The Last of Us07.06.2013, Jörg Luibl
The Last of Us

Im Test:

Viele Hoffnungen ruhen auf The Last of Us (ab 20,00€ bei kaufen). Zum einen, weil große Abenteuer rund um Survival und Horror in letzter Zeit so enttäuschten. Zum anderen, weil Naughty Dog im Vorfeld viel versprochen hat: Kein einfaches Spiel, sondern ein umwerfendes Erlebnis wollte man inszenieren. Man hat selbst Kritiker aufgefordert, genauer auf Story und Dramaturgie zu achten. Alles nur PR-Geklapper oder steckt mehr erzählerische Substanz in diesem Abenteuer?

Eine gnadenlose Reise

Mist, er hat mich gehört! Ein kurzes Erkennen, dann instinktives Handeln: Knochen brechen, Blut spritzt und der Mann sackt nach drei brutalen Hieben mit der Brechstange zu Boden. Ich atme durch, aber seine Schreie waren zu laut. Schüsse hallen durch die Dunkelheit, irgendwo werden Befehle gerufen, man soll den verdammten Mistkerl und die kleine Schlampe fertig machen. Schatten rücken zwischen  Scheinwerferlicht vor. Es sind zu viele, ich renne weg und husche in Deckung. Meine Verletzung ist kritisch, aber habe ich Zeit mich zu verbinden? Lieber den Molotow-Cocktail klar machen – es ist mein letzter.

Für einen Moment ist es still, aber es ist noch lange nicht vorbei. Es ist vielleicht nie vorbei. Diese lebensgefährliche Reise durch Amerika scheint überhaupt kein Ende zu nehmen. Was soll’s? Wir haben schon weitaus Schlimmeres überstanden – das Töten ist mittlerweile ein Handwerk, das wir teilen. Ich spiele Joel, einen Mann in den 40ern. Neben mir hockt Ellie. Ein 14-jähriges Mädchen, die 9mm-Pistole sicher in den Händen, den Blick starr geradeaus. Sie wird automatisch wegrennen, schießen oder den Kerlen Steine vor den Kopf werfen, damit ich sie im Taumel kalt mache. Sie ist die einzige Hoffnung für eine seit zwanzig Jahren infizierte Menschheit. Und ich habe richtig Angst um sie.

Die Frage der Menschlichkeit

Das Verhältnis zwischen Joel und der 14-jährigen Ellie steht im Mittelpunkt der Story.
Das Verhältnis zwischen Joel und der 14-jährigen Ellie steht im Mittelpunkt der Story.
Es ist gar nicht so lange her, dass ich mir um eine Videospielfigur so viele Gedanken gemacht habe, dass ich echte Erleichterung verspürte, wenn ihr nichts passiert ist. Es war auch ein Mädchen, sie hieß Clementine und war ebenfalls in einem wahnsinnigen Amerika voller Zombies unterwegs. Im Gegensatz zu Elizabeth in Bioshock Infinite kann Ellie ja im Gefecht überwältigt werden und sterben. Also entsteht einerseits ein aktiver Beschützerinstinkt, aber hier geht es auch um die Frage der Menschlichkeit. Wie viel davon kann in einem Mädchen schlummern, das nichts als Quarantäne kennt, das nie Wälder gesehen hat und wie selbstverständlich mit dem Stilett zusticht? Als man mit ihr zum ersten Mal die Zone verlässt, sagt sie: "Auch du Scheiße, ich bin ja tatsächlich draußen!" Wie viel Kind, wie viel Neugier und Lebenslust steckt überhaupt in dieser Ellie? Oder ist sie ein abgestumpftes Monster? Wie weit würde ich gehen, um sie zu beschützen? Was bin ich überhaupt für ein Mann, der wie ein grimmiger Wolf blicken und wie eine Bestie zuschlagen kann?

