Im Test:
Papa, komm uns holen!
Wo bin ich? Wer bin ich? Kaum wacht man schwankend wie ein Schiff auf hoher See auf, beginnt die Suche nach Antworten. Obwohl Möbel und Gemälde auf ein fürstliches Herrenhaus hindeuten, sorgen nicht nur die Blutflecken auf dem Boden sowie geisterhafte Kinderstimmen für Unbehagen. Schon nach wenigen Schritten bemerkt man Seltsamkeiten wie bronzene Käfige, die die Betten einfassen. Wurde hier jemand gefangen gehalten? Oder nachts beschützt? Auch wenn der Gedächtnisverlust mittlerweile inflationär gebraucht wird, sorgt diese Ausgangslage für Neugier.
Und der erste Brief verschafft zumindest etwas Zeitgefühl: Er stammt aus dem Jahr 1899. Allerdings liest sich der Inhalt wie der Erguss eines Verrückten, der irgendetwas von Jaguar-Männern stammelt. Sind das etwa meine Briefe? Mit der verstörenden Ahnung einen Irren zu spielen erkundet man in Egosicht ein Herrenhaus, wobei man Lampen auf einen Klick entzündet, ansonsten mit dem aktiven Ziehen der Maus agiert: So kann man einige Schubladen und Schränke öffnen sowie Kisten anheben bzw. verschieben oder weitere Notizen finden.
Groteskes Schauer-Abenteuer
Ähnlich wie im Vorgänger setzt die Regie auf unheimliche Geräusche und plötzliche Schockmomente, aber erreicht nur selten dessen Gänsehautmomente. Man erfährt weder die beklemmende Angst eines Slender noch den Terror eines Outlast, obwohl sich die Regie durchaus Mühe gibt: Manchmal brüllt etwas tiefkehlig in der Ferne, manchmal bebt das Haus, etwas kracht die Decke herunter oder der Protagonist schwankt bei einem Déjà-vu. Aber man gewöhnt sich irgendwann an diese unheimlichen Störungen, weil man nicht auf sie reagieren muss - der eigene Geisteszustand sorgt auch nicht für neue Gefahren oder Defizite in der Wahrnehmung. Und warum hat man eine Laterne, die nur geskriptet flackert, aber deren Öl nie versiegt? Man muss sich zu wenig um sich und seine Lage kümmern, zumal sich die Erkundungsreize durch viele verschlossene Türen in Grenzen halten.
Auch wenn viele Gegenstände hinsichtlich der groben Texturen enttäuschen, sorgt das Interieur mit seinen barocken Gemälden, ausgestopften Tieren und festlich geschmückten Tafeln für gediegene Gruselstimmung. Hier könnte auch Dracula herum schlurfen, nur dass er nicht so viel Blut, rostige Schneidewerkzeuge oder Vorschlaghämmer hinterlassen würde, die als Symbole für grobe Gewalt immer wiederkehren.
BioShock lässt grüßen
Die Atmosphäre erinnert auch ein wenig an BioShock und wechselt vom gediegenen Herrenhaus- zum Steampunk-Horror, als man die ersten Maschinen und Apparaturen findet, die auf Knopfdruck knatternde Sprachaufnahmen der Vergangenheit abspielen. Als eine Wandvorrichtung wie ein Telefon klingelt, meldet sich schließlich ein Unbekannter: Er spricht einen mit „Mandus“ an und schlägt einen Handel vor. Man solle den Stromkreislauf wieder herstellen, dann bekäme man seine Kinder zurück. Er warnt vor irgendetwas, das im Keller lauert – genau da soll man allerdings hin, wenn man helfen will.
