Ravenmark - Scourge of Estellion13.04.2012, Jörg Luibl
Ravenmark - Scourge of Estellion

Im Test:

Rundenbasierte Strategie à la Fire Emblem oder Advance Wars? Dafür ist das iPad theoretisch bestens geeignet: Man kann sich zurücklehnen und Armeen bequem per Finger kontrollieren. Aber in der Praxis müssen Feldherren lange suchen, bevor sie empfehlenswerte Spiele finden – vor allem, wenn es sich nicht um Umsetzungen, sondern frische Abenteuer mit eigenen taktischen Ideen handeln soll. Ravenmark ist so ein exklusiver Geheimtipp.

Fest geschlossene Reihen

Ravenmark inszeniert Rundentaktik in handgemalter 2D-Kulisse.
Ravenmark inszeniert Rundentaktik in handgemalter 2D-Kulisse. Das Besondere ist das kreative Formationssystem, denn zusammen geschlossene Einheiten bekommen wichtige Boni.
Was mich als alter Strategiehase an Ravenmark fasziniert, ist nicht in erster Linie die überraschend gut ausgearbeitete, mal spätantik, mal mittelalterlich inspirierte Fantasywelt namens Eclisse. Es gibt alte politische Konflikte zwischen Barbaren und Imperialen, fünf rivalisierende Reiche, intrigante Charaktere und naive Helden, die in einer langen Kampagne auftreten. Alles nicht besonders dramatisch oder gar packend, aber solide inszeniert. Es ist auch nicht die Fülle an Einheiten, die in einem edlen Codex vorgestellt werden – da gibt es zig Truppentypen von einfacher Miliz über Schwert- und Speerkämpfer sowie Kavallerie bis hin zu Schleuder, Armbrust-, Bogen- sowie Musketenschützen.

Es ist vor allem das Formations- und Befehlssystem, das mich von Anfang an begeistert hat. Man muss aus seinen militärischen Mitteln das Beste rausholen und kann dabei auf eine frische Gruppentaktik zurückgreifen, die vielen großen Strategiespielen abgeht. Denn hier erhält man nicht nur entscheidende Kampfboni, wenn man Truppen gleichen Typs in eine feste Formation bringt, sondern auch ganz neue Fähigkeiten je nach der Anzahl der zusammen geschlossenen Truppen. Es lohnt sich also, Ketten zu bilden: Die „Earthbound Swordsmen“ können ab zwei Einheiten z.B. die Schilde schließen, um Schaden abzuwehren; und ab drei Einheiten bekommen sie 30 Prozent mehr Rüstung gegen Pfeile.

Taktische Kombinationen

Je nach Einheitentyp und Formationsstärke werden im Kampf spezielle Manöver aktiviert.
Je nach Einheitentyp und Formationsstärke werden im Kampf spezielle Manöver aktiviert - dieser Angriff ist allerding schon für eine einzelne Kavallerie möglich.
Manchmal kann eine erfolgreich etablierte Formation der Schlüssel zum Sieg sein: Die „Eartbound Bowmen“ bekommen ab zwei Einheiten z.B. eine weitere Salve, die richtig weh tut. Man kann zudem taktisch experimentieren: Es gibt Manöver, mit denen man die Gegner ein Feld zurück schubsen und dann nachsetzen kann. Und wenn man zuerst die Moral einer feindlichen Truppe senkt, diese danach mit einer berittenen Zweierformation der „Rookguard“ attackiert, wird sie sofort vernichtet – autsch! Allerdings nutzt auch die KI diese Manöver, so dass man gut auf seine Verteidigung achten sollte; ab der vierten Mission der Kampagne ist der Schwierigkeitsgrad richtig knackig. Das ist keine Casualstrategie, sondern etwas für anspruchsvolle Feldherren.

Außerdem sind Formationen quasi günstiger: Man hat nur eine begrenzte Zahl an Befehlspunkten für eine Runde, wobei jede einzelne Einheit, aber auch jede Formation einen verschlingt – man kann also mit Gruppenaktionen sparen. Aber Formationen haben auch einen Nachteil: Sie machen unbeweglicher im Gelände und sie sind anfälliger an den Flanken! Denn eine weitere Stärke des Spiels ist, dass Truppen, die von der Seite in einen Gegner stoßen, einen Schadensbonus bekommen. Um dem vorzubeugen, sollte man Formationen wiederum geschlossen über „Wheeling“ bewegen, so dass sie sich in Richtung Feind drehen. Und man sollte sie auch mal auflösen, um selbst in die Guerillataktik überzugehen.

Schere, Stein, Papier

Es gibt zig Helden und Truppentypen: Der Codex lädt immer wieder zum Stöbern ein.
Es gibt zig Helden und Truppentypen: Der Codex lädt immer wieder zum Stöbern ein.
Im Kampf greifen dann Schere, Stein und Papier, wobei es einen Kreislauf aus vier Kräften gibt: Speere schlagen Reiter, Reiter schlagen Schützen, Schützen schlagen Infanterie, Infanterie schlägt Speere. Hinzu kommen Heldeneinheiten, die besondere Fähigkeiten besitzen wie Flächen deckende Moralschübe, Extrabewegungen oder Ähnliches. Da das Missionsdesign nicht immer auf die totale Vernichtung, sondern auch mal auf das Halten oder Erreichen eines Geländefeldes ausgelegt ist, muss man seine Taktik immer wieder etwas anpassen. Allerdings gibt es später auch einiges an Trial&Error, weil man nur über bestimmte voraus schauende Manöver gewinnen kann, wenn der Feind plötzlich weiteren Nachschub bekommt.