Naughty Dog gelingt es zwar nicht, mir die Freiheit der Handlung zu geben, mich wie in Heavy Rain oder The Walking Dead in Extremsituationen entscheiden zu lassen, wie ich auf Personen und Situationen reagiere – soweit gehen sie leider nicht, obwohl gerade dieses Experimentieren das Spielerlebnis nochmal intensivieren würde. Aber es gelingt ihnen, ohne großes Pathos oder moralischen Zeigefinger über subtile Gesten und kleine Dialoge wichtige Fragen aufzuwerfen. Sie stellen die Beziehung zwischen Joel und Ellie so glaubwürdig dar, dass so mancher Vater (oder so manche Tochter) einem vertrauten Konflikt lauscht, voller Trotz und Eskalation. Ab wann darf ein Kind dieses oder jenes? Obwohl nicht immer ausführlich diskutiert wird, hinterlassen die kleinen Dispute große, manchmal bestürzende Wirkung. Naughty geht dabei an emotionale Schmerzgrenzen: Viel intensiver als die brachiale äußere Gewalt einer Enthauptung wirkt an einer Stelle die innere Kälte zwischen Joel und Ellie, die einen schlucken lässt. Unter der Oberfläche geht es immer wieder um Angst und Verlust, um die Vereinsamung des Menschen. Man stellt sich ständig die Frage, wie man selbst handeln würde und reflektiert automatisch über diesen Zustand der Verrohung. Diese Wirkung hinterlassen nur ganz wenige Spiele. Zumal sie von einer Musik verstärkt wird, die sich angenehm dezent zurückhält, aber in entscheidenden Momenten für melancholische, tragische oder aufmunternde Stimmung sorgt. Ich spreche in meinen Tests selten über Soundtracks, das kann Ben viel besser, aber dieser hier ist ein stiller Genuss.

Das spazierende Spiel

Die Gewalt dominiert das Amerika der nahen Zukunft: Joel muss des Öfteren mit allen Mitteln um sein Leben kämpfen.
Die Gewalt dominiert das Amerika der nahen Zukunft: Joel muss des Öfteren mit allen Mitteln um sein Leben kämpfen.
Man darf nicht vergessen: The Last of Us revolutioniert nichts. Und es inszeniert weder ein Storytelling-Experiment wie Dear Esther noch ein rätselhaftes Erlebnis wie Journey, sondern knallharte Triple-A-Action mit einem Drehbuch und Schauspielern, die auch vom alten Eastwood stammen könnten – das ist filmreife Unterhaltung mit toller Lokalisation. Die Spielmechanik zwischen Deckungsaction gegen Feindwellen und Erkundungsreizen inklusive Sammelei und Waffenaufrüstung ist altbekannt; zu Kampf, KI, Fähigkeiten und Rätseln später mehr. Aber gerade deshalb ist es so wichtig, dass Entwickler darüber hinausgehen, sich nicht nur in Zwischensequenzen an reifere Themen wagen, sondern auch die Art des Storytellings während des Spielens nach vorne bringen. Auch wenn das Echo von Uncharted immer wieder mit kleinen Rudimenten durch dieses lineare Abenteuer hallt, besitzt The Last of Us eine wesentlich erwachsenere Ansprache und reifere Dramaturgie.

