Deadpool28.06.2013, Mathias Oertel
Deadpool

Im Test:

Von allen Marvel-Helden ist Deadpool (ab 22,99€ bei kaufen) einer der ungewöhnlichsten. Der geläuterte Ex-Superbösewicht mit Persönlichkeitsstörung und enormen Aggressionspotenzial steht in krassem Gegensatz zu den klassischen Saubermännern wie Peter Parker. Und ausgerechnet dieser anarchische Hallodri bekommt ein eigenes Spiel? Oh ja! Und was für eines!

Löcher in der vierten Wand

Eines kann man Deadpool, mit bürgerlichem Namen Wade Winston Wilson, attestieren: Bescheidenheit ist nicht seine Stärke. Subtiles Verhalten ist ihm ebenso fremd. Gleiches gilt für den Begriff "Normal". Er ist unsterblich. Er redet mit sich selbst, unterhält sich mit zwei Stimmen in seinem Kopf, spricht auch den Spieler vor dem Bildschirm mal direkt an oder nimmt auf die Pad-Aktionen Bezug. Und er ist der Hauptdarsteller in seinem Spiel, das er zusammen mit den High Noon Studios entwickelt, mit denen er zu Beginn telefoniert. Zwar hat er keine Lust, das Drehbuch zu lesen und bringt auch ad hoc Änderungen ein, aber hey: Er ist der Star, richtig?

Die Herangehensweise an Deadpool (das Spiel) ist ungewöhnlich. Wie in den Comics, in denen Deadpool (die Figur) als ruchloser Söldner seine Karriere auf der bösen Seite startete, bevor er zum mehr oder weniger "guten" Helden wurde, wird immer wieder die so genannte "Vierte Wand" durchbrochen. Dahinter versteht man z.B. im Theater eine imaginäre Wand (normalerweise die Bühnenabgrenzung zum Zuschauerraum), die von den Schauspielern aufbaut wird und hinter der sie ihre Szene spielen - quasi ein halbdurchlässiger Spiegel. Als Stilmittel kann ein Schauspieler diese Wand durchbrechen und direkt mit dem Publikum sprechen. Und genau das passiert hier ständig. Deadpool fordert einen immer wieder auf, ihm zu folgen. Er beschimpft einen, wenn man (geskriptet) die Kamera nach einer Explosion fallen lässt. Er versucht permanent, einen noch intensiver mit dem Spiel zu verbinden - und das gelingt ihm auch. Während dieses Stilmittel normalerweise genutzt wird, um den Zuschauer aus einer Szene herauszulösen und ihm eine andere Sicht auf die Dinge zu bieten, wird hier das Gegenteil erreicht: Man wird noch tiefer in die absurde Welt von Deadpool gezogen.

Witz über Inhalt

Wenn es um Humor geht, ist sich Deadpool für nichts zu schade und lässt kein Thema aus.
Wenn es um Humor geht, ist sich Deadpool für nichts zu schade und lässt kein Thema aus.
Sobald man sich auf diese Herangehensweise einlässt und akzeptiert, dass der Protagonist alles andere als ein gewöhnlicher Superheld ist, beginnt der absurde Humor zu zünden. In jeder Minute, in der man nicht mit Nah- oder Fernkampf die Gegnerklone dezimiert, für die es innerhalb der Geschichte natürlich eine Erklärung gibt (wenngleich auf Deadpools niedrigem Basisniveau), werden Gags abgefeuert. Slapstick ist ebenso zu finden wie zielsichere Situationskomik, es wird nicht mit sexuellen Anspielungen (oder Deutlichkeiten) gespart, pubertärer Toilettenhumor kommt nicht zu kurz und die Zwiegespräche zwischen Deadpool und seinen beiden Stimmen im Kopf sind eine Quelle für herrliche "Modianologe". Nichts und niemand ist dem schwarzrot angezogenen Antihelden und den High Moon Studios heilig. Wolverine wird lautstark "gebitchslapt", der "Mister Fusion Home Energy Reactor" aus Zurück in die Zukunft kriegt ebenso sein Fett weg wie Videospiele, die X-Men im Allgemeinen oder viele andere Größen der Popkultur. Und obwohl Deadpool kein Mann des Subtilen ist, werden auch tatsächlich leisere humoristische Töne angeschlagen. Bei mir zumindest kann das von ihm selbst erzeugte "Blip" beim Betätigen bestimmter Schalter immer wieder für ein leichtes Lächeln sorgen.

