Resident Evil 601.10.2012, Jörg Luibl
Resident Evil 6

Im Test:

Als Capcom zum ersten Mal live Spielszenen aus Resident Evil 6 (ab 4,79€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) präsentierte, war ich erleichtert. Immerhin gab es vorher Schlagzeilen, die das Call of Duty-Gespenst an die Wand malten. Aber in der Haut von Leon S. Kennedy erforschte man für eine Stunde ein düsteres Areal - fast wie in alten Zeiten. Als die Japaner danach betonten, dass sie an die Tradition der Reihe anknüpfen und den Horror auf eine neue Ebene bringen wollen, habe ich mich richtig auf diesen Test gefreut.

Große Versprechen…

in diese actionorientierte Richtung gehen muss - vor allem auf dem nordamerikanischen Markt. (...) Wenn wir uns die Marktdaten von 'Survival Horror'-Spielen anschauen, dann ist der Markt sehr klein im Vergleich zu den Verkaufszahlen, die Call of Duty und die anderen Actionspiele erreichen."

Was erzählten sie der versammelten Skepsis dann im April? Sie wollten als Executive Producer dafür sorgen, dass Resident Evil 6 (RE6) an die „lauernden Schrecken“ und die „Schockmomente“ anknüpft, die viele Fans mit den Anfängen der Serie verbinden. Man sollte wieder diese „Ungewissheit verspüren“, wenn man um eine Ecke geht. Ihr Team wollte nicht nur „etwas bisher nie Erlebtes“ inszenieren, sondern den "Survival-Horror auf eine neue Ebene" bringen. Kein Problem: Klappern gehört natürlich zum Handwerk. Deshalb habe ich in der Vorschau gesagt, dass wir Sie und ihr Team an diesem Versprechen messen werden. Und wie soll ich sagen? Sie haben es gebrochen. Das Spiel ist eine große Enttäuschung.

…werden nicht gehalten!

Man kann die Kampagne jederzeit kooperativ spielen, offline im Splitscreen oder online.
Man kann die Kampagne jederzeit kooperativ spielen, offline im Splitscreen oder online. Außerdem kehrt der Söldner-Modus zurück. Der Umfang ist enorm: Vier Szenarien (Leon, Chris, Jake, Ada) mit je fünf Kapiteln sorgen für über 30 Stunden Spielzeit.
Das superlative Gelaber hinsichtlich des avisierten Spieldesigns, das Horror wie in alten Zeiten versprach, ist im Nachhinein von knapp 30 Stunden eine einzige Unverschämtheit. Dieses RE6 ist tatsächlich der beschämende Kniefall vor Call of Duty. Sorry, wenn ich die Wertungstendenz jetzt vielleicht ein wenig gespoilert habe (mit dem Award wird es natürlich verflixt schwer). Die Frage in diesem Test lautet also: Warum enttäuscht dieses Spiel so? Immerhin blitzen in einigen Momenten ja ein paar Stärken auf, die Zwischensequenzen sind wirklich sehr ansehnlich, manchmal fühlt man sich sogar etwas bedrängt und bedroht, außerdem sehen die wenigen echten Zombies teilweise klasse aus.

Der explosive Prolog würde zwar Michael Bay stolz machen, aber schon hier deutet sich in einem überzogenen Höhepunktverschleiß an, was Stunde um Stunde zur traurigen Gewissheit wird: Dieses Resident Evil wurde so auf Massenunterhaltung getrimmt, dass man die Unterschiede zu 08/15-Shootern irgendwann kaum noch erkennt – man fühlt sich viel zu früh an die schrecklichen Kinofilme erinnert. Das ist also kein Zurück-zu-den-Wurzeln mit einer Besinnung auf eigene Werte. Wohlgemerkt: Ich rede nicht vom Urvater Resident Evil anno 1996, sondern von Resident Evil 4 (RE4) anno 2005 – selbst von dieser (wichtigen! Wertung: 93%) Modernisierung hat man sich hinsichtlich Tempo, Dramaturgie und Design so entfernt, dass man von unterschiedlichen Spielen reden muss. Es gibt einige ekelhafte Szenen: Da wird zerfleischt, zerschreddert und zerfetzt. Aber es wird zu wenig erschrocken, zusammen gezuckt und geängstigt.

