X-Men: Legends31.10.2004, Mathias Oertel
X-Men: Legends

Im Test:

X-Men Legends war noch nicht in Deutschland erschienen, da hatte Activision bereits einen Nachfolger angekündigt. Mit einem Gefühlsmix aus Skepsis, ob das Spiel wirklich eine Fortsetzung wert ist, und Euphorie, angesichts der im Vorfeld veröffentlichten Features, haben wir uns ins Abenteuer gestürzt – und waren begeistert. Doch sind die X-Men legendär genug, um einen Award zu kassieren?

X für ein U?

Für Shooter-Fans sind die Jungs und Mädels von Raven Software keine Unbekannten, waren sie doch bereits z.B. für Star Trek Voyager Elite Force oder Hexen verantwortlich.

Ihr könnt bis zu vier Spieler auf die X-Men-Abenteuer-Reise mitnehmen. Fehlende Recken werden durch die KI ersetzt.
Und ausgerechnet dieses Team beauftragt Activision mit der Entwicklung eines Action-Rollenspiels im X-Men-Universum? Das kann doch nicht gut gehen…

Doch! Es kann. Es geht sogar so gut, dass die X-Men in ihrer RPG-Premiere der alt eingesessenen Konkurrenz wie Baldur´s Gate Dark Alliance, Champions of Norrath und wie sie alle heißen, gehörig Zunder gibt.

X-kurs in Sachen X-Men

Dabei muss man nicht einmal Fan der Marvel-Helden zu sein, um das Spiel genießen zu können. Sicher: Ein wenig Vorwissen rund um die Comics und Filme zu Wolverine, Cyclops usw. schadet nicht. Doch selbst wenn man bislang nichts mit den Mutanten am Hut hatte, kann man das Spiel vom ersten Moment an genießen.

Zwar wird man mit Wolverines Ankunft in New York ins kalte Wasser geworfen, doch bereits nach wenigen Momenten hat man die auf allen Systemen gut reagierende und clever belegte Steuerung verinnerlicht. Diese orientiert sich an einschlägiger Action-RPG-Kost, ist einfach zu bedienen und schwupps: steckt man mitten im Spielspaß-Sog.

Doch so richtig los geht es, sobald man in die Schule kommt, in der die X-Men ihren Unterschlupf haben: Angefangen von einem kleinen Exkurs, wer die Superhelden überhaupt sind bis hin zu einer Führung durch das extrem große Anwesen des Xavier-Instituts für höhere Bildung wird man sowohl in die X-Men-Welt als auch in die Spielmechanik eingeführt, die einen beide nicht mehr loslassen und von der ansprechend erzählten und von den Comics losgelösten Story unterstützt werden.

Gut gelungene CG-Sequenzen wechseln sich mit Szenen in Spielgrafik ab, um die Story vorwärts zu bringen.
Mal in Renderszenen, mal in Spielgrafik erfahrt ihr nach und nach, dass die gefürchteten Sentinels, die vor Jahren als Mutantenjäger eingesetzt wurden, wieder aktiviert wurden. Wer steckt dahinter? Ist das Schicksal der X-Men besiegelt? Es liegt an euch, der Wahrheit auf den Grund zu gehen.

Als zweiten Handlungsstrang verfolgt ihr den Werdegang von Magma, die in der ersten Mission von Wolverine gerettet wird und die in der Schule von Professor Xavier mit den X-Men im Allgemeinen und ihren Fähigkeiten im Besonderen Bekanntschaft macht.

X-tremer Spielspaß

Sobald es an die zahlreichen Missionen geht, seid ihr mit einem Team aus vier X-Men unterwegs. Dabei seid ihr nicht auf irgendwelche Vorgaben angewiesen, sondern könnt zum Start und an den fair in den Abschnitten verteilten Speicherpunkten aus bis zu 15 X-Men eure Favoriten auswählen. Zusätzlich könnt ihr hier noch Kameraden gegen ein gewisses Entgelt wiederbeleben.

Die Kämpfe laufen sehr dynamisch ab – auch wenn man meist damit beschäftigt ist, seine Gegner im Nahkampf zu erledigen. Dabei seid ihr auf die jeweiligen Fähigkeiten der Helden angewiesen. Wolverine mit seinen Krallen oder die pure Macht von Beast sind Sieg-Garanten für den Nahkampf, während Cyclops und Rogue eher schwächer auf der Brust sind und lieber aus dem Hintergrund mit ihren Spezialfähigkeiten wie dem optischen Strahl angreifen.

      

Wie es sich für ein Action-Rollenspiel gehört, gibt es für jeden niedergestreckten Gegner Erfahrungspunkte. Unheimlich positiv auf das Spieldesign wirkt sich aber aus, dass nicht nur die vier Akteure im Team diese Erfahrung gut geschrieben bekommen, sondern auch die nicht eingesetzten Superhelden – allerdings einen prozentual abgeschwächten Anteil.

