Wasteland 213.10.2015, Jörg Luibl
Wasteland 2

Im Test: Director's Cut für Liebhaber

Vor einem Jahr überzeugte Wasteland 2 (ab 0,69€ bei kaufen) auf dem PC mit inhaltlicher Qualität und viel Hingabe: Das Rollenspiel von Brian Fargo führte die Tradition des Klassikers aus dem Jahre 1988 fort und wurde auf altmodische, aber überaus charmante und offene Art inszeniert. Auch wenn die Kulisse nicht verzückte, das Kampfsystem seine Probleme hatte und die schlampige deutsche Übersetzung enttäuschte, entwickelte sich ein episches Abenteuer mit Seele, toller Stimmung, feinen Dialogen, vielen Entscheidungen und überraschenden Situationen - mehr dazu in unserem Test. Hier geht es lediglich darum, wie sich der auch auf dem PC erhältliche Director's Cut auf Xbox One und PS4 schlägt.

Vom Arschkriecher zum obersten Wichser

Macht euch bloß nichts vor, falls ihr lupenreine Konsoleros seid: Wasteland 2 ist ein fast schon urzeitliches Rollenspiel, das in erster Linie für den PC und Nostalgiker entwickelt wurde - nur deshalb wurde es so erfolgreich über Kickstarter von alten

In den Optionen könnt ihr nicht nur den Schwierigkeitsgrad anpassen, sondern nahezu alle Anzeigen. Empfehlenswert an PS4 und Xbox One: Schriftgröße auf extra groß.
Säcken wie mir finanziert. Wer es auf PlayStation 4 oder Xbox One startet und jünger als 20 Jahre ist, könnte sich wie in einer Zeitmaschine vorkommen und auf der Couch unfreiwillig zu blinzeln anfangen. Denn nach der Charaktererstellung, die über ein Dutzend neue Psychoprofile (Quirks) wie "Asket" oder "Manisch depressiv" mit Vor- und Nachteilen anbietet, landet ihr in einer Wüste, die auch nach zwanzig Kameraschwenks nicht besonders cool aussieht. Da warten kleine (und überaus verrückte) Typen in isometrischer Perspektive auf euch, während ihr eure zunächst vierköpfige Gruppe per Analogstick bewegt. Ihr wollt ganz nah ranzoomen, um die individuelle Ausrüstung vom Scharfschützengewehr bis hin zur Schrotflinte genau zu betrachten? Geht nicht. Dafür müsst ihr auf das Touchpad tippen, damit sich die frisch designten Charakterbildschirme öffnen. Spätestens hier dürfte Rollenspielern alter Schule das Herz aufgehen, denn man kann sich in zig Werte, Fähigkeiten und Ausrüstung bis zum Abwinken reinwühlen.

Es gibt viel zu tun, viel zu grübeln: Ihr könnt vier Helden selbst erstellen oder vorgefertigte Charaktere wählen. Neu sind die Psychoprofile (Quirks).
Also rückt ihr am besten etwas näher ran an euren Bildschirm, stellt die Schrift in den Optionen auf extra groß und stellt euch auf sehr viel Lektüre ein - die lohnt sich, denn die Geschichte hat es in sich, ist richtig gut geschrieben, die süffisanten Dialoge lassen sich je nach rhetorischem Talent beeinflussen und die deutsche Übersetzung hat sich gegenüber dem schlampigen PC-Original deutlich verbessert. Jetzt heißt eine der kommunikativen Fähigkeiten also "Arschkriecher" und der höchste der vier Schwierigkeitsgrade "Oberster Wichser". Wollt ihr einer sein? Lieber nicht, denn das Leben im Ödland ist dann verdammt kurz - ich empfehle auch geübten Spielern eher "Erfahren" oder höchstens "Ranger".
Trotz besserer Beleuchtung bleibt die Kulisse auf Konsolen bestenfalls solide; einige Ruckler nerven. Der Director's Cut ist für alle Besitzer von Wasteland 2 gratis auf dem PC erhältlich.
Man kann auf Konsolen also endlich in unserer kernigen Muttersprache spielen, obwohl es immer noch blöde Grammatikfehler, störende Zeilenumbrüche und manchmal eine extrem winzige Schrift gibt. Nein, für eine komplett entspannte Lektüre sticht da noch zu viel ins Auge. Trotzdem erreicht die Lokalisierung jetzt eine solide Qualität, so dass man die kleinen Anekdoten, bösen Anspielungen und sarkastischen Kommentare genießen kann. Und nicht zu vergessen: Es gibt viele komplett neu eingesprochene Passagen für wichtige Charaktere, die tausende Zeilen umfassen sollen - das ist natürlich sehr lobenswert, allerdings nur auf Englisch mit optionalen Untertiteln dabei.

