Tiny & Big: Grandpa's Leftovers18.06.2012, Jan Wöbbeking
Tiny & Big: Grandpa's Leftovers

Im Test:

Lang lebe der Laser! Nicht nur Raver und Superschurken schätzen seine Macht, auch ein Indie-Team aus Kassel hat das schnittige Lichtbündel für sich entdeckt. Im kreativen Plattformer von Black Pants wird die Umgebung mit der Strahlenkanone in Stücke gesäbelt. Die portionsgerecht zerkleinerten Überreste lassen sich danach einfach über Abgründe schieben.

Üppige Vorschusslorbeeren

Der "Reality Boy" bereitet den Spieler aufs Abenteuer vor - inklusive Monochrom-Grafik und Ohrwurm-Gepiepse.
Der "Reality Boy" bereitet den Spieler aufs Abenteuer vor - inklusive Monochrom-Grafik und Ohrwurm-Gepiepse.

Schon die frühe „Episode 0“ von Tiny & Big räumte einige Preise ab: Auf der offiziellen Homepage füllen die Award-Logos vom Independent Games Festival & Co eine halbe Seite. Auch wir waren nach dem Anspielen begeistert. Verantwortlich dafür war neben der kreativen Spielidee auch die visuelle Umsetzung. Als Christian Niemand und seine Kommilitonen die Scape Engine auf die Beine gestellt hatten, suchten sie an der Kunsthochschule nach Verstärkung. Das urige Design der Figuren und die handgezeichneten Texturen stammen von Christian Stamm – seine verschrobenen Comics dienten auch als Vorlage für die Geschichte.

Die Hauptfigur Tiny sucht in der Wüste nach der gestohlenen Unterhose seines verstorbenen Großvaters. Auf seiner Reise durch mystische, blau glühende Tempel stellt sich heraus, dass das legendäre Feinripp-Artefakt mehr als ein bloßes Erinnerungsstück ist. Gemopst wurde sie von Tinys Gegenspieler Big, an dessen Fersen ich mich hefte. Offenbar stecken magische Kräfte in der Unterhose: Immer, wenn ich zu Big aufgeschlossen habe, schmeißt er mir gewaltige Felsbrocken in den Weg – oder auf die Rübe.

Laserkraft in 3D

Wink mit dem Zaunpfahl: Meist weist die Umgebung darauf hin, wo man am besten die Laser-Schere ansetzt.
Wink mit dem Zaunpfahl: Meist weist die Umgebung darauf hin, wo man am besten die Laser-Schere ansetzt.

Zum Glück hat Tiny vorgesorgt und sich ein paar nützliche Gadgets gebastelt. Eines davon ist das mit einer Seele ausgestattete Radio, welches hilfreiche Tipps und zynische Kommentare von sich gibt – allerdings nur in Textform. Auch im Rest des Spiels geben die Figuren nur Fantasielaute von sich, was aber durchaus zum Comic-Stil passt.

Das zweite und wichtigste Werkzeug ist die eingangs beschriebene Laserkanone. Wenn Big einen großen Brocken zum Schweben bringt und  mir entgegen schleudert, ziehe ich schnell eine Linie drüber, bis Tiny zu schneiden beginnt. Schon stürzen mir nur noch zwei kleinere Trümmer entgegen, welche außerdem leicht nach außen trudeln. Ich sprinte flott hindurch und Big entgegen. Weil er sich aber feige aus dem Staub macht, bin ich wieder alleine und muss über steinige Wüstenpfade bis zu einer Pyramide durchschlagen. Da ein Fels mir den Weg versperrt, schneide ich ihn einfach entzwei. Als kleiner Hinweis ist an seinem Rand bereits ein schmaler Riss zu sehen.

Die Technik versetzt Berge

Durch die komplett manuelle Kamera kann man Sprünge punktgenau abschätzen, muss die Sicht aber immer selbst einstellen.
Durch die nahe, komplett manuelle Kamera kann man Sprünge punktgenau abschätzen, muss die Sicht aber immer selbst einstellen.

Jetzt ist es Zeit für zwei weitere Gadgets: Ich feuere die Harpune ab, laufe ein Stückchen rückwärts und zerre so die obere Hälfte des Findlings von der unteren. Eigentlich könnte ich auf den Pfad hüpfen, doch jetzt liegt der heruntergezogene Brocken im Weg. Also kommt eines meiner mobilen Raketentriebwerke zum Einsatz. Sie sind so klein wie eine Haftgranate, lassen sich überall hin verschießen und befördern durch ihren Rückstoß auch die größten Steine zur Seite oder sogar in die Luft. Also feuere ich ein Exemplar auf die linke Wand, zünde das Triebwerk und schon rutscht das Hindernis nach rechts aus dem Weg. Geschafft! Zur Not kann Tiny auch persönlich anfassen und Hindernisse mit den Händen aus dem Weg schieben.