Der erzählerische Hintergrund, also eine apokalyptische Welt, durch die sich Helden schlagen, ist ja nichts Neues. Vor allem nicht innerhalb eines Genres, das sich mit Survival und Horror auseinander setzt. Auch die Story von der plötzlichen Apokalypse inklusive Flucht von A nach B in der Hoffnung einer Rettung bedient zunächst Stereotypen. Aber es kommt nicht darauf an, was erzählt wird, sondern wie gut es erzählt wird. Was es in dieser Form nämlich noch nicht gegeben hat, auch nicht in The Walking Dead oder Heavy Rain, in 08/15-Shootern schon gar nicht, ist dieser außergewöhnliche Spiel- und Erzählrhythmus: Naughty Dog lädt immer wieder zum Spazieren und Nachdenken ein. Man bekommt Lust, das Tempo rauszunehmen, auf die Charaktere zu achten und den Dialogen zu lauschen. Es entsteht nach enormer Anspannung, die mal an den subtilen Horror von Silent Hill, mal an den Terror von Resident Evil ab Teil 4 erinnert, immer wieder eine Entspannung. Man atmet durch, wird zum Verweilen, Beobachten und Erkunden eingeladen. Achtet mal darauf, was Ellie alles nebenbei anstellt, was sie beobachtet und einsteckt. Ähnlich wie Elizabeth in Bioshock Infinite führt sie ein faszinierendes Eigenleben.

Idylle in der Zerstörung

In düsteren Katakomben entsteht mitunter Silent-Hill-Flair, wenn man lange Zeit nur Geräusche aus der Ferne wahrnimmt, bevor Kreaturen auftauchen.
In düsteren Katakomben entsteht mitunter Silent-Hill-Flair, wenn man lange Zeit nur Geräusche aus der Ferne wahrnimmt, bevor mutierte Menschen auftauchen.
Dass man auf dem Weg von Boston nach Utah immer wieder stehen bleibt, liegt natürlich auch an der fantastischen Kulisse, die idyllische Schönheit inmitten deprimierender  Zerstörung zeigt– es gibt eine Szene, die einfach so wunderschön ist, dass ich minutenlang mit Ellie gestaunt habe. Schon das Licht durchflutete Fenster im Hauptmenü, durch das grüne Pflanzen in die Dunkelheit ranken, deutet den kontrastreichen Stil der kommenden Stunden an, der zum ebenso kontrastreichen Spielerlebnis passt. Man atmet regelrecht auf, wenn man aus finsteren Betonbunkern voller Freaks an die frische Luft kommt, durch Licht durchflutete Wälder oder Vororte im Abendrot spaziert. Die Natur ist hier genauso ein Symbol für die Hoffnung wie diese Mädchen.

Und Naughty Dog geht technisch einen Schritt weiter als noch in Uncharted: Obwohl man zu Beginn noch relativ begrenzte städtische Areale erkundet, öffnen sich die Gebiete im weiteren Verlauf, so dass man sich regelrecht verirren kann. Selbst dann ist die Hingabe der Grafikdesigner, was Kleinigkeiten innerhalb der Landschaft oder Gebäuden angeht, erstaunlich: Achtet mal auf den vereisten Fluss im verschneiten Wald, schaut euch das gestrandete Schiff an der Küste an. Selbst innerhalb von dunklen Kanälen und Katakomben, zaubern die Grafiker über flirrende Lichtschächte, durch die Decke wuchernde Bäume oder überflutete Areale so etwas wie Wildnisflair. Die Reise führt durch Regen und Sturm, bei Tag und Nacht, durch diverse Jahreszeiten – grafisch werden alle Register gezogen, die PlayStation 3 wird hier technisch ausgereizt.

Leise schleichen oder frontal angreifen

Keine Pause: Auch wenn man im Rucksack wühlt oder Gegenstände bastelt, läuft das Spiel weiter.
Keine Pause: Auch wenn man im Rucksack wühlt oder Gegenstände bastelt, läuft das Spiel weiter.
Wie laufen die Kämpfe ab? Die situative Spannung erreicht im Handgemenge mitunter eine Qualität, die man nur von Condemned oder I Am Alive kennt. Im Gegensatz zu Letzterem gibt es hier zwar keine Psychospiele vor Beginn eines Kampfes, also weder Dialoge noch ein Bluffen hinsichtlich der Bewaffnung. Trotzdem kann man beobachten wie unterschiedlich Feinde reagieren, je nachdem ob man eine Schusswaffe in der Hand hält oder nicht – falls ja, alarmieren sie sich umgehend und springen früher in Deckung. Meist geht es aber ohne irgendeine Kommunikation sofort in die Vollen gegen zombieske Kreaturen oder Menschen. Dann hat man die Wahl: Man kann einige Kämpfe komplett vermeiden, indem man clever schleicht und Wachen ablenkt. Das Werfen von Flaschen oder Steinen ist hier ein sehr gutes Mittel, vor allem gegen die blinden Clicker, die nur nach Geräuschen jagen.

