Im Test: Die Zeit als Verbündeter
Das andere Philadelphia-Experiment
Wir schreiben das Jahr 1987. Ein gewisser Dr. Repeatski, der mit Augenklappe und Rauschebart eher wie ein Überbleibsel aus der Piratenzeit denn wie ein zerstreuter Wissenschaftler aussieht, hat das Theorem für Zeitreisen entdeckt. Doch bevor er das Ereignis gebührend feiern kann, wird die Erde von Robotern angegriffen und beinahe komplett zerstört. Zur Rettung kommt Commander Repeatski, sein mit Orden gespicktes futuristisches Ich, der mittlerweile eine zweite Augenklappe trägt, aber zu einem militärischen Held geworden ist. Denn mit Hilfe seiner Technik hat er mit der Super Time Force (STF) in der Zukunft eine nahezu unschlagbare Truppe zusammengestellt, die er in der Vergangenheit nutzt, um die mechanische Armee zurückzuschlagen.
Das Knobel-Probotector
Wie beim betont pixeligen, aber sehr charmanten 16-Bit-Retro-Look wirft Capybara einen auch hinsichtlich der Steuerung und des grundsätzlichen Spielgefühls in die gute alte Zeit: Man springt, man schießt (in acht digitale Richtungen, kann aber die Feuerrichtung per Schultertaste arrettieren) und schließlich steht man dem meist mehrstufigen Boss gegenüber. So weit, so unterhaltsam, aber auch so bekannt. Und auf den ersten Blick ist auch das Zurück- bzw. Vorspulen der Zeit nichts Neues - man denke an Spiele wie Prince of Persia oder TimeShift. Doch das Team nutzt die Zeitmanipulation nicht nur, sondern macht sie zum essenziellen Bestandteil von Mechanik, Spielerfahrung und actionreiche Rätsel.
Denn man kann noch so gut ballern:
Hä? Wie bitte? Okay, eins nach dem anderen. Fangen wir mit dem Sterben an: Da man die Zeit zurückdrehen kann, kann man auch den Tod umkehren. Richtig? Richtig! Aber nur eingeschränkt. Denn man verändert zwar die Vergangenheit, landet aber mit seiner Figur in einer "parallelen" Zeitebene, die quasi über dem bereits gespielten Geschehen liegt. Man löscht das Geschehene nicht aus, sondern spielt zeitgleich neu. Schafft man es in dieser "neuen" Zeit den Gegner auszuschalten, der für den Tod des Kameraden der anderen "Zeitzone" verantwortlich ist (und die nach Wiederaufnahme des Spiels normal weiter läuft), ist der Kumpel nicht nur gerettet, sondern kann per "Aufsammeln" die Feuerkraft der gegenwärtigen Spielfigur aufwerten - bis diese stirbt oder man wieder wechselt.
Zeit, Taktik, Figurenwechsel
Als ob das nicht reichen würde, um die Gehirnwindungen erstmal zum Qualmen zu bringen, kommen noch einige andere Elemente hinzu. Jeder der beinahe 30 Abschnitte ist mit einem Zeitlimit versehen, das einem neben den sorgsam in den Levels platzierten Gegnern schnell unter den Nägeln brennt, das aber natürlich mit der Zeitmanipulation "mitgeht" und durch sammelbare Uhren aufgebohrt werden kann. Weiterhin hat jede der Figuren besondere Eigenschaften sowie eine sekundäre Angriffsoption. Die Scharfschützin Aimy Mckillin z.B. hat als Standard einen Schuss, der von Wänden abprallt sowie einen Wände komplett ignorierenden, alles durchschlagenden Megaschuss als aufladbare Fähigkeit. Der Grenadier Jef Leppard wirft Granaten (natürlich!) oder lädt seinen Angriff zu einer Rakete auf. Da manche Gegner natürlich anfälliger gegen bestimmte Angriffsmuster sind, ist man schnell dabei, mit der Zeit und den Angriffsoptionen zu experimentieren. Und wenn es hart auf hart kommt und auch der Schildträger Shieldy Blockerson nicht mehr reicht, um die Projektile abzuwehren, kann man natürlich auch versuchen, sich mit zehn Versionen von Jean Rambois und ihrem MG zu helfen.
Allerdings ist die Anzahl der möglichen Zeitmanipulationen auf 30 begrenzt. Sind alle "Chancen" verbraucht, heißt es Game Over. Und das Leveldesign ist ebenso intelligent wie gnadenlos darauf ausgelegt, einem einen nach dem anderen der 30 Zeitstopper zu nehmen. So kann man z.B. nur beim Spulen bestimmte Kristalle entdecken, die in der "normalen" Geschwindigkeit abgeschossen werden können und damit eine Zeitlupe einschalten, mit der man hartnäckigen Feinden an den Kragen kann. Um andere Kristalle zu erreichen, muss z.B. eine Figur weit in das Level
Bis zur Hektik
Man sollte dabei jedoch nicht nur gute Reaktionen, sondern auch gute Nerven und eine nicht zu verachtende Frustresistenz mitbringen. Denn das Geschehen ist nicht nur sehr abwechslungsreich und humorvoll, sondern auch hektisch. Mitunter so hektisch, dass es vermutlich deutlich stressfreier wäre, eine Herde mit Energy Drinks vollgepumpter Wüstenrennmäuse in einer Turnhalle einzufangen. Während man aktiv beschäftigt ist, den dutzenden Projektilen und/oder Gegnern auszuweichen, stirbt, rettet und den Level erforscht, während um einen herum Pixel-Explosionen gleißen, geht der Adrenalinspiegel nach oben. Gelegentlich allerdings einen Schritt zu weit. Zwar gibt es keine unfairen Situationen, doch ich habe bei mir festgestellt, dass ich irgendwann nur noch versessen vor- und zurückgespult habe, um einen Punkt zu finden, in der ich eine Figur sicher absetzen und damit alle zehn oder zwölf anderen mit dem "einen" Schuss retten kann und meine ganzen vorherigen Anstrengungen nicht umsonst waren. Natürlich hat es nicht geklappt. In der Ruhe liegt die Kraft. Nur: Das Spiel gibt einem diese Ruhe nur höchst selten.
Fazit
Hut ab! Mitunter ist die seitwärts scrollende Action mit Zeitmanipulation, die Capybara in einem charmanten Pixel-Look auf die Konsole bringt, zwar enorm hektisch. Und die Figuren, mit denen man versuchen kann, das humorvolle sowie mit Anspielungen prall gefüllte Abenteuer zu Ende zu führen, sind hinsichtlich ihrer Fähigkeiten nicht ausgewogen. Doch trotz aller Hektik, trotz des hohen Anforderungsprofils und trotz des gelegentlich aufkeimenden Frusts habe ich Schwierigkeiten, mich vom Pad zu lösen. In der Schussmechanik und visuell ist das eine gelungene Verbeugung vor den Contras aka Probotectors der Pionierzeit. Das intelligente Leveldesign, die abwechslungsreichen Ballersequenzen und die jegliche Konvention sprengende Nutzung der Zeit sowie aller angeschlossener Paradoxe zieht mich immer wieder zurück an den Controller.
Pro
Kontra
Wertung
360
Anspruchsvolle Ballerei im Retro-Look, die geschickt das Thema der Zeit-Manipulation einbaut und ausreizt.
XboxOne
Anspruchsvolle Ballerei im Retro-Look, die geschickt das Thema der Zeit-Manipulation einbaut und ausreizt.
Du musst mit einem 4Players-Account angemeldet sein, um an der Diskussion teilzunehmen.