Das hat nichts mit falscher Nostalgie zu tun: Es geht nicht darum, dass früher alles besser war. Aber man sollte als Entwickler Respekt vor etablierten Werten haben und gleichzeitig den Mut zum Fortschritt beweisen - das beste Beispiel einer Modernisierung war RE4.  Ich habe dieses Spiel geliebt! Aber ich könnte keine Szene in diesem sechsten Teil nennen, die dessen Terror verströmt. Erinnert sich jemand an die Stelle, an der man von allen Seiten belagert wird? Mehrere Dutzend Fanatiker wollten Leon und Spanier Luis lynchen. Da war dieses Haus. Man stürmte zusammen hinein. Man verbarrikadierte Türen und Fenster. Man saß in der Falle. Dann barsten die ersten Scheiben, brachen die ersten Türen. Rücken an Rücken versuchte man, den blutrünstigen Mob aufzuhalten. Das erinnerte an Butch Cassidy und Sundance Kid, an dieses Wir-gegen-alle-Gefühl. Wo sind diese Momente hier?

Keine Türen schließen, keine Barrikaden

Zu den wenigen Pluspunkten gehören die gut inszenierten Zwischensequenzen.
Zu den wenigen Pluspunkten gehören die gut inszenierten Zwischensequenzen.
Die Japaner kastrieren ja sogar das Spieldesign um diese Panik: Man kann weder Türen schließen noch Räume verbarrikadieren. Es gibt keine Szene außerhalb der Zwischensequenzen (wo diese durch Spalten greifenden Klauen sofort für Panik sorgen!), wo Zombies versuchen einen Raum zu stürmen, indem sie Türen oder Zäune einreißen wollen. Warum hat man sie nicht schrittweise von Zombies zerhacken lassen? Und wenn es mal gute Unterzahlsituationen auf engem Raum gibt, wie etwa in einem Auto oder Bus, dann unterbricht Capcom die Szene viel zu früh mit einer verdammten Zwischensequenz, bevor sie so richtig eskalieren kann – es macht Krabumm, es gibt eine Kollision und man landet auf einem Friedhof. Dieses Hektik, dieses fehlende Gespür für das Auskosten einer Situation ist symptomatisch für die schlechte Dramaturgie.

Überhaupt: Wo sind die Zombies? Denn wenn sie auftauchen, macht das Spiel durchaus Laune. Aber die klassischen Schlurfer kommen viel zu selten vor. Dafür begegnet man einem Monsterkabinett, das von skurril bis lächerlich reicht – manchmal muss man angesichts der bekloppten Mutationen, wenn irgendwo Flügel heraus oder ganze Pferde heran wachsen einfach nur den Kopf schütteln. In einem Silent Hill sorgen zuckende Gliedmaßenkonstrukte für einen unangenehmen Schauer, hier erreicht man teilweise Realsatire. Anstatt mit der ureigenen Angst des Genres, also der schieren Masse an Zombies zu ängstigen, versucht man mit Skurrilitäten und Verwandlungen zu beeindrucken. Und das geht so schief, dass man irgendwann selbst über Bosse lachen muss.    