Erleichtert wird einem das Umgehen von Joels akustischer Ortung, die Gegner durch Wände anzeigt. Man kann darüber streiten, ob es eine gute Entscheidung war, dieses unrealistisch anmutende Hilfsmittel von Anfang an anzubieten, aber angesichts des fordernden zweiten von drei Schwierigkeitsgraden (ein weiterer wird nach dem ersten Durchlauf freigeschaltet) und der zahlenmäßigen Überlegenheit kann man seine Laufwege damit taktisch besser planen. Außerdem ist es ein Teil der fragwürdigen Fähigkeitenentwicklung , denn man kann die Ortung in mehreren Stufen verbessern. Fragwürdig deshalb, weil die Verbesserungen, die man über gesammelte Pillen freischaltet, teilweise komplett überflüssig sind: Schnelleres Basteln oder Heilen? Habe ich nie gebraucht. Lediglich die Beständigkeit des Messers bringt neben der erhöhten Lauschreichweite effiziente Vorteile.

Die "Clicker" sind blind, reagieren aber auf Geräusche. Kommen sie einmal zu nahe ran, hat man keine Chance.
Die "Clicker" sind blind, reagieren aber auf Geräusche. Kommen sie einmal zu nahe ran, hat man keine Chance.
Überhaupt ist The Last of Us ein Eldorado für Schleichfreunde, die langsam im Lichtkreis der Taschenlampe vorwärts pirschen, die Konfusion von Rauchbomben  nutzen und vielleicht leise mit dem Bogen töten wollen - hier sind Treffer auf Distanz zwar schwierig, aber umso befriedigender. Pfeile können übrigens an harten Flächen zerbrechen oder aufgesammelt werden, falls sie noch ganz sind. Wer sich einem Feind lautlos nähert, kann diesen entweder als lebende Geisel vor sich her schieben (cool ist, dass sich die so Gefangenen irgendwann wehren und mit einem Hieb lösen)  oder sie erwürgen oder erstechen. Ersteres dauert länger und sorgt für Lärm, Letzteres geht schneller, ist leise, kostet aber eine Klinge. Gerade zu Beginn muss man sich auch deshalb sehr gut überlegen, wann man die zerbrechlichen Messer einsetzt, weil nur sie manche Türen öffnen und weil sie gegen Clicker sehr effektiv sind.

Handgemenge und Flucht

Wenn man in Unterzahl ist und mal wieder keine passende Waffe parat hat, bleibt nur der schnelle Nahkampf: Dann wird auf Knopfdruck sofort zugeschlagen oder ausgewichen. Die Fülle an überaus brutalen Aktionen ist verblüffend, denn die Umgebung wird komplett einbezogen, wenn Köpfe gegen Wände krachen und Gelenke brechen. Diese rohe Gewalt wird allerdings besser dargestellt als taktisch ausgespielt: Es gibt kein aktives Kampfsystem mit Block, Konter oder Griff, sondern kontextsensitive Ein-Knopf-Manöver. Nur ganz selten bekommt man einen weiteren Knopf zum Stoßen oder ein Reaktionstest eingeblendet. Die Nahkämpfe sollte man spätestens gegen mehrere Feinde nicht überstrapazieren, sondern die Flucht über L2 ergreifen. Hat man es sprintend außer Sicht geschafft, lohnt es sich, sofort eine Deckung zu suchen und in die Knie zu gehen. So entsteht ein spannendes Katz-und-Maus-Spiel.