Gemächlicher Einstieg ohne Feuerwerk

Über die Schultertasten werden Kreismenüs für Fähigkeiten aufgerufen. Neu ist, dass man einzelne Körperteile anvisieren kann.
Wasteland 2 braucht Zeit, denn es startet ganz gemächlich ohne Drama oder Explosionen mit der Suche nach einem Ranger. Es knüpft nicht an Traditionen eines Final Fantasy oder Mass Effect an, sondern natürlich an den Pionier aus dem Jahr 1988 und hinsichtlich des Spieldesigns an das erste Fallout aus dem Jahr 1997. Diese zweidimensionalen Klassiker haben die Endzeit für Abenteurer erst so salonfähig gemacht, dass Bethesda später mit der Lizenz die heute bekannteren 3D-Blockbuster daraus entwickeln konnte. Brian Fargo wird also erneut von seiner Vergangenheit eingeholt, wenn am 10. November Fallout 4 erscheint. Wie bitte? Ihr gehört tatsächlich zu denen, die nach den ersten Spielszenen mit dem Schäferhund über die "altbackene Grafik" gelästert haben? Dann Finger weg von diesem urigen Abenteuer! Die werden alle anderen dafür sehr oft brauchen, um Knöpfe und Schultertasten zu betätigen, die komplett belegt sind. Wasteland 2 bietet ein komplexes Charakter-Management mit zig Gegenständen und Fähigkeiten, mit Aufrüstungen und Anwendungen, so dass ihr bei einer vier- oder bald schon sechsköpfigen Gruppe sehr viel hin und herwechseln, tauschen und verteilen müsst. Und all das ohne das blitzelegante Mäuseklicken, sondern nur über schwerfällige Gamepadakrobatik.

Das Kampfsystem profitiert von kleinen Verbesserungen hinsichtlich Schadensermittlung, Feindplatzierung und Beute.
Auch wenn inXile Entertainment das Jahr gut genutzt hat, um die Steuerung und Kulisse für Konsolen zu optimieren, erreicht man sowohl hinsichtlich der Bedienung als auch visuell höchstens durchschnittliches Niveau. Trotzdem gibt es auch mal ansehnliche Szenen: Die frische Beleuchtung innerhalb der Korridore ist sehr stimmungsvoll, es gibt sogar strukturiertere Oberflächen. Aber sowohl die Detonationen als auch Feuer wie auch Flora und Fauna lassen trotz grafischer Politur des Öfteren zu wünschen übrig. Wer die von Pflanzen überwucherten Außenanlagen der ersten Station erreicht, wird von recht platten Farben und Strukturen empfangen. Und wenn die Kamera in heiklen Momenten auf Mutanten zoomt, sieht das mitunter aus wie auf PlayStation 2. Zwar wurden manche Cutscenes aufgewertet, aber erreichen trotzdem keinen aktuellen Standard. Schade auch, dass nach dem Dreh des Blickwinkels nicht automatisch Transparenz herrscht, sondern man Mauerwerk vor der Nase hat. Und dass die Bildrate beim Anweisen der Bewegung in den rundenbasierten Gefechten tatsächlich zu kämpfen hat, ist vollkommen unverständlich.