Das Beste am Level-Design ist, dass es oft mehrere Lösungswege gibt und manchmal auch eigene Experimente ans Ziel führen. Als ich z.B. eine riesige Pyramide erforsche, hindert mich eine klaffende Lücke am Weiterkommen. Ich säble ein paar lange Balken von der Decke, doch sie poltern schnurstracks in den Abgrund. Dann dämmert es mir: Ich hätte vorher eine flache Bodenplatte verschieben müssen, welche die Balken gestützt hätte. Eigentlich könnte ich jetzt per Knopfdruck zum letzten Checkpoint zurückkehren, doch so leicht gebe ich mich nicht geschlagen. Ich laufe ein Stückchen zurück, säble eine Brücke entzwei und verfrachte das Oberteil behutsam zum Abgrund. Hier ein bisschen an der Harpune zerren, dort ein wenig mit dem Mini-Triebwerk anschubsen – und schon liegt die halbe Brücke über der Lücke und ich gelange ans Ziel.

Pyramiden, Tron und ein bizarrer Unterhosen-Fetisch

Nervig: In den Bosskämpfen funkt gerne mal der zu fummelige Schnittcursor dazwischen.
Nervig: In den Bosskämpfen funkt gerne mal das zu fummelige Schnitt-Werkzeug dazwischen.

Ich gelange in einen tiefen Schacht voller blau pulsierender Lichter. Alte Tempel, die an Tron erinnernde Beleuchtung und bizarre Unterhosen-Ornamente bilden einen faszinierenden Stilmix. Die Technik ist weniger beeindruckend: Man merkt, dass ein kleines Team am Spiel saß, denn der Großteil der Texturen wiederholt sich oft und wirkt aus der Nähe ein wenig unscharf. Im Gegenzug benötigt man aber auch nur einen halbwegs aktuellen Rechner, um flüssig spielen zu können.

An der Bedienung der Markierungslinie hätten die Entwickler noch feilen sollen. Mit dem Xbox-360 Controller gestaltet sie sich zu fummelig, was die Bosskämpfe etwas mühsam macht. Im ruhigeren Levels macht es mir aber richtig Spaß, den Weg frei zu brutzeln. Mit Maus und Tastatur lässt sich die Linie einen Deut flotter platzieren. Als Jump-n-Run-Fan bin ich aber beim Gamepad geblieben, denn dort geht der Rest der sehr direkten Steuerung intuitiver von der Hand.

Die alten Tempel und Pyramiden bieten einen hübschen Ausblick.
Die alten Tempel und Pyramiden bieten einen hübschen Ausblick.

Ein kurzes Vergnügen

Schade auch, dass der Wüstentrip so schnell vorbei ist und Tiny auf keine kleinen Gegner trifft. Stattdessen trete ich ein ums andere Mal in Bosskämpfen an. Ein echtes Highlight ist dagegen die Musikuntermalung. Die Stücke wurden von relativ unbekannten, aber umso begabteren Indie-Bands beigesteuert. Der Schwerpunkt liegt auf psychedelischen Rockstücken mit massivem Wahwah-Einsatz, langen Panflöten-Soli und verstörenden Sprachfetzen.

Fazit

Glückwunsch nach Kassel: Mit Tiny & Big hat sich Black Pants nicht nur eine kreative Physik-Spielerei ausgedacht, sondern auch einen gut funktionierenden Plattformer drumherum gebastelt. Trotz des linearen Aufbaus gibt es fast immer ein paar alternative Lösungswege - und genau diese Experimente mit Laser, Harpune und den Mini-Treibwerken machen das Spiel so unterhaltsam. Auch der verschrobene Comic-Stil und der psychedelische Rock-Soundtrack passen prima. Für einen Gold-Award bietet das Spiel aber zu wenig. Im nur gut drei Stunden kurzen Abenteuer tauchen bis auf wehrlose Wüsten-Nager keine Gegner auf. Stattdessen gibt es abseits der ruhigen Pfade nur Bosskämpfe, bei denen der etwas zu fummelige Cursor des Lasers dazwischen funkt. Falls eine zweite Episode geplant ist, sollte der Held ruhig auch ein paar Extra-Fähigkeiten dazu lernen. Das Fundament dafür ist gelegt, denn das Basteln eigener Plattformen funktioniert jetzt schon richtig gut und fühlt sich erfreulich frisch an.

Pro

kreative Spielidee
Erschaffen eigener Pfade klappt erstaunlich gut
uriges Comic-Design
experimenteller, sehr atmosphärischer Indie-Soundtrack
komplett manuelle Kamera ermöglicht exakte Sprünge

Kontra

Schnittwerkzeug in hektischen Momenten zu fummelig
statt Standard-Gegnern gibt es nur Bosskämpfe
nur gut drei Stunden kurz

Wertung

PC

Kurz aber kreativ: Die gelungenen Experimente mit Laser und Harpune machen Tiny & Big zu einem erfrischenden Knobel-Plattformer

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