Ähnlich wie in Amnesia: The Dark Descent steht nicht der Kampf, sondern die langsame Erkundung im Mittelpunkt. Trotzdem tauchen irgendwann Kreaturen auf, vor denen man entweder fliehen oder sich verstecken muss. Dann sollte man die Laterne abdunkeln, in die Hocke gehen und clever um sie herum schleichen. Hört sich gut an, ist aufgrund des flackernden Lichts und der fehlenden Waffen im Ansatz auch spannend, aber nicht besonders schwierig, zumal die Kreaturen manchmal an Ecken stecken bleiben oder sich gar zu zweit verkeilen – sie wirken dann einfach nur dämlich und alles andere als
Schwache Physik
Die Physik wirkt auch in manchen aktiven Situationen schwach – ein schwerer Stuhl oder Balken wirkt federleicht, manche Tür zickt trotz behutsam eingesetzter Maus beim Aufziehen. Warum gibt es nicht eine präzisere Möglichkeit, sie entweder ganz langsam bei gleichzeitigem Schleichen oder meinetwegen mit voller Wucht zu öffnen? Es gelingt diesem Nachfolger nicht, das über die intensive Geräuschkulisse aufkommende Unbehagen auch spielerisch weiter zu verstärken, indem man sich z.B. in Schränken oder unter Betten verkriechen kann, während man verfolgt wird.
Weil dieses Abenteuer nicht so sehr auf die Konfrontation mit Gegnern setzt, kann man das natürlich verzeihen. Aber es hätte einen spielerischen Ersatz geben müssen, wenn man denn schon Elemente klassischer Adventures wie Aufgaben und Objekte einbindet. Leider gibt es keinerlei haptische Erkundung, denn man kann Gegenstände nicht aufnehmen und z.B. analysieren, um etwas zu finden. Das hätte man auch einsetzen können, um die Gedanken
Zudem sind die Rätsel schwach. Sie sind bis auf wenige Ausnahmen immerhin angenehm logisch, aber beschränken sich entweder auf Hebel und Schalteraktionen oder auf das Einsetzen und Aktivieren von Gegenständen, die man von A nach B bringen muss – das wirkt mitunter fast etwas billig und überflüssig, wenn man Kohlebrocken durch die Gegend schleppt. Und warum muss ich tatsächlich diesen einen Kerzenhalter irgendwo einsetzen, wo doch überall andere zu sehen sind? Warum hat man hier nicht die Notizen besser in das Rätseldesign eingeflochten? Trotzdem kommt mitunter etwas Myst-Stimmung, wenn man vor einer bronzenen Apparatur steht und nicht weiß, wie man sie aktivieren soll. Steckt man mal fest, verschafft ein Blick in das Tagebuch zumindest leichte Hinweise.
Fazit
Das ist eine ebenso schaurige wie groteske und gut erzählte Geschichte. Ich habe mich trotz gelungener Schockmomente zwar nicht so gefürchtet wie im Schloss des Vorgängers, aber dafür habe ich mir hier weitaus mehr Gedanken über die Story gemacht. Wer Schauerliteratur à la Frankenstein mag, wird sich in diesem 19. Jahrhundert mal wundern, mal abwenden und immer wieder gruseln. Aber Frictional Games, da war so viel mehr drin! Amnesia: Machine for Pigs ködert zunächst mit jedem Schritt die Neugier, aber lässt spielerisch und dramaturgisch später einiges an Intensität liegen. Vielleicht hätte weniger Text, dafür mehr Symbolik etwas länger für diese groteske Rätselhaftigkeit gesorgt, die einen zu Beginn antreibt. Ich habe auch mehr situative Spannung und interaktiven Anspruch vermisst. Wenn man schon klassische Rätsel, Monster und Physik einbaut, dann muss all das auch wirklich unterhalten und darf nicht aus so billigem Hol- und Schalterkram sowie einfachem Ausweichen dämlich verkeilter Monster bestehen. Unterm Strich haben mich diese sechs Stunden allerdings gut unterhalten, zumal man nach dem Ende wunderbar über den Mensch und unsere Gesellschaft debattieren kann.
Pro
Kontra
Wertung
PC
Trotz Schwächen in Physik, Rätseldesign und Interaktion: Das ist eine ebenso schaurige wie groteske und gut erzählte Geschichte.
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