Neue Perks und Präzisionsattacken

Es gibt viel zu lesen und die Lektüre lohnt sich. Die deutsche Übersetzung erreicht endlich ein solides Niveau.
Aber ganz ehrlich? Wasteland 2 war auch auf dem PC alles andere als ein technisches Schmuckstück, sondern selbst bei voll aufgedrehten Details im besten Fall solide. Und ich habe spätestens gemerkt, dass die Kulisse egal ist, als ich gleich im Einstieg eine andere Quest als damals auf dem Rechner verfolgte, die mir andere Begleiter und Möglichkeiten eröffnete. Man darf auch nicht vergessen, dass sich dieser Test deshalb so "negativ" liest, weil ich mich auf die oberflächlichen Unterschiede konzentriere und nicht nochmal auf all das wertvolle Inhaltliche eingehe, was Drehbuch, Party-Interaktion, Dialoge und Charakterentwicklung so auszeichnet - da verweise ich erneut auf die acht Seiten Analyse in diesem Test. Letztere wurde nicht nur um die Psychoprofile erweitert, die sich ja permanent auswirken: Ein "Asket" bekommt zwar zu Beginn mehr Punkte zum Verteilen, aber darf das ganze Abenteuer über keinen Schmuck tragen; andere haben zwar höhere Trefferquoten, aber treffen nie kritisch. Hinzu kommen die 90 neuen "Perks", die im Charakterbogen markiert sind und die  man stückweise freischaltet: Alle vier Stufen bekommt man einen Punkt, der mitunter von den eigenen Fähigkeiten abhängig ist - wer also in bestimmte Waffen investiert, wird in diesem Bereich mit einem weiteren Bonus belohnt.

Auch auf PS4 und Xbox One braucht das Abenteuer etwas Zeit, bevor es Fahrt aufnimmt.
Außerdem darf man als Konsolenheld auf ein verbessertes Kampfsystem zurückgreifen: Das hat zwar immer noch seine Macken, was Schüsse durch Deckung, KI-Verhalten & Co betrifft. Aber es wurde nicht nur hinsichtlich der Schadensberechnung (vor allem im Nahkampf), der Rüstung sowie Energiewaffen und der Beute besser ausbalanciert. Man begegnet den Feinden jetzt teilweise an ganz anderen Stellen, sie befinden sich nicht in derselben Deckung und so wirken die Begegnungen etwas durchdachter und taktisch interessanter - zumal auch neue exklusive Waffen als Beute locken. Noch wichtiger: Wer die Schultertaste aufruft, kann in einem Kreismenü zum ersten Mal über "Precision Strike" einzelne Körperteile der Feinde wie Kopf, Torso, Arme und Beine anvisieren - ein toller Zusatz, der zwar zu Beginn noch wenig Trefferchancen bietet, aber bei einem Erfolg fatalen Schaden oder anhaltende Mali nach sich ziehen kann.

