Symbole abschießen. Richtig gehört: Die 80 funkelnden Sammelobjekte landen in den Vitrinen, wo man sie näher ansehen und die damit verknüpften Texte lesen kann. Da geht es dann z.B. um Umbrella, die Kathedrale von Tall Oaks oder Besonderheiten der Reihe. So kastriert Capcom die ohnehin dünne Story und platziert Informationen auch noch außerhalb der Kampagne. Warum kann man nicht innerhalb des Spiels mehr erfahren? Warum gibt es diese künstlichen Brüche? Aber selbst wenn man die Geschichte so altbacken präsentiert, hätte man trotzdem den Kern der Horrorfaszination treffen können. Aber an dem hat man vorbei entwickelt.
Billige Rätsel, böse Fallen
Besser hat Capcom so manche Falle inszeniert: Mal muss man in letzter Sekunde aus vollem Lauf unter Klingen oder Laser rutschen, mal muss man in einem Raum zügig Lasermonumente deaktivieren oder explosive Roboter davon abhalten, den Partner zu oft zu stören. Apropos Partner beschützen: Gehörten diese Situationen in RE4 noch zu den kniffligen Highlights, gerät man hier kaum noch ins Schwitzen und kann bei einer temporären Trennung meist sicher sein, dass man gleich wieder zusammen findet.
Unterzahl nicht ausgenutzt
Irgendwann spielt man komplett ernüchtert weiter. Ob das an der freien Action liegt, die einen erstmals wie in jedem Shooter gehen und schießen lässt? Dieses neue Bewegungsgefühl wird jedenfalls nicht durchgezogen: Warum inszeniert man nicht auch das Springen, das Klettern und über den Tisch hechten in Echtzeit? Warum muss ich da jedesmal einen Knopf drücken? Mal abgesehen davon, dass man ein hüfthohes Hindernis mal überwinden, mal nicht überwinden kann: Das Spiel ist nicht nur in der Horrorinszenierung, den Schussgefechten sowie Akrobatik weder Fisch noch Fleisch, sondern auch sonst voller Inkonsequenzen.
Schlagfertige Argumente und Reaktionstests
Hinzu kommen schnell fernzündbare Sprengsätze sowie Feuerbomben. Zwar hat man nicht endlos Munition und muss in den Gefechten darauf achten, dass man Feinde auch mal ohne Projektil ausschaltet. Aber das kann man sehr effizient nach dem ersten Beschuss über zig Finisher einleiten, vom Wrestling-Move über den Roundhouse-Kick bis hin zur Messerattacke und der martialischen Ich-zieh-dir-die-Axt-aus-der-Schulter-und-köpf-dich-damit-Bewegung. Das sieht teilweise richtig gut aus. Es ist zwar lobenswert, dass diese Aktionen Ausdauer kosten, aber man hat das Gefühl, dass man endlos um sich schlagen kann. Capcom gelingt einfach keine Balance.
Richtig nervig sind die aufgezwungenen Reaktionstests: Dass man mal schnell einen Knopf drücken muss, wenn man abstürzt oder dass man den Analogstick schnell drehen muss, wenn man im Nahkampf überwältigt zu werden droht, ist vollkommen okay - und kann auch zur Spannung beitragen. Aber Capcom überdreht die Dosis. Und dass man an einem Seil hängend jeden Arm hypersensibel einzeln per Schultertaste simuliert, was auch noch zu fehlerhaften Abfragen und einem Sackgassengefühl führt, ist irgendwann nur noch frustrierend.
Schreckliche Potenziale und Momente
Es ist ganz einfach: Zu zweit hat man weniger Angst. Außerdem ist man so wesentlich stärker, zumal Helena manchmal vieles wegballert und in kritischen Situationen als Köder ausgenutzt werden kann, der auch noch viel zu spät stirbt. Das kann gerade kooperativ Spaß machen, aber diese Fixierung auf ein Duo zwingt dem Spieldesign in der Kampagne einige faule Kompromisse auf, die Spannung rauben. Es geht also nicht nur darum, dass Capcom keinerlei wechselseitige Kommunikation oder gar Beziehungspflege zwischen den beiden Charakteren erlaubt - man kann ja lediglich ohne Auswirkungen loben, sich bedanken sowie vier schnöde Befehle wie "Folgen" oder "Angreifen" geben. Es geht auch darum, dass man das Duo spielmechanisch so schlecht integriert, dass es zu viele Rettungsautomatismen gibt.