Vorhersehbare Story ohne Substanz

Obwohl die Bosse spektakulär mutieren, sind die Gefechte gegen sie zu leicht. Außerdem werden manche Bosskämpfe künstlich gestreckt bzw. wiederholt.
Obwohl die Bosse spektakulär mutieren, sind die Gefechte gegen sie zu leicht. Außerdem werden manche Bosskämpfe künstlich gestreckt bzw. wiederholt.
Dabei beginnt die Story sehr ernst, lässt sich nicht lange lumpen: Der Präsident der Vereingten Staaten mutiert zum Zombie und wird am 29. Juni 2013 von Leon erschossen. Danach muss er mit Helena fliehen. Was hätte man daraus machen können! Aber die besten Szenen des Spiels hat man schnell hinter sich, als Ungewissheit und Neugier noch tapfere Begleiter sind. Danach geht es um Einbahnstraßenaction mit schwacher Geschichte. Was hat es mit Helena auf sich? Die Dialoge sind viel zu kurz, viel zu leblos und teilweise unfreiwillig komisch, erklärt wird ohnehin wenig und man kann von sich aus auch keine Dialoge starten – alles läuft wie in einem Botchat.

Man wird auf diese veraltete Art erzählerisch überhaupt nicht angesprochen, kann auch kaum eine Identifikation mit den Charakteren aufbauen, sondern wird auf billige Art immer weiter geködert: Wenn man einmal sagt, dass etwas später erklärt wird, ist das okay. Aber Leon bekommt immer wieder diese plumpe Antwort - später, gleich, wirklich, später, gleich, versprochen, in der Kathedrale aber wirklich. Oder doch später. Denn wenn man dann da ist, geht das peinliche Geleier tatsächlich weiter.

Redundantes Spieldesign mit künstlichen Brüchen

Und auch das Spieldesign mutiert spätestens hier auch zur Endlosschleife: Irgendwann habe ich die Stürze nicht mehr gezählt. Immer tiefer fallen Leon und Helena in den scheinbar endlosen Schlund unter der Kathedrale. Überall Abgründe, Holzbrücken und schmale Simse. Man fühlt sich fast ein wenig an Minas Tirith oder Schandstadt erinnert, wenn man sich eine gefühlte Ewigkeit durch grauschwarze Tunnel ballert, Fallen ausweicht und Hebel umlegt.

Wer etwas über die Hintergründe der Welt erfahren will, muss tatsächlich blaue Symbole abschießen. Richtig gehört: Die 80 funkelnden Sammelobjekte landen in den Vitrinen, wo man sie näher ansehen und die damit verknüpften Texte lesen kann. Da geht es dann z.B. um Umbrella, die Kathedrale von Tall Oaks oder Besonderheiten der Reihe. So kastriert Capcom die ohnehin dünne Story und platziert Informationen auch noch außerhalb der Kampagne. Warum kann man nicht innerhalb des Spiels mehr erfahren? Warum gibt es diese künstlichen Brüche? Aber selbst wenn man die Geschichte so altbacken präsentiert, hätte man trotzdem den Kern der Horrorfaszination treffen können. Aber an dem hat man vorbei entwickelt.

Billige Rätsel, böse Fallen

Trotz der Tatsache, dass zwischendurch mal Herrenhausflair mit Rätseln aufkommt, sind die meisten Aufgaben viel zu einfach.
Trotz der Tatsache, dass zwischendurch mal Herrenhausflair mit Rätseln aufkommt, sind die meisten Aufgaben viel zu einfach - im Zentrum steht das Geballer.
Und Rätsel? Es gibt überraschend viele, aber die Qualität ist bescheiden und der Anspruch bis auf ein, zwei Ausnahmen extrem gering. Man betätigt Hebel, tippt Zahlen ein, schießt auf Glocken - was man tun muss, wird einem auch noch glasklar gesagt; dagegen wirkt Uncharted wie eine komplexe Kopfnuss. Vor allem in der Kathedrale muss man tatsächlich wie blöde Statuen platzieren oder Spiegel entzünden, ohne dass man überhaupt Fehler machen kann geschweige denn nachdenken muss. Erst mit Ada gilt es auch mal etwas logischer zu kombinieren.