Der Übergang von lautlosem Schleichen zur Action in Schulterperspektive ist nahtlos. Man hat für die Attacke einige explosive  Argumente: Man findet diverse Pistolen und Gewehre, kann sowohl Molotow-Cocktails als auch Nagelbomben werfen bzw. als Fallen platzieren und später einen Flammenwerfer spucken lassen - vor allem gegen die riesenhaften "Bloater" ist er sehr hilfreich. Es herrscht zwar keine radikale Munitionsknappheit wie in I Am Alive, aber wer von Beginn an häufig ballert, muss ordentlich mit den Projektilen haushalten. Zu den gewöhnlichen Elementen gehört das Aufrüsten an Werkbänken: Dort kann man zusätzliche Halfter, schnelleres Nachladen, mehr Munitionskapazität, panzerbrechende Kaliber etc. erstellen. Dass man spätere Stufen trotz genug Material erst aufrüsten kann, wenn man entsprechende Werkzeugkisten findet, ist eine ärgerliche Beschränkung.

Schere, Stein & Alkohol

Es gibt immer wieder Zoff zwischen den Charakteren: Die Dialoge wirken angenehm natürlich.
Es gibt immer wieder Zoff zwischen den Charakteren: Die Dialoge wirken angenehm natürlich.
Auch das Aufsammeln von Materialien zum Basteln von Waffen oder Heilmittel ist nichts Neues. Aber die Art wie es inszeniert wird, ist zumindest erfrischend und verlangt Planung. Denn selbst wenn man in der Deckung etwas herstellt, gibt es keine Unterbrechung: Joel geht in die Hocke, wühlt in seinem Rucksack und das schlanke Menü mit den verwertbaren Gegenständen wird eingeblendet, während um ihn herum weiter Feinde nach ihm suchen - so bleibt die Spannung eines Überfalls erhalten. Sehr schön: Ellie kommentiert das Basteln und fordert Joel auf, schneller zu machen. Dann muss man sich entscheiden, was man aus den wenigen Teilen von Scheren, Klebeband bis hin zu Alkohol herstellen will. Auch hier kann man sich nahtlos an die Situation anpassen und sowohl offensiv als auch defensiv handwerken: Von der Nagelbombe über den schweren Nahkampf mit Brechstangenschere bis hin zur Rauchbombe.

Da man manchmal Zutaten für zwei unterschiedliche Dinge, aber nicht genug für mehrere einer Sorte hat, muss man sich festlegen: Medikamente oder Molotow-Cocktail? Und man sollte die Umgebung immer absuchen. Vor allem die vielen Häuser, von denen manche verschlossen, aber zugänglich sind. Aber will man das kostbare Messer wirklich zerbrechen, nur um ein Schloss zu knacken? Bei der Suche kann man zwar auch Schubladen und Schränke öffnen, aber meist blinken die verwertbaren Dinge schon aus der Distanz und man ertappt sich dabei, dass man sie irgendwann gar nicht mehr anschaut, sondern einfach alles schnell in seinem Rucksack verstaut - allerdings ist die Anzahl der Materialien begrenzt, man muss sie irgendwann verarbeiten. Außerdem blinkt nicht alles aus der Ferne, manchmal erkennt man Dinge erst, wenn man nah genug ran geht oder die Taschenlampe anmacht. So findet man neben Sammelkram (Firefly-Anhänger, Comics etc.) auch erzählerische Hinweise wie Tagebucheinträge oder Notizen. Wer darin stöbert, bekommt ein Gespür für die Chronologie der Katastrophe sowie die frühe Verzweiflung und spätere Verrohung der Gesellschaft. Sobald man diese Texte liest, kann es sein, dass Joel die Geschehnisse kommentiert und mit Ellie darüber spricht. Klassische Audiologs kommen erst später hinzu.