Letzte Hilfe: Zwischensequenz
Apropos: Bosskämpfe waren mal Capcoms große Stärke. Hier sind sie es nicht. Zum einen sind die wenigen viel zu leicht, da nicht nur überall Sprengstoff herum steht, sondern man selbst meist genug Bomben mit Fernzünder hat. Zum anderen kann man sich angesichts der Verbündeten, die zusätzlich zum ständigen Begleiter auftauchen, in Ruhe zurückziehen und aus der Distanz feuern, bis das mutierte Vieh erledigt ist. Das geht nicht immer, aber zu oft hat man das Gefühl, dass man nicht selbst, sondern ein Automatismus der Held ist. Regelrecht lächerlich ist, dass die Japaner einen finalen Gegner endlos lang mutieren und wieder auferstehen lassen - das wirkt wie eine einzige künstliche Streckung, zumal man x-mal dasselbe machen muss, um ihn zu besiegen. Wie man anspruchsvolle Bosskämpfe inszeniert, hat Castlevania: Lords of Shadow demonstriert.
Der Absturz mit Chris Redfield
Bevor wir uns zu lange mit Jake aufhalten, dem Sohn von Wesker: Er muss einfach öfter in den Nahkampf als Chris, findet etwas weniger Munition, aber spielt sich genauso öde. Interessant wird es erst, wenn man nach ihm Ada Wong freischaltet. Denn: Hurra, man ist endlich alleine unterwegs! Und nochmal hurra, denn es scheint weniger explosiv, sondern subtiler zuzugehen! Immerhin soll die mysteriöse Asiatin eine Anlage möglichst lautlos infiltrieren. Aber die Stealth-Action entpuppt als Fatamorgana: Ada rennt laut trippelnd die Treppe runter, zerstört mit einem Roundhouse-Kick krachend ein paar Kisten und die Wache ein paar Meter weiter? Lässt sich kurz darauf von einem Stealth-Kill überraschen! Sie kann keine Lampen ausschießen, muss sich nicht großartig um Patrouillenwege scheren - wer ihr den Rücken zukehrt, ist in null Komma nichts erledigt.
Zwar macht das lautlose Armbrustschießen und durch Tunnel kriechen einigermaßen Laune. Nicht in erster Linie weil die Kamera die ganze Zeit den wohl proportionierten Lederarsch von Ada ins Visier nimmt, sondern weil ihre Spielweise zunächst einen Kontrast zum Geballer von Chris & Co darstellt. Aber auch das wird nur als Lightversion inszeniert. Richtig übel wird es, wenn Ada mal Alarm auslöst und ein halbes Dutzend aggressiver Wachen auftauchen, nur um an einer Treppe anzuhalten und auf den Boden der obersten Stufe zu feuern. Etwas weiter darunter liegt klar sichtbar Ada auf dem Rücken und kann jeden einzelnen der strunzdummen Feinde ganz gemütlich anvisieren und zwischen die Augen schießen - spätestens hier ist jegliche Illusion von Gefahr verflogen.
Fähigkeiten, die keiner braucht
Dazu gehört neben mehr Munition auch eine bessere Verteidigung, ein Befreiungsmanöver, weniger Rückstoß, eine schnellere Erholung, eine ruhigere Hand oder eine weitere Zoomstufe für das Gewehr. Von diesen kann man je drei in ein Set packen, das man seinem Charakter zuweist. Ihr wollt in einer Situation besonders nahkampfstark sein? Kein Problem: Man kann bis zu acht Sets festlegen und jederzeit während des Spiels aktivieren. Eine skurrile Fähigkeit nennt sich übrigens "Einzelgänger" und kostet schlappe 100 Punkte. Wenn man das aktiviert, hilft einem der Partner tatsächlich nicht mehr.