Besser hat Capcom so manche Falle inszeniert: Mal muss man in letzter Sekunde aus vollem Lauf unter Klingen oder Laser rutschen, mal muss man in einem Raum zügig Lasermonumente deaktivieren oder explosive Roboter davon abhalten, den Partner zu oft zu stören. Apropos Partner beschützen: Gehörten diese Situationen in RE4 noch zu den kniffligen Highlights, gerät man hier kaum noch ins Schwitzen und kann bei einer temporären Trennung meist sicher sein, dass man gleich wieder zusammen findet.

Unterzahl nicht ausgenutzt

Irgendwann spielt man komplett ernüchtert weiter. Ob das an der freien Action liegt, die einen erstmals wie in jedem Shooter gehen und schießen lässt? Dieses neue Bewegungsgefühl wird jedenfalls nicht durchgezogen: Warum inszeniert man nicht auch das Springen, das Klettern und über den Tisch hechten in Echtzeit? Warum muss ich da jedesmal einen Knopf drücken? Mal abgesehen davon, dass man ein hüfthohes Hindernis mal überwinden, mal nicht überwinden kann: Das Spiel ist nicht nur in der Horrorinszenierung, den Schussgefechten sowie Akrobatik weder Fisch noch Fleisch, sondern auch sonst voller Inkonsequenzen.

Das Problem ist nicht, dass es Action und Deckungssystem, Explosionen und Headshots gibt, sondern dass all das höchstens mittelmäßig inszeniert wird. Die KI ist ein Witz...
Das Problem ist nicht, dass es Action und Deckungssystem, Explosionen und Headshots gibt, sondern dass all das höchstens mittelmäßig inszeniert wird. Nicht nur die KI ist ein Witz...
In RE4 und 5 trug die umstrittene, aber aus meiner Sicht sehr wichtige Trennung auch dazu bei, dass man sich nicht so allmächtig, nicht so wie ein dauerfeuernder Söldner fühlte. Hier hat man auch fast immer genug Waffen und ausreichend Munition. Musste man früher besonders durchschlagskräftige Argumente finden, indem man risikoreiche Abzweigungen nimmt, hat man hier auch als Leon von Anfang an nicht nur Messer und Pistole, sondern auch Scharfschützengewehr, Schrotflinte, Sturmgewehr parat.

Schlagfertige Argumente und Reaktionstests

Hinzu kommen schnell fernzündbare Sprengsätze sowie Feuerbomben. Zwar hat man nicht endlos Munition und muss in den Gefechten darauf achten, dass man Feinde auch mal ohne Projektil ausschaltet. Aber das kann man sehr effizient nach dem ersten Beschuss über zig Finisher einleiten, vom Wrestling-Move über den Roundhouse-Kick bis hin zur Messerattacke und der martialischen Ich-zieh-dir-die-Axt-aus-der-Schulter-und-köpf-dich-damit-Bewegung. Das sieht teilweise richtig gut aus. Es ist zwar lobenswert, dass diese Aktionen Ausdauer kosten, aber man hat das Gefühl, dass man endlos um sich schlagen kann. Capcom gelingt einfach keine Balance.

Richtig nervig sind die aufgezwungenen Reaktionstests: Dass man mal schnell einen Knopf drücken muss, wenn man abstürzt oder dass man den Analogstick schnell drehen muss, wenn man im Nahkampf überwältigt zu werden droht, ist vollkommen okay - und kann auch zur Spannung beitragen. Aber Capcom überdreht die Dosis. Und dass man an einem Seil hängend jeden Arm hypersensibel einzeln per Schultertaste simuliert, was auch noch zu fehlerhaften Abfragen und einem Sackgassengefühl führt, ist irgendwann nur noch frustrierend.

