Year Walk04.03.2013, Jörg Luibl
Year Walk

Im Test:

Nicht nur Nostradamus hatte Visionen, auch so mancher schwedische Bauer konnte in die Zukunft blicken. Im Gegensatz zum französischen Naturtalent musste man im hohen Norden scheinbar viel körperliche Mühsal investieren und wandern - eine angeblich alte Sitte mit strengen Regeln, der die Entwickler geschickt über eine kostenlose App einen authentischen Rahmen geben. Warum sich die fiktive Reise mit Year Walk lohnt, verrät der Test.

Schwedisches Wintermärchen

Der Schnee knarzt unter meinen Füßen, während ich weiter durch den Wald stapfe. Dafür ziehe ich den Bildschirm wie eine Theaterbühne einfach zur Seite. Falls es Wege nach oben oder unten gibt, deuten Pfeile darauf hin – man bewegt sich quasi in Egosicht durch 2D-Kulissen. Meine Reise begann in beschaulicher Winteridylle an einem roten Holzhäuschen. Mittlerweile bin ich aufgrund einiger Sackgassen, Abzweigungen und seltsamer Erscheinungen in einem unwirklichen Labyrinth unterwegs. Und ich bin kurz davor, eine Karte zu zeichnen. Sollte ich mir vielleicht auch die Einritzungen an den Bäumen notieren?

Ich habe die Lautstärke fast voll aufgedreht, höre und schaue genau hin – es gibt zwar auch überaus melodische Passagen, aber die Akustik konzentriert sich ansonsten auf das

Spiele von Simogo:

Beat Sneak Bandit (2012), Kosmo Spin (2010) und Bumpy Road (2012) für iOS bzw. Letzteres auch für PC. Wesentliche; es entsteht eine ähnlich mysteriöse, wenn auch nicht ganz so eindringliche Stimmung wie in Superbrothers: Sword & Sworcery. In diesem Wald geht es jedenfalls auch nicht mit rechten Dingen zu: Die Gegend scheint menschenleer, aber die Bäume wollen irgendetwas erzählen. Das Spiel lässt einen ohne modernen Komfort von Hilfen oder Hotspot-Anzeigen alleine im Wald; und das ist gerade in diesem Fall gut so.

An einem Runenstein habe ich z.B. eine Abfolge von Pfeilen gesehen, nachdem ich ihn mit beiden Fingern berührte. Ob das der Code für diesen Baum war? Eine ebenso so hübsche wie gefährlich anmutende Frau hat mich dorthin gelockt und ist in seinem Stamm

Wie kann man der Huldra bloß folgen? Die Eulen müssen in korrekter Reihenfolge berührt werden...
Wie kann man der Huldra bloß folgen? Die Eulen müssen in korrekter Reihenfolge berührt werden...
verschwunden…

Rätselhafte Reise durch die Wälder

Zwei Eulen bewachen jetzt den Eingang und starren mich an. Wenn ich sie antippe, geben sie Geräusche von sich. Aha, ein Rätsel! Aber egal was ich versuche: Meine Kombinationen öffnen nichts. Ob die Pfeile des Runensteins für etwas anders gedacht sind? Habe ich etwas falsch gedeutet oder übersehen? Ich marschiere zurück zu dieser düsteren Hütte, in der diese Holzpuppe hängt. Dort probiere ich nochmal alles an Fingerakrobatik aus – wischen, drehen, ziehen. Siehe da: Man kann sie regelrecht aufziehen! Dann vollführt sie einen bizarren Gestentanz, bevor sie mich mit blutverschmierter Fratze anstarrt.

Dieser Hengst sieht aus wie ein totengräber und verlangt vier tote Kinder...
Dieser Hengst sieht aus wie ein Totengräber und verlangt vier tote Kinder...
Apropos Blut: Das suche ich mittlerweile. Vorhin habe ich nämlich ein kreidebleiches Pferd aus dem Fluss gezogen, das wie ein Totengräber aussah - schwarzer Anzug, fahler Blick. Es scheint einen Schlüssel für mich zu haben, der endlich das Gatter an der Friedhofsmauer öffnen könnte. Aber wenn mich meine Wahrnehmung nicht getäuscht hat, braucht dieser Hengst vier tote…Kinder? Oder was soll das sein, was sich dort wie ein Säugling in Leinen neben ihm in der Luft windet? Ist das überhaupt menschlich? Ich höre Schreie, mache mich auf die Suche.