Vier Helden sind immer dabei - insgesamt sind 15 X-Men mit von der Partie.

Der Vorteil liegt auf der Hand: Falls ihr euch wider Erwarten eine Zeitlang auf eine bestimmte Teamzusammenstellung konzentriert und dann doch irgendwann ein Mitglied austauscht, braucht ihr keine Angst haben, dass der neue Kämpfer all zu weit im Level zurückhängt und beim ersten Schlag der Gegner wieder umfällt.

Auch der Levelanstieg an sich, der mit neuen Fähigkeiten und Eigenschaftsverstärkungen einher geht, ist gut gelöst. Jeder X-Men verfügt über ein breites Spektrum an Aufwertungsmöglichkeiten, von denen einige allerdings durch ein vorgegebenes Level gesperrt sind. Und trotzdem sind die Auswahlmöglichkeiten so umfangreich, dass man beim Durchspielen nicht alle Werte aufs Maximum schieben kann, man aber immer noch genug Möglichkeiten hat, die Figuren dem eigenen Spielstil anzupassen. Anstatt bei Cyclops auf den optischen Strahl und ähnliche Spielereien zu setzen, könnt ihr ihn auch zu einer guten (aber im Vergleich zu den Spezialisten schwächeren) Nahkampf-Maschine machen. Oder ihr versucht, Storms Wind-Fähigkeiten so weit nach oben zu drücken, dass sie aus dem Hintergrund die Feinde fast im Alleingang fertig machen kann. Aber vergesst dabei nicht, ihr Energie-Reservoir aufzustocken, denn sonst steht sie schnell ohne Power da und muss warten, bis der Pool wieder aufgeladen ist.

Zusätzlich könnt ihr eure Fähigkeiten durch Gegenstände aufrüsten, von denen ihr drei gleichzeitig tragen könnt und die entweder von Gegnern fallen gelassen werden oder im Shop gekauft werden können.

Nicht vergessen sollte man den Mehrspieler-Modus, der hier so gut gelöst und motivierend ist wie bei keinem anderen Genre-Kollegen. Denn sobald ihr mit eurem Team auf Mission seid, können bis zu vier Spieler zu den Pads greifen und die Gegner mit den zahllosen Kombos fertig machen: Greift ihr einen Gegner mit einer eurer Spezialfähigkeiten an, während es gleichzeitig ein Team-Mitglied probiert, kommt es zu einer Kombo, die immensen Schaden verursacht und zusätzliche Erfahrung bringt – Timing der Mitspieler ist gefragt.

Feine Effekte, schöne Animationen: die Comic-Grafik überzeugt, ruckelt aber hin und wieder.
Abgesehen von dem Genre-typischen Problem, das alle vier Spieler auf dem Bildschirm Platz haben müssen und man so häufiger dass all zu bekannte "Wartet mal auf mich" zu hören bekommt, bietet das Abenteuer mit Freunden extrem gute Unterhaltung.

Doch auch für Einzelspieler gibt das Superhelden-Team selten Grund zur Klage: Die KI-Routinen reagieren im Kampf meistens gut, doch selbst wenn ihr im übersichtlichen Menü die Einstellung vorgebt, dass die nicht direkt gesteuerten Kämpfer ab einem bestimmten Energiewert Heiltränke einwerfen, halten sich die Recken nicht immer daran. Zudem laufen sie unbeobachtet häufiger mal in kleinere Fallen, die man mit dem gesteuerten Superhelden locker umschifft hat.

Aber da die Kämpfe extrem actionreich und dynamisch ablaufen, bietet X-Men Legends auch für Solo-Spieler motivierende Kost, wie man sie selten zu Gesicht bekommen hat, da man immer im Quartett unterwegs ist.

Nur Rätsel kommen etwas zu kurz und bestehen in erster Linie darin, an einem mit X markierten Ort die Spezialfähigkeit eines Helden einzusetzen. Im Zweifelsfall heißt dies, kurz zum Speicherpunkt zurücklaufen, um den entsprechenden Mutanten einzusammeln, insofern ihr ihn nicht bei euch hattet. Doch auch dieses kleine Gameplay-Manko verzeiht man angesichts der gut inszenierten und spannenden Kämpfe, die in ebenso intensiven Bosskämpfen gipfeln. Mystique, Blob, Toad, natürlich Magneto und viele andere warten auf euch und erfordern alle eine eigene Taktik.

   

X-zellente Technik?

Wie es sich angesichts der Comic-Ursprünge der X-Men gehört, griff Raven bei der optischen Gestaltung in die Trickkiste und präsentiert einen Zeichentrick-Look, der es in sich hat. Denn wo viele mit "Comic" sparsam und wenig aufwändig verbinden, hat die Grafikabteilung hier nicht gekleckert, sondern geklotzt. Das Ergebnis sind sowohl auf Xbox als auch auf PS2 und GameCube feine Animationen, saubere Texturen in den abwechslungsreichen Abschnitten und schöne Effekte bei den Spezial-Fähigkeiten, so dass alles rundum stimmig wirkt, ohne allerdings all zu pompös zu sein – es passt einfach.