Schreckliche Potenziale und Momente

Man hat zu selten das Gefühl der Bedrohung. Zum einen, weil man immer schlagfertige Argumente hat, die mächtig austeilen...
Man hat zu selten das Gefühl der Bedrohung. Zum einen, weil man immer schlagfertige Argumente hat, die mächtig austeilen...selbst auf dem Rücken liegend.
Das Gefühl der Bedrohung, das die ersten Zombies in der Tiefgarage noch im Halbdunkel schlurfend auslösen, vergeht mit jeder Spielstunde - man ist zu mächtig, zu schnell, zu nahkampfstark. Es ist nicht so, dass man auf dem normalen Schwierigkeitsgrad gar nicht überwältigt wird. Im Gegenteil: Manchmal landet man verwundet auf dem Boden, kann lediglich kriechen und muss warten, bis man aus dem Liegen heraus schießen kann - so entstehen einige Rettungsschüsse in letzter Sekunde, wenn sich die geifernde Fratze schon über einen beugt.  Aber obwohl in diesen Momenten der Terror aufblitzt, der für Nervenkitzel sorgt, vergeht er darauf wieder, wenn man von seiner Begleiterin mit Heilspritze gerettet wird - manchmal komplett unrealistisch in der Zombiemeute.

Es ist ganz einfach: Zu zweit hat man weniger Angst. Außerdem ist man so wesentlich stärker, zumal Helena manchmal vieles wegballert und in kritischen Situationen als Köder ausgenutzt werden kann, der auch noch viel zu spät stirbt. Das kann gerade kooperativ Spaß machen, aber diese Fixierung auf ein Duo zwingt dem Spieldesign in der Kampagne einige faule Kompromisse auf, die Spannung rauben. Es geht also nicht nur darum, dass Capcom keinerlei wechselseitige Kommunikation oder gar Beziehungspflege zwischen den beiden Charakteren erlaubt - man kann ja lediglich ohne Auswirkungen loben, sich bedanken sowie vier schnöde Befehle wie "Folgen" oder "Angreifen" geben. Es geht auch darum, dass man das Duo spielmechanisch so schlecht integriert, dass es zu viele Rettungsautomatismen gibt.

Letzte Hilfe: Zwischensequenz

Zum anderen wird die Umgebung zu selten als Druckmittel eingesetzt: Man kann weder Türen schließen noch sich verbarrikadieren. Es gibt lediglich Einbahnstraßen.
Zum anderen wird die Umgebung zu selten als Druckmittel eingesetzt: Man kann weder Türen schließen noch sich verbarrikadieren. Es gibt lediglich Einbahnstraßen.
Und wenn es mal brenzlig wird, wenn man also mal kurz davor steht, überwältigt zu werden, retten einem auch noch die Zwischensequenzen das Leben. Es kommt häufig vor, dass man eine bestimmte Tür eigentlich gar nicht öffnen kann, aber dass die Betätigung reicht, um alle Verfolger hinter einem wie von Zauberhand auszulöschen – fühlt sich an wie ein Cheat. Capcom inszeniert Durchgangsstraßen, manchmal auch Labyrinthe, aber übersieht den Nervenkitzel trügerischer Sicherheiten wie durch oben erwähnte Türen. Das Leveldesign ist einem Shooter würdig, aber für Horror im wahrsten Sinne des Wortes viel zu durchsichtig. Da werden explosive Fässer oder wichtige Munitionsnachschübe wie Brotkrumen aufgereiht, wenn es mal gegen einen der Bosse geht.

Apropos: Bosskämpfe waren mal Capcoms große Stärke. Hier sind sie es nicht. Zum einen sind die wenigen viel zu leicht, da nicht nur überall Sprengstoff herum steht, sondern man selbst meist genug Bomben mit Fernzünder hat. Zum anderen kann man sich angesichts der Verbündeten, die zusätzlich zum ständigen Begleiter auftauchen, in Ruhe zurückziehen und aus der Distanz feuern, bis das mutierte Vieh erledigt ist. Das geht nicht immer, aber zu oft hat man das Gefühl, dass man nicht selbst, sondern ein Automatismus der Held ist. Regelrecht lächerlich ist, dass die Japaner einen finalen Gegner endlos lang mutieren und wieder auferstehen lassen - das wirkt wie eine einzige künstliche Streckung, zumal man x-mal dasselbe machen muss, um ihn zu besiegen. Wie man anspruchsvolle Bosskämpfe inszeniert, hat Castlevania: Lords of Shadow demonstriert.