Die neue Leichtigkeit
Daher ist es schön für Veteranen, dass einige Erleichterungen optional sind: Man kann z.B. die Anzeige des Zielorts mit Meterangabe ausschalten, so dass man nicht im Dunkeln schon das Türicon hinten rechts oder den gesuchten Gegenstand wie etwa Schlüssel in 36 Meter links sieht. Man kann auch das automatische Nachladen abschalten. Die stylische Wegfindung über das Kristallhandy muss man ebenfalls nicht nutzen; wenn man es tut, werden einem auch noch Richtungspfeile angezeigt - man kann sich also selbst in den chinesischen Labyrinthen eines Marktes nicht verirren.
Fazit
Was sollte dieses Gelaber von Wurzeln, Herr Kobayashi? Ich bin schwer enttäuscht. Capcom serviert entgegen seiner Versprechen einen Actionzombiebrei ohne Charakter. Warum nimmt man sich einen dämlichen Military-Shooter zum Vorbild, wenn man eine wertvolle eigene Tradition hat? Es geht mir nicht um Nostalgie oder um ein Resident Evil anno 1996! Aber man sollte Respekt vor etablierten Werten haben, dann ist auch kreativer Fortschritt möglich. Und wenn es schon der Westen sein soll: Warum orientiert man sich nicht an der morbiden Faszination à la The Walking Dead? Warum gibt es so selten Zombies in diesem Spiel, die mit ihrer Masse ängstigen? Das wenige Gute: In der Kampagne mit Leon blitzt zumindest das Potenzial auf, alles ist nahtlos kooperativ spielbar und es gibt vier Perspektiven mit 30 bis 40 Stunden primitiver Story. Schon der hoffnungsvoll startende Leon lässt im Laufe seiner acht, neun Stunden immer stärker nach, erreicht höchstens mittelmäßiges Ballerniveau - kein Vergleich zum grandiosen Terror eines Resident Evil 4. Spätestens mit Chris ist das Spiel genau das, was man befürchten musste: Call of Duty. Hier hat man das Gefühl, von einer Explosion zur nächsten gescheucht, von einem Abgrund in den nächsten gehetzt und von nicht enden wollenden, teilweise lächerlichen Bossmutationen verfolgt zu werden - von billigen Rätseln und dämlichen Dialogen unterbrochen. Capcom hat sich viel zu weit auf durchlöchertes Shooter-Terrain begeben. Damit stürzt Resident Evil in eine Belanglosigkeit, die der Reihe das Genick bricht. Und das tut einem Fan richtig weh.
Was ist bloß mit Capcom los? Zuerst verpasst man der Resident Evil-Reihe mit dem grausigen Ableger Operation: Raccoon City einen massiven Image-Schaden. Und jetzt fährt man auch noch den sechsten Teil gegen die Wand. All die Versprechungen von der Rückkehr zu den Wurzeln, von der Wiederauferstehung des Survival-Horrors…alles leeres Marketing-Gesülze, um die Fanbasis zu beruhigen und eine Hoffnung zu schüren, die es für die Serie offensichtlich nicht mehr gibt. Schon in der 3DS-Episode Revelations hat man versucht, es allen recht zu machen, doch kam dort zumindest mit Jill das alte Horror-Feeling zurück. Das blitzt hier höchstens zu Beginn der Leon-Kampage auf, geht aber sonst im Dauerfeuer und Explosionsketten unter. Wenn man es schon ordentlich krachen lassen und Vorbildern wie Call of Duty oder Gears of War nacheifern will, dann sollen es die Japaner auch richtig machen. Doch bei solch derben KI-Aussetzern, den technischen Schwächen und den grenzwertigen Designentscheidungen, kann man selbst als Fan von Chris Redfield & Co kein Auge zudrücken und muss die traurige Wahrheit schweren Herzens akzeptieren: Resident Evil 6 ist als reines Action-Spiel eine riesige Enttäuschung und als Fortsetzung der Traditionsreihe sogar eine Farce! Anstatt den Survival-Horror wiederzubeleben, trägt Capcom ihn endgültig zu Grabe!
Pro
Kontra
Wertung
360
Auf der Xbox 360 tauchen vermehrt technische Probleme auf.
PlayStation3
Survival-Horror? Wo? Capcom serviert entgegen seiner Versprechen einen Actionzombiebrei ohne Charakter.
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