Im Angesicht der Feind-KI

Auch Pfeil und Bogen kommen zum Einsatz - nicht nur, wenn man mit Ellie alleine unterwegs ist.
Auch Pfeil und Bogen kommen zum Einsatz - nicht nur, wenn man mit Ellie alleine unterwegs ist.
Die KI der Feinde hinterlässt manchmal einen sehr guten, manchmal einen schwachen Eindruck. Schön ist, dass sie tote Kameraden entdeckt und darauf reagiert. Man wird gezielt gesucht, flankiert und überwältigt - vor allem, wenn man an einem Fleck verharrt und von dort lediglich aus der Deckung heraus schießt, hat man ohne schwere Kaliber keine Chance. Man muss also in Bewegung bleiben und an sichere Flecken huschen. Andererseits lassen auch menschliche Jäger manchmal die nötige Aufmerksamkeit vermissen; vor allem die Paramilitärs wirken nicht in allen, aber in einigen Situationen gegen Ende wie ein unkoordinierter Hühnerhaufen – da wird es einem zu leicht gemacht, da gibt es richtige Aussetzer. Schön ist, dass Ellie & Co meist instinktiv das Richtige tun und in Deckung gehen oder mir aktiv im Kampf über Ablenkungen helfen.

Ellie ist manchmal vielleicht zu eigenständig. Wenn ich mit Joel in die Hocke gehe, um mich leise einem Hauseingang zu nähern, läuft sie weiter aufrecht hinterher. Und als ich das Haus erstmal von außen erkunden will, ist sie in einer Situation schon mittendrin. Natürlich kann auch diese Unberechenbarkeit die Spannung erhöhen. Glaubwürdiger wäre es, wenn sie nicht nur im Angesicht von Feinden oder direkt im Kampf, sondern auch schon vorher so vorsichtig agieren würde wie Joel es vormacht, wenn sie sich also meiner Spielweise anpassen würde. Man kann ihr ja keine direkten Befehle geben, man kann sie nicht einmal zu sich rufen, so dass man auf ihre Intelligenz bzw. ihren Instinkt angewiesen ist. Die mitlaufenden Charaktere agieren ansonsten glaubwürdig, aber ganz unterschiedlich: Die Frauen treten nicht immer wie aufgetakelte Kampfmaschinen um sich, während Joels Söldnerfreunde ordentlich mit der Machete austeilt.

Rätsel, Akrobatik & Co

Noch ein abschließender Satz zur Technik: Naughty Dog spendiert der PlayStation 3 das bisher schönste Spiel - die Kulisse ist teilweise traumhaft.
Noch ein abschließender Satz zur Technik: Naughty Dog spendiert der PlayStation 3 das bisher schönste Spiel - die Kulisse ist teilweise traumhaft.
Manchmal kann man Gegenstände in seinem Rucksack näher per Zoom oder Kameradreh untersuchen, aber das wird leider nicht für Inventarrätsel genutzt. Man findet einige verschlossene Safes, die sich erst nach dem Fund der Notiz öffnen lassen  - das war‘s. Anstatt den Spieler aktiv mit dem Schloss herum spielen zu lassen oder den Code zumindest so zu verstecken, dass eine kleine Suche daraus wird, findet man die entsprechenden Zettel meist ein paar Meter weiter. Ansonsten beschränkt sich das Rätseln eher auf mechanische Umgebungsprobleme, wenn man mal Leitern oder Holzplanken aufnehmen und an der korrekten Stelle als Brücke platzieren muss, um von einem Dach auf das andere zu kommen.