Der Absturz mit Chris Redfield

Bevor wir uns zu lange mit Jake aufhalten, dem Sohn von Wesker: Er muss einfach öfter in den Nahkampf als Chris, findet etwas weniger Munition, aber spielt sich genauso öde. Interessant wird es erst, wenn man nach ihm Ada Wong freischaltet. Denn: Hurra, man ist endlich alleine unterwegs! Und nochmal hurra, denn es scheint weniger explosiv, sondern subtiler zuzugehen! Immerhin soll die mysteriöse Asiatin eine Anlage möglichst lautlos infiltrieren. Aber die  Stealth-Action entpuppt als Fatamorgana: Ada rennt laut trippelnd die Treppe runter, zerstört mit einem Roundhouse-Kick krachend ein paar Kisten und die Wache ein paar Meter weiter? Lässt sich kurz darauf von einem Stealth-Kill überraschen! Sie kann keine Lampen ausschießen, muss sich nicht großartig um Patrouillenwege scheren - wer ihr den Rücken zukehrt, ist in null Komma nichts erledigt.

Zwar macht das lautlose Armbrustschießen und durch Tunnel kriechen einigermaßen Laune. Nicht in erster Linie weil die Kamera die ganze Zeit den wohl proportionierten Lederarsch von Ada ins Visier nimmt, sondern weil ihre Spielweise zunächst einen Kontrast zum Geballer von Chris & Co darstellt. Aber auch das wird nur als Lightversion inszeniert. Richtig übel wird es, wenn Ada mal Alarm auslöst und ein halbes Dutzend aggressiver Wachen auftauchen, nur um an einer Treppe anzuhalten und auf den Boden der obersten Stufe zu feuern. Etwas weiter darunter liegt klar sichtbar Ada auf dem Rücken und kann jeden einzelnen der strunzdummen Feinde ganz gemütlich anvisieren und zwischen die Augen schießen - spätestens hier ist jegliche Illusion von Gefahr verflogen.

Fähigkeiten, die keiner braucht

Capcom hat zu viele Designelemente vermischt: Stealth und Shooter, Akrobatik und Bosskämpfe, Rätsel und Fallen. Am Ende fehlt der Horrorcharakter.
Capcom hat zu viele Designelemente vermischt: Stealth und Shooter, Akrobatik und Bosskämpfe, Rätsel und Fallen. Am Ende fehlt der Horrorcharakter.
Seltsam wirkt zu Beginn die Ermittlung des Schadens: Obwohl man mehrere klare Kopftreffer erzielt, latschen manche Zombies einfach weiter, während andere sofort umfallen. Manchmal ballert man selbst auf simple Mutationen ganze Magazine ohne Erfolg. Aber man kann dem anhelfen. Wer die Wirkung seiner Schusswaffen im Allgemeinen oder die Wahrscheinlichkeit kritischer Treffer im Besonderen verbessern will, kann allerdings mit dem Fähigkeitensystem experimentieren. Man sammelt im Laufe des Abenteuers Punkte, mit denen man über dreißig Eigenschaften freischalten kann; teilweise in drei Stufen. Aber ehrlich gesagt: Wer will das, was von Battlefield bis Black Ops zelebriert wird auch noch in einem Resi?

Dazu gehört neben mehr Munition auch eine bessere Verteidigung, ein Befreiungsmanöver, weniger Rückstoß, eine schnellere Erholung, eine ruhigere Hand oder eine weitere Zoomstufe für das Gewehr. Von diesen kann man je drei in ein Set packen, das man seinem Charakter zuweist. Ihr wollt in einer Situation besonders nahkampfstark sein? Kein Problem: Man kann bis zu acht Sets festlegen und jederzeit während des Spiels aktivieren. Eine skurrile Fähigkeit nennt sich übrigens "Einzelgänger" und kostet schlappe 100 Punkte. Wenn man das aktiviert, hilft einem der Partner tatsächlich nicht mehr.