Und die Schlachten können angenehm ausführliche Ausmaße annehmen, wenn auf beiden Seiten dutzende Einheiten warten. Auch hier gibt es einen sehr guten Kniff gegen zu viel Mikromanagement, die so genannten „Standing Orders“: Man kann Truppen vorgefertigte Befehle wie „Bewege dich ein Feld vor“ oder „Verfolge diesen Gegner“ geben, die sie dann jede Runde von selbst ausführen. Schön ist, dass man das Gelände teilweise taktisch nutzen muss: Es gibt z.B. Karten mit Engpässen und Schneisen, die man clever abdecken sollte.

Alles gleichzeitig

Bei der Berechnung des Schadens kommt es auf die Stellung im Gelände, den Einheitentyp sowie aktivierte Boni an.
Bei der Berechnung des Schadens kommt es auf die Stellung im Gelände, den Einheitentyp sowie aktivierte Boni an.
Alles passiert übrigens gleichzeitig – sprich: Man zieht seine Einheiten theoretisch alle auf einmal. Das hat zur Folge, dass man sie nicht nacheinander über die Karte bewegt, sondern nach den Einzelbefehlen in einem Schwung. Das hätte man etwas anschaulicher lösen können, indem man die finalen Orte jeder Einheit alle zusammen angezeigt hätte; so muss man sich seine Marschbefehle merken oder einzeln nachsehen.

Erst wenn Aktionsphase startet, führt jede Einheit in der Reihenfolge ihrer Initiative praktisch den Befehl aus. Man sollte also taktisch darauf achten, wer was zuerst macht – und das ist wiederum motivierend: Falls eine Einheit schwer verwundet, aber sehr unbeweglich ist, also erst spät ziehen darf, kann man sie z.B. retten, indem man eine schnellere Reiterei auf ihre Verfolger ansetzt. Innerhalb der Missionen wird es immer wichtiger, die agilen und weniger agilen Truppen optimal einzusetzen. Wie hoch die Initiative ist, lässt sich über einen Zoom plus Fingertipper schnell herausfinden, dann werden je nach Wunsch die Einheitentypen oder Zahlenwerte angezeigt.

Offene Wünsche

Allerdings hat das Spieldesign abgesehen vom fehlenden Multiplayer auch noch Luft nach oben: Hindernisse im Gelände wie Mauern oder Wälle sind für die Bogenschützen z.B. kein Problem, denn sie geben keine effiziente Deckung. Man kann auch weder Türme noch Wehrgänge bemannen. Hinzu

Man hat nur eine bestimmte Anzahl an Befehlspunkten, um seine Truppen zu bewegen.
Man hat nur eine bestimmte Anzahl an Befehlspunkten, um seine Truppen zu bewegen.
kommt, dass man das Ziel seiner Attacke bei Fernkämpfern nicht selbst bestimmen kann – sie suchen sich immer automatisch eines aus. Besonders schade ist, dass es keine Erfahrung für die eigenen Truppen gibt, so dass man noch stärker auf Verluste achten müsste und dekorierte Veteranen aufbauen könnte. Schließlich vermisst man auch die Entwicklung der vielen Helden: Man kann ihre Karriere nicht über Fähigkeiten oder Werte beeinflussen.

Bis vor kurzem wurde das iPad 3 noch nicht optimal unterstützt – es gab hässliche Grafikfehler auf dem Retina-Display. Aber damit ist mit dem letzten Update v1.05 endlich Schluss: Die malerischen 2D-Schlachtfelder werden jetzt sauber dargestellt.

Fazit

Ich spiele Ravenmark jetzt schon seit Wochen, jeden Abend eine kleine Runde. Warum? Nicht nur weil ich Spiele à la Fire Emblem mag und rundenbasierte Gefechte einfach wunderbar auf das iPad passen. Es  ist auch das erste exklusive Strategiespiel seiner Art, das mit frischen Ideen hinsichtlich der Formationen punkten kann – hier sind Ketten von Einheiten wichtig, hier muss man sich wirklich clever im Gelände bewegen und seine Befehle effizient einsetzen. Hinzu kommt eine überraschend ausführlich ausgearbeitete Fantasywelt im malerischen Comicstil, die mit zig Einheitentypen zum Statistikstöbern einlädt. Obwohl die ausführliche Kampagne erzählerisch eher ermüdet und es leider weder Veteranenbildung noch individuellen Einfluss auf Helden gibt, spiele ich sie auch deshalb sehr gerne, weil sie taktisch fordert. Das ist kein Schnellschuss für den Casualcäsar, sondern ein ambitioniertes Projekt für anspruchsvolle Feldherren. Glückwunsch an die Witching Hour Studios für diese gelungene Premiere - bitte mehr davon!

Wertung

iPhone

Kreatives Formationssystem und fordernde Kampagne - ideal für Rundentaktiker!

iPad

Kreatives Formationssystem und fordernde Kampagne - ideal für Rundentaktiker!

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