Fazit

Ihr habt nach der Bethesda-Pressekonferenz über die Grafik von Fallout 4 gelästert? Dann Finger weg von Wasteland 2, ihr Oberflächenhelden! Denn trotz der Politur kann diese isometrische Kulisse natürlich nicht begeistern, es gibt sogar Bildratenprobleme und das Abenteuer verlangt auf Konsolen noch mehr Geduld: Wer mit seiner Party auf PlayStation 4 und Xbox One ins Ödland zieht, kann das kleinteilige Inventar mit den zig Gegenständen sowie Aufrsütungen und die Karriere mit all den Fähigkeiten nicht so flott managen wie mit der Maus. Außerdem sollte man aufgrund der vielen Texte die größte Schriftart wählen und nicht so weit weg sitzen. Lest ihr noch mit, ihr 1080p-60fps-Philosophen? Okay: Denn wenn man sich erstmal reingefriemelt und den etwas zähen Einstieg hinter sich hat, entwickelt das Rollenspiel von Brian Fargo diese Sogkraft, die einen schon am Rechner nicht mehr losließ. Hier spürt man, mit wie viel Hingabe das Team entwickelt hat. Zumal es sehr lobenswert ist, dass es nicht nur in der Charaktererstellung (Quirks) als auch Entwicklung (Perks) neue Elemente gibt, sondern dass man auch das Kampfsystem hinsichtlich Rüstung, Schaden, Beute und Feindplatzierung besser ausbalanciert und um neue Taktiken (Precision Strike) erweitert hat. Freut euch auf ein brutales, groteskes, aber bei aller Tragik immer mit den Augen zwinkerndes Abenteuer mit Entscheidungen und Konsequenzen. Hier hat man das angenehme Gefühl, dass ein Spiel auch in kleinen Situationen mit einem spielt und dabei leise flüstert: Hey, lass dir Zeit - schau genau hin, lies genau mit. Außerdem werden die Steuerungsdefizite auf den Konsolen von der nicht perfekten, aber wesentlich besseren deutschen Übersetzung wettgemacht. Wenn ihr ein Rollenspiel mit Seele sucht, solltet ihr dieses Ödland erkunden - viel Spaß dabei!

Pro

neu: Psychoprofile (Quirks) in Charaktererstellung
neu: Fähigkeiten (Perks) in Charakterentwicklung
neu: Körperteile anvisieren
neu: mehr englische Sprachausgabe
verbessert: Balance von Kampf & Beute
verbessert: deutsche Texte jetzt lesbar
verbessert: ansehnlichere Beleuchtung
Party-Rollenspiel alter Schule
komplexe Charaktererschaffung
viele gut geschriebene Situationen/Aufgaben
einige kreative Quests mit Echtzeitspannung
offenes Abenteuer mit freier Vorgehensweise
Terra incognita: Karte muss aktiv erkundet werden
Wasser-, Munitions- und Geldknappheit
taktische Rundengefechte
viele Entscheidungen mit Konsequenzen
viel zu entdecken, viele Anspielungen
Deckung suchen, Hinterhalt legen, Feuermodi wechseln
gutes Fallen-, Alarm- und Schlossknacksystem
viele aktiv nutzbare Fähigkeiten
NSC kommentieren, führen Eigenleben
viele gute Dialoge inkl. Text-Direkteingabe
stimmungsvolle Radio/Funkdurchsagen
rhetorische Fähigkeiten bringen Gesprächsoptionen
zig Waffen mit diversen Munitionstypen & Modifikationen
Traglast wirkt sich spürbar aus
viele Verletzungstypen (Blutung bis Verseuchungen) & permanenter Tod
Leadership wirkt sich spürbar aus
sehr gute englische Sprachausgabe
viele humorvolle Anspielungen
Charaktere als 3D-Portraits im Menü
keine Anzeige von Zielorten in Quests
vier Schwierigkeitsgrade (jederzeit wechseln)
Spielzeit bei 40 Stunden plus X

Kontra

ärgerlich: Bildratenprobleme
ärgerlich: teilweise Winzschrift, Zeilenumbrüche
stellenweise sehr fade Kulisse
deutsche Texte immer noch mit Fehlern
Story kommt schleppend in Fahrt
kein historisches Nachschlagewerk oder Archiv
schwache Animationen, viele gleiche Portraits
Attribute an Statuen? Ach, Leute...
Schüsse durch Hindernisse wie Felsen
Figuren reagieren nicht immer authentisch auf Diebstahl & Co
Karten nicht beschriftbar
keine Formationen
manuelle Texteingabe oft unfruchtbar

Wertung

XboxOne

Auch auf der Konsole entführt Wasteland 2 in ein brutales, groteskes, wunderbar süffisantes Endzeit-Abenteuer. Rollenspieler alter Schule? Zugreifen!

PlayStation4

Auch auf der Konsole entführt Wasteland 2 in ein brutales, groteskes, wunderbar süffisantes Endzeit-Abenteuer. Rollenspieler alter Schule? Zugreifen!

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