Die Sentinels sind zurück, um die X-Men zu vernichten.
Egal ob Wolverines Klauenangriff, die Eisattacken von Iceman oder die Strahlenangriffe von Cyclops: alles wird spektakulär inszeniert. Einzig die Kombo-Attacken kommen grafisch etwas zu kurz. Denn so zahlreich sie auch sind, gibt es keinen besonderen Effekt zu sehen – schade!

Allerdings ist es nicht nachzuvollziehen, wieso das Spiel auf allen Systemen bei schnellen Kameradrehungen gelegentlich leichtes Grafikstottern zeigt. Doch nur selten wirkt sich dies negativ auf das Gameplay aus.

Wo wir gerade beim Thema Kamera sind: Sie folgt der Hauptspielfigur meist sehr gut und erfordert nur sporadisch manuelle Justierung. In engen Gassen und bei vielen Hindernissen kann es allerdings passieren, dass ihr auch manuell keine Chance habt, einen Blick auf die Figur zu erhaschen – obwohl im Weg stehende Gegenstände wie Bäume usw. ausgeblendet werden.

Vollkommen untypisch für Activision hat man sich dazu entschieden, das Spiel im englischen Original zu belassen und nur zu untertiteln. Denn so könnt ihr z.B. Patrick Stewart als Professor Xavier genießen, der von einer breiten Riege anderer Sprecher ergänzt wird. Doch so herausragend Captain Picard auch hier wieder einmal ist, so durchschnittlich sind viele seiner Kollegen. Zudem wiederholen sich die "normalen" Sprachsamples nach einer gewissen Zeit. Gleiches gilt im Übrigen für die Soundeffekte, die aber so hochwertig produziert sind, dass sie einem bis zum Schluss nicht auf den Geist gehen.

Die Musik kann ebenfalls überzeugen und glänzt mit angenehmen Kompositionen. Allerdings kommen die Melodien angesichts des alles überlagernden Kampflärms etwas zu kurz. Doch auch dies kann man verschmerzen. 

Fazit

Nach den diversen Prügelabenteuern und Third-Person-Titeln rund um die X-Men hat es Raven Soft aus dem Stand geschafft, das bislang beste Spiel rund um die Superhelden abzuliefern. Spielerisch auf einer Linie mit Titeln wie Baldur´s Gate Dark Alliance und Champions of Norrath, sorgen die Superhelden mit einer enormen Liebe zum Detail, viel Action und einer durchdachten Charakterentwicklung von Anfang bis Ende für enormen Spaß. Die Steuerung ist gut, die Kämpfe fordernd und da ihr nebenbei mit allen nötigen Informationen zu Wolverine & Co versorgt werdet, muss man nicht einmal knallharter X-Fan sein, um Legends genießen zu können. Dass auf allen Systemen Ruckler auftauchen, ist angesichts der ansonsten gelungenen Comic-Grafik zwar unverständlich, stört den Spielverlauf aber in keiner Form. Einzig die KI-Probleme der Mitstreiter, wenn man als Einzelspieler unterwegs ist, nagen etwas an der Motivation, sind aber wiederum nicht allzu gravierend. Und dieses Problem kann man beheben, indem man sich einfach ein paar Freunde schnappt und kooperativ loslegt. Und hier bieten die legendären Superhelden das bislang beste Spielerlebnis im Genre – auch wenn man die alten Probleme wieder findet, die seit Gauntlet nicht behoben werden konnten (Stichwort: Komm noch mal zurück, ich häng fest!). Gut, dass bereits ein zweiter Teil angekündigt ist…

Pro

unterhaltsamer Dungeon-Hack mit X-Men-Flair
15 X-Men stehen zur Verfügung
vier frei wählbare Party-Mitglieder
Koop-Modus für bis zu vier Spieler
durchdachte Charakter-Entwicklung
eingängige Steuerung
gute Bosskämpfe
umfangreich
nette Comic-Grafik
grandiose Atmosphäre
viele Gimmicks und Feinheiten aus dem X-Men-Universum
abwechslungsreiche Umgebungen
umfangreiche Gegnerauswahl
fair gesetzte Speicherpunkte

Kontra

KI mit Aussetzern
Ruckler
kaum Puzzle-Elemente
schwankende Sprecher-Leistungen
Musik kommt etwas zu kurz
ab und an Kamera-Probleme

Wertung

PlayStation2

XBox

GameCube

Die X-Men lassen die Helden der Schwertküste ganz schön alt aussehen!

0
Kommentare

Du musst mit einem 4Players-Account angemeldet sein, um an der Diskussion teilzunehmen.

Es gibt noch keine Beiträge. Erstelle den ersten Beitrag und hole Dir einen 4Players Erfolg.