In diesem Zusammenhang geht nicht nur ein großes Lob an die Autoren (und Deadpool), sondern vor allem an Nolan North, der dem psychisch gestörten Anarcho-Helden seine Stimme leiht. Und das so überzeugend, dass ich den Synchron-Veteranen tatsächlich nicht wiedererkannt habe, obwohl er u.a. sowohl Nathan Drake in Uncharted als auch Desmond Miles ab Assassin's Creed 2 (jeweils im englischen Original) gesprochen hat. Ein weiteres Lob geht an Activision, das wohlweislich keine deutschen Sprecher engagiert hat. Zum einen setzt sich der Humor über Sprachgrenzen hinweg, zum anderen wäre es nach meiner Einschätzung nur schwer möglich gewesen, den gesamten Witz in Deutsch vernünftig zu erfassen.

Solide Mechanik

Hinsichtlich der Mechanik ist das Spiel viel gewöhnlicher. Mit einer konzeptionell gut durchdachten Mischung aus Nah- und Fernkampf sowie Gebietserforschung liegt Deadpool irgendwo zwischen Devil May Cry, Bayonetta, God of War und Castlevania - Lords of Shadow. Hinsichtlich Kampfsystem, Kollisionsabfrage etc. leistet sich High Moon auch keine groben Schnitzer, doch angesichts des Kalibers der genannten Titel ist es wenig überraschend, dass man in keinem Bereich Bemerkens- oder Erinnerungswertes abliefert.

Die Kampfmechanik ist solide, kann aber nicht mit Schwergewichten wie DmC oder God of War mithalten.
Die Kampfmechanik ist solide, kann aber nicht mit Schwergewichten wie DmC oder God of War mithalten.
Das soll nicht bedeuten, dass die Kämpfe schwach sind. Sie sind solide und brachial inszeniert. Doch die Übergänge zwischen Nah- und Fernkampf sind mitunter etwas brüchig, der Wechsel z.B. von Doppelkatana zu Doppelpistole ist nicht so flüssig wie man es sich wünschen würde. Auch das Durchschalten zwischen den einzelnen Waffen geht nicht nahtlos vonstatten, Komboverknüpfungen, etwa von Katana zu Hammer (natürlich auch doppelt) oder zu den Sais werden nicht unterstützt. Dadurch beraubt sich Deadpool einer zusätzlichen Dynamik, die die Kämpfe aufwerten würde.

Immerhin kann man mit entsprechendem Timing einen Konter setzen oder per Teleport aus dem Angriffsweg flüchten. Dabei sollte man jedoch die Kombo nicht aus den Augen verlieren. Wer zu lange mit dem nächsten Treffer wartet, riskiert, seinen Kampfbonus zu verlieren. Der setzt sich aus einer Punktzahl zusammen, die die Art der Tötung bewertet (Sonderangriffe, die erst aufgeladen werden müssen oder Headshots bringen mehr Punkte) sowie einem Multiplikator, der sich aus der Kombo ergibt. Wer geschickt ist, kann sich alsbald über enorme Ausschüttung von Erfahrungspunkten freuen, die wiederum für den Erwerb neuer Waffen oder das Aufrüsten von Equipment bzw. Deadpools Eigenschaften genutzt werden können.

Solide Technik

Natürlich kann Deadpool seine Gegner auch mit Schusswaffen auf Distanz halten.
Natürlich kann Deadpool seine Gegner auch mit Schusswaffen auf Distanz halten.
Zusätzlich darf man an einigen Stellen versuchen, seine Gegner schleichend zu erreichen, um ihnen dann mit einem spektakulären Finisher den Garaus zu machen. Die übrige Zeit zwischen den Gags und Zwischensequenzen verbringt man mit Gebietserforschung. Dabei wird man ähnlich Ninja Gaidens Ryu Hayabusa mit Doppel- und Wandsprüngen zumindest rudimentär gefordert, sich die linearen, aber dennoch zum Stöbern einladenden Abschnitte etwas genauer anzuschauen. Denn nicht nur Munition liegt überall verstreut, es gibt auch immer wieder kleine Deadpool-Symbole zu entdecken, die zusätzliche Erfahrungspunkte spendieren.