Die neue Leichtigkeit

Wo waren nochmal die Zombies? Die schlurfenden Untoten gehen zu schnell in Flammen auf. Genau so wie die Vorfreude auf dieses Spiel.
Wo waren nochmal die Zombies? Die schlurfenden Untoten gehen zu schnell in Flammen auf. Genau so wie die Vorfreude auf dieses Spiel.
RE6 ist sicher das leichteste Spiel der Reihe. Auf dem niedrigsten Schwierigkeitsgrad werden die Reaktionstests übrigens automatisch gewonnen. Und wer einigermaßen mit den grünen und roten Kräutern haushaltet, Erstere also nicht einzeln zu sich nimmt, sondern clever kombiniert, hat auch meist genug Tabletten, die man sich jederzeit über die Schultertaste einschmeißen kann - auch drei, vier schnell hintereinander.

Daher ist es schön für Veteranen, dass einige Erleichterungen optional sind: Man kann z.B. die Anzeige des Zielorts mit Meterangabe ausschalten, so dass man nicht im Dunkeln schon das Türicon hinten rechts oder den gesuchten Gegenstand wie etwa Schlüssel in 36 Meter links sieht. Man kann auch das automatische Nachladen abschalten. Die stylische Wegfindung über das Kristallhandy muss man ebenfalls nicht nutzen; wenn man es tut, werden einem auch noch Richtungspfeile angezeigt - man kann sich also selbst in den chinesischen Labyrinthen eines Marktes nicht verirren.

Fazit

Was sollte dieses Gelaber von Wurzeln, Herr Kobayashi? Ich bin schwer enttäuscht. Capcom serviert entgegen seiner Versprechen einen Actionzombiebrei ohne Charakter. Warum nimmt man sich einen dämlichen Military-Shooter zum Vorbild, wenn man eine wertvolle eigene Tradition hat? Es geht mir nicht um Nostalgie oder um ein Resident Evil anno 1996! Aber man sollte Respekt vor etablierten Werten haben, dann ist auch kreativer Fortschritt möglich. Und wenn es schon der Westen sein soll: Warum orientiert man sich nicht an der morbiden Faszination à la The Walking Dead? Warum gibt es so selten Zombies in diesem Spiel, die mit ihrer Masse ängstigen? Das wenige Gute: In der Kampagne mit Leon blitzt zumindest das Potenzial auf, alles ist nahtlos kooperativ spielbar und es gibt vier Perspektiven mit 30 bis 40 Stunden primitiver Story. Schon der hoffnungsvoll startende Leon lässt im Laufe seiner acht, neun Stunden immer stärker nach, erreicht höchstens mittelmäßiges Ballerniveau - kein Vergleich zum grandiosen Terror eines Resident Evil 4. Spätestens mit Chris ist das Spiel genau das, was man befürchten musste: Call of Duty. Hier hat man das Gefühl, von einer Explosion zur nächsten gescheucht, von einem Abgrund in den nächsten gehetzt und von nicht enden wollenden, teilweise lächerlichen Bossmutationen verfolgt zu werden - von billigen Rätseln und dämlichen Dialogen unterbrochen. Capcom hat sich viel zu weit auf durchlöchertes Shooter-Terrain begeben. Damit stürzt Resident Evil in eine Belanglosigkeit, die der Reihe das Genick bricht. Und das tut einem Fan richtig weh.