Joel muss auch des Öfteren schwimmen und tauchen, um für die Nichtschwimmerin Ellie hölzerne Plattformen zu besorgen, auf denen er sie von A nach B bringt; auch ein paar simple Schalter- bzw. Generator-Aufgaben sind dabei. Gerade die Unterwasserabschnitte sind eine willkommene Abwechslung angesichts der fehlenden Akrobatik, zumal es klasse aussieht, man die Luft anhalten muss und auch einiges finden kann. Obwohl sich überall zwischen Hausetagen und schiefen Bodenplatten auch Kraxelei anbieten würde, muss man nur selten über Abgründe springen. Joel ist kein herum turnender Athlet: Er kann sich lediglich an hüft- bis schulterhohen Hindernissen hinauf ziehen; manchmal müssen ihm sogar Ellie oder Tess helfen. Das ist allerdings kein Dämpfer für das Spielerlebnis, denn die eingeschränkten Bewegungen passen zum Charakter.

Fazit

The Last of Us erzählt eine einfache, aber unheimlich bewegende Geschichte. Es gibt dramatische, traurige und wunderschöne Momente, über die Spieler noch einige Zeit sprechen werden. Es sind nicht wie so oft militärisches Pathos und Hollywood-Bombast, sondern eine konfliktreiche Beziehung und die Frage der Menschlichkeit, die hier im Mittelpunkt von Triple-A-Action stehen. Ich betone das, weil diese großen Produktionen so häufig mit billigen Drehbüchern enttäuschten. Naughty Dog revolutioniert nichts, ist in Sachen Handlungsfreiheit nicht mutig genug, aber unterhält auf höchstem Niveau mit einer Erzählweise, die zum Spazieren, zum Beobachten und Innehalten einlädt. Mal ist dieses Abenteuer schrecklich, mal melancholisch oder bis zur Schmerzgrenze brutal. Trotz stellenweise gewöhnlicher Mechaniken wie Waffen-Upgrades oder Sammelkram und trotz mancher KI-Schwächen entsteht über 22 Stunden eine enorme situative Spannung, die mal an den subtilen Horror eines Silent Hill, mal an den brachialen Terror eines Resident Evil erinnert. Es gelingt den Entwicklern dabei immer wieder, der Traurigkeit und Trostlosigkeit dieser Endzeit eine hoffnungsvolle Facette abzugewinnen. Nicht nur aufgrund der fantastischen Kulisse, sondern vor allem aufgrund der emotionalen Identifikation mit glaubwürdigen Charakteren. Ich habe selten in einem Spiel so oft aufgeatmet, so stark mitgefiebert und so viel Angst vor dem Ende gehabt.

(Es gibt einen Multiplayer-Modus, den wir aber erst zum Release nach der E3 einschätzen können. Er wird keinerlei Einfluss auf die Wertung haben. Anm. d. Red.)

Pro

starker Einstieg
bewegende Geschichte
sehr gute filmische Regie, tolle Mimik & Gestik
angenehm spazierender Erzählstil
glaubwürdige, natürlich wirkende Charaktere
viele emotionale Momente
unheimlich stimmungsvolle Kulissen
hervorragende Kampf-Animationen
klasse Tauchsituationen
enorme Spannung vor und in Gefechten
Schleichen, Anlocken und Ablenken wird belohnt
Kämpfe auf verschiedene Art lös- bzw. vermeidbar
intuitives Deckungssystem ohne Knopfdruck
Feind-KI flankiert und zwingt zur Bewegung
gnadenlose Gewaltdarstellung
Feinde reagieren unterschiedlich auf Bewaffnung
diverse Pistolen, Gewehre, Bogen, Bomben
ausgezeichnete deutsche Lokalisierung
dezenzte Musik, grandioser Soundtrack
Multiplayer-Modus mit Fraktionen & Ranglisten

Kontra

Feind-KI mit Aussetzern
manchmal unvorsichtige KI-Charaktere
überflüssige Fähigkeiten & Werkbank-Bastelei
einfaches Ein-Knopf-Nahkampfsystem ohne Konter
keine echten Rätsel

Wertung

PlayStation3

The Last of Us erzählt eine unheimlich bewegende Geschichte. Man taumelt zwischen Terror und Hoffnung durch ein wunderschönes Abenteuer.

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