Das muss als Stöber-Motivation ausreichen. Denn obwohl man auf Unreal-Technologie setzt, sind die Kulissen nur selten einladend. Ähnlich wie das Kampfsystem hinterlassen die Schauplätze einen soliden Eindruck und leisten sich nur beim Justieren der Kamera und gelegentlichen Clipping-Problemen Aussetzer. Die Animationen gehen ebenfalls größtenteils in Ordnung, wobei Deadpool als Protagonist einen wesentlich besseren und detaillierteren Eindruck hinterlässt als viele seiner Opfer.

Fazit

Deadpool wird keinen Innovationspreis gewinnen. Der spielerische Kern mit seiner Mischung aus Nah- und Fernkampf, Figurenupgrades sowie einer Prise hüpfender Gebietserforschung ist so herkömmlich wie ein Pfannkuchen, aber stilistisch sicher sowie mitunter sehr blutig inszeniert. Und kurz dazu: Nach etwa sechs bis sieben Stunden hat man den Abspann erreicht. Doch dank des unglaublich charismatischen Protagonisten mutiert das Schnetzel-Abenteuer zu einem wahnwitzigen Höllenritt, der allerdings nichts für Feingeister oder Anhänger subtiler Anspielungen ist. Der gelegentlich pubertäre, aber immer zielsicher gesetzte sowie ab und an im positiven Sinne die Grenzen des guten Geschmacks übersteigende Humor trifft subtil wie ein Vorschlaghammer, kann viele der inhaltlichen Schwachpunkte kaschieren und macht aus Deadpool ein Erlebnis. Die schizophrenen Gespräche, die der Held mit sich selbst (und dem Spieler) führt, die unglaublich coole Zeichnung von Tod (als Figur), die Anspielungen auf Filme und Popkultur im Allgemeinen, das Öffnen der so genannten "Vierten Wand": Die High Moon Studios lassen ihrer Fantasie freien Lauf - und das zahlt sich aus. Während sie das Medium "Spiel" so ernst wie nötig nehmen und damit dafür sorgen, dass die Zeit zwischen den unzähligen Pointen adäquat überbrückt wird, verlieren sie beim Star, seinen Aktionen sowie seinem Verhalten jegliche Hemmungen: Man nimmt weder sich noch Deadpool ernst und feuert aus allen Humor-Rohren. Natürlich kann man beklagen, dass die Kulisse stark schwankende Qualität zeigt. Oder dass die Übergänge zwischen Nah- und Fernkampf nicht so flüssig sind wie bei DmC oder Bayonetta. Doch das war mir irgendwann egal. So häufig und herzhaft wie hier habe ich schon lange nicht mehr bei einem Spiel gelacht!

Pro

geläuterter Antiheld mit Persönlichkeitsstörung als Hauptcharakter
klasse Humor
famose englische Sprachausgabe
eingängige Steuerung
zahlreiche Upgrade-Optionen
solide Inszenierung

Kontra

mechanisch bieder
gelegentlich Trial & Error
kurzes Vergnügen
Wechsel zwischen Nah
und Fernkampf nicht immer harmonisch
gelegentlich Kameraprobleme
Kulisse schwankt zwischen ansehnlich und Durchschnitt

Wertung

360

Deadpool punktet mit seiner absurden Hauptfigur und viel Humor, die Mechanik ist biederer Durchschnitt.

PC

Deadpool bietet einen durchgeknallten Helden und viel Humor, bleibt hinsichtlich der Mechanik aber im biederen Durchschnitt hängen.

PlayStation3

Was die biedere Mechanik vermissen lässt, wird durch den absurden Humor und den durchgeknallten Hauptdarsteller wett gemacht.

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