Michael Krosta (237)Was ist bloß mit Capcom los? Zuerst verpasst man der Resident Evil-Reihe mit dem grausigen Ableger Operation: Raccoon City einen massiven Image-Schaden. Und jetzt fährt man auch noch den sechsten Teil gegen die Wand. All die Versprechungen von der Rückkehr zu den Wurzeln, von der Wiederauferstehung des Survival-Horrors…alles leeres Marketing-Gesülze, um die Fanbasis zu beruhigen und eine Hoffnung zu schüren, die es für die Serie offensichtlich nicht mehr gibt. Schon in der 3DS-Episode Revelations hat man versucht, es allen recht zu machen, doch kam dort zumindest mit Jill das alte Horror-Feeling zurück. Das blitzt hier höchstens zu Beginn der Leon-Kampage auf, geht aber sonst im Dauerfeuer und Explosionsketten unter. Wenn man es schon ordentlich krachen lassen und Vorbildern wie Call of Duty oder Gears of War nacheifern will, dann sollen es die Japaner auch richtig machen. Doch bei solch derben KI-Aussetzern, den technischen Schwächen und den grenzwertigen Designentscheidungen, kann man selbst als Fan von Chris Redfield & Co kein Auge zudrücken und muss die traurige Wahrheit schweren Herzens akzeptieren: Resident Evil 6 ist als reines Action-Spiel eine riesige Enttäuschung und als Fortsetzung der Traditionsreihe sogar eine Farce! Anstatt den Survival-Horror wiederzubeleben, trägt Capcom ihn endgültig zu Grabe!

Pro

Story aus vier Perspektiven
stimmungsvoller Einstieg mit Leon
Kampagne kooperativ spielbar (online/offline)
gut inszenierte Zwischensequenzen
bizarre Monster und Mutationen
Charaktere mit über 30 Fähigkeiten verbessern
faire automatische Speicherpunkte
solide deutsche Lokalisierung
einige gute Unterzahlpaniksituationen
viel Spielzeit (30 x Std.), viel Freischaltbares
ausschaltbare optionale Hilfen (Zielort etc.)
mit Ada Wong ist man alleine unterwegs
nach Kampahne wartet Söldner-Modus
einige böse Fallen
guter Soundtrack

Kontra

Capcom hält Survival-Horror-Versprechen nicht
zu wenig gut aufgebaute Spannung
vorhersehbare Geschichte
dämliche Dialoge, kaum Hintergründe
viel zu viel gewöhnliche 08/15-Action
künstliche Levelgrenzen, meist lineare Wege
wenig klassische Zombies, teilweise lächerliches Monsterdesign
KI-Partner als Kugelfang missbrauchen
keine aktive Kommunikation mit Partner
künstlich gestreckte Bosskampforgien
Türöffnungen retten unrealistisch in der Not
strunzdumme KI (feuert auf Wände, läuft wild umher...)
übertriebene Aneinanderreihung von Höhepunkten
inkonsequentes Knopfdrücken für Sprünge/Hechten
einige extrem nervige Reaktionstests (Seilklettern)
zickiges Deckungssystem, zwanghafte Kamera-Anpassung
zu leichte Bosskämpfe, zu viele Waffen
Türen nicht verschließbar, keine Verbarrikadierung
Stealth-light mit Ada (Lärm spielt keine Rolle)
zu wenig gute Rätsel
Checkpunkte sind nicht immer Speicherpunkte
einige abgehakte Animationen
schlimmer Unschärfefilter beim Anvisieren
grausige Schienensequenz mit Chris
umständliches Inventar (Kräuter mischen, dann verschieben)
vollkommen überflüssige Befehle
vereinzelte Slowdowns bei hohem Gegneraufkommen
matschige Texturen, Flackerschatten (Xbox 360)
häufige Ladeunterbrechungen

Wertung

360

Auf der Xbox 360 tauchen vermehrt technische Probleme auf.

PlayStation3

Survival-Horror? Wo? Capcom serviert entgegen seiner Versprechen einen Actionzombiebrei ohne Charakter.

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Kommentare

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vor 12 Jahren