Huldra, Bäckahästen & Mylinge

Als ich eine der kleinen Kreaturen fand, musste ich sie zum Fluss zurückbringen; gehalten mit dem einen Finger, während der andere den Weg freischiebt. Überhaupt lockt diese mittlerweile schaurige Reise mit einigen Rätseln, die logisches Denken oder kreativen Toucheinsatz erfordern. Mal muss man das iPad drehen, mal zwei Finger parallel oder nebeneinander ziehend einsetzen, mal korrekte Kombinationen  eingeben, akustische Reihenfolgen treffen oder mit einer kleinen Flamme Licht ins Dunkel bringen. Und wie

Runensteine, Zauberwesen und schaurige Vorkommnisse - Year Walk ist ein sehr stimmungsvolles Adventure.
Runensteine, Zauberwesen und schaurige Vorkommnisse - Year Walk ist ein sehr stimmungsvolles Adventure.
bekomme ich bloß diese Holzkiste mit den geometrischen Figuren auf?

Schön ist, dass man auch von Runen und Zeichen immer wieder neugierig gemacht wird, so dass man sich einiges notiert. Auch wenn man zu Beginn noch seine junge Geliebte trifft, die den Reisenden ob seines Vorhabens warnt: Es gibt keine klassische Story mit Dialogen und Charakteren, sondern eher ein Erlebnis voller Symbolik und Ahnungen, das man allerdings erzählerisch deuten kann - vor allem, wenn man die Reise hinter sich hat.

Lust auf mehr Hintergrundinfos? Wer wissen will, was es mit mythischen Gestalten wie Huldra, Bäckahästen oder Mylinge auf sich hat, sollte die leider nur separate, aber gratis erhältliche App „Year Walk Companion“ installieren. Man munkelt allerdings, dass es den Völkerkundler Theodor Almsten ebenso wenig gibt wie sein angeblich in 16 Sprachen übersetztes Werk "The Crone's Tongue" oder den "Hornet Award" - da haben die Schweden selbst die Primärquelle zum Teil des Märchens gemacht.

Fazit

Stimmungsvoll, rätselhaft, kreativer Toucheinsatz! Year Walk inszeniert einen leider sehr kurzen, aber angenehm intensiven Irrmarsch durch verschneite Wälder. Und die stecken voller Geheimnisse: Da locken nicht nur altertümliche Symbole zum Knobeln, da lauern auch mythische Kreaturen mit bösen Überraschungen. Die meisten Spiele hat man heutzutage schnell durchschaut, weil man genau das macht und erlebt, was man von zig Vorgängern kennt. Die Entwickler von Simogo nehmen euch mit auf eine ganz besondere, mitunter schaurig-melancholische Reise, die auf den ersten Blick wie ein harmloses schwedisches Wintermärchen anmutet, aber Schritt für Schritt eine düstere Vorstellungswelt dahinter offenbart. Year Walk ist ein überaus ansehnliches, kulturhistorisch inspiriertes Adventure, das die Möglichkeiten des iPads sehr gut ausnutzt.

Pro

rätselhaftes Erlebnis
kleine Schockmomente
stimmungsvolle Präsentation
melancholische Hintergrundmusik
abwechslungsreiche Rätsel/Aufgaben
einfache, aber kreative Touch-Steuerung
Hintergrundinfos als Gratis-App

Kontra

recht kurz
keine optionalen Hilfen
manche unklare Rätselsituation
Hintergundinfos nur separat (englisch)

Wertung

iPhone

Year Walk inszeniert eine kurze, aber angenehm schaurige und sehr stimmungsvolle Rätselreise.

iPad

Stimmungsvoll, rätselhaft, kreativer Toucheinsatz!

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